Der Kastrationswahn greift allgegenwärtig um sich – ganz besonders ausgeprägt im Tierschutz. Tierarzt Ralph Rückert nennt es konkret „zwanghafte und pauschale Verstümmelung von Tierschutzhunden durch eine medizinisch nicht zu rechtfertigende Kastration“. Doch lesen Sie selbst …
Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass ich in letzter Zeit immer öfter mal Hunde aus dem Tierschutz vorgestellt bekomme, die nicht kastriert worden sind. „Immer öfter mal“ ist mir aber noch lange nicht genug. Die zwanghafte und pauschale Verstümmelung von Tierschutzhunden durch eine medizinisch nicht zu rechtfertigende Kastration passt meiner Meinung nach nicht mehr in die heutige Zeit und sollte komplett aufgegeben oder sogar verboten werden.
Leider sehe ich nach wie vor viel zu viele Tierschutzhunde, die – oft in einem skandalös jugendlichen Alter – ohne jede medizinische Indikation kastriert worden sind oder deren Besitzer einen (rechtlich gesehen sehr zweifelhaften oder ungültigen!) Übernahmevertrag vorweisen, der sie unter Androhung von Sanktionen dazu verpflichten soll, diesen Eingriff bei ihrem schon übernommenen Tier durchführen zu lassen.
Die Argumente aus dem Tierschutz sind immer die gleichen, werden aber durch die gebetsmühlenhafte Wiederholung auch nicht stichhaltiger. Man will der „unkontrollierten Fortpflanzung“ einen Riegel vorschieben und beruft sich dabei auch noch in einer reichlich schrägen Denkweise auf die in Paragraf 6 des Tierschutzgesetzes genannten Ausnahmen zum Amputations- und Organentnahme-Verbot.
Das halte ich für inakzeptabel. Wir haben hierzulande kein pauschales Problem mit unkontrollierter Fortpflanzung von Hunden, weil den meisten mit Vernunft gesegneten Hundehaltern völlig klar ist, was das geringste und für den betreffenden Hund unschädlichste Mittel der Fortpflanzungsverhinderung ist, nämlich Kontrolle über das Tier zu jedem gegebenen Zeitpunkt, was ja auch aus anderen Gründen vom Gesetzgeber und den Mitbürgern mit Recht erwartet wird.
Das Standard-Gegenargument: „Es gibt Hundehalter, die eben nicht mit Vernunft gesegnet sind, und wir Tierschützer dürfen uns um den ungewollten Nachwuchs kümmern, den deren Hunde dann produzieren“. Davon abgesehen, dass eine wegen des Fehlverhaltens einiger weniger Mitmenschen durchgezogene Pauschal-Kastrations-Politik eine ausgesprochen besserwisserische Bevormundung der Mehrheit der Vernünftigen darstellt und nach meinem Dafürhalten auch durchaus zu einer Verminderung der Vermittlungsquoten führen könnte: Wenn es einem mit dieser Argumentation ernst ist, dann wäre die Sterilisation von zu vermittelnden Hunden immer noch der chirurgische Eingriff, der für die Tiere den viel geringeren Schaden als die Kastration bedeutet, den beabsichtigten Zweck dabei aber voll und ganz erfüllt.
Um einer durch den populären Sprachgebrauch entstehenden Begriffsverwirrung vorzubeugen: Eine Kastration ist das Entfernen der Keimdrüsen (Eierstöcke oder Hoden) aus dem Körper. Eine Sterilisation ist die Unterbrechung des Samen- oder Eileiters ohne Entfernung der Keimdrüsen. Der Patient ist also nach einer Sterilisation zwar fortpflanzungsunfähig, bleibt aber ansonsten in jeder Hinsicht weiblich bzw. männlich, weil die hormonproduzierenden Keimdrüsen nach wie vor ihrer so wichtigen Tätigkeit nachgehen.
All die negativen Auswirkungen einer (eventuell gar noch viel zu frühen) Kastration, vor denen (zum Beispiel und unter anderen!) Prof. Wehrend, Sophie Strodtbeck, Udo Gansloßer und ich warnen (Links siehe Kasten), werden durch eine Sterilisation verhindert. Der Eingriff ist sowohl bei der Hündin als auch beim Rüden nicht schwieriger und keineswegs riskanter als eine Kastration, allenfalls ein wenig fummliger. Auch wird die Möglichkeit einer später eventuell aus medizinischen Gründen notwendig werdenden Kastration in keinster Weise beeinträchtigt. Selbst zur Populationskontrolle in den bekannten „Straßenhunde-Krisenländern“ wäre die Sterilisation der Kastration klar überlegen.
Deshalb mein dringender Appell an die Adresse der Tierschutz-Organisationen, die nach wie vor meinen, auf einer Kastration bestehen zu müssen: Wenn es wirklich und aufrichtig nur um die Verhinderung unerwünschten Nachwuchses geht und nicht – wie ich manchmal das Gefühl habe – um eine hysterisch-puritanische „Eier-Weg-Und-Gut-Isses-Zwangshandlung“, dann ist die Sterilisation ganz klar der einzig richtige und tierschutzkonforme Weg.
Allerdings: Noch lieber wäre mir natürlich, man würde der Vernunft der überwältigenden Mehrheit der Hundehalter vertrauen und erst gar nicht irgendwie an den Tieren rumschnippeln, zumindest nicht hierzulande, wo es dafür keine echte Notwendigkeit gibt. Eine einzige Ausnahme lasse ich gerne gelten: Riesen-Tierheime wie die Smeura in Rumänien werden aus organisatorischen und Platz-Gründen nicht leicht auf die Kastration verzichten können.