Die Hoffnung stirbt zuletzt: Molekulargenetik als Chance für die Zucht

Von Mag. Kerstin Piribauer

Neue Wege in der Hundezucht: Nicht mehr Championtitel, sondern möglichst optimale genetische Konstellationen bestimmen die Auswahl der Zuchtpartner. Die Wissenschaft arbeitet hart daran, Anlageträger für bestimmte genetische Krankheiten zu identifizieren. Ein wissenschaftlicher Förderverein stellt das Bindeglied zwischen Wissenschaft einerseits und Züchtern und Hundehaltern andererseits dar.

Nie zuvor in der Geschichte der Rassehundezucht scheint es eine so große Anzahl genetisch bedingter Erkrankungen gegeben zu haben wie heute. Ein Umstand, der sicherlich zu einem kleinen Teil der verbesserten Diagnostik in der Veterinärmedizin zuzuschreiben ist, der aber in viel größerem Ausmaß auch und vor allem die Quittung für Fehlentwicklungen in der Rassehundezucht der letzten Jahrzehnte darstellt, sei es ein beständiges Ansteigen des Inzuchtniveaus, sei es das viel diskutierte „Popular-Sires-Syndrom“ (Anm.: Anstieg des Inzuchtniveaus und Verlust an genetischer Vielfalt durch häufige Verwendung weniger – prämierter – Deckrüden) oder die primäre Zuchtorientierung an Ausstellungserfolgen.

Genforschung: Das Glück im Unglück?
Immer wieder weisen Mediziner und Genetiker auf die brisante Situation hin, und angesichts mancher Probleme scheinen Zweifel durchaus berechtigt, dass ein Umdenken in diesen Kategorien alleine schon ausreicht, die Situation zu verbessern. So mag es denn schon beinahe ein Glück im Unglück sein, dass die Probleme der Rassehundezucht ausgerechnet in einer Zeit kulminieren, in der die Genforschung den Züchtern zunehmend Lösungsansätze und -möglichkeiten an die Hand geben kann.

Als im Jahr 2005 das Genom des Hundes an einer Boxerhündin namens Tasha entschlüsselt wurde, bedeutete dies eine Revolution für die Kynologie und das Zuchtgeschehen, deren Ausmaß auch heute, fünf Jahre später, erst ansatzweise zu überblicken ist. Nicht nur die vergleichende Krebsforschung für Tier und Mensch, wie sie an der Veterinärmedizinischen und der Medizinischen Universität Wien praktiziert wird (www.rote-pfote.at), basiert in weiten Teilen auf diesen Erkenntnissen, sondern insbesondere die Entwicklung genetischer Testverfahren. Merkmalsträger als auch Anlageträger für bestimmte Krankheiten im optimalen Fall zweifelsfrei identifizieren zu können wäre ohne diese bahnbrechenden Meilensteine undenkbar.

Von der Heil- zur Vorbeuge-Medizin
So ist es letztlich dem Forscherteam rund um die Boxerhündin Tasha zu verdanken, dass auch die Tiermedizin den Schritt der Humanmedizin langsam nachvollziehen kann, von der primär klinischen und kurativen Medizin hin zu einer Präventivmedizin, einer vorbeugenden Auseinandersetzung mit Krankheiten, zu gelangen.

„Die Medizin hat sich von der Pathologie ausgehend immer weiter entwickelt. Im Mittelalter war die Diagnose nur am Toten möglich, dann kam die klinische Medizin, die am lebenden Menschen eine Diagnose stellen und entsprechend behandeln kann. Jetzt sind wir auf dem Weg, die Diagnose so früh wie möglich zu stellen. Unmengen Geld fließen in Präventionsmaßnahmen. Wir machen in der Genforschung genau das gleiche. Wir schauen die genetische Konstellation an, um eine möglichst frühe Vorhersage machen zu können, was passieren kann,“ erläutert Prof. Ottmar Distl von der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der mit der Entwicklung der genomischen Zuchtwertschätzung einen der derzeit wichtigsten Beiträge zur veterinärmedizinischen Genforschung leitet. Insbesondere im Hinblick auf die HD (Hüftgelenks dysplasie) ist das Projekt bereits weit vorangeschritten, sagt Prof. Distl: „Man kann mit dieser Methode einen Zuchtfortschritt erreichen und HD leichter bekämpfen als bisher. Sicherlich ist die Zucht in Zukunft besser planbar. Der Test kann das individuelle HD-Risiko der Elterntiere angeben, und somit kennt man dann deren wichtigste Erbanlagen für HD. Anhand dieser Information lässt sich das mittlere Risiko für die Nachkommen bestimmen und sagen, wie groß das höchste und geringste Risiko für die Nachkommen aus dieser Verpaarung sein wird. Wenn beide Elterntiere nur mehr wenige Genvarianten tragen, die zur HD beitragen, dann ist das Risiko für HD bei den Nachkommen gering und kann, je nach Zuchtfortschritt und Partnerkombination, auch nahe gegen Null gehen.“

Krankheitsrisiko bei Verpaarungen minimieren
Dem vielbenutzten Züchterargument, was mit eindeutig belasteten Welpen passieren solle, begegnet Prof. Distl so: „Was kann mir denn Besseres passieren als den Welpenkäufern schwarz auf weiß zu zeigen, dass meine Welpen ein geringes Krankheitsrisiko haben? Wovor sollte man Angst haben? Dass sich die Zucht in einigen Fällen neu sortieren wird, stellt für die betroffene Rasse mit Sicherheit kein Problem dar. Mit dieser genetischen Untersuchungsmethode kann man die Elterntiere wesentlich besser einstufen und errechnen, in welcher Größenordnung die genetische Belastung und das Krankheitsrisiko der Welpen liegen werden.“ Das Risiko sei vorhersagbar, so Prof. Distl, und so könne man Paarungen mit hohem Risiko problemlos vermeiden.

Auch Prof. Irene Sommerfeld-Stur von der Veterinärmedizinischen Universität Wien betont die Unverzichtbarkeit, molekulargenetische Selektionsansätze und -möglichkeiten in der Rassehundezucht einzusetzen: „Zuchtstrategien sollten unter Ausnutzung aktueller Erkenntnisse und neuer Entwicklungen im Bereich der Populationsgenetik sowie im Bereich der Molekulargenetik erarbeitet und bei Bedarf angepasst werden.“ Gleichzeitig aber warnt die Wissenschaftlerin aus Wien vor voreiliger Euphorie und vor zu schnellem Verzicht auf die bewährte Praxis populationsgenetischer Selektion. „Qualität und Aussagekraft eines Gentests hängen von vielerlei Faktoren ab. Eine wirklich sichere Methodik ist der direkte Nachweis eines defekten Einzelgens bei monogenen Erkrankungen. Problematischer sind z.B. Kopplungsmarker, das sind DNA-Abschnitte, die mit Defektgenen gekoppelt sind. Hier ist die Aussagekraft eines Tests umso größer, je näher der Marker am eigentlichen Defektgen sitzt. Vergrößert sich dieser Abstand, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Rekombinationsereignissen, d.h. es kann vermehrt zu falsch positiven oder falsch negativen Befunden kommen.“

Die Zeit bleibt nicht stehen!
Bevor ein Gentest mit entsprechender Aussagesicherheit und Validität vorliegt, vergehen lange Jahre einer zeit- und kostenintensiven Forschung. Daneben stehen organisatorische Probleme sowie Zuchtverbände, die nicht selten kein gesteigertes Engagement in diese Fragen und Entwicklungen investieren. Trotzdem: Die Zeit bleibt nicht stehen. Ohne Visionen kein Fortschritt! Ohne den Mut, neue Wege zu gehen und diese auch mitzugestalten, keine Zukunft. Hier sind die Züchter gefragt, aber auch jeder Besitzer eines Rassehundes, sei er nun von einer Krankheit betroffen oder nicht, derartige Studien zu unterstützen und durch seine Teilnahme den Boden für eine gesündere Rassehundezucht zu bereiten.

Jeder Einzelne kann mitwirken, und neben den Züchtern sollten sich auch Hundebesitzer und Welpenkäufer ihrer Mitverantwortung in diesem Bereich bewusst sein und sich mit ihren vierbeinigen Freunden an den entsprechenden Studien beteiligen. Natürlich ist es nicht gerade einfach, sich im Dschungel der verschiedenen internationalen Forschungsinstitutionen und deren Projekten zurechtzufinden. Problematisch auch, dass beispielsweise an vielen Universitäten an den gleichen Erkrankungen geforscht wird, ohne dass eine wirkliche Kommunikation, ein Austausch zwischen den Wissenschaftlern besteht.

Belastend für das Tier und kostenintensiv der Umstand, dass für jeden Test, an dem ein Züchter oder Tierbesitzer teilnehmen möchte, bisher eine eigene Blutprobe, manchmal auch Speichelprobe, erforderlich war bzw. ist.

Wissenschaft und Hundehalter:
Förderverein als Bindeglied Diese Kommunikation zwischen den Forschungsinstituten und betroffenen Tierbesitzern zu verbessern, ist eine der Hauptaufgaben des neu gegründeten „Fördervereins für wissenschaftliche Hundeforschung“ mit Sitz im bayerischen Neu-Ulm. Der Verein wurde nach mehrjähriger Vorarbeit im März 2010 ins Leben gerufen, versteht sich heute primär als Bindeglied zwischen Universitäten und Hundebesitzern und findet seine Aufgabe in der organisatorischen und verwaltungstechnischen Unterstützung laufender Studien zu den unterschiedlichsten Erkrankungen. In einem stetig wachsenden Netzwerk wird über laufende Projekte informiert, und Besitzer von erkrankten Tieren erhalten zudem wertvolle Hinweise auf veterinärmedizinische Spezialisten, die verbesserte Therapiemöglichkeiten auf dem neuesten Stand der Wissenschaft anbieten.

Auf die Frage nach den Intentionen für ihr Engagement berichtet die Gründerin Manuela Giuliano vom Schicksal ihres eigenen Hundes: „Mein erster Hund war eine französische Bulldogge, ein Rüde, der an Epilepsie erkrankte und nur drei Monate nach der Diagnose verstarb. Er befand sich in einem Status epilepticus, d.h. er bekam alle zehn Minuten einen Anfall. Sumo war therapieresistent, er ließ sich medikamentös nicht einstellen. Sein Züchter erklärte mir damals, dass er das zum ersten Mal höre. Später fand ich dann allerdings einige Verwandte von ihm, die auch an dieser Erkrankung gestorben sind. Leider ist idiopathische Epilepsie nur über ein sehr aufwändiges Ausschlussverfahren zu diagnostizieren, d.h. es werden alle möglichen Untersuchungen an dem betroffenen Tier vorgenommen, CT, Blut, Herz usw. Ist da alles in Ordnung, geht man von idiopathischer Epilepsie aus, die vererbbar ist. Dies alles ist ein sehr langer und läuft für das betroffene Tier die Zeit davon, und auch wir bekamen damals keine Chance mehr. Sumo wurde ins künstliche Koma gelegt, damit sich der Körper erholen konnte, aber das Herz hat es nicht geschafft. Er wurde nicht einmal drei Jahre alt.“

Manuela Giuliano begann daraufhin lange zu recherchieren, bis sie auf die Universität Bern und Prof. Tosso Leeb stieß, der an der Entwicklung eines Gentests für diese Erkrankung arbeitete. „Wenn ein derartiger Test vorliegt,“ erklärt Manuela Giuliano, „ist zum einen eine direkte und kostengünstige Diagnose der idiopathischen Epilepsie möglich, so dass man sofort mit einer Therapie beginnen kann, zum anderen ist es die Chance, diese äußerst belastende und schwere Erkrankung bereits bei der Zuchtauswahl zu bekämpfen. Meine intensive Beschäftigung mit dieser ganzen Thematik bei der französischen Bulldogge führte dann zu ersten Veröffentlichungen, und plötzlich meldeten sich viele Besitzer anderer Rassen mit ähnlicher Problematik bei mir, so dass die Studie in Bern erweitert werden konnte. Das Interesse – und leider auch der Bedarf – sind sehr groß. Aber um wirklich etwas zu erreichen, musste unsere Arbeit einen professionelleren Charakter annehmen, darum rief ich gemeinsam mit sieben weiteren Gründungsmitgliedern diesen Verein ins Leben.“

Gentests und Zuchtplanung als Beitrag zur Tiergesundheit
Prof. Tosso Leeb, Leiter des Genetischen Instituts der Universität Bern, ist heute Ehrenmitglied des Vereins und weiß die Zusammenarbeit im Interesse der Erbgesundheit unserer Rassehunde zu schätzen: „Die molekulargenetische Forschung ist dringend auf die Verfügbarkeit von Blutproben angewiesen. Die Anzahl der angebotenen Gentests steigt ständig an, und die allermeisten dieser Gentests erlauben sehr sichere Aussagen zu bestimmten Erbkrankheiten. Mit Hilfe solcher Gentests lässt sich das Auftreten monogen bedingter Erbkrankheiten reduzieren oder sogar völlig vermeiden. Daher stellen der Einsatz dieser Gentests und eine entsprechende Zuchtplanung einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Tiergesundheit dar. An der Universität Bern werden Blutproben für zukünftige Forschungsprojekte kostenlos archiviert, eine Arbeit, die auch durch den neu gegründeten Verein unterstützt wird.“

Welche Zukunftsperspektiven ergeben sich für die kommenden Jahre, die die Rassehundezucht im Umbruch zeigen? Dazu Manuela Giuliano: „Wir möchten die Entwicklung von Gentests für verschiedene Krankheiten unterstützen, indem wir durch verschiedene Veranstaltungen und eine organisatorische Unterstützung aktiv an der Beschaffung von Blutproben mitarbeiten. Zudem wäre es unser Wunsch, dass die einzelnen Zuchtverbände sich verstärkt mit den rassetypischen Dispositionskrankheiten auseinandersetzen und die Tests im Interesse gesunder Rassehunde in ihre Zuchtplanungen und -strategien integrieren.“

Beachtet man die international beständig lauter werdende Kritik von Medizinern und Genetikern an den gängigen Zuchtpraktiken, so lebt das Prinzip Hoffnung, dass für unsere Rassehunde eine Ära anbricht, in der mit Hilfe der stetig wachsenden molekulargenetischen Möglichkeiten Vernunft und Weitsicht die Zuchtentscheidungen bestimmen werden und in der nicht mehr Championtitel, sondern möglichst optimale genetische Konstellationen bzw. deren Verbesserung die Auswahl der Zuchtpartner bestimmen. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

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