Die Liebe geht durch den Magen, so heißt ein geläufiges Sprichwort. Aber auch bei der Haushundwerdung hat der Wolfs- bzw. Hundemagen eine entscheidende Rolle gespielt, wie schwedische Forscher herausgefunden haben.
Die Erforschung der Geschichte des Haushundes, im Besonderen seiner Domestikation, ist zugleich ein Eintauchen in die Geschichte des Menschen. Wir sind in der Jungsteinzeit, vor etwa 12.000 Jahren. Es ist die Zeit des Übergangs vom jagdlichen Nomadenleben zur Sesshaftigkeit, und Siedlungen entstehen. Dies deswegen, weil der Mensch nun beginnt, Ackerbau zu betreiben. Seine Ernährungsgrundlage ist nun nicht mehr das, was er zufällig erjagt oder an wildwachsenden Früchten findet, sondern eine geplante Kultivierung von Pflanzen, vor allem von Getreide. Das ermöglicht dem Menschen eine bislang ungekannte Unabhängigkeit, da nun auch eine gewisse Vorratshaltung möglich wird. Mit dieser als „agrikulturelle Revolution“ bezeichneten Veränderung geht auch eine Veränderung in der Ernährungsweise einher. Auf Kosten von Fleisch nimmt der Mensch zunehmend pflanzliche, also stärkehaltige Nahrungsmittel zu sich. Auch die archäologischen Funde von Kochgefäßen aus dieser Zeit zeigen diese Veränderung.
Ökologische Nische
Natürlich betrieb der Mensch auch weiterhin die Jagd, doch folgte er nicht mehr den Wildherden, sondern brachte vielmehr das erlegte Wild in die Siedlungen. Sowohl fleischliche wie auch pflanzliche, stärkehaltige Nahrungsreste wurden in der Nähe der Siedlungen entsorgt. So dürften wohl die ersten „Müllhalden“ der Zivilisation entstanden sein. Das aber bedeutete eine ökologische „Nische“ für Wölfe, wie Erik Axelsson, Mikrobiologe der Universität Uppsala (Schweden), vermutet. Die natürliche Selektion auf Merkmale, die eine effiziente Nutzung dieser neuen Nahrungsressourcen erlauben, habe wohl zur Evolution von aasfressenden Wölfen geführt, die sich in der Nähe der Siedungen aufgehalten haben.
Wie genau nun die Domestikation abglaufen ist, ob handaufgezogene Wolfswelpen später zur Jagd und/oder zur Bewachung der Siedlungen des Menschen verwendet wurden oder lediglich als Sozialpartner, weiß man noch nicht, hier gibt es nur Theorien und Vermutungen. Jedenfalls dürfte aufgrund archäologischer Funde feststehen, dass die Haushundwerdung in diese Zeit der Sesshaftwerdung des Menschen fällt. So stammt der älteste Fund einer Grabstätte, in der ein Mensch gemeinsam mit einem (seinem?) Hund begraben ist, aus Israel und ist etwa 13.000 Jahre alt (Davis 1978).
Mehrere Domestikationen
Weil allerdings der rund 33.000 Jahre alte Fossilienfund eines hundeähnlichen Kaniden in den Altaibergen Sibiriens (siehe Kasten auf Seite 38) darauf hinweist, dass es offensichtlich Hunde schon sehr viel früher als in der Jungsteinzeit gegeben hat, was auch molekulargenetische Forschungen annehmen lassen, sprechen Wissenschaftler von einer schon sehr viel früher stattgefundenen sog. Proto-Domestikation (Galibert 2011), die aber offensichtlich nicht von nachhaltigem Erfolg war. Erst gut 20.000 Jahre später sei es zu einer echten Domestikation gekommen, welches die Basis unserer heutigen Haushunde darstellt, so Francis Galibert vom Institut für Genetik der Universität Rennes (Frankreich).
Veränderung der Verdauung
Zurück zur Sesshaftwerdung des Menschen und der dadurch neu entstandenen ökologischen Nische für Wölfe. Im Laufe der Zeit und der Haushundwerdung – wobei weiterhin unklar bleibt, wie diese erfolgt ist – passten sie sich dieser Nische an. Das führte dazu, dass die Kaniden nicht nur Aas, sondern auch pflanzliche Abfälle zu sich nahmen, also stärkehaltige Produkte. Das Spannende daran ist nun, wie Wissenschaftler der Universität Uppsala in Schweden herausgefunden haben, dass damit im weiteren Verlauf eine genetische Veränderung bei den zunehmend domestizierten Kaniden stattgefunden hat, die es ihnen ermöglicht, stärkehaltige Nahrungsmittel zu verdauen. Bei wildlebenden Wölfen ist dies nicht im gleichen Ausmaß der Fall.
Die Wissenschaftler um Erik Axelsson hatten das Erbgut (Genom) von Wölfen und Hunden verschiedener Rassen aus Eurasien und Nordamerika untersucht. Aus 3,8 Millionen Genvarianten konnten sie 36 Erbgutregionen identifizieren, die sich bei Wolf und Hund unterscheiden, also genetische Folge der Domestikation sein müssen (Axelsson 2013). Darunter finden sich drei Gene, welche eine Schlüsselrolle in der Verdauung von Stärke spielen. Diese drei Gene finden sich nur bei Hunden, nicht aber bei Wölfen. Sie ermöglichen einerseits die enzymatische Aufspaltung stärkehaltiger Nahrungsmittel und andererseits auch deren Aufnahme durch den Dünndarm.
Parallele Evolution
Die Wissenschaftler der Universität Uppsala betrachten diese genetische Anpassung der Verdauung unserer Hunde im Zuge der Sesshaftwerdung des Menschen als ein sensationelles Beispiel einer parallelen Evolution von Menschen und Hunden. Im Besonderen habe die agrikulturelle Revolution in der Jungsteinzeit offenbar eine entscheidende Rolle für die Domestikation des Hundes gespielt.
HINTERGRUND
Der älteste Hundeschädel der Welt
2011 fand man in Sibirien den 33.000 Jahre alten Schädel eines Kaniden mit Anzeichen eines Haushundes, der damit der älteste Hundeschädel der Welt sein dürfte. Vertreter dieser Kaniden dürften dann aber in der Eiszeit wieder ausgestorben sein, bis die Sesshaftwerdung des Menschen eine neuerliche – nun nachhaltige – Domestikation des Hundes bewirkte.
Es war tatsächlich eine Sensation in der Zoologie, als man 2011 in einer Höhle des sibirischen Teils des Altai-Gebirges den äußerst gut erhaltenen Schädel eines Kaniden fand, dessen Alter auf 33.000 Jahre berechnet wurde. Das Altai-Gebirge erstreckt sich im Grenzgebiet Russland (Sibirien), Mongolei, Kasachstan und China. Der kanide Schädelfund zeigte typische Zeichen der Domestikation, nämlich eine deutlich kürzere Schnauze, breitere Unterkiefer und kürzere Abstände zwischen den Zähnen als dies beim Wolf der Fall ist. Die Größe der Zähne entspricht aber noch den Wölfen, was auf eine frühe Phase der Domestikation hindeutet.
Wissenschaftler der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Universität von Arizona (USA) verglichen diesen sibirischen Schädelfund mit dem Schädel eines etwa gleich alten Kaniden aus einer Höhle in Belgien, der 2009 gefunden wurde. Auch dieser Schädelfund wies die klassischen Zeichen der Domestikation auf, ist aber deutlich schlechter erhalten als der sibirische Schädel.
Die Nachfahren des sibirischen und des belgischen Hundes dürften allerdings, so die Forscher, die Eiszeit im euro-asiatischen Raum – ca. 24.000 bis 17.000 v. Chr. – nicht überstanden haben, so wie dies auch bei anderen Tierarten der Fall war. Offenbar stammen unsere heutigen Hunde von Wölfen ab, die die Eiszeit überlebten und sich in der Zeit der Sesshaftwerdung des Menschen begannen, an diesen anzupassen.
LITERATUR
■ E. Axelsson et al., The genomic signature of dog domestication reveals adaption to a starch-rich diet, Nature 2013;495:360-364
■ S. Davis et al., Evidence for domestication of the dog 12.000 years ago in Israel, Nature 1978;276:608-610
■ F. Galibert et al., Toward understanding dog evolutionary and domestication history. C R Biol 2011;334:190-196
■ Nikolai Ovodov et al., A 33.000 Year Old Incipient Dog from the Altai Mountains of Siberia: Evidence of the Earliest Domestication Disrupted by the Last Glacial Maximum. 2011. dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0022821