Die türkische Sonne ist ­untergegangen

Von Sophie Strodtbeck

Treuen Wuff-Lesern ist sie bekannt wie ein bunter Hund: Günes (= türkisch für Sonne), mein Dönertierchen, die als Canis ­autisticus den Beginn meiner „WUFF-Karriere“ machte und seither in ­vielen meiner Artikel und Geschichten eine Rolle gespielt hat. Eine ­türkische Mülltonnen-Lady, eine wahre Ghettoprinzessin, die mich die letzten 13 Jahre treu begleitet und mich viel über ­Hunde gelehrt hat. Jetzt muss sie keine Angst mehr haben, dass der ­Himmel ihr auf den Kopf fällt …

Günes war das Gegenteil des Hundes, der mir vorschwebte, als ich beschloss, mein Leben fortan mit einem Hund zu teilen. Geplant war: groß, zottelig, Rüde, Typ Kumpelhund, den man überall hin mitnehmen kann und der sich, wie die Hunde, mit denen ich aufwuchs, quasi selbst erzieht. Bekommen habe ich: kurzhaarig, schwarz-weiß, ­Hündin, zu besten Zeiten 17 Kilogramm, zu schlechtesten Zeiten 11 Kilogramm, Angst, Angst, Angst. Und das einzig­artigste Hundchen, das mir bis dahin (und seither) begegnet ist. Die Be­tonung liegt hier allerdings auf einzig, denn artig war sie nicht. Dafür einzigartig schön, einzigartig einnehmend, einzigartig ungewöhnlich, einzigartig clownesque, einzigartig liebenswert, einzigartig sanft, einzigartig deutlich, einzigartig zäh, einzigartig autistisch und einzigartig mäkelig. Einfach einzigartig einzigartig und ganz besonders besonders.

Unser gemeinsames Leben bestand darin, uns gegenseitig vor neue ­Herausforderungen zu stellen. Beide sind wir an diesen Herausforderungen gewachsen. Für keinen Hund habe ich jemals so viele Tränen der Verzweiflung, der Sorge, der Freude, der Wut, der Erleichterung und der Trauer ­vergossen wie für mein Döner­tierchen. Und jede einzelne dieser Tränen war es wert.

Jeder bekommt den Hund, den er zum Lernen braucht
Sie hat mich so vieles gelehrt; gemeinsam sind wir durch die harte Hundeschule des Lebens gegangen. Welpenspielstunde ist ja für Anfänger! Dank Günes habe ich verstanden, dass man einen Hund und seine Persönlichkeit nicht an die eigenen Ansprüche und Lebensumstände oder gar an den eigenen Perfektionismus anpassen darf und kann, sondern ihn so nehmen muss, wie er ist. Oder, noch besser, ihn so zu wollen, wie er ist.

Sie hat meine Geduld geschult. Anders ist ein Zusammenleben mit einem entschleunigten Hund auch nicht möglich. Alles dauerte bei Günes etwas länger, sei es das Erlernen neuer Kommandos oder auch ganz alltägliche Dinge wie das Spazieren­gehen. Beschleunigt war nur ihr ­stoffwechselbedingtes Verhalten. Kaum, dass sie ein Bröckelchen ­Futter intus hatte, stand sie schon an der Türe und musste ganz dringend raus. Dasselbe nach jedem Schluck Wasser. Ein biologisches Kuriosum! ­Überhaupt war ihr Fressverhalten „anders“: ­Fressen war für sie ähnlich überflüssig wie Schleppleinen für Beagles. Nur Döner und Weißbrot gingen immer, sie hat mich also auch gelehrt, dass nicht nur Bällebäder, sondern auch Futter geprägt wird. Ich ­lernte mit den ­Jahren, dass ich sie beim Spazier­gang nie aus den Augen lassen durfte, wollte ich nicht riskieren, dass sie als „armer, seit Wochen einsam herumstreunender Hund“ von wohl­meinenden Tierschützern „gerettet“ und ins Tierheim verfrachtet wurde. Zum Glück blieb sie bis ans Ende ihrer Tage sehr menschenscheu …

Großartig und unvergessen bleibt auch das Drama im Bus, als ich von einem älteren Ehepaar mit dickem Dackel an der Leine wüst als Tierquälerin beschimpft wurde, die ihrem Hund nicht einmal was zu essen gibt. Alle Erklärungen, dass dieser Hund nun einmal anorektisch sei, wie der medizinische Fachausdruck lautet, verhallten zwischen den Sitzen. Die gesamte Besatzung des Busses war gegen uns aufgebracht, und sofort wurden Vermutungen angestellt, dass der Hund dann krank sein müsse und ich trotzdem eine Tierquälerin sei, weil ich ihn nicht zum Tierarzt bringe. Erst meine Ansage „ich bin Tierärztin, der Hund ist komplett auf den Kopf gestellt und gesund“ konnte den Mob stoppen und Schlimmeres verhindern. Die 5 Euro für Hundefutter vom älteren Ehepaar mit Dackel habe ich damals trotzdem mitgenommen. Falls sie es dem Dackel dafür von der Ration abgezogen haben, läuft das unter „gute Tat“, falls nicht, unter „Schadenersatz“. Wahrscheinlich ist so eine Reaktion bei einem Hund von Schäferhundgröße mit einem Kampfgewicht von gerade mal 11 kg auch nicht weiter ver­wunderlich, aber Günes’ kaputte Gelenke waren sicherlich froh über ihr Federgewicht.

Sie machte mir auch klar, dass Angst und Stress im Kopf stattfinden und es nichts gibt, wovor hund nicht Angst haben kann. Denn eine weitere Bedrohung suchte den Autisticus ­allmorgendlich heim. Es war ihr täg­liches Yoga-Ritual, jeden Tag mit ausgiebigen Streckübungen zu beginnen, wenn sie sich denn endlich mal dazu durchgerungen hatte die Couch zu verlassen. Einer Katze gleich wurde der Autisticus dann fast drei Meter lang, und jeden Morgen entwich ihrem Popöchen dabei ein ganz leises „Pffffffft“. Der Sonnengruß war vorgestern, der Pupsgruß war gestern … Jeden Morgen nahm das Schauspiel dann seinen Lauf: sie erschrak sich so furchtbar vor sich selbst, dass sie – die Rute zwischen die Beine geklemmt – entsetzt in die nächste Zimmerecke rannte, um von dort aus ­misstrauisch jeden Winkel des Zimmers zu be­äugen. Danach wurde wieder der Himmel abgesucht.

Eine andere unvergessene Geschichte war die Sache mit dem Kaugummi. Damals verschwor sich nämlich nicht nur die ganze Welt, sondern auch der Himmel gegen sie. An diesem Tag war das Dönertierchen arglos an der Isar unterwegs, als sie plötzlich aus heiterem Himmel (nein, der böse Himmel schon wieder!) anfing, wie am (Döner-) Spieß zu schreien und völlig hysterisch durch die Gegend zu rennen. Alle Versuche sie einzufangen scheiterten kläglich, Günes war so sehr durch den Wind, als wäre ihr soeben der Himmel persönlich erschienen. Langsam kam auch in mir die Panik hoch, denn es hörte sich an, als befände sie sich gerade im Todeskampf. Es blieb mir aber nichts anderes übrig, als den gesitteten Rückzug nach Hause anzutreten, in der Hoffnung, dass sie mir folgen würde, um in Ruhe auf der Couch zu sterben. Nach gefühlten Stunden wurde es dem Dönertier draußen tatsächlich zu bedrohlich, weil sich inzwischen besorgte Menschenmassen eingefunden hatten, die sich dieses Naturschauspiel nicht entgehen lassen wollten. Zu Hause war es dann endlich möglich, das Dönertier, das inzwischen nur noch leise vor sich hin wimmerte, eingehend zu untersuchen – um festzustellen, dass ihm ein KAUGUMMI zwischen den Ballen klebte! Der Canis Autisticus fühlte sich nach dieser prägenden Erfahrung übrigens in seinem prinzipiellen Misstrauen gegen die Welt, Kaugummis im Speziellen und Himmel im Allgemeinen bestätigt.

Ein Sprachgenie
Absolut faszinierend war ihre deutliche Kommunikation – sie ließ sich lesen wie ein offenes Buch. Ein Lehrbuch! Kein Hund diskutierte mit ihr, obwohl sie niemals einem anderen Hund ein Haar gekrümmt hat. Na ja, kein Hund außer Beagle Meier. Meier fragt ja immer gerne nochmal nach … In der Regel genügte aber die Anwesenheit des Dönertierchens, notfalls auch mal „der Blick“, verbunden mit etwas Nasenrückengymnastik, und andere Hunde standen in der Ecke und waren froh, wenn sie noch atmen durften. Und das beherrschte sie bis ins hohe Alter, selbst als sie laut Herzbefund und Röntgenaufnahmen der Gelenke theoretisch nicht mehr hätte leben und gehen können. Aber sie lebte mit aller Entschlossenheit – was sind schon Herz- und Röntgen­be­funde?

Nicht nur ihre aggressive Kommunikation war wie aus dem Lehrbuch, auch ihre Angst und vor allem ihr Spielverhalten. Sie war nicht die große Spielerin, aber wenn, dann flogen die Pfoten und lachte das ganze Gesicht. Jeder, der sie jemals dabei beobachten ­durfte, war entzückt. Dann flog der ganze Hund in die Luft, immer den ­Pfoten nach, das Weiße blitzte aus den Augen, das lachende, hübsche Köpfchen wurde um bis zu 200° verdreht, und alleine beim Zuschauen wurde einem ganz schwindelig. Meist waren alte Plastikblumentöpfe oder Grasbüschel ihre „Opfer“, die mit filmreifen Mäuselsprüngen hingerichtet wurden. Mit fremden Hunden spielte sie selten. Zu riskant für die ­kaputten Gelenke. Dafür aber mit Andra, ­meinem alten Beaglechen, für das sie damals, als Andra mit 3 Wochen aus dem Labor zu uns kam, die Rolle der Ersatzmutter übernahm. Sie lehrte Andra auch Sozialverhalten, und das hat sie gut gemacht. Und sie lehrte Andra, was Spiel ist und welche ­Spielregeln man einhalten sollte, um keinen Ärger mit ihr zu bekommen. Jeden Abend brachten die zwei ­Seniorinnen mein Herz zum Lachen, wenn sie sich begegneten und ihr streng ritualisiertes, wildes Spiel begannen, das ca. 2 Minuten dauerte, um dann wieder für die nächsten 24 Stunden strikt getrennte Wege zu gehen.

Als Günes an Silvester vor 2 Jahren die zweite Notoperation wegen eines Darmverschlusses hatte und ich mich in Gedanken mal wieder von ihr verabschiedete, war es Andra, die bei mir alle Schleusen öffnete, weil sie mit 10 Jahren das erste Mal heulte wie ein Wolf (mit Beaglestimme), als ich ohne Günes aus der Klinik kam. Chorheulen, weil ein Rudelmitglied fehlte? Es ging jedenfalls sehr ans Herz, und wir waren alle froh, als die bereits tot Gesagte doch mal wieder quicklebendig aus der Klinik zurückkam. Irgendwie hat sie es immer wieder geschafft – woher sie die Reserven nahm, weiß ich nicht. Aber es hat sich für sie und für mich gelohnt, denn sie hatte de­finitiv Lebensqualität und verschaffte dadurch mir Lebensqualität. Ich glaube, das trifft es gut: mit einem Dönertier sein Leben zu teilen, bedeutet anstrengende Lebensqualität.

Sie war es, die mich dazu brachte, mich mit dem Verhalten von Hunden auseinanderzusetzen und mein Hobby Hund zum Beruf zu machen, als ich mich krankheitsbedingt von der Großtierpraxis verabschieden ­musste. Sie war es, die mich dazu brachte, das Schreiben zu beginnen, weil ich die Geschichten, die ich mit diesem Hund erlebte, einfach aufschreiben musste. Und sie war es auch, die mich zu meiner großen Leidenschaft, der Fotografie brachte. All das werde ich ihr nie vergessen!

Ihrem Herrchen gefolgt….
Sie hat alles richtig gemacht! Bis zum Schluss. Denn das Jahr 2013 endete für mich nicht nur wegen des Verlustes des Dönertieres in größter Trauer. Das wahre Drama ereignete sich genau 6 Wochen vorher: ich habe meine große Liebe, WUFF-Autor Uwe Borchert, völlig unerwartet verloren. Er starb in meinen Armen viel zu früh an einem Herzinfarkt. Meine Welt blieb stehen, drehte sich nicht mehr. Ein Teil von mir war mitgestorben. Halt gaben und geben mir meine Hunde, vor allem mein ­Dönertierchen wuchs in den letzten Wochen über sich hinaus. Beinahe ­ununterbrochen hüpfte sie vor mir auf und ab, ­zeigte ihr schönstes Spielgesicht und schwang die Pfoten- immer mit erwartungsvollem Blick zu mir. Auch in der größten Verzweiflung rang sie mir unter meinen Tränen noch ein Lächeln ab. Und erst wenn sie mich dann doch zum Schmunzeln gebracht hatte, machte sie ihre wohlverdiente Pause.

Ich war froh, dass sie da war, auch wenn sie mein Leben noch komplizierter machte, als es eh schon war. Denn sie war der Hund, den man nicht mal eben auf ein Seminar mitnehmen oder irgendeinem Hundesitter anvertrauen konnte. Sie hasste Autofahren, fremde Orte und Hunde waren für sie Stress, und sie ließ sich von Fremden nicht ihre Tabletten geben. Außerdem gibt man so eine Oma nicht irgendwo hin – ich zumindest nicht. Aber ich konnte auch nicht alle Seminare, von denen ich ja lebe, einfach absagen. Egal, irgendeine Lösung wäre mir sicher eingefallen.

Aber es kam anders. Freitagnacht, zwei Tage vor ihrem Tod, ­wunderte und freute ich mich, dass Günes etwas tat, was sie seit 5 Jahren nicht mehr getan hatte: sie kam zu mir ins Bett und suchte Körperkontakt. Ich dachte mir nichts dabei. Am nächsten Tag war sie gut drauf und fraß abends so gut und viel, wie lange nicht mehr. Danach versuchten wir alle zu schlafen, Günes gelang es. Gegen 1 Uhr nachts stand sie auf, torkelte etwas und setzte unkontrolliert Kot ab. Sie wollte raus und ich ließ sie in den Garten und wunderte mich, dass sie nicht wiederkam. In dieser Nacht war es stock­duster und es dauerte, bis ich sie im Dunkeln in unserem Riesen­garten fand: sie lag unter einer Tanne und kam nicht mehr hoch. Ich trug sie rein und stellte fest, dass sie ­ziemlich blasse Schleimhäute und einen aufgetriebenen Bauch hatte. Außerdem erbrach sie. Ich fuhr sofort mit ihr zu einem Kollegen und ahnte das Schlimmste. Der Kollege beruhigte mich, nahm Blut, spritzte ihr etwas gegen die Schmerzen und gegen das Erbrechen. Er wollte sie da behalten, aber zum Glück ließ ich mich nicht darauf ein, weil ich sie genauso gut zuhause an den Tropf hängen konnte.

Es war also wieder einmal eine Nacht an Günes’ Körbchen – der Hund, die Infusion und ich. ­Regelmäßige WUFF-Leser wissen, wovon ich schreibe. Wieder eine Nacht, in der ich Abschied nahm, jedoch auch die Hoffnung hatte, dass mein Verdacht verkehrt und der Verdacht des Kollegen, es handele sich um eine Infektion, richtig sei. Totgesagte leben ja länger, wie Günes schon mehrfach bewiesen hatte … Dank der Infusion ging es ihr am nächsten Morgen wirklich etwas besser, um 8 Uhr stand ich, wie vereinbart, wieder beim Kollegen auf der Matte. Dieser war immer noch optimistisch und meinte, dass die erhöhten Leukozyten (weiße Blut­körperchen) auf eine Infektion hinweisen würden und ich sie gegen Mittag wieder anfüttern solle. Hoffnung. Und dann, kaum wieder zuhause, ein Hund, der innerhalb einer halben Stunde komplett abbaute und Schleimhäute weiß wie eine Wand hatte.

Ich hatte dem Dönertierchen schon vor 2 Jahren, nach der letzten Not-OP versprochen, dass ich ihr so etwas nicht mehr zumuten würde, sondern dass ich sie friedlich gehen lassen würde, wenn es so weit sei. Trotzdem musste jetzt eine Diagnose her, um eine Prognose zu haben und ihr unnötiges Leid zu ersparen. Also beschloss ich, in die 50 km entfernte Tierklinik, in der eine Freundin von mir arbeitet, zu fahren, um Gewissheit zu bekommen. Vorher rief ich noch bei dem Kollegen an und bat ihn, mir die Blutwerte zu mailen. Diese ließen leider keine Zweifel daran, dass Günes Blut in die Bauchhöhle verlor, was der Kollege wohl übersehen hatte. Als ich sie hoch nehmen und ins Auto tragen wollte, krampfte sie und verdrehte die Augen. Ich legte sie wieder auf den Boden und kraulte ihre Öhrchen, war sicher, dass ihr letzter Atemzug folgen würde. Als sie da lag, fiel mir auf, dass ich sie genau dort abgelegt hatte, wo exakt, auf die Minute genau, sechs Wochen vorher meine menschliche große Liebe gestorben war. Zufall? Ich weiß es nicht …

Alles richtig gemacht!
Günes kam, im Gegensatz zu Uwe, noch einmal zu sich und wir traten die letzte gemeinsame Autofahrt an. In der Klinik bestätigte der Ultraschall meine Verdachtsdiagnose: Sie hatte einen Milztumor, der gerissen war, und blutete in die Bauchhöhle ­hinein. Es war klar, dass die Zeit, nach dem Abschied von Uwe neuerlich Abschied zu nehmen, gekommen war. Ich trug sie auf eine grüne Wiese hinter der Klinik, dort bekam sie ihre letzte Spritze. Aber eigentlich hat sie sich vorher schon verabschiedet, ist schmerzfrei eingeschlafen. Ich bin überzeugt davon, dass sie wusste, dass ihre Zeit gekommen war! Denn dieser Hund war nur so entspannt, wenn er die Situation einschätzen und sich nicht fürchten musste. Meine letzten Worte waren „Grüß mir Uwe und pass auf Euch beide auf, mein ­einzigartiges Dönertierchen!“.

Sie hat alles richtig gemacht! Sie hat mir noch zuhause die Möglichkeit gegeben, das vor 6 Wochen Erlebte und Traumatisierende noch einmal zu erfahren, diesmal aber ohne Notarzt, Sanitäter und Polizei in meinem Wohnzimmer, ohne die quälende Roboterstimme des halbautoma­tischen Defibrillators, ohne zwei ­quälende Stunden voller Hoffnung und Verzweiflung während der Reanimation. Dafür mit der Möglichkeit, mich in Ruhe zu verabschieden, und diesmal ein friedliches und nicht ein schreckliches Ende zu erleben. Ein schönes Ende eines langen und erfüllten Hunde­lebens, denn sie ist nicht zu früh gegangen, sondern hat sämtlichen Prognosen bezüglich ihrer Lebenserwartung den Stinkefinger gezeigt. Auch wenn durch diesen ­neuerlichen „Lebens-Abschnitt“ wieder Wunden bei mir aufgerissen wurden, bin ich ihr jetzt, ein paar Wochen später, sehr dankbar dafür.

Sie hat alles richtig gemacht! Sie war da, als ich sie dringend brauchte, und hat ihre Koffer gepackt, als mein Leben mit ihr sehr kompliziert geworden wäre. Vielleicht wusste sie das? Sie hat alles richtig gemacht! Sie hat sich den Silvesterstress und einen grausamen Tumor-Tod erspart. Uwe ist viele hundert Kilometer von mir entfernt begraben, Günes liegt jetzt im Garten. Durch sie habe ich jetzt einen Ort, an dem ich beider ge­denken kann. Bevor ich sie be­graben habe, durfte sich natürlich auch der Rest der Meute verabschieden und hat das auch getan. Andra trauerte ein paar Tage um ihre alte Freundin, inzwischen hat sie sich aber wieder gefangen. Hunde sind im Umgang mit dem Tod sehr zu beneiden, habe ich gelernt. Denn auch als Uwe starb, haben sich die Hunde verabschiedet. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie sie, sanft mit der Rute wedelnd, vor Uwe standen und nach ca. einer halben Minute einfach gegangen sind. Bis auf einen – Uwes Seelenhund Meier, der sich noch 5 Minuten zu seinem toten Herrchen legte, wie er das auch nachts im Bett immer getan hat. Danach ist auch Meier gegangen und alles war erledigt. Einmal abgeschüttelt, und das Leben geht weiter.

Ich bin sicher, dass sie Bescheid ­wussten, denn anders als sonst, wenn einer von uns nicht da war, waren sie nicht in ständiger Erwartungshaltung des Wiederheimkommens, nicht in Alarmbereitschaft und nicht bei jedem Geräusch am Bellen. Für sie war es klar, dass er nicht wieder kommt, da bin ich sicher. Für sie ging es danach nur um mich, darum, ihr Frauchen, das so traurig war, aufzumuntern. Jeder auf seine Art. Von Günes und ihren Tänzen habe ich ja bereits berichtet; Andra sucht meine Nähe, was sie normal selten tut; Piccolo ist sehr besorgt und wachsam, weicht mir kaum von der Seite und lässt mich nicht aus den Augen. Und Meier, ja, Meier sitzt seither täglich auf Uwes Stuhl und schaut mich mit allwissenden Augen an … Schmitti, den kleinen Beagle, habe ich mit sehr schwerem Herzen (wieder ein Abschied) abgegeben, weil ich mich derzeit nicht in der Lage sehe, einem pubertierenden Jungspund gerecht zu werden. Und Tristan, Uwes Riesenschnauzer, starb 2 Monate vor seinem Herrchen an Lymphdrüsenkrebs. Von acht auf vier in nur 4 Monaten – es ist viel passiert.

Günes fehlt, aber man kann nicht mehr als 100 % traurig sein. Sie ist „nur“ ein Hund, ein Lebensabschnittsgefährte, bei dessen Einzug mir schon klar war, dass sie irgendwann vor mir gehen wird – wenn alles richtig läuft. Ein Hund, dem ich für Vieles dankbar bin, auch für seinen friedlichen Tod. Günes hat mich letztes Jahr über Weihnachten getragen, auch wenn sie sich bereits am Sonntag vor Weihnachten verabschiedet hat. So schwer mir der Glaube an ein Leben nach dem Tod fällt: dieses schreckliche erste Weihnachten alleine habe ich nur überstanden, weil mich der Gedanke getröstet hat, dass sie jetzt vielleicht doch irgendwo bei Uwe unterm Tisch liegt und er zu Weihnachten einen Teil meines Lebens, einen Teil von mir bekommen hat. Welch’ schönes Weihnachtsgeschenk, welch’ schöne Vorstellung!

Dafür, und für alles andere, was Du mir gegeben hast, danke ich Dir, Du zauberhaftes kleines Dönertierchen! Ich werde Dich nie vergessen. Und ich hoffe, dass es dort, wo Du jetzt bist, keine Himmel gibt, die unschuldigen Hunden auf den Kopf fallen, aber dafür Bäume, auf denen Döner ­wachsen. Du hast alles richtig gemacht …

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