Es ist Liebe … oder was die Mensch-Hund-Beziehung so besonders macht

Von Claudia Hoetzendorfer

Clive Wynne ist Wissenschaftler, Verhaltensforscher, um genau zu sein. Seit Hündin Xephos in sein Leben trat, trieb ihn die Frage um, ob es wohl Liebe ist, was sie für ihn und seine Familie empfindet. Der Brite beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Er wertete unzählige Studien zur Mensch-Hund- und Mensch-Wolf-Beziehung aus. Er verglich die Ergebnisse und stellte dann eigene Forschungen an. Am Ende dieser über Jahre andauernden Reise stand die Erkenntnis: es ist tatsächlich Liebe, die den Hund in seiner Beziehung zum Menschen vom Wolf unterscheidet.

WUFF hat Clive Wynne um ein Interview gebeten.

Wie haben Ihre Kollegen reagiert, als Sie zum ersten Mal mit dem L-Wort in den wissenschaftlichen Diskurs eingestiegen sind?

(Clive Wynne lacht) »Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, als ich das L-Wort zum ersten Mal auf einer Konferenz aussprach. Ist noch gar nicht lange her. Ich war so nervös, dass ich vergaß meinen Hut abzunehmen. Wie sich herausstellte, war die ganze Aufregung völlig unnötig, denn es lief wirklich richtig gut. Uns allen ist klar, das Konzept Liebe ist ja nicht zu leugnen. Nehmen wir das Beispiel des so genannten Williams Beuren Syndroms (WBS), das sich bei Menschen unter anderem darin zeigt, dass sie distanzlos gegenüber Fremden, sehr kontaktfreudig und überfreundlich sind. Außerdem zeigen sie ein großes Bedürfnis nach Nähe. In diesem Zusammenhang wollen die Forscher nicht das Wort Liebe verwenden. Sie bevorzugen Begriffe wie akzeptable Geselligkeit oder Distanzlosigkeit. Wenn es um die Liebe von Hunden geht, reden wir lieber von hoher sozialer Geselligkeit. Verstehen Sie mich nicht falsch, manchmal kann diese eher technische Sprache durchaus hilfreich sein. Denn ihr liegen sehr strenge Definitionen zugrunde. Aber um ehrlich zu sein, ich glaube vielleicht liegt es ja an meinem Alter. Aber inzwischen ist es mir egal, was die Kollegen denken. Ich finde Liebe trifft es einfach.«

Sie haben das Williams Beuren Syndrom angesprochen. Ein Gendefekt, der bei Ihren Studien gewissermaßen das Missing-Link darstellt, wenn es um den Beleg für Ihre Liebes-Theorie geht. Können Sie den Zusammenhang für unsere Leser näher ausführen?

»WBS ist eine sehr seltene Erkrankung. Sie wird verursacht durch eine Schädigung der Chromosomen. Die Auswirkungen variieren von Mensch zu Mensch. Aber man geht davon aus, dass insgesamt 28 Gene in der DNA fehlen. Dieser Gendefekt hat einen entsprechend großen Effekt auf die Entwicklung eines Menschen. Er zeigt sich auch in Äußerlichkeiten, beispielsweise sehr weichen Gesichtszügen. Die Betroffenen haben ­­Herz- und Kreislaufprobleme, hinzukommen können Schwierigkeiten in Bewegungsabläufen und der Koordination. In vielerlei Hinsicht zeigt WBS Parallelen zum Autismus, obwohl es genau das Gegenteil bewirkt. Das macht es sehr schwer, die Erkrankung zu diagnostizieren. Das seltsamste Symptom ist jedoch, dass die Betroffenen super super freundlich sind. Ich habe bislang nur Videos von Menschen gesehen, die das Syndrom haben. Sie sind absolut distanzlos und gehen auf wirklich jeden zu, um ihn zu umarmen. Als Verhaltensforscher interessiert mich alles, was mit meinem Studienobjekt, den Hunden, zu tun hat, einschließlich der Genetik. Die Neurogenetik ist noch eine sehr junge Disziplin und wir sind erst ungefähr seit fünfzehn oder zwanzig Jahren in der Lage, die DNA von Hunden zu untersuchen. Wir wissen, Hunde und Wölfe sind genetisch verwandt. Vor rund zehn Jahren hat eine junge Wissenschaftlerin die DNA von Hund und Wolf in jeder Sequenz verglichen, um herauszufinden, worin nun genau die Unterschiede bestehen. Sie fand heraus, dass sich das Erbgut nur marginal unterscheidet, bis auf eine entscheidende Sequenz, die genau den Gendefekt beim Hund aufweist, der beim Menschen das Williams Beuren Syndrom auslöst. Damit hatten ihre Ergebnisse meine volle Aufmerksamkeit. Denn sie gaben mir die Erklärung dafür, warum Hunde einem anderen Individuum gegenüber so zugewandt sein können.«

Sie haben daraufhin eigene Forschungen angestellt?

»Meine Mitarbeiterin traf die Kollegin, die diese Studie durchgeführt hat, auf einem Kongress und wir entschieden, der Sache noch einmal zu dritt mit weitergehenden Untersuchungen auf den Grund zu gehen. Wir entwickelten ein einfaches Setting, um zu testen, wie freundlich Hunde und Wölfe in bestimmten Situationen sind. Für die Tests mit den Wölfen haben wir von Hand aufgezogene Exemplare im Wolf Park Indiana gewählt. Diese Einrichtung gibt es seit 1974. Die Wölfe, die dort leben, kennen Menschen von klein auf und sind ihnen sehr zugetan. Wir führten exakt die gleichen Tests auch bei Hunden durch. Im Ergebnis konnten wir feststellen, dass Hunde ein sehr viel größeres Interesse am Menschen zeigten und ihnen auch sehr viel freundlicher begegneten. Wir nahmen von allen Tieren DNA-Abstriche aus dem Maul, um sie zu vergleichen. Eine Genetikerin bekam alle Proben zur Analyse ohne zu wissen, welche zu Hunden und welche zu Wölfen gehörten. Es stellte sich heraus, dass es genau drei Gene sind, die uns eine Erklärung dafür liefern konnten, warum die Freundlichkeit gegenüber Menschen bei Hunden ausgeprägter ist als bei Wölfen. Zwei davon sind identisch mit den Genen, die WBS auslösen. Wir leiten daraus die Erklärung dafür ab, warum Hunde sich so verhalten.«

Weiß man etwas darüber, ob diese ­Fähigkeit bei bestimmten Rassen oder geschlechterspezifisch ausgeprägter ist?

»Das ist eine fantastische Frage. Wir sind definitiv noch nicht so weit, dass wir dazu evidenzbasierte Aussagen machen können. Denn unsere Versuchseinheiten waren für diese Art der Erhebung zu klein. Natürlich können wir dazu Vermutungen anstellen oder Zuchtverbände dazu befragen. Wir werden sicher auch Beispiele für Hunderassen finden, die freundlicher als andere sind. Nehmen Sie nur einen Golden Retriever, der allgemein als besonders freundlich gilt, während ein Akita eher zurückhaltend ist. Das wissen wir weniger aus Studien als durch Beobachtungen und Beschreibungen von Menschen, die mit ihnen zusammenleben. Würden wir dies wissenschaftlich belegen wollen, müsste es eine sehr große Studie werden, um genug vergleichbare Daten erheben zu können. Für unsere Untersuchung waren 20 Tiere ausreichend. Würden wir Ihre Frage zu den Unterschieden studieren wollen, müssten wir über 200 verschiedene Rassen mit einbeziehen. Würden wir die Geschlechterfrage noch hinzunehmen, müssten es noch weitaus mehr Probanden sein. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Individuen innerhalb einer Rasse identische Ausprägungen zeigten, müssten wir mindestens 20 bis 40 Tiere pro Rasse testen. Ich vermute, es wird Unterschiede in der Ausprägung von Freundlichkeit bei den verschiedenen Rassen geben, aber die wissenschaftlichen Beweise dafür stehen noch aus.«

Die Genetik ist also der Grund für die Liebe unserer Hunde zu uns.

»… und zu jedem anderen Individuum. Es können genauso gut Artgenossen sein oder Angehörige einer anderen Spezies, selbst Tiere, die eigentlich Beute sein müssten, wie Vögel oder Nager.«

Jetzt haben Sie die Romantiker unter unseren Lesern schon ein wenig desillusioniert.

»Die Liebe, die Hunde für uns empfinden, passiert auf allen Ebenen. Da spielt das Gehirn ebenso mit hinein, wie das Herz. Allerdings geht alles, was ein Lebewesen ausmacht, auf Erbmaterial zurück. Deshalb muss die Frage, was macht die Liebe unserer Hunde zu so einer einzigartigen Superkraft, in der Genetik ihre Antwort finden. Um aber die romantischen Vorstellungen nicht zu sehr in den Hintergrund treten zu lassen sei erwähnt, dass Kollegen in Australien eine Studie zur Herzfrequenz durchgeführt haben. Dabei fanden Sie heraus, dass sich der Herzschlag von Mensch und Hund synchronisiert, wenn sie einander eng verbunden sind. Deshalb muss ich der Fairness halber sagen, die Liebe hat zwar ihre Wurzel in der Genetik, beeinflusst aber den ganzen Körper.«

Beispielsweise das Gehirn …

»Oh ja. In Atlanta/Georgia haben Wissenschaftler Hunde so trainiert, dass sie ihre Gehirnströme im Computertomografen messen konnten. Dabei kam heraus, dass bestimmte Hirnareale aufleuchteten, sobald Hunde ihre Bezugsperson sahen. Die Hormone spielen natürlich auch eine wichtige Rolle, wie unter anderem Studien aus Japan belegen konnten.«

Sie spielen auf den Neurotransmitter Oxytocin an, den man auch als Kuschelhormon bezeichnet.

»Ganz genau. Mit anderen Worten, Liebe ist … eine chemische, physische und psychologische Erfahrung.«

Die Wissenschaftlerin Alexandra Horowitz glaubt, komplexe Emotionen auf Hunde zu projizieren, würde nur Verwirrung stiften. Wenn wir aber Hunden grundsätzlich Emotionen wie Angst, Freude oder Wut zugestehen, warum sollen sie nicht zu komplexeren Gefühlen fähig sein, wie beispielsweise Trauer als eine Ausprägung von Traurigkeit?

»Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen. Ich schätze die Arbeit von Alexandra Horowitz sehr. Die Sache ist nur die, wir kennen aus der Humanpsychologie Grundemotionen, wie Angst, Freude, Scham, Wut, Ekel, Überraschung, Traurigkeit und Liebe. Die können wir auch bei Hunden beobachten. Es wird allerdings schwierig zu beurteilen, was ein Tier empfindet, wenn es um komplexere Gefühlslagen geht. Alexandra Horowitz konnte das an Schuld und Scham belegen. Nehmen wir das Beispiel der Schuld. Man fühlt sich nicht schlecht, weil man schuldig ist, sondern weil man weiß, dass gesellschaftliche Regeln gebrochen wurden. Um das zu erkennen und zu empfinden, ist Intelligenz nötig, die eine hohe kognitive Fähigkeit voraussetzt. Dazu gehört zunächst zu erkennen, welche Regeln es gibt, was an sich schon eine recht komplexe Angelegenheit ist, und dann durch die eigene Handlung den Schluss zu ziehen, diese gebrochen zu haben. Horowitz argumentiert, dass ein Hund zwar schuldig aussehen kann. Aber nicht zwangsläufig, weil er versteht, dass er eine Regel gebrochen hat. Ich stimme mit ihr darin voll überein. Das was wir als Schuld ansehen, ist vielmehr das Wissen um eine Reaktion, die der Mensch darauf zeigen wird. Wenn ein Vierbeiner beispielsweise in Abwesenheit von Frauchen deren Wohnung umdekoriert und dies öfter macht, wird er aus Erfahrung gelernt haben, dass sie ihn nicht begeistert dafür knuddeln wird, sondern wohl eher ziemlich sauer reagiert. Hunde sind sehr gut im Beobachten. Innerhalb einer Gruppe können die Jüngeren aus Mimik und Körpersprache der älteren Tiere lernen und zeigen daraufhin ein bestimmtes Verhalten, zum Beispiel eine devote Geste, um das Gegenüber milde zu stimmen. Das heißt, selbst wenn ein völlig Fremder in die Wohnung käme und sähe, was der Hund mit der Einrichtung angestellt hat, würde er wahrscheinlich das gleiche Verhalten zeigen wie bei seinem Frauchen. Weil er gelernt hat, die Körpersprache der Menschen zu lesen. Mit anderen Worten, wir interpretieren sein Verhalten als Schuld, weil er etwas angestellt hat. Der Hund aber empfindet diese Schuld nicht, vielmehr hat er gelernt die Körpersprache seines Menschen zu lesen und die sagt ihm in diesem Moment, okay mein Mensch hat ein Problem. Dass es mit dem zusammenhängt, was er zuvor angestellt hat, diesen Rückschluss kann er nicht ziehen.«

Was bedeutet dies für Ihren Ansatz?

»Für meine Studien heißt das, Hunde sind sehr emotional und reagieren auf ihr soziales Umfeld, dessen Teil sie sind. Aber sie sind nicht intelligent genug, um die Regeln dieser sozialen Gruppe, in der sie leben, zu interpretieren oder daraus Rückschlüsse zu ziehen. Dazu fehlt ihnen schlicht die kognitive Fähigkeit. Sie reagieren aufgrund ihrer Lernerfahrungen und Beobachtungen.«

Das bringt mich direkt zu meiner nächsten Frage. Sie schreiben in Ihrem Buch basierend auf Beobachtungen von Straßenhunden in Indien, dass für ihr Zusammenleben mit den Menschen und dem Aufbau einer Beziehung zu ihnen soziale Zuneigung effektiver sei als Futter.

»Es hat mich sehr überrascht, dass die Straßenhunde von Kolkata den Menschen ein größeres Vertrauen entgegenbringen, die sie regelmäßig streicheln, als denjenigen, die ihnen täglich Futter bringen. Das fasziniert mich auch deshalb, weil der Großteil der Hunde auf dieser Welt, nicht im Haus mit ihren Menschen leben, sondern auf der Straße, insbesondere in Ländern der dritten Welt. Wir wissen, das ist kein leichtes Leben. Speziell in Indien gibt es sehr viele Beißvorfälle, weil sich Hunde und Menschen die Straße teilen. Daher überrascht es nicht, dass letztere den Tieren nicht gerade positive Gefühle entgegenbringen, oft sogar Angst vor ihnen haben. Dennoch sind die Hunde beeindruckt davon, wenn sie gestreichelt werden. Das wiederum spricht für ihr sehr soziales Wesen.«

Danke für das Interview.

Buchtipp

… und wenn es doch Liebe ist?
Neues zur Hund-Mensch-Beziehung
Von Clive Wynne

Was macht die fünfzehntausend Jahre währende Bindung vom Hund an den Menschen und umgekehrt so einzigartig? Die Nützlichkeit des Hundes für den Menschen, sagten die einen. Der Opportunismus des Hundes, der beim Menschen ein bequemes Auskommen fand, sagten die anderen. Eine evolutionär herausgebildete besondere Form der Intelligenz, die Hunden ein außergewöhnliches Verstehen des menschlichen Verhaltens ermöglicht, so die aktuell am häufigsten vertretene These. Das alles greift zu kurz und wird der einzigartigen Lovestory zwischen Hund und Mensch nicht gerecht, meint Psychologieprofessor Clive Wynne: Der Grund- und Eckstein der Hund-Mensch-Bindung ist so simpel wie erstaunlich: Liebe!

Verlag: Kynos
ISBN: 978-3-95464-205-2
Preis: 24,95 € [D] / 25,70 € [A]


 

Das könnte Sie auch interessieren: