Faszination Windhunderennen

Von Anna Hitz

Wer einmal einen Geschwindigkeitsrausch erleben möchte, sollte die Windhunde auf der Rennbahn besuchen. Hier sieht man Greyhounds mit 70 Kilometern pro Stunde vorbeipreschen. Whippets, die eifrig dem Fell folgen, und f­eingliedrige Windspiele, die zu Jagdhunden werden. Afghanen, Azawakhs, Salukis und ­Sloughis hetzen in leichter Eleganz über das Feld, während Spezialisten wie Barsois, Deerhounds, Wolfhounds und Magyar Agars ihre Größe und Kraft in Geschwindigkeit umwandeln. Wer das gesehen hat, wird sich der Faszination Windhund nicht mehr entziehen können.

Diese ruhigen Hunde werden magisch, sobald sie von der Leine gelassen im ­gestreckten Galopp über eine Wiese fliegen. Was sie heute in der Natur nicht mehr dürfen, das wollen die Menschen ihnen auf der Rennbahn zurückgeben. Bekannt ist dies vor allem aus den angelsächsischen Ländern, wo viel Geld die Hände wechselt, wenn Hunde die Ziellinie überqueren. Dass es auch in der Schweiz eine lebhafte Renn­szene gibt, ist eher unbekannt und das, obwohl sie mit viel Eifer betrieben wird.

Etwas übergreifende Geschichte
„Ein wahrer Jäger geht mit seinen Hunden nicht darauf aus, Hasen zu
erwischen, sondern er geht auf die Jagd des Wettstreits zwischen Hase und Hund und um diesen zu trainieren; er ist auch zufrieden, wenn der Hase entwischt." (Flavius Arrianos, Kynegetikos 17-30 n. Chr.) Windhunderennen sind ein altes Vergnügen, das schon bei den Ägyptern Anklang fand. R. Daub schreibt: „Coursing war es, was Arrian vor über 1800 Jahren begeisterte. Es ist eine der ältesten Sportarten überhaupt und seit den Pharaonen Alt­ägyptens eine der königlichsten." Das moderne Coursing wurde in England von Königin Elisabeth I (1558-1603) angeregt. Damals wurden die Regeln, die „laws off the leash" durch den Herzog von Norfolk festgelegt, nach denen Greyhounds Hasen übers Feld jagten. Das erstaunt, denn coursende Greys sind heute eine Seltenheit.

Bis 2005 jagten die Hunde in ­England lebendige Hasen, wobei Daub zu bedenken gibt: „Nicht immer ist es der Hund, der den Hasen tötet, welcher die höchste Punktezahl erreicht, sondern der, der am meisten dazu beitrug ihn zu schnappen." Dabei unterschied man Park und Open Coursing. Open Coursing fand auf dem freien Feld statt und wurde von den Richtern zu Pferd begleitet, da die Hunde manchmal kilometerweit hetzten. Beim Park Coursing wurde hingegen ein Gelände eingezäunt und der Hase konnte durch Schlupflöcher entwischen. Übrigens – der Hase entwischte zu 90 Prozent.

Schweizer Renngeschichte
Die Anfänge bildeten 1922 Renntrainings in Basel, die 1924 in Bern zum ersten Wettbewerb führten. Dem Schweizer Windhundclub ­wurde von der Militärverwaltung Bern das Areal des Remontendepots der Eidg. Militär-Pferdeanstalt zur Verfügung gestellt. Gezeigt wurden neun Rennen, die in der ­Renndistanz zwischen 150 und 250 Metern ­variierten und von fünf Greyhounds und 18 Whippets bestritten wurden. Dies beschreibt H. Weidmann, ein seit 1970 erfolgreicher Whippetzüchter, folgendermaßen:

„Die Hunde wurden auf ein ­Zeichen des Starters von Hand mehr oder weniger gleichzeitig auf einer Ge­raden losgelassen. Ein eigentliches Lockmittel wurde nicht verwendet. Vorerst streikten die Hunde, d.h. sie bekämpften sich schon am Start. Da kam den Organisatoren die glänzende Idee, das Beispiel Düsseldorf mit dem Führerhund nachzuahmen. Es war eine läufige Schäferhündin, die vom Starter-Obmann vor jedem Lauf die Laufstrecke so weit heruntergeführt wurde, bis kein Einholen vor dem Ziel mehr möglich war." Es folgten ­Rennen in Aarau, Basel, Genf, Fribourg und Baden, wobei oft mehr als sechs Hunde an einem Lauf teilnahmen, von Hand gestartet wurden und ohne Lockmittel zu laufen hatten. Denn „Ein Hund, dem durch künstliche Mittel der Ehrgeiz angefacht werden muss, um auf der Rennbahn seine Fähigkeiten zu beweisen, besitzt nicht die Begabung, die wir von unseren Hunden verlangen. Der Hund muss ohne irgendwelchen Einfluss seinen Ehrgeiz und seine Schnelligkeit beweisen." Wie Weidmann ausführt: „So kam es bei den Rennveranstaltungen zu unerwünschten und unerfreulichen Szenen. Viele Hunde liefen nicht durchs Ziel, sondern blieben stehen, kehrten um oder gingen aufeinander los." Erst als 1934 beim Herbstrennen auf der Old-Boys-Matte in Basel zwei deutsche Rennteilnehmer eine kleine Hasenmaschine auf der Bahn installierten, fanden erstmals Rennen ohne Zwischenfälle statt. Seither werden alle Rennen mit Lockmitteln ausgeführt. 1956 wurde in Basel vor 3000 Zuschauern die erste Europameisterschaft durchgeführt. Auch die Strukturen verbesserten sich sukzessive. Weidmann umschreibt die Jahre 1968 bis 71: „Wie bei einem Wanderzirkus wurde jeweils am Vortag das gesamte benötigte Material in Lastwagen herangeführt, die Bahnanlage in mehr oder weniger geeignetem Gelände aufgebaut, nach der Veranstaltung unter Mithilfe der Rennteilnehmer wieder abgebrochen und in die heimatlichen Unterkünfte zurückgeführt." Mittlerweile hat jeder der fünf schweizerischen ­Rennvereine eine eigene Bahnanlage, auf der sie regelmäßig Trainings und Rennen durchführen. Diese Bahnen be­finden sich in Lotzwil BE, Rifferswil ZH, ­Versoix GE, Kleindöttingen AG und Lostallo GR.

Racings und Coursings
Doch wie funktionieren die verschiedenen Rennen in der Schweiz? Die beiden Laufdisziplinen folgen dem Reglement der Fédération ­Cynologique Internationale (FCI). Bei den Racings wird über eine ­ovale Sand- oder Grasbahn gelaufen. Sechs ­Hunde werden aus Boxen gleichzeitig gestartet. Die Distanzen variieren für Whippet und Windspiel zwischen 250 bis 500 Meter und für alle größeren Rassen zwischen 250 bis 900 Meter. Die Hunde ­folgen während des Rennens einem Lockmittel, was ein Hasenfell, ein fellähnlicher Ersatz oder Plastik- und Stoffbänder sein können. Es gewinnt der schnellste Hund. Beim Coursing laufen zwei Hunde über ein offenes Gelände. Whippet und Windspiel eine Distanz von 400 bis 700 Meter, die größeren Rassen zwischen 500 bis 1000 Meter. Das Coursing ist der natürlichen Hatz eines Hasen nachempfunden, weshalb ein Lockmittel über mehrere Ecken gezogen wird. Das Lockmittel wechselt plötzlich die Richtung, was für die Hunde die Route nicht vorausschaubar macht. Zwei Richter beurteilen den Lauf der beiden Hunde nach fünf Kriterien: Gewandtheit, Schnelligkeit, Kondition, Eifer und Intelligenz. Für jedes Kriterium können maximal 20 Punkte vergeben werden, wobei die Richter pro Lauf etwa eine Minute Zeit haben, alles zu bewerten. Diese Kriterien machen das Coursing interessant, aber für Außenstehende schwer nachvollziehbar, da nicht der schnellere Hund, sondern der bessere Jäger gewinnt.

Die Spitzenläufer der Kaniden
Molosser und Windhunde gehören zu jenen Hunden, die als Erste eine ­phänotypische Spezialisierung des Haushundes auf eine bestimmte Verwendung erlebt haben. Durch menschliche Selektion und natürliche Anpassung wurden die Körper der Windhunde zweckmäßig und für hohe Geschwindigkeiten geformt. Oder wie es Welsh und Lowe in „The English Whippet" zusammenfassen: „Er benötigt die Sicht, um seine Beute in der Distanz zu erkennen. Geschwindigkeit, kombiniert mit Balance, um zu galoppieren und sich zu wenden und zu drehen, die Ausdauer für eine lange Jagd, die Fähigkeit, die Beute in der Geschwindigkeit zu schnappen, und die Kieferkraft sie zu halten und umzubringen, wenn sie gefangen ist. Und er muss gesund sein, der lahme Hund kann nichts fangen."

Doch was macht die Geschwindigkeit aus? Von Bedeutung ist ein starker Nacken, denn dessen Muskulatur bildet die Verankerung für die langen Muskeln, die die Vorderbeine vorwärts ziehen. Der Nacken ermöglicht so ein kraftvolles Ausgreifen der Vorderbeine. Zudem bildet eine gute Halslänge im Zusammenspiel mit einer guten Winkelung der Schultern die Voraussetzung für eine optimale Schrittlänge. Der Winkel wiederum ergibt sich aus der Lage der ­Scapula (Schulterblatt) und des Humerus (Oberarmknochen). Ist die Scapula zu aufrecht, neigt der Humerus zu stark nach hinten, was die Vorwärts­bewegung einschränkt und den Schritt ­verkürzt. Auch der tiefe Brustkasten ist zweckmäßig, da Lunge und Herz des Windhunds überdurchschnittlich groß sind. Zugleich darf er die Be­wegung nicht einschränken, weshalb der Brustkasten sich besonders in die Tiefe entwickeln soll.

Weiter berichten Welsh und Lowe: „Von zwei Whippets wird derjenige mit dem längeren Rücken und den kürzeren Beinen die größere Schrittlänge haben als derjenige, welcher höher über dem Boden steht und einen kürzeren Rücken hat." Denn der lange Rücken ist vermutlich besser in der Lage sich zusammenzuziehen, um sich wiederum für einen großen Galoppsprung zu strecken. ­Hinzu kommt die schlanke, muskulöse Erscheinung. Greyhounds besitzen einen Gesamtmuskelanteil von 57%, normale Hunde 43%. Übrigens, der Kynologe Hans Räber hält fest, dass groß gewachsene Windhunde wie Grey, Barsoi und Afghane „die einzigen Rassen dieser Größe sind, bei denen noch nie eine Hüftgelenks­dysplasie festgestellt werden konnte." Trotz dieser ausgeklügelten Details, die zur Geschwindigkeit beitragen, weist Dr. Isabel Bänziger (Tierärztin, Whippetzüchterin und Ausstellungsrichterin) darauf hin, „dass die Summe die Geschwindigkeit eines Hundes ausmacht. Zu stark ausgeprägte Einzelheiten sind eher kontraproduktiv. Ausgewogenheit ist das Ziel und der beste Garant für Geschwindigkeit und Kraft." Wie sie weiter ausführt, „ist es unmöglich, ausschließlich über das äußere Erscheinungsbild vorher­zusagen, welcher Hund der schnellere sein wird. Zudem spielen auch andere Faktoren, wie Fitness und die mentale Verfassung des Hundes eine Rolle." Denn oft gewinnt der Hund mit am meisten Willen.

Was geht in den Spezialisten vor?
Dass für diese Hunde ein ­minimaler Anreiz reicht, um sie zur Jagd zu ­animieren, ist kein Zufall. Denn je nach Spezialisierung einer Rasse auf ein spezielles Verhalten aus der Jagdkette ist die Reizschwelle in diesem Bereich besonders tief. Dopamin ist bei den richtigen Reizen sehr reaktionsfreudig und formt bei Windhunden, schneller als bei anderen Hunden, die Aktion Hetzen zu einem hocheffizienten selbstbelohnenden Verhalten. Der ausgelöste Hetztrieb ist kaum zu stoppen. Im Körper wird ein Hormoncocktail ausgeschüttet, der den Hund euphorisch und schmerzunempfindlich macht. Der Herzschlag wird erhöht, der Blutdruck steigt, der Körper wird mit Sauerstoff angereichert und der Hund wird zur Maximalleistung be­fähigt. Dadurch nimmt der Hund die Beute mit erhöhter Intensität wahr. Es ist wie der Blick durch ein Fernglas, alles was nicht unmittelbar mit der Beute zu tun hat, wird ausgeblendet. Zugleich wird die Verbrennungs­leistung angekurbelt, was die Hunde in ihrem Bewegungsdrang unterstützt. Diese Reaktionen können bei besonders leicht reizbaren Hunden bereits beim Geräusch der Zugmaschine beobachtet werden. Die Hormone werden ausgeschüttet und die Hunde sind deshalb nicht mehr in der Lage sich zu beruhigen und können bei diesem Geräusch weder trinken noch fressen.

Gefährlich wird dieser Einfluss bei angeschlagenen Hunden. Denn der hetzende Hund kann seinen Lauf kaum abbrechen. Fände die Jagd in der Natur statt, würde der ­verletzte Hund naturgemäß ausgebremst werden, da sich die gesunde Beute immer weiter entfernt. So kommt der ­kranke Windhund gar nicht in die Lage, sich trotzdem zu verausgaben. Auf der Bahn ist der natürliche Abbruch nicht möglich, da der Köder immer auf idealer Distanz gezogen wird und der Hund unter Einfluss der Hormone kaum Schmerzen wahrnimmt. Hier ist das Verantwortungsbewusstsein des Halters gefragt.

Vom Sofa auf die Rennbahn?
Grundvoraussetzung ist eine gute Aufzucht mit gesunder Ernährung, Spiel im natürlichen Gelände und eine gute Sozialisierung. Erst mit 12 Monaten sollte man den Junghund behutsam an die Bahn gewöhnen und das Training mit Box, Hasenfell und Hetze sorgfältig aufbauen. Gelingt dies, kann der Hund die erforderlichen Lizenzen erwerben. Bei diesem Test zeigt der Hund seine Laufwilligkeit. Erst jetzt beginnt das eigentliche Training, um, wie Weidmann ausführt, „den Hund – gleich wie schnell er ist – zu ­seiner individuellen Höchstleistung zu ­bringen, ohne dass er gesundheitliche Schäden davonträgt." Weidmann unterscheidet zwischen ­Grundtraining, wie täglichen Spaziergängen und Wanderungen, und Zusatztraining für Ausdauer, Kraft und Schnelligkeit. Doch bemerkt Weidmann auch: „Jeder Rennhund benötigt längere Ruhezeiten. Bei diesen müssen die Halter selber das den Hunden zuträgliche Maß an Renneinsätzen erkennen, Vernunft walten lassen und unter Umständen längere Rennpausen einschalten. Ein Hund kann nicht von März bis November pausenlos in Topform gehalten werden. Die Teilnahme an zehn bis fünfzehn Rennveranstaltungen pro Jahr, mit Ausrichtung auf ein bis zwei Schwerpunkte (Titel­rennen), erscheint genug."

Verletzungsrisiko und Doping
Ein gewisses Verletzungsrisiko besteht immer, häufig an der ­Daumenkralle. Sie steht leicht heraus und der Hund kann während des ­Laufens hängenbleiben und sich die ganze Daumenkralle herausreißen. Bis zur Einführung des ­Kupierverbots war es deshalb normal, den Welpen die Daumenkrallen zu entfernen. ­Heute werden stattdessen ­vielen Hunden die Daumenkrallen für ­Renneinsätze mit Fixierband befestigt. Auch birgt das häufige Laufen auf der Bahn, immer in derselben Richtung, die Gefahr von Sehnen- und Bandproblemen, Gelenkkapselverletzungen und Ermüdungsbrüchen. Dies geschieht jedoch selten, und durch vielseitige Auslastung im Alltag kann dem vorgebeugt werden.

Die FCI hat klare Regeln gegen den Einsatz von Doping formuliert. Bei allen Rennen können mithilfe von Stichproben Hunde getestet ­werden. Wie Helena Thum (Präsidentin des Schweizer Club orientalischer Windhunde und Präsidentin des Windhundsportvereins Bern) erzählt, gab es bereits vereinzelte Fälle von gedopten Hunden, doch da der Windhunderennsport im deutschsprachigen Raum nicht kommerziell betrieben wird, ist er nicht allzu anfällig. Unglaublich aber wahr: früher war es verbreitet, den Hunden vor dem Rennen Schokolade zu verabreichen. Das Theobromin hat auf Hunde eine ähnlich aufputschende Wirkung wie auf uns Kokain oder Amphetamine. Auch Ingwer oder Arnika gelten als Dopingmittel. Ingwer wirkt z.B. schmerzstillend und befindet sich z.T. bereits im Hundefutter, wie beispielsweise auch L-Carnitin oder Grünlippmuscheln, die streng genommen auch verboten sind.

Geld oder was macht den Erfolg?
In der Regel sind die meisten Lauf­hunde zugleich Familienhunde. Man wird gerne von Vereinen aufgenommen und kann nach Absolvieren der Lizenz an Anlässen teilnehmen. Ob man mit einem einzelnen Hund Erfolg hat, hängt vom Hund und dem Engagement ab. Man kann einen Glücksgriff landen. Dies erfordert in der Regel viel Erfahrung, aber auch die richtigen Kontakte und eben Glück. Denn wie auch im menschlichen Spitzensport gibt es unter den Kaniden Ausnahmetalente. Manchmal stimmt einfach alles zusammen: Hund, Halter, Training und Rennbahn. Wer jedoch konstant Erfolg haben will, muss tief in die Tasche greifen, denn dafür bedarf es eines größeren Rennstalls, sowie viel Zeit und Infrastruktur. Liebäugelt man mit dem Windhunderennen, ist man jedoch gut beraten, die Freude am einzelnen Hund in den Vordergrund zu stellen, denn für den Hund spielt es keine Rolle, ob er als Erster oder als Letzter ins Ziel einläuft. Und wie Weidmann berechnet hat, läuft der Hund in seinem Leben „zusammengerechnet lediglich etwa drei Stunden auf der Rennbahn oder im Coursingfeld."

Fazit: Gewinnen ist schön, eine lebenslange Freundschaft unbezahlbar.

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