„Unseren zweijährigen Rüden holten wir mit 10 Wochen von einem entlegenen Bauernhof. Dort war natürlich nicht viel los. Er kannte nichts – wir mussten ihm alles zeigen und beibringen. Das ging, abgesehen von einigen Unsicherheiten, die er noch immer hat, bis jetzt ganz gut. Doch nun nimmt seine Schreckhaftigkeit plötzlich wieder zu, vor allem bei unerwarteten Geräuschen und bei fremden Dingen, die vor ihm auftauchen. Manchmal verlässt uns bereits die Geduld, wir sind dann, wie unser Hund, ziemlich mutlos.“
Elisabeth Cech-Harrer: Sie haben offensichtlich sehr gute Arbeit geleistet, um diesen extremen Mangel an Sozialisierung wieder auszugleichen. Sozialisierung bedeutet Gewöhnung an vielfältige Elemente unserer Umwelt. Sie wird erreicht, indem man seinen Hund diesen Elementen immer wieder aussetzt – und das haben Sie sehr erfolgreich gemacht. Auch wenn Ihr Hund jetzt wieder vermehrte Ängstlichkeiten zeigt, haben Sie trotz allem einen recht „tapferen Burschen“, der schon unglaublich viel gelernt hat. Das deutet auf gute, genetisch bedingte Verhaltensanlagen hin. Daher geben Sie nicht auf – doch gönnen Sie sich und auch Ihrem Hund jetzt vielleicht öfter eine „Auszeit“. Gehen Sie z.B. nur dort spazieren, wo er sich durchgehend sicher fühlt. Oder beschäftigen Sie sich vermehrt daheim mit ihm. Das bedeutet momentan einen Trainingsstillstand, aber auch gleichzeitig Erholung für Ihre Nerven.
Gewöhnung & Sensibilisierung: Die beiden Gegenspieler
Wenn Sie jedoch wieder guten Mutes sind, können Sie mit einem gezielten „Gewöhnungs-Training“ beginnen. Gewöhnung bedeutet Abstumpfung. Natürlich gewöhnt man sich an schwache Reize schneller als an starke, die Angst hervorrufen. Solche Reize können zum Gegenteil der Gewöhnung führen, zur Sensibilisierung, zum Empfindlicher-Werden. Als Beispiel dient das berühmte Schirmaufspannen. Beim ersten Mal werden viele Hunde, nicht alle, erschreckt reagieren. Einige werden sich durch Wiederholung daran gewöhnen. Für andere war der Reiz das erste Mal zu stark, sie werden bei jeder Wiederholung immer verstörter reagieren. Sie sind darauf sensibilisiert worden.
Das Fatale an einer Sensibilisierung ist, dass ein Hund oft auch gegenüber anderen Reizen empfindlicher wird. Nach dem Schreck durch den Schirm zuckt er gleich darauf bei einem lauten Geräusch nervös zusammen. Gewöhnung jedoch bezieht sich, im Unterschied dazu, nur auf einen bestimmten Reiz oder auf sehr ähnliche Reize.
Desensibilisierung: Der Schlüssel zum Erfolg
Desensibilisierung bedeutet Angstabbau durch schrittweises Steigern des Angstauslösers. Der Reiz wird anfänglich so schwach sein, dass der Hund ihn ohne Angst ertragen kann. Dann wird dieser Reiz in dem Maß verstärkt, in dem ihn der Hund gerade noch erträgt.
In unserem Schirm-Beispiel heißt das:
• Schirm liegt unaufgespannt am Boden, Hund wird hingeführt und gelobt, wenn er dieses Ding untersucht.
• Schirm liegt aufgespannt am Boden.
• Schirm wird sehr, sehr langsam, gegen den Boden gerichtet, aufgespannt und zugemacht.
• Schirm wird langsam hochgehoben, zuerst in Kniehöhe, dann in Hüfthöhe, etc. Langsam aufspannen und zumachen.
Der Hund bleibt immer eng dabei und wird voll unterstützt mit Leckerchen, Spielen, Loben – mit allen Dingen, die Fröhlichkeit signalisieren. Zeigt er eindeutig Angst, war der Schritt zu groß, und man wird in noch kleineren Schritten vorgehen. Dieses Training kann sich durchaus über mehrere Tage erstrecken. Wichtig ist, genau die Grenze des gerade noch erträglichen Reizes zu finden und die Situation mit Erfolg abzuschließen.
Wichtigstes Gebot: Niemals trösten!
Bei ängstlichem Verhalten dürfen Sie Ihren Hund unter keinen Umständen beruhigen oder trösten. Nicht mal ein sanftes „Ist alles in Ordnung“ ist erlaubt. Sanfte Stimme und Streicheleinheiten verstärken die ängstliche Stimmung Ihres Hundes. (Siehe Artikel „Stimmungsübertragung“, WUFF Ausgabe 9/2002). Fröhlichkeit ist angesagt, brechen Sie in hellen Jubel aus über dieses komische Geräusch oder dieses bedrohliche Objekt. Wir Hundebesitzer stehen sowieso in dem Ruf nicht „ganz dicht“ zu sein, also haben wir nichts mehr zu verlieren.
Angst kann aber auch verstärkt werden, wenn Sie Ihren Hund mit Gewalt zwingen, sich einer Angst auslösenden Situation zu stellen, z.B. wenn Sie ihn hinzerren oder wenn Sie schimpfen oder ungeduldig werden. Es ist nicht leicht, die Balance zu finden zwischen Überforderung und notwendigen Anforderungen an den Hund. So ist es gerade in Angst auslösenden Situationen wichtig, selbst souverän zu bleiben. Wenn Ihr Hund nicht gerade in Panik ist (und in einem solchen Fall nicht auf Sie reagiert), verlangen Sie eine kleine Abfolge von Übungen, die er gut kann. Sitz oder Platz, Pfote geben, Fußgehen, etc. Solche Übungen vermitteln ihm Gewohnheit, und dadurch verschaffen sie ihm oft Sicherheit.
Eine Tapferkeitsmedaille ist Ihnen beiden auf jeden Fall sicher!
Viel Erfolg wünscht Ihnen
Elisabeth Cech-Harrer
Leiterin des Dog·College
Hundeerziehung & Verhaltensberatung
>>> WUFF – INFORMATION
Frage & Antwort
Elisabeth Cech-Harrer ist Leiterin des Dog College Tattendorf (Niederösterreich, nahe Wien) und Expertin für Hundeerziehung & Verhaltensberatung.
Kontakt und Info: www.dogcollege.at
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