WUFF-Leserin Silke Zimmermann aus Bayreuth hat u.a. die Begriffe „Dominanz“ und „Rudelführer“ aus ihrem Vokabular gestrichen, sobald es um hundliche und mensch-hundliche Beziehungen geht. Warum, erklärt die langjährige Hundehalterin in folgendem Beitrag, zu dem sie durch die Artikel „Kein Häuptling ohne Indianer“ von Sophie Strodtbeck und „Mensch und Hund: Erfolgreiche artübergreifende Kommunikation“ von Dr. Wardeck-Mohr (WUFF 7/2011) angeregt wurde.
Die Tierärztin Sophie Strodtbeck hat einen wichtigen und sehr guten Beitrag zur Dominanzdiskussion gebracht. Denn die Problematik um die Themen „Dominanz“, „Alpha“, „Rudelführer“ und „Rangordnung“ begleitet mich seit Jahrzehnten. Seit gut 9 Jahren habe ich diese Begriffe ad acta gelegt, d. h. ich benutze sie konsequent nicht mehr im Zusammenhang mit meinen eigenen und anderen Hunden.
Hühnerhackordnung als Basis gängiger Dominanztheorien bei Hunden
In den 1920er Jahren (Anders Hallgren spricht von „Anfang des 20. Jahrhunderts“) meinte jemand, er müsse die Hühnerhackordnung auf Hunde übertragen, was den Unterbau der gängigen Dominanztheorien begründete. Dies, obwohl Hühner noch nicht einmal Säugetiere, geschweige denn annähernd mit Hunden vergleichbar sind. Es hätte also bereits damals auffallen müssen, dass hier irgendetwas in die falsche Richtung läuft.
Andere meinten, sie müssten an Wölfen forschen, die – willkürlich zusammengewürfelt – in viel zu kleinen Gehegen leben mussten; die dadurch ausgelösten massiven Konflikte, Aggression, Frust, Disharmonie und Kämpfe wurden dann ganz im Sinne der „Hühnerhackordnung“ interpretiert. Dass darüber hinaus auch Erkenntnisse aus dem Zusammenleben von Affen auf Hunde übertragen wurden, wie in Strodtbecks Artikel ausgeführt, war mir neu gewesen, aber wie im Artikel auch schon klar dargestellt, im Prinzip genauso abwegig wie die beiden anderen oben angeführten Theorien. Neben deren Falschheit haben wir nun obendrein noch das Problem, dass die gesammelten Dominanz-Begriffe seit gut einem Jahrhundert im Grunde extrem negativ besetzt sind, auch wenn man jetzt seit einiger Zeit versucht, „Dominanz & Co“ anders und nach neueren Forschungsergebnissen zu erklären.
Alte Sichtweise, brutale Praxis
Soweit ich das bisher verfolgen konnte, ist der Umbruch seit einem guten Jahrzehnt in vollem Gange und dennoch halten sich die alten Sichtweisen hartnäckig. Dazu muss man bei uns nur auf den Hundeplatz „um die Ecke“ gehen: Die „Bibel“ des gewöhnlichen Dorfschutzhundlers ist leider immer noch Konrad Mosts „Die Abrichtung des Hundes“, in einschlägigen Foren beworben, bei einem großen Online-Anbieter von Käufern hoch gelobt. Wenn man dieses Buch liest, wird einem angst und bange – veraltete Dominanz-Hierarchie-Sichtweisen und Brutalitäten par excellence, und eben immer noch auf Hundeplätzen der vorherrschende Umgang mit dem Sozialpartner Hund.
Wenn ich nun also „alte Zöpfe abschneiden“ möchte und den Menschen nahebringen will, dass unter Hunden und Wölfen normalerweise kein Schreckensherrscher lebt, der sich ausschließlich mit Gewalt durchsetzt, sondern eigentlich alles ganz anders ist, so muss ich auch die Begrifflichkeiten ändern und die Dinge entsprechend neu benennen. Ansonsten kommt es zu Verwirrung, denn warum sollte etwas nun ganz anders sein, wenn es doch immer noch genauso heißt?
Neue Begrifflichkeiten
Es ist also an der Zeit, die Familienstrukturen und die Familienverbände unserer Hunde neu zu benennen und damit auch endlich positiv zu besetzen, statt die alten Begrifflichkeiten beizubehalten und Verwirrung zu stiften. U.a. haben sich Hallgren, O‘Heare, Eaton, Bloch u.a. schon zu diesen Dingen in wirklich hochinteressanten Büchern geäußert, aber so richtige neue Begriffsschöpfungen stehen noch aus, die die hochkomplexen Beziehungen unter Hunden sowie unter Menschen und Hunden adäquat erklären können.
Hunde und Wölfe leben normalerweise in „familienähnlichen Strukturen“, und zwar so, wie man es sich als Menschenkind im Idealfall wünschen würde:
■ die Eltern als Träger von Verantwortung den Kindern gegenüber, die den Weg und die Richtung vorgeben, aber ohne sie in eine erlernte Hilflosigkeit hinein zu erziehen.
■ Die Eltern als diejenigen, die souverän Gefahren abwenden, Sicherheit geben und Vertrauen bilden, auf die man sich verlassen kann und die gerecht und gewaltfrei „herrschen“.
■ Die erfahrenen Alten, die die Kinder sozialisieren und für die Welt „fit machen“, die Dinge einfordern, aber auf die man sich im Ernstfall verlassen kann, dass sie die Dinge auch für ihre „Hundekinder“ regeln.
Das ist Führungsqualität – bei Hunden wie bei Menschen(-kindern). Sicher, ich „vermenschliche“, aber Hunde sind „eben auch nur Menschen“ und sind uns trotz aller Unterschiede doch sehr ähnlich. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind sie obendrein die besseren Eltern für ihre Welpen als manche Menschen für ihre Kinder.
Elternschaft in einer gemischtartlichen Lebensgemeinschaft
Es war meiner Kenntnis nach Clarissa von Reinhardt, die den Begriff der „Elternschaft“ im Zusammenhang mit Hundeerziehung geprägt hat: „Viel eher wird man dem sozialen Verständnis eines Hundes gerecht, wenn man eine Art Elternschaft einnimmt, in der man aufgrund von Erfahrung und Souveränität die Führung übernimmt.“ (aus: v. Reinhardt, „Welpen“, Animal Learn, 2007) Andere Autoren wie z. B. Rolf und Madeleine Frank sprechen ebenfalls vom Menschen als eine Art Eltern für den Hund.
Nachdem ein „echtes“ Wolfs- bzw. Hunderudel aus Elternhunden, Junghunden und Welpen besteht, ist es sowieso fraglich, ob das „Ein-Hund-Rudel“ in der menschlichen Familie überhaupt als Rudel zu betrachten ist. Wir leben eigentlich in einer gemischtartlichen Lebensgemeinschaft, aber nicht in einem echten Rudel. Allein diese Tatsache führt die alten Ansichten eigentlich schon ad absurdum. Dass beides, das Hunderudel ebenso wie das Mensch-Hund-Team, funktionieren soll, steht außer Frage. Andernfalls kommt es zu Konfliktsituationen, entweder in der Hund-Mensch-Gemeinschaft zuhause oder aber in der Umwelt mit fremden Hunden und/oder Menschen. Das aber sollte im Sinne des sozialen Miteinanders aller unbedingt vermieden werden.
Das heißt, wir müssen uns Grundregeln der souveränen Führung und Wegweisung zu eigen machen, um dem Hund ein „guter Mensch“ zu sein, ein guter Lehrer, eine Leitfigur, an der er sich gerne orientiert, der er folgt und sich anvertraut. Wir können eine liebevoll-konsequente Elternschaft leben – auch ohne den Hund zu vermenschlichen und ihn als Kinderersatz zu sehen, denn darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, Bezeichnungen zu finden, die der sozialen (Interaktions-) Kompetenz unserer Vierbeiner Rechnung tragen und welche die neueren Erkenntnisse beschreiben können.
In dem Strodtbecks Artikel nachfolgenden von Dr. Wardeck-Mohr mit dem Titel „Mensch und Hund: Erfolgreiche artübergreifende Kommunikation“ stand ein entscheidender Satz: „Menschen haben ein völlig anderes Dominanzverständnis als Hunde und Wölfe“. Und darum wird es endlich Zeit, dass die Begrifflichkeiten überarbeitet und geändert werden. Menschen meinen mit „dominant“ in der Tat ihr eigenes innerartliches Machtgebaren, ihr Durchsetzen mit Brutalität, Gewalt und Ellbogen. Die Anführung des Mobbings im erwähnten Artikel ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Damit sollte jeder Leser etwas anzufangen wissen. Ich habe noch nie einen Menschen in einem positiven Zusammenhang über „Dominanz“ und „dominantes Verhalten“ reden hören. Wir sollten uns also von diesen Worten und dieser Negativ-Behaftung endgültig freimachen – unseren Hunden zuliebe!
Ganz spitz ausgedrückt könnte man diese Negativbesetzung des Wortes „Dominanz“ (und was noch dazugehört) als Beleidigung und Abwertung für unsere sehr sozialen Hunde sehen. Wären unsere Hunde nicht so wunderbare, extrem anpassungsfähige und sanftmütige Wesen, würde ein Vielfaches mehr an Beißunfällen passieren. Ich wunderte mich stets über die Fähigkeit unserer Hunde, auch wenn sie schwerst misshandelt worden sind, doch wieder Vertrauen in Menschen zu fassen und vor allem ihren Peiniger vorher nicht „gefressen“ zu haben. Hunde geben allem Anschein nach jedem Menschen jeden Tag eine neue Chance sich anders zu verhalten und sich ihren Respekt, ihr Vertrauen und ihre (bedingungslose) Kooperation zu verdienen. So habe ich Hunde kennen gelernt. Seit nunmehr 32 Jahren. Davon waren sehr viele einfach nur „arme Schweine“, die ich in zusätzlichen 7 Jahren Tierheimarbeit (davon 3 1/2 Jahre als Tierheimleitung) kennen gelernt habe und mit denen ich arbeiten durfte. Sie haben mir sehr viel beigebracht und in vielen Dingen die Augen ganz geöffnet!
Wir sollten also die Dominanztheorie gänzlich begraben und den Hund als soziales Individuum hochleben lassen.