Dürfen Welpen zwicken?

Von Yvonne Adler

Die Kolumne zum Thema ­„Alltagsprobleme mit dem Hund". WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch ­geprüfte Kynologin und Hunde­trainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund, kurz ­formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser Aus­gabe möchte eine WUFF-Leserin wissen, wie sie ihrem Welpen das Zwicken beim ­wilden Spiel abgewöhnen kann.

Guten Tag Frau Adler,
Ich habe Ihre Kolumne in der Zeitschrift WUFF gelesen, in der über den Hund Kayla geschrieben wurde. Nun habe ich selbst ein paar Fragen. Ich habe seit knapp fünf Wochen einen Welpen. Sie ist 13 Wochen alt und ein Dackel-Jack Russell-Pinscher Mix. Ich gehe mit ihr 2x am Tag Gassi, jeweils 1 Stunde. Sonst tobt sie im Garten oder schläft. Leider kennt sie beim Spielen noch keine Grenzen – sie zwickt teilweise schon sehr stark. Wie kann ich ihr dies abgewöhnen? Außerdem ist sie beim Spielen sehr schnell überdreht! Ich würde mich über eine Rückmeldung freuen.
Liebe Grüße
Denise

Liebe Denise!
Für Welpen ist es vollkommen normal, dass diese beim wilden Spiel manchmal überdreht wirken bzw. etwas fester zwicken. Teilweise haben sie in diesen Momenten gerade ihre „narrischen 5 Minuten" – so wie ich sie immer nenne. Oftmals passiert dies abends, obwohl der Hund nach einem ereignis­reichen Tag und dem Futter eher müde sein sollte. Gerade dann startet diese wilde Phase, die sich oftmals sehr bewegungsintensiv zeigt. Der Hund zeigt dann eine Vielzahl von Verhaltensweisen aus unterschiedlichen Funktionskreisen. Er bellt, knurrt, ­lauert und jagt, ohne dabei die spezifische Endhandlung zu zeigen. Daran erkennt man unter anderem, dass es sich um Spielverhalten handelt – es werden die unterschiedlichsten Verhaltensweisen ohne Endhandlung gemischt und Verschiedenstes ausprobiert. Zusätzlich sind die Bewegungen oftmals sehr übertrieben und ausgelassen – ­dieser klassische „Bewegungsluxus" ist typisch für Spielverhalten.

Das Spiel ist für den jungen Organis­mus extrem wichtig! Hier werden unterschiedlichste Verhaltensweisen eingeübt. Es fördert nicht nur die Sozialisation gegenüber ­Artgenossen, sondern auch die geistige Leistungs­fähigkeit, Beweglichkeit und Koordination des Welpen. In wilden, vom ­Welpen selbst gewählten, Stop-and-Go-Spielen werden bspw. auch ­Bänder, Sehnen, Muskeln, Gelenke etc. trainiert. Der junge Organismus lernt sehr schnell, da in diesem (relativ ­kurzen) Zeitfenster, bevor die Pubertät beginnt, alles für das Erwachsenen­leben gelernt werden sollte.

Nun kann es während diesem – teilweise sehr wilden – Spiel passieren, dass der Welpe uns im Vorbeilaufen in die Zehen (oder Socken) zwickt. Dies kann auch etwas fester ausfallen, da der junge Hund durch das Spiel schon aufgedreht ist. Wir Menschen reagieren meist unmittelbar damit, dass wir „Aua" rufen und den Fuß ganz schnell wegziehen. Dies ist leider genau das Falsche – der Welpe lernt hier nicht, dass wir das gerade gezeigte Verhalten nicht mögen, sondern findet das schnelle Wegziehen des Fußes nur noch lustiger. Schnelle Bewegungen lösen oftmals Jagdverhalten aus und das gerufene „Aua" macht das Spiel spannend und aufregend. Durch ­unsere Reaktion passiert es also schnell, dass der Welpe lernt, wie er mit den ­spitzen, kleinen Zähnchen das „Aua-Spiel" auslösen kann. So entsteht eine (für uns Menschen) unerwünschte Verhaltenskette, in der der Hund agiert und der Mensch nur noch reagieren kann.

Hier liegt es nun in Ihrer Hand, ­diese Verhaltenskette zu ändern:
Achten Sie zuerst darauf, wann Ihr Welpe so richtig wild wird. Sie sollten nun ein Spielzeug oder eine Kausache (woran der Hund länger kauen kann) bereit halten. Wenn also Ihr Hund wild herumläuft und seine Kreise um Sie dreht, sollten Sie zuerst komplett ­entspannt bleiben, damit sich Ihre Nervosität bzw. angespannte ­Haltung nicht auf den Hund überträgt. ­Warten Sie auf einen guten Moment und geben Sie Ihrem Hund das Kauobjekt oder das Spielzeug, BEVOR er Sie zwickt. So kann er die überschüssige Energie abbauen. Er darf nun mit dem Objekt spielen, darauf herumkauen, es herumtragen etc. So wird das unerwünschte Verhalten (das Zwicken) umgelenkt und eine Ersatzhandlung antrainiert. Durch das Kauen beruhigt sich der Welpe gleichzeitig auch. Wichtig ist hierbei, immer ein passendes Spiel­objekt oder eine Kaustange bereit zu halten. Sie sollten keinesfalls ein Verhalten trainieren, das Ihnen später vielleicht Probleme bereitet. Bspw. dem Welpen Ihren Schuh zu überlassen, damit er Sie nicht in den Fuß zwickt. So lernt der junge Hund nur, Schuhe zu nehmen oder zu zerkauen.

In diesem Zusammenhang wird oft von der sogenannten Beißhemmung gesprochen. Dies bedeutet, dass ­Hunde wissen, wie fest sie zubeißen können, ohne dem Spielpartner Verletzungen oder Schmerzen zuzufügen. Entgegen einiger hartnäckiger Gerüchte ist die Beißhemmung beim Hund nicht angeboren, sondern muss erst erlernt werden! Wenn Ihr Hund jedoch nur in der Zeit der „narrischen 5 Minuten" zu fest zwickt, kann man fachlich nicht davon sprechen, dass er keine erlernte Beißhemmung hat. Es ist einfach so, dass der Hund hier komplett überdreht und übersteigert ist.

Ich wünsche Ihnen und Ihrem Welpen eine ganz tolle gemeinsame Zeit! Bitte bedenken Sie, dass Sie es mit einem „Hundekind" zu tun haben. Ihr Welpe muss noch viel lernen. Man kann hier noch nicht das „brave" Verhalten eines erwachsenen Hundes erwarten. Erziehung ist natürlich auch schon in dieser ersten Phase wichtig, jedoch nicht alles. Denken Sie hier bitte an Ihre Kindheit zurück: lustig, laut und wild zu sein ist etwas Wunderbares! Gestehen Sie diesen Spaß – in Maßen – auch Ihrem Hund zu.

Herzlichst,
Yvonne Adler

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