Ein Hund aus dem Tierheim – ein Hund mit Vergangenheit

Von Sabine Neumann

In Deutschland leben rund 6 Millionen Hunde, in Österreich nach letzten Statistiken 590.000–640.000, in den USA gibt es mehr als 50 Millionen. Das Schicksal eines Tierheimaufenthalts teilen in Deutschland etwa 300.000 Hunde pro Jahr. In Österreich durchlaufen geschätzte 20.000–25.000 Hunde pro Jahr Tierschutzheime und private Pflegeplätze. In den USA verbringen jährlich etwa vier Millionen Hunde einige Zeit in einem Tierheim. Für 2,4 Millionen von ihnen ist es die Endstation.

Tierheim als Endstation?
Endstation für unerwünschte Vierbeiner zu sein, ist das tatsächlich die Aufgabe von Tierheimen? Sind Tierheime Schandflecken, über die man nicht gerne spricht, die man übersehen möchte, die weit abseits von belebten Zonen angesiedelt sind, um unser heiles Weltbild nicht zu belasten? Sind Tierheime ein Symbol dafür, wie wir in unserer konsumorientierten Wohlstandsgesellschaft mit subjektiv nicht mehr Brauchbarem, Unnützem umgehen? Sind sie etwas, das man nicht sehen kann, weil es einem das Herz bricht? Sind sie Entsorgungsstätte für Hunde, die keiner mehr mag, ein reiner Aufbewahrungsort, an dem Hunde zwischengelagert werden, bis sie ein neues Zuhause finden? Oder können sie eine Chance für den Start in eine bessere Zukunft sein?

Chance für eine bessere Zukunft
Eine Chance, die sich die Hunde im Tierheim in aller Regel verdient haben. Einen Hund aus dem Tierheim bei sich aufzunehmen bedeutet jedenfalls, einen aktiven Beitrag zum Tierschutz zu leisten. Diese Hunde haben aus irgendeinem Grund – den sie in der Regel nicht selbst verschuldet haben – ihr Zuhause verloren und warten nun im Tierheim auf neue Halter. Einen von ihnen zu sich zu holen und ihm die Chance auf einen Neubeginn zu geben, ist sicher eine gute Entscheidung. Oftmals überlegen zukünftige Halter auch wirklich gezielt, lieber einen Hund aus dem Tierheim aufzunehmen, als sich einen vom Züchter zu holen.

Erwartungen an den Hund
Welche Intentionen führen Interessenten ins Tierheim, und was erwarten Menschen ganz generell von ihren vierbeinigen Begleitern? Insgesamt ergibt sich, basierend auf unterschiedlichen Befragungen, etwa folgendes Bild:

Abhängig davon, welche Aufgabe der Hund für seinen Besitzer zu erfüllen hat, sind die Ansprüche an seine Wesenseigenschaften unterschiedlich. Die Erwartungen an einen Familien- und Begleithund sind in etwa: mittleres Temperament und Wesenssicherheit in normalen Alltagssituationen, gegenüber fremden Menschen und im Straßenverkehr, gute Führigkeit, eine enge Bindung an seinen Besitzer und keine Angst vor lauten Geräuschen. Zusätzlich ist teilweise auch Spiel-, Apportier- und Spürtrieb sowie Wachsamkeit erwünscht. Unerwünscht sind im Allgemeinen Ängstlichkeit, Scheuheit, übersteigertes Misstrauen, Kampftrieb, Schärfe und Jagdtrieb.

Unter einem Hund mit „gutem Wesen" verstehen die meisten Halter einen ruhigen, folgsamen Hund, der nicht davonläuft und keine Katzen, Hasen oder Postboten jagt. Auch die Bellfreudigkeit kann ein wichtiger Auswahlaspekt sein, da in einer Wohngegend häufiges Bellen zum Problem werden kann, wenn sich Nachbarn dadurch ge-stört fühlen. Bellen ist nicht selten ein Abgabe- oder Rückgabegrund. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass das Bellen zu den normalen hundlichen Bedürfnissen zählt, und rassespezifisches Bellverhalten muss deshalb bei der Auswahl eines Hundes immer mit bedacht werden. So zählen etwa Collies, West Highland Terrier, Tibet Terrier oder Spitze zu jenen Rassen, denen die Bellfreudigkeit schon in den Genen steckt, während zum Beispiel Windhunde oder Neufundländer kaum Laut geben. Wenn ein Hund übermäßig bellt, muss immer nach den Ursachen für dieses Verhalten gesucht werden, denn erst wenn die Gründe bekannt sind, kann gezielt an einer Verhaltensänderung trainiert und gearbeitet werden.

Vor der Anschaffung
Vor der Anschaffung muss geklärt sein, ob es sich bei dem Wunsch nach einem Hund nicht nur um eine Augenblickslaune handelt, ob der Vermieter einverstanden ist und ob die Unterhaltskosten für den Hund aufgebracht werden können. Der Protest des Vermieters ist ein häufig genannter Grund für die Abgabe, und zum Unterhalt gehören außer den Anschaffungskosten Auslagen für Futter, Zubehör, medizinische Versorgung, Hundesteuer und Hundehalterhaftpflichtversicherung. Finanzielle Aspekte, das Bewusstmachen der Tatsache, dass ein Hund unter Umständen auch viel Geld kosten kann, müssen vor der Aufnahme des Tieres in den Familienverband bedacht werden.

Gesucht sind alltagstaugliche Begleiter
Viele Interessenten für einen Hund aus dem Tierheim wählen ihren Hund aus, ohne genaue Vorstellungen zu haben und ohne konkrete Erwartungen an ihn mitzubringen. Die meisten Besucher suchen einen Familien- und Begleithund. Dieser Hund soll in der Regel der Bereicherung des Familienalltags dienen, sie wollen ihn zu Spaziergängen mitnehmen, als Kommunikationspartner und für erzieherische Funktion gegenüber den Kindern der Familie einsetzen, häufig deshalb, um die Kinder mehr Verantwortungsbewusstsein zu lehren. Die durchschnittlichen Interessenten haben keine spezifischen Erwartungen an den Ausbildungsstand des Hundes, seinen Charakter und sein Wesen.

Einen bereits erwachsenen Hund zu übernehmen hat den Vorteil, dass die endgültige Größe, sein Aussehen und auch etliche Wesenszüge bereits bekannt sind. Die Sorge, der Hund könne nicht mehr genug Bindung zu seinen Menschen aufbauen, weil er schon erwachsen sei, ist unbegründet. Prinzipiell gibt es wohl kein Alter, in dem ein Hund sich nicht mehr an Änderungen seines Umfeldes anpassen könnte. Gerade Hunde, die eine harte, einsame Zeit hinter sich haben, freuen sich besonders, endlich angekommen zu sein, sind in einer neuen Umgebung oft sehr anhänglich und ihren Menschen äußerst zugetan.

Bestimmte Hunderassen
Was die Entscheidung über bestimmte Hunderassen angeht, so möchten die meisten Menschen mit ihrem Hund nicht in erster Linie Ausstellungen gewinnen, sondern suchen ganz einfach einen – vielleicht auch rassereinen – Begleiter mit einwandfreiem Wesen, mit dem sie in unserer dicht besiedelten Umwelt zusammenleben und auf den sie sich verlassen können. Aber auch für Liebhaber von Rassehunden lässt sich der neue Traumhund über den Tierschutz finden. Es gibt unzählige Tierschutzvereine, die Rassehunde vermitteln. Nachfragen beim jeweiligen Tierheim oder eine Recherche im Internet lohnt sich in jedem Fall!

Keine Angst vor Hunden mit Vergangenheit
In Tierheimen finden sich also Traumhunde vieler Rassen und Mischungen, jeder Größe und jeden Alters. Vorbehalte gegen Hunde aus dem Tierheim beruhen oftmals auf Angst davor, einen Hund mit Vergangenheit zu sich zu holen, einen, „bei dem man nicht so genau weiß, was er schon alles erlebt hat". Deshalb ist es für den potenziellen Interessenten wichtig, die Vorgeschichte des Hundes möglichst genau zu recherchieren und auch umfassend und ehrlich von den Mitarbeitern des Tierheims über ihn informiert zu werden. Auch die Unterstützung eines qualifizierten Trainers kann bei der Auswahl des richtigen Hundes hilfreich sein, denn das fachlich geschulte Auge sieht Dinge, die einem Interessenten vielleicht verborgen bleiben.

Für Ersthundehalter kann es den Einstieg wesentlich erleichtern, einen Hund zu wählen, der aus einer Lebenssituation stammt, die der eigenen möglichst ähnlich ist. Menschen mit Hundeerfahrung und der Bereitschaft, mit ihrem neuen vierbeinigen Begleiter auch mal längere Wege zu gehen, kann man eventuell einen Hund mit kleineren Problemen an die Seite stellen. Mit dem nötigen Know-how und mit etwas Geduld kann auch dieses Mensch-Hund-Gespann zu einem „Dreamteam" werden. Ganz generell gibt es sie sowieso nicht, die umkomplizierten, vollkommen problemlosen Hunde – egal, ob sie aus dem Tierheim oder vom hoch prämierten Züchter kommen. Hunde sind Lebewesen, sie sind geprägt durch Erfahrungen, haben Eigenheiten, Stärken und Schwächen. Es gibt auch keine problemlosen, unkomplizierten, fehlerfreien Menschen. Das Leben ist kompliziert. Und wer sich auf das Zusammenleben mit einem anderen einlassen möchte, muss bereit sein, auch schlechte Tage in Kauf zu nehmen und an Problemen – bestehenden oder sich erst zeigenden – zu arbeiten und sie gemeinsam zu lösen. Dies gilt für zwischenmenschliche Beziehungen ebenso wie für zwischenartliche.

Wer sich für einen der abgebildeten Hunde interessiert, erhält unter +43 (0)2732/847 20 oder www.tierheim-krems.at weitere Informationen.

WUFF STELLT VOR

Die Autorin

Sabine Neumann, geboren am 1.1.1968 ist animal Learn Hundetrainerin (Informationen: www.traum-hund.com). Ein Schwerpunkt und Herzensanliegen ihrer Trainertätigkeit ist die Arbeit mit Hunden im und aus dem Tierheim. Sie ist im In- und Ausland beratend tätig, wenn es um Fragen der bestmöglichen Hundebetreuung geht, und beschäftigt sich im Tierheim Krems mit den so genannten „Problemhunden".

Ihr Buch „TierHEIM – Schicksal oder Chance?!" (animal Learn Verlag, www.animal-learn.de, € 32,–, ISBN 3-936188-28-9) ist kürzlich erschienen.

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