Die Rückkehr des Werwolfes?

Von Dr. Matthias Gruber

Als Sinnbild animalischer Triebhaftigkeit und wohl auch Bosheit des Menschen faszinierte die Mär um den Werwolf schon lange die Menschen. Vor allem im Mittelalter war der Werwolfglaube in Europa weit verbreitet. Als Grundlage dafür nimmt man die germanische Vorstellung, daß die Seele während des Schlafes den menschlichen Körper verläßt und in Gestalt eines Wolfes umherzieht. Der Begriff Werwolf kommt aus dem Althochdeutschen (Wer = Mann, Mensch) und steht für „Mensch-wolf“. Dieser Werwolf soll nun angeblich nächtens durch die Straßen ziehen, Menschen beißen und töten – und dies vorwiegend zu Zeiten des Vollmondes. So spielt der Vollmond denn auch im Volksglauben eine sehr große Rolle und manche Bauern meinen noch heute, daß zu Vollmond Hunde häufiger beißen als zu anderen Zeiten.

Hundebisse bei Vollmond
Dieser Frage ging der Leiter der Notfallambulanz des Bradford Royal Krankenhauses in England, Dr. Bhattacharjee, nach und untersuchte die These, ob Vollmond einen Einfluß auf die Häufigkeit von Bißverletzungen durch Tiere habe. Bhattacharjee konnte 1621 Beißverletzungen aufarbeiten, die innerhalb von drei Jahren (1997-1999) dokumentiert wurden, davon 95% durch Hunde, der Rest durch Katzen, Pferde und andere Tiere. In den Untersuchungszeitraum fielen 37 Vollmonde. Dr. Bhattacharjee kam in seinen Auswertungen zum Ergebnis, daß signifikant häufiger am oder um den Zeitpunkt des Vollmondes Patienten wegen Beißverletzungen durch Tiere seine Ambulanz aufgesucht haben.
Gibt es ihn also doch, den Werwolf, der in der Nacht des Vollmondes die Menschen beißt? Professor Simon Chapman von der Universität Sydney (Australien) verneint im Gegensatz zu seinem englischen Kollegen diese These. Denn auch er untersuchte eine Anzahl der Patienten, die zwischen Juni 1997 und Juni 1998 wegen eines Hundebisses ein öffentliches Krankenhaus in Australien aufgesucht haben. Zum Unterschied von Dr. Bhattacharjee, der nur die Angaben seiner eigenen Ambulanz auswertete, umfaßte die Studie des australischen Professors hingegen alle öffentlichen Krankenhäuser seines Kontinents. Im untersuchten Jahr kam er auf 1671 gemeldete Hundebißverletzungen. Auch Professor Chapman verglich nun den Zeitpunkt jeder Bißverletzung mit dem Mondzyklus, insbesondere dem Vollmond. Und sein Ergebnis steht konträr zu dem des englischen Arztes: „In Australien besteht keine positive Korrelation zwischen dem Vollmond und der Zahl an Verletzungen durch Hundebisse, die in Krankenhäusern behandelt wurden.“ Gibt es den Werwolf also nur in Europa und nicht in Australien? Oder wirkt der Vollmond in Australien weniger stark als bei uns? Oder stimmt einfach eine der beiden Studien nicht?

Bei Vollmond närrischer?
Der Einfluß des Vollmondes auf unser Leben ist ja nicht neu, auch nicht für die Wissenschaft. So hat man bereits den Einfluß des Mondes auf psychiatrische Erkrankungen, auf Selbstmordversuche, Autounfälle oder Notaufnahmen in Spitälern untersucht. Allerdings konnte nie wirklich ein statistisch relevanter Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und dem Vollmond hergestellt werden. Allein, der Volksglaube ist hartnäckig und wie oft haben Sie schon gehört oder selbst gemeint, daß bei Vollmond die Menschen „etwas närrischer“ seien, als sonst.
Das gegensätzliche Ergebnis der beiden Hundebiß-Studien bleibt indes problematisch. Blicken wir zunächst näher auf beide Untersuchungen. Geht man davon aus, daß beide Untersucher seriös wissenschaftlich gearbeitet haben, fallen doch einige Unterschiede im Studiendesign auf, welche zum Teil die Differenz erklären könnten. Hat beispielsweise Prof. Chapman Beißverletzungen nur exakt am Tag des Vollmondes als „Vollmondbiß“ akzeptiert, läßt Dr. Bhattacharjee hingegen mehrere Tage zu („am oder um den Tag des Vollmondes“). Aus diesem Grund dürfte die Frage, ob Hunde zu Vollmond häufiger beißen als zu anderen Phasen des Mondzyklus, von Prof. Chapman zumindest exakter untersucht und mit nein beantwortet worden sein, als vom Leiter der Notfallambulanz in Bradford, der den Zeitpunkt des Vollmondes mit einer Dreitagesperiode ansetzt.

Vom Menschen hängt’s ab
Bemerkenswert hingegen ein weiteres Studienergebnis des australischen Professors: „Vermehrt treten Beißverletzungen zu Weihnachten und zu Silvester auf, unabhängig vom Mondzyklus.“ Dies läßt zumindest eine interessante Korrelation zu Beißhäufigkeit und Verhalten des Menschen zu. Denn es sind ja nicht die Hunde, die zu den großen Festtagen ihr Verhalten ändern, als vielmehr die Menschen. Hundebisse also durch vemehrt unvorsichtiges (oder alkoholisiert aggressives?) Verhalten des Menschen zu Zeiten statistisch signifikant erhöhten Alkoholkonsums?
Ein Spezialist auf dem Gebiet der Epidemiologie (Wissenschaft, die sich u.a. mit der Verbreitung von Erkrankungen befaßt), Dr. David Dassey aus Los Angeles, betrachtet die Studie von Dr. Bhattacharjee ebenfalls mit kritischen Augen und fragt: „Wessen Verhalten wird eigentlich durch den Vollmond beeinflußt?“ Die Studie demonstriere seiner Meinung nach nicht eine Assoziation zwischen dem Mondzyklus und der Beißneigung von Tieren, sondern sage wissenschaftlich lediglich aus, daß Menschen um den Vollmond häufiger eine Bißverletzung erleiden. Dies könne aber durch das geänderte Verhalten des Menschen (und nicht des Hundes) an Vollmonden verursacht sein. Über den Einfluß des Mondes auf hundliches Verhalten sei mit der Studie des Engländers nichts bewiesen.
Wie auch immer, das Resumee aus der Geschichte scheint ein doppeltes zu sein: Erstens, sei vorsichtig bei Statistiken und den wissenschaftlichen Schlüssen daraus, und zweitens, das Problem scheint doch in erster Linie der Mensch zu sein. Und die Frage nach dem Werwolf muß offen bleiben …

>>> WUFF – INFORMATION

Beide erwähnten wissenschaftlichen Arbeiten wurden im British Medical Journal veröffentlicht.

• Do animals bite more frequent during a full moon? Retrospective observational analysis. Chanchal Bhattacharjee, Peter Bradley, Matt Smith, Andrew Scally, Bradley Wilson. (BMJ 2000;321:1559-1561).
• Barking mad? Another lunatic hypothesis bites the dust. Simon Chapman, Stephen Morrell. (BMJ 2000;321:1561-1563)

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