Emil, der Haustyrann

Von Achim Janssen

Die ersten Wochen des gemeinsamen Zusammenlebens gestalteten sich für die Halter relativ problemlos, und man hatte auch genügend Zeit vorgesehen, um dem Welpen besonders viel Aufmerksamkeit schenken zu können. Ohne dass Emil an möglichst viele unterschiedliche Umweltreize und andere Hunde gewöhnt wurde, verstrich die für eine positive Entwicklung des Hundes so wichtige Sozialisationsphase (8. – 12. Woche), während Emil immer lebhafter wurde und unterschiedliche Strategien zur Optimierung seines Zusammenlebens im Hofstaate ausprobierte.

Keine Spur von Müdigkeit
Bemühungen, den kleinen Quirl mit Beutespielen zu ermüden, endeten schließlich darin, dass Emil nur noch auf seine „Beute“ fixiert war und diese ständig sichern wollte. Von Müdigkeit war auch nach – insbesondere für die Halter – sehr anstrengenden Tagen keine Spur bei Emil, und es kamen erste Zweifel auf, ob man seinen Ansprüchen überhaupt gerecht werden könnte. Der Dalmatiner sowie die beiden im Hausstand lebenden Katzen zogen sich derweil immer mehr zurück, weil Ihnen ihr neuer Mitbewohner einfach zu lebhaft und zu aufdringlich war und auf die Nerven ging.

Auch Emils Verhalten den Haltern gegenüber wurde immer aufdringlicher und dreister. Wurde noch anfänglich nur ausdauernd gebellt, verlieh Emil seinen Forderungen schon bald mit härteren Mitteln Nachdruck. In regelrechten Attacken erwiesen sich massives Anspringen und gehemmtes Beißen als recht wirkungsvoll und hinterließen, insbesondere bei Frauchen, eine große Anzahl schmerzhafter blauer Flecke. Darüber hinaus entging den Haltern die zunehmende Aggressivität Emils fremden Hunden gegenüber nicht. Als Tüpfelchen auf dem „i“ quittierte Emil die halbstündige Abwesenheit seiner Halter mit der Demontage des Sofas.

Schweren Herzens schließlich, Ende August 2002, gaben seine Halter auf und trennten sich von Ihrem Emil, der sich nun in unser Familienrudel – bestehend aus 2 erwachsenen Menschen, 2 Hündinnen, 3 Rüden und 5 Katzen – zu integrieren hat.

„High Life“ – oder Kampf um die besten Plätze
Emil wurde recht problemlos in das Rudel aufgenommen, und endlich wussten wir, was wir schon immer vermisst hatten. Es kam „Leben“ ins Rudel, das Emil stets zu beschäftigen weiß. In den Pausen zwischen den mit seinen „Opfern“ lautstark inszenierten Ringkämpfen schwebte Emil ein Plätzchen auf dem Sofa vor. Ohne zu zögern und mit geschultem Auge nahm Emil den strategisch günstigsten erhöhten Liegeplatz für sich in Anspruch, wenn da nicht noch die verflixte Hausordnung gewesen wäre, die seinen Ruheplatz in Höhe des Fußbodens vorsieht. An unserer beharrlichen Konsequenz „biss sich Emil die Zähne aus“ und lernte nach anfänglich beeindruckender Hartnäckigkeit, dass er den ihm zugewiesenen Liegeplatz zu akzeptieren hatte. Erhöhte Plätze bleiben für Emil vorerst „tabu“.

Das Leben außerhalb des eigenen Territoriums gestaltete sich schon etwas schwieriger. Wir beschlossen daher, Emil vorerst an der Schleppleine zu lassen. Wir konditionierten ihn auf den Clicker und lenkten seine Aufmerksamkeit mit kleineren Übungen – wie z.B. dem Aufbau von Blickkontakt – immer häufiger auf uns. Auch das Herankommen auf Pfiff wurde unter Bedingungen ohne Ablenkung mit Emil trainiert, und wir konnten schnell Fortschritte erzielen. Sein „energiearmes“ Futter bekam Emil anfänglich fast ausschließlich aus der Hand, jedoch nicht ohne vorher dafür etwas geleistet zu haben.

Keine Spur von Müdigkeit
Geblendet von den schnellen Erfolgen ließen wir Emil bereits nach wenigen Wochen von der 5-Meter Schleppleine und wurden durch weiterhin zuverlässiges Herankommen auf Pfiff in unserer Entscheidung vorerst bestätigt. Fast unmerklich jedoch wurden die Kreise, die Emil meist im Galopp zu ziehen pflegt, immer größer, und er fand Gefallen daran, unsere Pfiffe immer öfter zu überhören. So beschlossen wir, Emil umgehend wieder an die Schleppleine zu nehmen. Dort bleibt er vorerst, bis sich das zuverlässige Herankommen gefestigt hat.

Weil das in der wichtigen Sozialisationsphase versäumt worden war, setzten wir Emil in den Wochen nach der Übernahme täglich neuen Umweltreizen aus. Bereits heute ist der Besuch eines lebhaften Einkaufszentrums oder das Treiben im Bahnhof nichts Angsteinflößendes mehr für ihn. Größere Hundegruppen, wie sie auf unseren Junghundespaziergängen üblich sind, bedeuten nach wie vor Stress für Emil, und er reagiert mit übersteigerter Aggressivität. Andere Hunde werden dabei heftig angerempelt und bedroht. Hundebegegnungen üben wir daher gezielt mit ausgesuchten verträglichen Hunden und steigern die Anzahl der Hunde langsam. Darüber hinaus trainieren wir bei diesen Begegnungen Alternativhandlungen, die bei Ausführung belohnt werden. Da Hunde gleichzeitig Erlebtes verknüpfen, kann Emil dadurch lernen, dass Hundebegegnungen grundsätzlich etwas Positives für ihn bedeuten. Zusätzlich zur täglich ausreichenden Bewegung wird Emil gezielt trainiert und intensiv beschäftigt. Neben den Übungen aus der Obedience-Prüfungsordnung steht auch die Fährtenarbeit auf dem Plan, ebenso das Erlernen von Kunststückchen.

Emil bedeutet eine Herausforderung für uns. Aber die vielen Fortschritte machen uns Mut, und allmählich entwickelt er sich vom ehemaligen „Haustyrannen“ zu einem umgänglichen und zufriedenen Hund, der seinen Platz im Rudel akzeptiert, schnell lernt und auch bei Begegnungen mit fremden Hunden immer ruhiger und gelassener wird.

>>> WUFF STELLT VOR

Achim Janßen lebt mit Frau und 6 Hunden in NRW. Sein besonderes Interesse gilt dem Problemverhalten bei Hunden. Weitere Informationen auf seiner Homepage:
www.auf4pfoten.de 

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