Ernährung & Verhalten

Von Dr. Hans Mosser

Die Fütterung von rohem Fleisch bzw. von viel Eiweiß mache ­manche Hunde aggressiver, hört man oft. Könnte dann im Umkehrschluss eine eiweißreduzierte Nahrung gesteigert aggressives ­Verhalten vermindern? Was ist dran an solchen Diskussionen?
Kann man das Verhalten unserer Hunde durch die Ernährung ­wirklich beeinflussen?

„Wenn wir darüber nachdenken, wie sich ein Hund verhält, sollten wir auch bedenken, was er in seinem Magen hat“. Diesen Satz schrieb schon 1987 der britische Hundeexperte, Fachbuchautor – und nicht zuletzt seinerzeit auch offizieller Berater sowie Autor von WUFF – Dr. Robert Mugford in einem Artikel über den Einfluss der Ernährung auf das Ver­halten von Hunden. Mugford war einer der Ersten, der diesen Zusammenhang in einer Studie untersuchte. Der große Hundefreund und Fachmann konnte erstmals nachweisen, dass eine Reduktion des Eiweißgehaltes der Nahrung auf 15-18% der Gesamt­energie zu einer sofortigen Verminderung von aggressivem Verhalten bei Hunden führt.

Eiweißreduktion
Wie mir Mugford in den 1990er ­Jahren selbst mitteilte, hat er seine Studie deswegen durchgeführt, weil Hundehalter berichteten, dass die ­Fütterung ihres Hundes mit rohem Fleisch (also bei sehr hohem Eiweiß­gehalt der Nahrung) zu einer verstärkten Aggressivität und/oder Aktivität ihres Hundes geführt habe. Mugfords wissenschaftlich dokumentierter Befund korreliert tatsächlich mit diesen Erfahrungen von Hundehaltern, wobei Mugford darauf hinweist, dass die aggressionsmindernde Wirkung einer eiweißreduzierten Nahrung vor allem bei territorialer Aggression, weniger bei Dominanzaggression und Hyperaktivität nachweisbar sei (Mugford 1987). Zehn Jahre lang passierte zunächst nichts, doch dann wurde das Thema plötzlich auch für einen größeren Kreis von Wissenschaftlern interessant. Man begann nun den Einfluss von Nahrung auf hundliche Verhaltensweisen wie verschiedene Aggressionsformen, Angst und Stressreaktionen zu untersuchen (Dodman 1996; DeNapoli 2000; Bosch 2007).

Tryptophan
Es waren zunächst menschliche Erfahrungen, die Ursache für wissenschaftliche Untersuchungen waren, wie bspw. die stimmungsaufhellende Wirkung von Schokolade. Bald fand man heraus, dass bestimmte Stoffe einen positiven Einfluss auf Neurotransmitter (Hirnbotenstoffe) haben, die stimmungsaufhellend wirken. So spielt die Aminosäure Tryptophan eine wichtige Rolle in der Bildung des Neurotransmitters Serotonin, dem sog. „Glückshormon“. Ergebnis eines höheren Tryptophan-Angebotes an den Organismus ist in weiterer Folge ein relativ langandauernder Anstieg des Serotoninspiegels und damit der positiven Stimmung. Charakteristisch ist auch ein gewisser anti-aggressiver Effekt des Serotonins, den man in ­Studien bei Häftlingen oder gewaltbereiten Jugendlichen festgestellt hat. So gibt es einen Genedefekt, der bewirkt, dass zu wenig Serotonin produziert wird. Solche Menschen neigen zu übermäßigen Gewaltausbrüchen. Maßnahmen zur Erhöhung des Serotoninspiegels verringern diese abnorm gesteigerte Aggressionsbereitschaft (Bjork 1999).

Der anti-aggressive Effekt von Serotonin oder ähnlichen Substanzen wurde in weiterer Folge natürlich auch für die Veterinärmedizin interessant. Und tatsächlich belegen Studien eine gute Wirkung von Tryptophan bei gesteigert aggressiven oder bei abnorm hyperaktiven Hunden. In einer Studie kommt zum Ausdruck, dass diese Wirkung einer vermehrten Zufuhr von Tryptophan vor allem dann nachweisbar ist, wenn zugleich auch die Eiweißmenge reduziert wird ­(DeNapoli 2000). D.h. dass es mehr auf das Verhältnis des Tryptophans zum Gesamteiweiß als auf die bloße Zufuhr der Aminosäure allein ankommt. Dies gelte vor allem für die territoriale Aggression, während bei der Dominanzaggression entweder eine Tryptophanzugabe zu einer eiweißreichen Ernährung oder aber die bloße Eiweißreduktion wirksam sei. Grundsätzlich aber kann die beschriebene günstige Wirkung von Tryptophan auf aggressives Verhalten von Hunden als gesichert angesehen werden. Doch die Wissenschaftler haben auch andere Substanzen mit günstigen Wirkungen auf patholo­gisches Verhalten gefunden, wie bspw. eine Substanz aus der Milch.

Alpha-Casozepin: Entspannendes und angstlösendes „Eiweißchen“ 
Der alte Volksbrauch, das Ein­schlafen kleiner Kinder abends mit einem Glas warmer Milch zu fördern, hat realistische Ur­sachen. Wissenschaftler haben aus Kuhmilch ein Peptid – eine Verbindung aus mehreren Aminosäuren, salopp gesagt, ein kleines Eiweißchen – ­isoliert, das für diese entspannende ­Wirkung verantwortlich sein soll. Es handelt sich um Alpha-­Casozepin. Dieses Peptid potenziert im Gehirn von Säugetieren die ­Aktivität des Neuro-Botenstoffes GABA (Gamma-Amino­buttersäure), ­welcher Angst- und ­Stressreaktionen hemmt. Damit bewirkt Alpha-­Casozepin letztlich Angstlösung und Beruhigung, wie Studien an Ratten und Menschen beweisen. Bei männlichen Studenten, die sich als Probanten zur Verfügung stellten, hatte Alpha-Casozepin einen beruhigenden, angstlösenden Effekt. Diese Wirkung sei sogar mit Beruhigungsmitteln der Klasse der Benzodiazepine (z.B. ­Valium®) vergleichbar, ohne aber deren Nebenwirkungen zu besitzen (Miclo 2001, Violle 2006, Nakamura 2008 und 2010, Cakir-Kiefer). 

Angststörungen bei Hunden sind ein relativ häufiges Verhaltensproblem. Lt. einer französischen Studie, die 2.700 Hunde mit Verhaltensstörungen untersuchte, soll bei 70% verhaltensgestörter Hunde ein Angstproblem vorliegen, entweder alleine oder in Kombination mit einer anderen Verhaltensstörung, u.a. Aggression (Beata 2007). In einem Vergleich von Alpha-Casozepin mit gängigen Be­ruhigungsmitteln stellte sich nahezu Wirkungsgleichheit heraus.

Aggression und Fettstoffwechsel
Unter diesem Titel berichteten wir in WUFF (4/2008, S. 72f.) über diesen interessanten Zusammenhang. Auch hier standen Daten, die bei Menschen erhoben wurden, Pate für Studien bei Hunden. So ist bekannt, dass sich bei gewaltbereiten und aggressiven Menschen ein höherer Omega-6-Spiegel findet als bei der Durchschnittsbevölkerung. Wissenschaftler der Universität Pavia in Italien untersuchten nun diese Zusammenhänge bei 18 Deutschen Schäferhunden, die ein gesteigertes Aggressionsverhalten aufwiesen. Und tatsächlich – im Vergleich mit 18 Hunden ohne Aggressionsvorgeschichte fiel auf, dass die aggressiven Hunde ein erhöhtes Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Säuren aufwiesen, demnach also ein niedrigerer Omega-3-Spiegel im Blut eine höhere Empfänglichkeit für aggressives Verhalten begünstige. Ob nun die Supplementierung des Futters mit Omega-3-Fettsäuren, die ja auch andere positive ­Auswirkungen auf den Organismus aufweisen und schon deswegen nützlich zu sein ­scheinen (siehe Mosser H., Heilung durch Ernährung: Antioxidanzien, WUFF 12/2008), tatsächlich eine abnorm hohe Aggressionsbereitschaft von Hunden herabsetze, müsse erst in weiteren Studien bewiesen werden, so die Wissenschaftler (Re 2008).
 
Verhaltensprobleme „wegfüttern?“
Das Wissen um die Möglichkeiten der Beeinflussung hundlichen Verhaltens durch die Nahrung ist im Zunehmen. Welche Verhaltensprobleme und welche Substanzen dafür in Frage kommen, wurde in diesem Artikel aufgezeigt (siehe Kasten). Zur Vermeidung von Missverständnissen ist aber abschließend klar festzuhalten, dass bspw. ein übersteigertes Aggressionsverhalten nicht einfach „weggefüttert“ werden kann. Faktoren wie ein hundegerechtes Umfeld, eine gute Haltung, sowie entsprechende Erziehung, Ausbildung und natürlich ggf. auch eine Verhaltenstherapie können und dürfen damit natürlich nicht ersetzt werden. Außerdem gehören vor allem plötzliche Verhaltens­änderungen eines Hundes zunächst tierärztlich abgeklärt, ob nicht eine organische Ursache (Schmerzen, ­hormonelle Probleme, Tumor etc.) dahintersteckt. Und zu berücksichtigen ist schließlich auch, dass wissenschaft­liche Ergebnisse stets Durchschnittswerte darstellen. Daher können die beschriebenen Erfolge durch eine gezielte Ernährung bei dem einen Hund besser ­wirken als bei einem ­anderen. Dennoch, die ­Wirkungen sind wissenschaftlich gut dokumentiert und daher – nach meiner Ansicht – einen Versuch allemal wert. Reden Sie mit Ihrem Tierarzt darüber!

Beachten Sie bitte die Vorschau auf die nächste Ausgabe über die Zusammenführung von ­vorher unverträglichen Wölfen durch ­Futterumstellung und Nahrungs­ergänzungsstoffe.

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