Fast jeder Hundehalter ist vertraut mit Anekdoten über die unglaublichen Leistungen, zu denen die Nasen unserer vierbeinigen Freunde fähig sind. Das Internet ist voll mit Geschichten verbunden mit dem unglaublichen Geruchssinn von Hunden und jeder von uns hat schon von Heldentaten gehört, welche diensthabende Servicehunde – egal ob Drogenspürhunde, Leichenspürhunde oder Hunde im Katastrophenschutz und Rettungseinsatz – fast täglich vollbringen. Einige Hunde sollen sogar in der Lage sein, bestimmte Krankheiten oder Tumore zu erschnüffeln. Doch angesichts all dieser Einsatzmöglichkeiten im Dienst der Menschen und der fantastischen Erkenntnisse rund um die Mechanik des Riechorgans wissen wir noch erstaunlich wenig darüber, wie die Hundenase eigentlich funktioniert und welche Vorgänge beim Erschnüffeln unterschiedlichster Gerüche im Gehirn ablaufen.
Das Innere von Hundenasen verfügt über Millionen von winzigen Kapillaren, welche zu einem hypersensiblen Geruchssinn führen. Da die Kapillaren eine solch große Fläche bedecken, sind Hunde in der Lage, Gerüche auch in minimalen Konzentrationen wahrzunehmen. Diese Eigenschaft haben sich Menschen schon in grauer Vorzeit, zum Beispiel beim Jagen, zu eigen gemacht. Die Leistung der Hundenasen und die Bewunderung seitens uns Zweibeinern ist sogar so groß, dass nicht erst seit gestern Versuche unternommen werden, die Riechkolben von Hunden künstlich nachzuahmen. So hat die Universität von Santa Barbara in den USA beispielsweise einen Sensor entwickelt, der in Zukunft unter Umständen vierbeinige Spürnasen an Flughäfen etc. arbeitslos machen könnte. Zur Entwicklung dieses Sensors, sowie bei ähnlichen Projekten, wurde die Hundenase zum Vorbild genommen.
Ball oder Plüschtier – Wissen Hunde, was sie riechen?
Man ist sich also einig – unter Laien und Fachleuten – dass die superkomplexe Hundenase Erstaunliches zu leisten vermag. Doch neben den technischen und biologischen Feinheiten ist vor allem ungeklärt, wie Geruchsinformationen im Hundehirn eigentlich verarbeitet werden. Wie die Hunde ihren außergewöhnlichen Geruchssinn einsetzen und wie dies ihre Wahrnehmung beeinflusst, gehört auch heute noch zu den großen Mysterien der Wissenschaft. Eine neue Studie, veröffentlicht im Journal of Comparative Psychology, kratzte nun an dieser Oberfläche und beschäftigte sich eingehender mit der Frage, ob Hunde eigentlich „wissen“, was sie riechen.
Ziel der Studie war eine Untersuchung der kognitiven Leistung von Hunden beim Verfolgen einer Geruchsspur. Zu diesem Zweck führte die Studiengruppe des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte einen bisher einzigartigen Versuchsaufbau durch: Zunächst wurden jeweils zwei Spielzeuge ermittelt, welche die Hunde gerne apportierten. Bei den „Versuchskaninchen“ handelte es sich insgesamt um 48 Hunde, von denen 25 eine Ausbildung als Polizei- oder Rettungshund hatten, während die restlichen 23 Hunde normale Familienhunde waren. Mit einem der beiden Lieblingsspielzeuge wurde dann eine Geruchsspur gelegt, welcher der Hund ohne menschliche Begleitung folgte. Am Ende der Spur, in einem separaten Raum, fanden die Hunde dann entweder das Spielzeug, mit dem die Spur gelegt worden war (Normalbedingung), oder – wider Erwarten – das andere Spielzeug (Überraschungsbedingung). Es wurden eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, die darauf abzielten, die Hunde nicht mit anderen, alten Gerüchen zu verwirren: So wurden die Spielzeuge zum Beispiel geruchsdicht verpackt und die Räumlichkeiten zwischen den Versuchsreihen gereinigt. Die Hälfte der Hunde fand nun am Ende ihrer ersten Schnüffeltour das erwartete Spielzeug vor, während die andere Hälfte unter Überraschungsbedingungen getestet wurde. Zu den Reaktionen der Hunde erklärt Studienleiterin Dr. Juliane Bräuer: „Aus meiner Erfahrung von anderen Studien hatte ich angenommen, dass die Überraschung dadurch messbar sein würde, dass sich die Hunde in der Überraschungsbedingung anders verhalten würden als in der Normalbedingung. Tatsächlich zeigten eine ganze Reihe von Hunden vor allem im ersten Testdurchgang der Überraschungsbedingung ein interessantes Verhalten, das wir als ‚Zögern‘ bezeichneten: Obwohl sie das Spielzeug offensichtlich wahrgenommen hatten, suchten sie weiter, vermutlich nach dem Spielzeug, dessen Geruchsspur sie gefolgt waren.“
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hunde, wenn sie eine Spur aufnehmen, konkrete Erwartungen mit dem Geruch, dem sie folgen, verbinden – also eine mentale Vorstellung von dem Objekt haben, das sie verfolgen. Fanden die Hunde im Versuchsaufbau nicht das erwartete Spielzeug vor, zeigten sie sich zögerlich und suchten sogar weiter anstatt das Spielzeug zu akzeptieren und damit zu spielen. Interessanterweise, so Bräuer, war der Unterschied in den Leistungen zwischen den Arbeitshunden und den Familienhunden geringer als erwartet. Zwar waren die ausgebildeten Spürhunde im ersten Durchgang erwartungsgemäß schneller, doch innerhalb weniger Durchgänge holten die Familienhunde auf und waren gleichermaßen zielstrebig bei der Sache.
Zu den Ausgängen der weiteren Durchgänge erklärt Bräuer: „Der Überraschungseffekt, also das Zögern und Weitersuchen der Hunde, reduzierte sich von Durchgang zu Durchgang. Das könnte daran liegen, dass es im Raum trotz Säuberung noch nach den Spielzeugen der vorangegangenen Testdurchgänge roch. Oder aber es kann als Nachweis für die Lernfähigkeit unserer Hunde interpretiert werden, da die Hunde, egal welches Spielzeug sie apportiert hatten, durch Spielen belohnt wurden.“
Kein zweidimensionales Weltbild
Die Ergebnisse dieser Studie hauen Hundehalter vermutlich zunächst nicht vom Hocker, und so manch einer mag sich fragen, was denn nun so erstaunlich sein soll, da es zunächst nicht überraschend scheint, dass die Hunde nach dem Spielzeug suchten, dessen Spur sie aufgenommen hatten, und sich irritiert zeigten, wenn sie dieses am Ende nicht vorfanden.
Das Sensationelle an diesen Studienergebnissen liegt jedoch darin, dass erstmals unter wissenschaftlichen Bedingungen nachgewiesen werden konnte, dass Hunde Gerüche nicht einfach – wie wir Menschen – in zwei Kategorien einordnen. Zur Verdeutlichung lohnt sich an dieser Stelle ein kleines Experiment: Schließen Sie Ihre Augen und versuchen Sie Ihre direkte Umwelt ausschließlich über Gerüche wahrzunehmen! Sie könnten nun Gerüche wie frisch gebackenes Brot, gewaschene Wäsche oder vielleicht auch alte Socken oder den längst überfälligen Küchenabfall wahrnehmen. Doch wie ordnen Menschen diese Gerüche ein? Der erste Impuls bei uns Zweibeinern liegt meist darin, Gerüche in eine von zwei Kategorien einzuordnen: gut oder schlecht. Uns fehlt einfach das olfaktorische Vokabular, um Gerüche differenzierter zu klassifizieren. Dies verdanken wir dem Umstand, dass wir unsere Umwelt zum größten Teil visuell, also über die Augen, wahrnehmen. Für fast alles, das wir auf diese Weise wahrnehmen, haben wir ein Vokabular – wir kategorisieren visuelle Stimuli nicht nur in „gut“ und „schlecht“.
Hunde nehmen ihre Welt jedoch zum größten Teil über ihre Nase wahr. Um die Welt um sich herum zu verstehen, bedienen sie sich ihres Geruchssinns. „Widmet man sich also der Frage, wie Hunde ihre Umwelt verstehen,“ so Bräuer, „muss man diese Tatsache unbedingt einbeziehen.“ Dank der Studie des Teams rund um Dr. Bräuer bleibt dieses Konzept nicht länger vollkommen abstrakt und obskur, denn das Ergebnis deutet darauf hin, dass der Geruch eines Objekts nicht nur ein Stimulus für den Hund bedeutet, der im Hundehirn aufgrund von Erfahrungswerten positiv oder negativ besetzt ist, sondern dass Hunde tatsächlich differenzierter „schnüffeln“ und Gerüche mit mentalen Bildern der Objekte in Zusammenhang bringen.
Auch Professor Alexandra Horowitz, eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Hundewahrnehmungsforschung und Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema, betonte im Interview mit dem Barnard College der Columbia University in New York die Bedeutung des Geruchssinns in der kognitiven Forschung rund um den Hund: „Um die Sichtweise von Hunden zu verstehen, müssen wir die kognitiven Fähigkeiten und Wahrnehmungserfahrungen von Hunden verstehen. Da Hunde primär geruchsorientierte Wesen sind, müssen wir dazu die Welt der Gerüche verstehen.“
Für uns Zweibeiner ist es schwer vorstellbar, die Welt primär über Gerüche zu erfahren. Die Tatsache, dass Gerüche sich so anders verhalten als Licht führt zudem dazu, dass unsere visuelle Welt und die geruchsdominierte Welt der Hunde sich sehr voneinander unterscheiden dürften. Horowitz erklärt dazu: „Gerüche von Objekten und Oberflächen verbreiten sich mit unterschiedlicher Intensität, abhängig von der Zusammensetzung des Objekts, der Temperatur und dem Feuchtigkeitsgehalt des Objekts selbst und der es umgebenden Luft. Die Fußabdrücke eines Tieres an einem kalten Tag können für das menschliche Auge unsichtbar sein doch für die Hundenase sind sie noch „sichtbar“ lange nachdem das Tier verschwunden ist.“
Unentdecktes Land
Der Weg zu einem echten Einblick in die Vorgänge des Hundehirns sowie ihrer Erfahrungswelt und damit zu mehr Verständnis darüber, wie unsere Hunde „ticken“, führt also über ihre Nase. Da es sich in Bezug auf die Welt der Gerüche von menschlicher Seite aus um buchstäblich unentdecktes Land handelt, erweisen sich Studien wie die des Max-Planck-Instituts als großartiger Ausgangspunkt für weitere Forschungsreisen in die Wahrnehmungswelt unserer Vierbeiner.
Das nächste Mal, wenn Ihr Hund also, die Nase am Boden klebend, im Zick-Zack über ein Feld rennt oder mit Begeisterung an den Hinterlassenschaften anderer Tiere schnüffelt, rümpfen Sie nicht die Nase, sondern schließen Sie Ihre Augen und versuchen Sie sich auf die Umgebung, wie Ihr Hund sie sieht, einzulassen. Es könnte Sie eine neue, spannende Welt erwarten!
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