Ratgeber Erziehung
Die Kolumne zum Thema „Alltagsprobleme mit dem Hund“. WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hundetrainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund, kurz formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser Ausgabe geht es um das Thema Erwartungshaltung, Belohnung und Frustration.
Liebe Frau Adler!
Mein Jack Russel-Mix Rüde „Azrael“ ist jetzt 10 Monate alt und wir haben viel mit ihm trainiert. Azrael ist auch ganz wissbegierig und eigentlich sehr folgsam. Da wir von Beginn alles richtig machen wollten, haben wir nur mit Futterbelohnung und vielen „Jackpots“ in neuen Umgebungen und Situationen trainiert. Dies klappt eigentlich perfekt, doch leider wird er ganz ungestüm, wenn er kein Futter/Leckerchen bekommt, und er hat mich auch schon mal dabei ins Bein gezwickt. Er ist dann so erregt, dass ich ihn auch nicht mehr ansprechen kann. Ich hoffe, Sie können uns helfen!
Beste Grüße, Familie Brand
Antwort von Yvonne Adler:
Liebe Familie Brand,
in der heutigen modernen, wissenschaftlich belegten Hundeausbildung und Hundeerziehung wird die sogenannte „positive Bestärkung“ beziehungsweise Belohnung verwendet. Wenn der Hund aus unserer Sicht etwas richtig macht, wird er durch diese Form bestätigt, sodass sich das Verhalten für den Hund nachhaltig lohnt. Dazu zählt alles, was der Hund in der Situation als belohnend empfindet, beispielsweise Futter, Zuwendung, Lob, Streicheleinheiten, Spielzeug etc. Zusätzlich ergibt sich daraus nach der Lerntheorie aber auch die Form einer „negativen Strafe“. Das bedeutet, dass das Ausbleiben einer Belohnung für die erbrachte Leistung im Hund eine Frustration hervorruft. Je nach Hundetyp, Frustrationstoleranz und Lernerfahrung gehen Hunde sehr unterschiedlich damit um.
Für den Hund ergeben sich bereits im Welpenalter sehr viele Situationen, die er erlernen soll, wie etwa Menschenbesuch, Welpenspielplatz, Staubsauger, Auto und vieles mehr. Wurde er ausschließlich über ganz besonders hochwertige Belohnungen (Jackpots) ausgebildet und erfolgte für jede neue Situation eine solche Jackpot-Belohnung, lernt der Hund diese Form der Belohnung mit. Sie wollen natürlich alles besonders gut machen und beginnen damit, dass es immer, wenn Sie etwas Neues mit Ihrem Hund lernen, Leckerli-Jackpots mit ganz hochwertiger Belohnung für ihn gibt. Wenn Sie das „nur“ über ein paar Wochen mit Ihrem Hund praktizieren, werden Sie schnell merken, dass jede neue Situation Ihren Hund in erhöhte Aufregung versetzt, alleine durch die Erwartungshaltung für den Jackpot.
Bleibt bei dieser Form der Ausbildung, bei der ausschließlich mit sehr hochwertigen Belohnungen gearbeitet wird und die eine erhöhte Erregung im Hund verursachen, die Bestätigung aber aus, empfindet er eine erhöhte Frustration. Denn der Hund hat im Gehirn die Umgebungsumstände auch mit der Belohnungsform kognitiv verknüpft. Allein die Erwartungshaltung an die Belohnung erhöht den Dopamin-Ausstoß, und somit steigt die Übermotivation weiter an. Dadurch entsteht eine große Frustration, wenn er nicht gelernt hat, auch mit dieser umzugehen.
Handelt es sich nun um einen Hundetyp, der generell schlechter mit Frustration umgehen kann und eine erniedrigte Frustrationstoleranz besitzt, so kann sich dies zu einer umgelenkten Aggression entwickeln. In diesem Fall versucht der Hund, seine Erregung dadurch zu kompensieren, sie abzubauen, indem er Ihnen beispielsweise ins Bein beißt. Dabei handelt es sich in erster Linie um kein Aggressionsverhalten, das sich direkt gegen den Halter wendet, sondern vielmehr um eine Art Kompensation der Erregung des Hundes. Nichtsdestotrotz muss Ihr „Problem“ bearbeitet werden, da es langfristig keine gute Lösung ist, Situationen einfach zu vermeiden, die den Hund „in den Frust bringen“. Als Management im Trainingszeitraum kann dies zu Beginn sinnvoll sein, und darüber hinaus sollte Azrael lernen, mit Frustration umzugehen.
Eine Möglichkeit zu Beginn besteht darin, dass Sie bei den trainierten Situationen den Jackpot zwar geben, ihn aber über Wochen langsam in der Masse, d.h. beispielsweise die Anzahl der Futterstücke, verringern. Dies muss aber wirklich langsam erfolgen, da ja eine neue Erwartungshaltung im Hund geschaffen werden soll und er dies auch über die Gewohnheitsentwicklung mitlernt. Azrael sollte daher im Training niemals so hoch in Erregung verfallen, dass er Sie wieder ins Bein beißt. Denn auch das lernt der Hund mit, und bei häufigen Wiederholungsintervallen dieses Verhaltens kann es passieren, dass er es auch in anderen Situationen „ausprobiert“. Aus Hundesicht hat es ja schließlich zum Erfolg geführt.
Zusätzlich können Sie, wenn Sie merken, dass Azrael bereits etwas ruhiger geworden ist, ein gut und strukturiert aufgebautes Training zur Steigerung der Frustrationstoleranz besuchen. Hierfür wenden Sie sich bitte an einen Profi in Ihrer Umgebung, der in diesem Bereich auf dem neuesten Stand der Hundewissenschaft arbeitet und vertrauens- sowie respektvoll mit Ihnen und Azrael umgeht. Üben Sie sich zusätzlich auch in der Überlegung, welche Erwartungshaltung Sie mit gewissen Situationen oder Übungen in Ihrem Hund erschaffen wollen. Es sollte immer zuvor bedacht werden, welche Bestätigungsform für welches Individuum Hund am besten geeignet ist. Wenn Sie Ihrem Hund in neuen Situationen vertrauensvoll mit Ihrer Souveränität und Selbstsicherheit helfen und auch Ihre eigene Stimmung, die Sie auf den Hund übertragen, beachten, so stellt auch das eine gute Möglichkeit dar.
Ihre Yvonne Adler
Pdf zu diesem Artikel: ratgeber_erwartungshaltung