Die Wildnis in unseren Köpfen – Mythen, Ahnenwissen und Heilkräfte

Von Maria Auerswald

Wölfe spielen schon so lange eine ­bedeutende Rolle in der Existenz des Menschen, dass auch die Mythen, ­Legenden und das ­Wissen um sie ­herum seit ­Tausenden von ­Jahren in den verschiedensten Kulturen weitererzählt, aufgeschrieben und im Bild festgehalten wurden. Maria Auerswald hat einen spannenden Querschnitt daraus ­zusammengetragen und schlägt die Brücke von der ­Wolfsfaszination ­unserer Ahnen zu ­unserer heutigen Hunde­liebe, die immer auch ­Ausdruck unserer Sehnsucht nach dem Finden unseres Selbst, nach Erd- und Naturver­bundenheit ist.

Die lange Beziehung zwischen indoeuropäischen Völkern und Hunden beziehungsweise deren Vorfahren, den Wölfen, ist von etlichen Höhen und Tiefen geprägt. Haben wir früher mit dem Wolf in fast familienähnlichen Verbänden gelebt, so müssen wir heute dessen Rückkehr in unsere Länder rechtfertigen. Haben wir früher die Hunde zur Jagd oder zum Wachen genutzt, hat Friedrich Wilhelm III in Preußen 1810 die Hundesteuer als eine Luxussteuer eingeführt (wohl­gemerkt neben der Dienstbotensteuer und der Pferdesteuer).

Trotzdem ist uns der Hund bis hinein in die heutige virtuelle und technisch ­gespeiste Welt immer ein treuer Begleiter gewesen und hat uns mit seinem treuen Blick durch alle Lebenskrisen begleitet. Es gibt sie, die geheimnisvolle Verbindung zwischen Hund und Mensch, und wir können es schaffen, unseren treuen Begleiter wieder zu sehen, wie er ist, und von ihm dankbar annehmen, was er uns zu schenken hat!

Beide, Wolf und Hund, begleiteten ägyptische Pharaonen und griechische Götter, vor allem aber auch Kelten und Indianer in ihrem diesseitigen, aber auch in ihrem andersseitigen Leben. Wolf und Hund gelten bei ihnen von jeher als Krafttiere, Geistwesen und spirituelle Wegbegleiter. Unsere heutige Suche nach Krafttieren ist gleich dem Rufen unserer Seelen nach deren Verbindung mit ihren Wurzeln.

Der Wolfs-Schamanismus war bei den Kelten und Germanen eine ganz besondere Richtung des Schamanismus. Die Wolfs-Schamanen machten vor allem Feste zu Ehren der Sonne, wie die Wintersonnenwende und die Sommersonnenwende. Am 21. Juni jeden Jahres feierten die Stämme „Alban Hevin" mit dem längsten Tag und der kürzesten Nacht. Dabei wurden die Felder gesegnet und dem wilden Fruchtbarkeits-Naturgeist Pan geopfert. Die Feste waren bald von einer wilden Potenz berauscht, man tanzte nackt um das Feuer und trank mit Wolfskräutern durchsetztes Bier. Die ekstatischen Tänze ermöglichten den Schamanen die Kommunikation mit der geistigen Welt. Die Priester dieses Kultes nannte man „Vulfkancer", „die als Wolf verkleideten" oder „die mit dem Geist des Wolfes gehenden". Es waren initiierte Schamanen, die über lange Zeit alleine in der Wildnis lebten und so ihren Geist und ihre Seele auf die Arbeit vorbereiteten. Oft trugen sie ein Fell über die Schultern, welches sie einem im Kampf erlegten Wolf abgenommen hatten. Später entwickelte sich daraus unser Name „Wolfgang". Sie waren Priestertänzer der großen Mutter, eine Art tanzende Derwische, die fruchtbar machende Tänze bei bestimmten Kraftorten ausführten. Viele Vulfkancer-Schamanen wurden dann im Mittelalter als Hexen oder Zauberer von der Inquisition zum Tode verurteilt.

Für uns sind diese Überlieferungen eher Geschichten und Mythen, für unsere Vorfahren waren sie aber der tägliche Umgang mit dem Leben. Sie waren gelebte Wahrheiten und ihre Gültigkeit wurde nicht in Frage gestellt. Ob nun ­Indianer, Kelten oder Andere, die Ur­völker hatten vor den wilden ­Tieren ­keine Angst. Erst die zunehmende Ideologisierung und das entstandene Weltbild, das den Menschen als oberste Schöpfung, als Art über allen anderen Arten erklärt, schürte in uns die Angst vor der Wildnis. Je mehr wir sesshaft wurden und je mehr wir der Natur ihren natürlichen Raum nahmen, desto ­weniger Platz hatten auch Tiere wie Wolf oder Bär. Es gab keine ausgedehnten Wälder mehr, in denen die Tiere ungestört jagen konnten, und der Mensch sah sich zunehmend mehr in Gefahr um seine zahmen Tiere oder um sein eigenes Leben. Eine partnerschaftliche Koexistenz zwischen Mensch und Wildnis ist heutzutage kaum noch denkbar. Viel zu groß ist die geschürte Furcht, die nicht zuletzt durch die Entfremdung von der Natur immer größer wird. Doch schon vor 160 Jahren warnte Seattle, Häuptling der Duwamish/Suquamisch Indianer davor, was uns zustoßen wird, wenn wir die wilden Tiere weiter jagen oder ihnen ihren Raum nehmen:

„ … der weiße Mann muss die Tiere des Landes behandeln wie seine Brüder. Was ist der Mensch ohne die Tiere? Wären alle Tiere fort, so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes. Was immer den Tieren geschieht – geschieht bald auch den Menschen. Alle Dinge sind mi­teinander verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Denn das wissen wir: Die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde."

Weise Worte aus der berühmten Rede des Häuptling Seattle an den Präsidenten der Vereinigten Staaten im Jahre 1855. Da, wo unsere Ahnen die Tiere betrachteten, den Bäumen lauschten, die Sonne verfolgten und in der Natur wanderten, sehen wir den Fernseher, lauschen mit Kopfhörern einer Musik oder verfolgen die Suche nach einem neuen Supertalent. Unsere Seele wird nicht satt, wenn wir abgekapselt von der Natur die neuesten Geschehnisse eines Dschungelcamps verfolgen und unsere Füße uns nur noch bis zur Mülltonne oder bis zum Auto tragen.

Deshalb brauchen wir wieder mehr Wildnis in unseren Köpfen!

Zum Weiterlesen
Hundeherz und Wolfsgesang

Mythen, Ahnenwissen und Heilkräfte
von Maria Auerswald

Über die Autorin
Maria Auerswald ist seit jeher von der besonderen Spiritualität der Hunde überzeugt und zieht aus dem Zusammensein mit ihren eigenen Vierbeinern jeden Tag neue Kraft. Als diplomierte Tiertherapeutin weiß sie diese wohltuende Wahrnehmung Tag für Tag auch an Menschen in Reha­kliniken, Psychiatrien oder ­Seniorenwohnheimen weiterzugeben.
Ca. 112 Seiten, farbig illustriert
Kynos Verlag
ISBN: 978-3-95464-048-5
12,95 € (D) / 13,40 € (A)

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