Erik Zimen: Über Menschen, Wölfe und Hunde

Von Elisabeth Cech

Wuff: Um Erik Zimen besser kennenzulernen: Hatte nicht bereits Ihr Großvater mit Wissenschaft und Forschung zu tun?
Zimen: Mein Großvater hieß Gottlieb Haberland, seine Familie stammte aus Österreich, er ist 1852 geboren, ist zuerst Professor in Graz gewesen und dann in Berlin. Er blieb aber immer leidenschaftlicher Österreicher – So fühle ich mich selbst auch zum Teil als Österreicher. Mein Großvater war Botaniker und es ist klar, daß Ende des vorigen Jahrhunderts die Evolutionstheorie, die Darwin entwickelt hatte, im Vordergrund des Interesses stand. Ich weiß nicht um was es da ging, aber zweimal hat er mit Darwin korrespondiert. Mein Großvater war der Begründer der physiologischen Anatomie und da gab es Fragen, die er mit dem damals sehr alten Charles Darwin erörterte.

Maulkorb- & Leinenzwang: Was passiert?
Wuff:
Zum Thema Hunde und Menschen. Hunde müssen nun praktisch überall an die Leine genommen werden oder Maulkorb tragen. Was bedeutet das für die Entwicklung eines Hundes?
Zimen: Für die Gesellschaft bedeutet es, daß damit potentielle Bestien herangezogen werden. Also, das ist genau kontraproduktiv zu dem, was man eigentlich erreichen möchte. Man will friedfertige Hunde haben, doch auf diese Art und Weise kriegen wir noch mehr Probleme. Es ist so überaus wichtig für Hunde, egal wie alt sie sind, daß sie genügend Kontakte mit anderen Hunden haben, mit großen und kleinen, jungen und alten, friedfertigen und etwas aggressiveren, mit Hündinnen und Rüden, mit dieser ganzen Vielfalt, die ja den Hund ausmacht. Hunde die das nicht mitbekommen, können gefährlich werden.
Wuff: Das wird jetzt durch Leine und Maulkorb unterstützt.
Zimen: Genau und das ist einfach dumm. Ohne Kenntnis vom Verhalten des Hundes geht man davon aus, diese Probleme mit dem Maulkorb zu lösen. Da bedarf es ganz anderer Regelungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir etwas machen müssen. Es geht nicht an, daß Hunde einen Teil der Gesellschaft tyrannisieren. Aber wie man das macht – ganz bestimmt nicht mit Hilfe des Maulkorbes.

Artgerechte Hundehaltung?
Wuff: Erik Zimen darf jetzt träumen. Sie gestalten Mitteleuropa neu. Es gibt nichts, was einen Hund behindert. Wie sieht für Sie dann artgerechte Hundehaltung aus?
Zimen: Also erst einmal weiterhin mit dem Menschen zusammen. Sie sind Haustiere und ihr wichtigster Sozialpartner ist der Mensch. Lassen Sie mich das mal so sagen, Hunde haben seit fünfzehntausend Jahren in allen Kulturen dieser Welt gelebt und das sollen sie auch weiterhin tun, aber sie werden in dieser Idealgesellschaft trotzdem Regeln unterliegen müssen, zum Wohl für den Besitzer, für die Gesellschaft und auch zu ihrem Wohle.
Nur sollen sie sich innerhalb dieser Grenzen frei entfalten können. Sie sollen einen unkomplizierten, warmherzigen Umgang mit ihren Menschen haben, wobei es klar ist, wer der Ranghöhere ist, und viele Kontakte mit anderen Hunden. Das gehört zu den wichtigsten Bedürfnissen des Hundes.

Über Jäger und Haushunde
Zimen: Natürlich möchte ein Hund auch mal ab und zu jagen – und in diesem Zusammenhang möchte ich als Jäger und als Wildbiologe betonen, daß die Vorstellung von der Schädlichkeit des Hundes für das Wild völlig übertrieben ist. Ganz im Gegenteil – unter Umständen ist es sogar gut, daß das Wild, weil Wolf, Luchs und Bär ja fehlen, ab und zu ein bißchen durcheinandergejagt wird, damit es nicht „einrostet“. Ich erinnere mich an Beobachtungen, die wir vor gut 20 Jahren hier im Bayerischen Wald, im Nationalpark machten, als aus unserem Gehege neun Wölfe ausbrachen. Das war mitten im Winter, sie konnten die Rehe an den Fütterungen überraschen. Die standen einfach da, haben auf nichts geachtet und die Wölfe sind zu ihnen hochgegangen – einfach gegangen – und haben sie in der Nacht im Schlaf gerissen. Das kann nicht gesund sein. Unser Wild ist im Laufe der Evolution in enger Verbindung mit Raubtieren entstanden. Jetzt ist der Einfluß des Raubwildes leider verloren gegangen und die Hysterie meiner Jagdgenossen, Hunden gegenüber, ist völlig übertrieben. Es ist nur von Vorteil für das Wild, wenn es ab und zu, nicht dauernd natürlich, durcheinandergejagt wird, um zu vermeiden, dass aus unseren Rehen und Hirschen Haustiere werden.

Was brauchen Hunde?
Wuff: Sind Sie der Meinung, daß ein Hund beschäftigt werden muß?
Zimen: Ich weiß nicht, ob Beschäftigung das richtige Wort ist. Wir haben zwei große Probleme mit Hunden. Das eine ist die Vermenschlichung, wir tun so, als ob die Hunde kleine Menschen wären, doch das ist nicht der Fall. Und zum Zweiten unterforden wir unsere Hunde, sowohl körperlich als auch sozial. Wir lassen sie nicht tun, was sie brauchen: austoben, schnüffeln, freien Kontakt mit anderen Hunden nehmen, mal einer Maus hinterherjagen, mal hier buddeln, mal dahin pinkeln und dann weiterlaufen, Information sammeln – denn das ist das, was ihr Stammvater der Wolf, am häufigsten macht. Er muß sehr viel unterwegs sein, um Jagdbeute zu finden und diese Erbschaft ist erhalten geblieben. Wir unterfordern unsere Hunde aber auch im sozialen Bereich. Wir bieten ihnen zuwenig Sozialkontakt mit uns, wir halten sie so als Art von Schmuckgegenstand und wir bieten ihnen viel zuwenig Kontakte mit Artgenossen. Das ist schwierig in unserer Gesellschaft, wo alles so regelmentiert ist. Deswegen müssen wir dort hingehen, wo andere Hundehalter mit ihren Hunden auch hingehen und sie frei laufen lassen.

Hundesport Okay?
Wuff
: Finden Sie Fun-Sportarten, wie Agility, Frisbee, Flyball, als artgerechte Herausforderung für den Hund?
Zimen: Im Prinzip finde ich das alles sehr gut, ich würde nur ein bißchen vorsichtig sein, denn alles was übertrieben wird, ist nicht von Vorteil. Wenn diese Hunde dabei zu Maschinen werden, wenn sie zu Sportgeräten werden, wenn sie zum Popanz des Menschen werden, weil er sie mit seinen Leckerlies regelrecht korrumpiert, dann glaube ich, ist das nicht der richtige Weg. Aber wenn ich es als Zeitvertreib für den Hund betrachte, dann finde ich es ganz toll.
Wuff: Meinen Sie, wenn Hundeführer so wie Eislaufmütter mit ihren „Kindern“ umgehen…
Zimen: Ja, wenn aus diesem Spaß Zwang wird und Ehrgeiz dazukommt, dann wird es gefährlich. Das ist genau das gleiche, was wir beim Schutzdienst haben, gegen den ich voll und ganz bin, aus vielen Gründen, nicht zuletzt aus sozialhygienischen Gründen für unsere Gesellschaft.

Gibt es noch eine Zukunft?
Wuff
: Wir sind bei der Zukunft. Können Sie uns ein Bild malen. Wie wird die Zukunft Hund-Mensch sein?
Zimen: Also, die Grundforderung an die Zukunft ist, wieder eine natürliche Beziehung zwischen Mensch und Hund zu entwickeln. Ein Hund ist ein domestizierter Wolf, ein sozial lebender Jäger, der auch eine gewisse Territorialität aufweist, der neugierig ist, der verspielt ist. Die Möglichkeit, sich dementsprechend zu entfalten, müssen wir dem Hund unbedingt bieten – und zwar so, daß drei Elemente berücksichtigt werden: Da ist der Hund, der muß auf seine Kosten kommen. Dann muß der Halter und seine Familie auf ihre Kosten kommen. Ihr Hund muß deshalb gesund sein, muß unaggressiv sein, darf nicht allzu kompliziert sein, damit man mit ihm zurecht kommt. Und schließlich muß die Gesellschaft mit dem Hund zurecht kommen und muß vor allzu viel Hundkot, lästigem Bellen und besonders vor aggressiven Hunden geschützt werden.

Degeneriert an Leib und Seele
Zimen: Ich habe noch nicht erwähnt, daß es unabdingbar, wirklich unabdingbar ist, daß ein Hund seine wesentlichen körperlichen Merkmale aufweist. Das hört sich jetzt komisch an, aber das ist so. Viele Hunde können gar nicht mehr laufen, viele Hunde können gar nicht mehr schnaufen, vielen Hunden tränen ununterbrochen die Augen, sie sind ständig krank, sie können ihre Welpen nicht mehr zur Welt bringen, sie sind degeneriert an Körper und Seele. Das ist die unverzeihliche und geradezu brutale Folge von rücksichtsloser Zucht. Eine völlig auf den Menschen bezogene Zucht, wo nur das Kuriosum, nur das Auffällige hochgehalten wird und als Zuchtkriterium dient, wobei die Gesundheit, die Beweglichkeit, die Unversehrtheit des Tieres völlig vernachlässigt wird. Es handelt sich bei der Zucht vieler Rassen heute um fortgesetzte Tierquälerei, die sicherlich, wenn wir die Gesetze richtig ahnden würden, unter Verbot gestellt würde.

Fordere Gesundheitstests
Zimen
: Wir beschäftigen uns mit Kupierverbot von Schwanz und Ohren und sehen nicht, daß viel, viel Schlimmeres mit dem Hund passiert. Deswegen denke ich, daß wir, bevor wir eine Zuchtzulassung aussprechen, bei jeder Rasse, so etwas wie einen Gesundheitstest durchführen müssen, bei der zuerst getestet wird, ob der Hund überhaupt laufen kann, ob er normal gebären kann, ob er ein normales Alter erreichen wird. Wenn er das nicht ist, wenn er nicht laufen kann, weil z.B. bei den Kurzbeinigen sogar das Brustbein auf dem Boden mitschleift, dann gehören diese Hunde sofort aus der Zucht. Dazu gehören auch alle Hunde, die nicht wesensstark sind, alle die ängstlich um sich beissend durchs Leben gehen und alle gefährlich aggressiven Hunde.
Zu jedem Hund gehört ein gewisses Maß an Aggressivität, eine gewisse Territorialiät, ein gewisses sich durchsetzen wollen. Das meine ich nicht damit. Aber jede Form von Aggressiviät, die ungehemmt gegen andere Menschen und Hunde gerichtet ist. Wir wissen aus genetischen Untersuchungen, das wir relativ bald, wenn wir diese drei Kriterien rigoros handhaben, wieder gesunde und unaggressive Hunde hätten.

Verbrechen durch Extreme
Wuff:
Also der bestehende kynologische Grundsatz: Gesundheit vor Wesen vor Schönheit?
Zimen: Auf jeden Fall! Was hier an Verbrechen gegen das Tier tagtäglich stattfindet – man muß ja nur an diese Hundeausstellungen denken – nein sagen wir lieber nichts. Ich rege mich nur auf über so viel selbstgefällige Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Hund bei vielen Züchtern, Zuchtverbänden und Richtern.
Wuff: Aber laufen wir da nicht Gefahr, daß wir den sogenannten „Einheitshund“ bekommen, wesensmäßig, der sich nur mehr durch Äußerlichkeiten vom anderen unterscheidet?
Zimen: Nein überhaupt nicht. Es wird Jagdhunde und Diensthunde geben, es wird Schoßhunde geben, agile und lethargische. Alles nach den Bedürfnissen der Menschen. Ich will nicht die Vielfalt des Hundes in Frage stellen, das ist ja geradezu ein phänomenales kulturelles Erbe, das wir zu verwalten haben. Sondern ich sage nur, wenn wir diese Vielfalt ins Extreme bringen, wenn wir übertreiben, in Hinblick auf Größe und Kleinheit, Schnauzenkürzung, Augengröße, dann werden wir diese Vielfalt erst recht verlieren, weil diese Hunde auf Dauer gar nicht mehr lebensfähig sind.

Was gibt es Neues?
Wuff
: Damit sind wir auch schon beim letzten Thema: Welche „kurzfristigen“ Projekte wie Filme, Bücher gibt es?
Zimen: Ich bin jetzt mit einem größeren Filmprojekt fertig, ich habe 10 Folgen für das Kinderprogramm des ZDF gedreht, mit dem Titel „Tiere auf unserem Hof“ und jetzt möchte ich drei Bücher schreiben; ein neues Buch über den Hund, mein altes Buch ist nun ein bißchen überholt, und kann sehr stark ergänzt werden, ein weiteres Buch über die Domestikation – eher ein Jugendroman – über diesen ersten Hauswolf, der entstanden ist, da möchte ich ganz einfach spekulieren und phantasievoll schreiben dürfen und das dritte Buch ist ein Buch über die Treue.
Wuff: Treue zwischen Menschen?
Zimen: Ja, das ist auch so eine Erbschaft dieser Jäger-Sammler-Kultur (siehe Kasten), die Menschen waren so abhängig voneinander, Mann und Frau, und aus dieser Abhängigkeit entstand die Monogamie. Heute gibt es diese gleiche Abhängigkeit nicht mehr, wir haben zunehmend eine polygame Gesellschaft und diesen Weg von der Monogamie zur Polygamie aufzuzeichnen, das möchte ich auch machen.
Wuff: Erik Zimen ist nicht auf den Hund gekommen, sondern vom Hund auf den Menschen?
Zimen: Bei diesem Buch wird im ersten Kapitel ein Hund die Hauptrolle spielen, als Symbol der Treue. Es gibt so viele Parallelen, auch hier wieder, zwischen Mensch und Hund und die gehören sicherlich auch zu dem Themenkreis, der mich schon mein Leben lang interessiert.

>>> WUFF – INFORMATION

Lieblingsprojekt Jagdverhalten
von Erik Zimen

Durch meine Arbeit mit Wölfen und Hunden interessiert mich das Jagdverhalten besonders, weil ich glaube, dass dies auch eine Grundstruktur unserer eigenen Identität darstellt. Jagen und sammeln. Ich glaube wir Menschen wären gar nicht zu dem geworden, was wir heute sind, wenn wir nicht gejagt hätten, sondern wenn wir als Pflanzenesser auf die Welt gekommen wären. Dann wären unsere Sozialstrukturen, unser Wesen, unser Gehirn ganz anders.

Kein anderes Tier steht dem Menschen so nahe
Es gibt einige Menschen auf der Welt, die noch als Jäger und Sammler existieren, so z.B. die Ngonasane im Norden Sibiriens. Deren Leben kann als Modell unserer Vorfahren herhalten. Diese Menschen möchte ich studieren. Auch sie haben Hunde, und mich interessiert, in welchem Zusammenhalt sie mit diesen Hunden leben. Vermutlich so, wie einst die Eiszeit-Jäger, Ende der Eiszeit, gelebt haben. Mich interessiert zunehmend der Mensch und das kommt durch mein Interesse für den Wolf und den Hund. Kein anderes Tier steht uns Menschen so nahe. Das hängt damit zusammen, daß beide als Großwildjäger einst die gleiche ökologische Nische besetzten.
Die ist ganz anders als die der pflanzenfressenden Primaten, die uns biologisch am nächsten sind. Aber weil sie sich ganz anders ernähren, haben sie eine ganz andere Sozialstruktur, während der Wolf, der uns biologisch gesehen ganz entfernt steht, ein ganz ähnliches Sozialverhalten hat. Da gäbe es sehr viel zu tun – den Vergleich zwischen Wolf, Hund und Mensch weiterzuführen. Ich werde es bestimmt nicht schaffen, aber den Anfang, den ich hierüber gemacht habe, weiterzuführen, das ist das, was ich am liebsten tun würde.

>>> WUFF STELLT VOR

Erik Zimen

Erik Zimen, Jahrgang 1941, wuchs in Schweden auf, studierte Zoologie und Anthropologie in Zürich und promovierte mit einer Arbeit über Wölfe und Hunde bei Prof. Wolf Herre an der Universität Kiel. Er war mehrere Jahre Mitarbeiter von Konrad Lorenz am Max-Planck-Institut, studierte das Sozialverhalten eines Wolfsrudels im Bayerischen Wald und die Ökologie des Wolfes in Italien. 1979 leitete er eine Arbeitsgruppe der Universität des Saarlandes, die sich mit der Ökologie des Fuchses beschäftigte. Seit 1987 ist er Landwirt in Niederbayern. 1976 drehte er seinen ersten Dokumentarfilm über den Wolf, dem viele weitere Filmdokumentationen folgten. Dadurch und durch seine Buchveröffentlichungen gelang ihm weltweite Anerkennung.

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