Einmal Nordkap und zurück

Von Gabriele Binder

Eine Frau, ein kleiner Hund, ein Auto und viele Tausende Kilo­meter vor sich. Das sind die Zutaten für eine erlebnisreiche Reise. So packt die Wienerin Gabriele Binder ihre Siebensachen und macht sich auf den Weg gen Norden. Gegen Regen und Sturm muss die ­reiselustige Frau – die eigentlich eine Sonnenanbeterin ist – ankämpfen. Der auch noch so kleine Hund ist an vielen Orten nicht erwünscht, wenngleich die landschaftliche Schönheit vieles wieder gutmacht.

Neben meiner Liebe zu meinen felligen Mitbewohnern – derzeit Zwergpinscher Nini, der alte Spaniel Buddy und die Katze Heidi – ist meine Passion das Kennenlernen anderer Länder und bizarrer Landschaften und das Leben inmitten fremder Menschen und unbekannter Kulturen. Besonders schön ist es für mich, wenn, wie schon bei früheren Unternehmungen, mich bei diesen Reisen einer meiner Vierbeiner be­gleitet. So war es auch letzten Sommer, als ich mit Nini zu meinen beiden Reisezielen, dem Nordkap und Lappland, unterwegs war.

Die geplante Reiseroute war die Westküste Norwegens entlang der Fjorde, um Interessantes und am Weg liegende Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Zusätzlich wurde ­genügend Zeit zum Spazierengehen eingeplant. ­Einreisebestimmungen in die skandinavischen Länder gab es auch keine besonderen, denn Anfang 2013 hatten sich diese nur dahin­gehend geändert, dass für ­mitreisende Hunde nur mehr Chip und gültige Tollwutimpfung, ­ein­getragen im Europäischen ­Heim­tierpass, vorgeschrieben sind.

So beginnen Zwergpinscher Nini und ich unsere Fahrt in Wien am 2. Juli 2013. Mit vollgepacktem Auto geht es über deutsche Autobahnen Richtung Dänemark Richtung – laut Navigationssystem – 4.000 km ­entferntes Nordkap.

Wien – Melsing (D) – Hirtshals (DK) – Kristiansand (NOR) – Nordheimsund – Bergen – Flam

2.-6. Juli 2013: 2.350 gefahrene Kilometer, 32 Stunden Fahrzeit. Die erste Nacht schlafen wir auf einer deutschen Autobahnraststation im Auto. Es regnet, und die Lampen der Parkplatzbeleuchtung scheinen ins Autofenster. Mir fällt auf, dass ich schon sehr aus der Übung bin, mir einen geeigneten Schlafplatz zum Campieren zu suchen. Ich verhänge das Fenster mit Ninis Hundedecke und schlafe erschöpft von der ungewohnt langen Fahrt ein.

Ein voller Tank reicht, um am nächsten Tag durch Dänemark durchzufahren. Wir nehmen die Fähre vom dänischen Hirtshals nach Kristiansand. Nini ­verbringt die Überfahrt im Auto, denn Hunde dürfen an Bord nur ent­weder im Auto auf dem Autodeck oder im Kennel (auf dem Passagierdeck) transportiert werden.

Norwegen empfängt mich mit Regen, grasbewachsenen Wohnhausdächern und einem Schild mit der Werbung, die „Mineralisti“ zu besuchen. Nach einem Spaziergang durch diese stillgelegten Bergwerkgruben mit vielen seltenen und wertvollen Mineralien (und vielen Moskitos) fahren wir weiter in ­Richtung Küste zur zweitgrößten Stadt Norwegens, Bergen. In der Stadt suche ich nach einem Parkhaus. Es beunruhigt mich, dass ich in ­Bergens Tunnel-Labyrinth maut­pflichtige ­Straßen befahre, wobei ich nicht herausfinden kann, wo diese Maut zu bezahlen ist. So habe ich Bedenken, dass mir zusätzliche Kosten durch diese nicht entrichtete Straßen­abgabe entstehen könnten. Aber die Fahrt mit dem roten Sightseeing-Bus und das köstliche Essen auf dem Fischmarkt lassen die Sorge um nicht ­bezahlte Maut schnell in den Hintergrund rücken. Dass Ende des Jahres zuhause in Wien eine Rechnung für sämtliche in Norwegen benützte Mautstraßen eintrudeln wird, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht …

Nächstes Ziel – Der kleine Ort Flam
Bei wolkenlosem Himmel buche ich die 4-stündige Fahrt mit dem Urlaubsfjordschiff in den Sognefjord, dem längsten und tiefsten Meeresarm der Welt, dessen tiefster Punkt 204 km von der Küste entfernt ist, DIE Touristen­attraktion schlechthin. Nini ist mit an Bord, wird von anderen Besuchern mit „ach wie süüüüüüß“ betüdelt, und ich komme mir vor wie ein Neckermanntourist. Der ausgleichende Nachmittagsspaziergang mit Nini führt nach Otternes, einem alten Dorf, das bereits in Schriften des 12. Jahrhunderts erwähnt ist. Als zusätzliche Entschädigung für das lange Stillhalten auf dem Urlaubsschiff lasse ich sie an dem ungewohnten, aber für diese Gegend typischen Essen teilhaben: ­Sauerrahmporetsch mit Lammfleisch, Ziegenwurst, schimmliger Käse, Flachbrot, ­Rentierwurst.

Flam – Bourgund – ­Dalsnibba – Geiranger – Andalsnes – ­Alesund – ­Molden – Atlanterhaven – Molde – Trondheim – ­Mosjoen – Mo i Rana – Bodo

Sonntag ist wieder ein Traumwetter – gerade richtig für die Fjordsafari, eine Bootstour mit einem Schlauchboot mit Außenbordmotor. Nini verrollt sich in ihrer Tasche, bis sie das harte Aufschlagen des Bootes auf den Wellen weckt und ängstigt. Beim Anlegen in Aurland, einem kleinen Ort am ­Fjordufer, siegt jedoch ihre Neugier für die Ziegen über den vorangegangenen Schreck. Wieder an Land verlassen wir Flam durch den 24 km langen Aurdal-Tunnel, den zur Zeit längsten Tunnel der Welt, in Richtung Lom. Ich möchte eine der Stabkirchen, die auch Nor­wegens Beitrag zum Weltkulturerbe sind, sehen. Bei der berühmten Bourgunder Stabkirche, die 1180 aus Holz erbaut wurde, ist Nini wieder wie gewohnt mein Fotomodell.

Schlafen und Frühstücken im Auto
Landschaftlich wunderschön, vorbei an malerischen Wasserfällen, durch unzählige Tunnel, schlängeln sich die Landesstraßen mit grottenschlechtem Straßenbelag entlang des Fjords. Spät abends erreichen wir noch Dalsnibba, mit 1500 Metern der höchste Aussichtspunkt dieser Landesstraße. Es hat null Grad, und da in der „Hytter“, was so viel wie „Hütte“ bedeutet, Hunde nicht gestattet sind, schlafen wir wie gewohnt im Auto. Nach dem Frühstück im Auto, das ich wie üblich mit Nini teile, lässt ein traumhafter Spaziergang an diesem höchsten Aussichtspunkt die kalten Morgenstunden vergessen. Nini hüpft wie eine Gämse über die Felsblöcke nahe des Felsabbruches und ich nehme sie vorsorglich an Brustgeschirr und Leine. Über die Trollstigen, die Serpentinen der E136 nach Alesund und Vestnes, erreichen wir die Fähre nach Molde, der Rosenstadt, in der auf Grund der für diesen Breitengrad ungewöhnlich milden Temperaturen viele Rosengärten angelegt sind.

Die Nacht bleiben wir auf dem Campingplatz in Molde, da ich ­dessen WLAN nutzen möchte. Beim Abendspaziergang huscht ein mir unbekanntes Tier an Nini und mir vorbei. Nini, die wie immer frei läuft, setzt zum Jagen an – ich kann sie gerade noch abrufen und leine sie an. Sicher ist sicher. Dieses Tier sehen wir nochmals ganz kurz auf dem Campingplatz in einer Entfernung von ca. 5 Metern an unserem Auto vorbeihuschen. Im Internet finde ich heraus, dass dieses Phantom ein Marderhund, ein in Norwegen ungeliebter „Einwanderer“, war.

Tags darauf fahren wir über die 8 km lange Atlantikstraße mit 8 Brücken. Es hat zu Mittag 12 Grad, es stürmt ­heftig und Nini verweigert, mein Fotomodell zu sein. Entlang der Küste, der vielen Fjorde, von Insel zu Insel stelle ich fest, dass die Frequenz auch der kleinen Fähren hier um ein Viel­faches größer ist als die der Busse in der Heimat. Über Atlanterhaven gelangen wir nach Kristiansund und weiter nach Trondheim. Es ist früher Abend, zu spät für den roten Bus, aber gemütlich für einen Stadtspaziergang. Auf der E6 Richtung Mosjoen sehen wir eine Elchkuh. Die Hoffnung, dass wir noch mehr Elche, vielleicht auch einen Bullen zu sehen bekommen, geht leider die ganze Norwegentour nicht in Erfüllung.

Nini entert einen Reisebus
Zwischen den Orten Mo i Rana und Bodo möchte ich eine Schauhöhle, die Grönligrotta besuchen. Vor der Grotte „entert“ Nini einen österreichischen Reisebus, der mit offenen Türen am Parkplatz vor der Grotte auf seine Fahrgäste wartet. Den Buschauffeur, der einsteigen und Nini aus dem Bus scheuchen will, verbellt sie vehement. Ich entschuldige mich 100-mal, dennoch finde ich es ziemlich lustig, dass ein 5 kg schwerer Hund es schafft, einen 85 kg schweren Buschauffeur nicht in den eigenen Bus einsteigen zu lassen.

Nahe der Schauhöhle befindet sich der Svartisen-Gletscher. Ein Motorboot bringt uns über einen kleinen See zum Beginn des Wanderweges zum Gletscher. Für Nini ist der felsige Pfad eine willkommene ­Abwechslung zu den langen Autofahrten. Im ­Touristenzentrum des nördlichen Polarkreises (66 Grad 35 Min.) ist die Mitnahme von Hunden nicht erlaubt. Als Ausgleich markiert Nini fleißig alle Steinmännchen in der Nähe des Polarkreisdenkmals. Über die E80, auf dem Weg zu den Lofoten, nahe der Stadt Bodo, haben wir Glück und er­leben den Saltstraumen, den größten Mahlstrom der Welt beim ­Wechsel Ebbe-Flut, bei dem ­natürliche ­Wasserstrudel mit einem Durch­messer bis zu 10 Metern entstehen. Bei einsetzendem Regen verlassen wir dieses beeindruckende Naturschauspiel und treffen abends bei der Fähre in Bodo ein, die uns zu den Lofoten, der Inselkette im Atlantik bringt.

Nusfjord – Andersnes Grylle­fjord – Alsbery – ­Storsteinnes – Alta – ­Hammerfest – Nordkap

Nach vier Stunden Fahrzeit legt die Fähre um Mitternacht in ­Sarvangen auf den Lofoten an. Es regnet in ­Strömen und die Gipfel der Berge sind in Wolken gehüllt. Ich bin hundemüde und parke das Auto gleich nach Verlassen der Fähre. Obwohl es taghell ist, bemerke ich nicht die Nähe der vielen Trockenanlagen, an denen Tausende von Fischköpfen zum Trocknen aufgehängt sind. Penetranter Fisch­geruch dringt von überall ins Auto.

Nach dem Frühstück, das ich mit Nini und den Möwen teile, besuche ich den berühmten Nusfjord mit dem noch original erhaltenen ­Rorbudorf. Das Wort Rorbu bezeichnet eine Übernachtungsmöglichkeit, ­früher für Fischer, die im Winter nach ­Kabeljau fischten, heute ein Unesco-Weltkultur­erbe.

Das nächste Ziel, das Wikingermu­seum, wartet wieder mit Hundeverbot auf. Weder in das Museum, noch in die Außenanlage mit dem ­rekonstruierten Häuptlingshaus und Resten von Bootshäusern und Grabhügeln aus der Eisenzeit darf ich Nini mitnehmen. Nini bekommt ihren anschließenden Spaziergang am fast ­menschenleeren weißen Sandstrand, auf dem sie jedes angeschwemmte Meeres­objekt ­ausführlich beschnuppert und markiert. Weiter geht es in Richtung Andersnes auf der Inselgruppe der Vesteralen.

In der Mitte von Nirgendwo …
Unmittelbar neben der Straße ­parke ich das Auto für die Nacht. Die Hunde­morgenrunde bei Regen und Sturm gestaltet sich mühsam. Das, was wie Wiese aussieht, ist in Wirklichkeit eine Art Hochmoor, in dem die Moltebeeren, eine skandinavische Delikatesse, zu finden sind. Das Moor besteht aus endlosen Flächen mit Wassertümpeln und kleinen wassergefüllten Gräben. Für das Fliegen­gewicht Nini kein Problem, ich jedoch muss jeden Schritt überlegen, damit ich halbwegs trockenen Fußes wieder zum Auto komme.

In Andersnes parke ich auf dem Campingplatz und bin froh, dass ich Nini in die Küche des Aufenthaltsgebäudes mit hineinnehmen darf. Dort wärme ich mein Abendessen, die Dose Labskaus. Ich hatte sie im Supermarkt gekauft, um heraus­zufinden, was für eine Art Essen das ist. Es ist eine Art Fleischeintopf. Eine Camperin aus meiner Heimat, die mich beobachtet, meint, dass es wie Hundefutter aussieht. Sie dachte, ich würde Ninis Futter wärmen …

Ich buche das „Whale-Watching“, eine 4 ½-stündige Fahrt bei Sturm und Kälte, um den Pottwal Glen beim Luftholen und Abtauchen zu sehen. Ich habe noch nie für 3 Stunden Seekrankheit und das Fotografieren einer Walschwanzflosse so viel Geld ausgegeben … Während ich am Boot die Idee verwünsche, trotz meines empfindlichen Magens diese Tour unternommen zu haben, schläft Nini im Daunenschlafsack im Auto. In der Wartezeit auf die Fähre von Andersnes nach Gryllerfjorddes schlendern Nini und ich zum Leuchtturm. Dabei werden wir von einer Möwe umkreist, die zweimal im Sturzflug Nini attackiert. Ich vertreibe die Möwe erfolgreich mit Steinwürfen, wobei mich dieses Ereignis sehr an Hitchcocks Vögel erinnert.

Die Reise geht weiter über Olsborg. Das kräftige Abendsonnenlicht um 22:51 Uhr und die Sonnenspiegelung im Wasser lassen eine Stimmung wie bei der Sonnenfinsternis in der „Diamantphase“ entstehen. Auf der Straße nach Alta verbringen wir die Nacht auf einem Parkplatz, an dem Sami ihre Waren zum Verkauf an­bieten. Das Thermometer zeigt nicht mehr als 8 Grad und ich frage mich, warum ich mir als Sonnen­an­beter und Wärmemensch diese Reise in die Kälte ausgesucht habe. Um mich aufzuwärmen, kaufe ich in einem der Sami-Zelte eine heiße Rentier­suppe, die aber nicht anders schmeckt als eine Instantsuppe mit 3 Wurst­stücken, auch die Rentierwurst ­könnte durchaus als heimische ­Hauswurst durchgehen. Aber zum ersten Mal sehen wir freilaufende Rentiere, die sich völlig furchtlos auf und neben der befahrenen Straße aufhalten.

In Alta, der größten Stadt der norwegischen Provinz Finnmark, begehen wir den Lehrpfad des Freilichtmuseums und Nini springt unbeschwert über die Steinritzungen aus der Steinzeit, die vor ca. 6.500 Jahren entstanden. Diese sind die bedeutendsten Beweise der prähistorischen Besiedelung Nordnorwegens – und haben den Status als UNESCO-Welterbestätte.

Hammerfest ist die nördlichste Stadt der Welt und liegt etwas abseits meiner Reiseroute. Ich nehme die zusätzliche Fahrstrecke gerne in Kauf, um den Struve Meridianbogen (der Meridian-Säule, die ebenfalls zum UNESCO-Welt­kulturerbe zählt und an die Vermessung des Erdumfangs erinnert) zu sehen.

Endlich am Nordkap
Spät abends erreichen wir das Nordkap. Ich bin überrascht, denn ein Touristenzentrum mit einem großen Parkplatz ­voller Fernreisebusse und Mobilheime habe ich nicht erwartet. Ich finde einen Parkplatz nahe der Klippen. Trotz der Kälte und des heftigen Sturmes verlassen wir das warme Auto, um das Podest mit der Skulptur des nördlichsten Punkts des europäischen Festlandes zu betreten. Ich ­möchte die Mitternachtssonne sehen. Nini und ich verbringen die Wartezeit im Auto. Der kleine Gaskocher für Tee und Suppe heizt den Innenraum des Autos ein wenig auf und macht das Warten in der Kälte erträglicher. Nach ein­tägigem Warten gibt es noch immer keine günstige Wetterprognose für dieses Naturereignis in den nächsten Tagen.

Ich unternehme mit Nini einen letzten großen Spaziergang auf dem Besuchergelände des Nordkaps und zu den Rentierherden, bevor wir müde und durchgefroren, aber glücklich, auf diesem Punkt unserer Weltkugel gewesen zu sein, unsere Reise in das Land der Sami fortsetzen, bevor es anschließend wieder Richtung Heimat geht.

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