Der Hundealltag ist übersät von falschen Annahmen, Irrglauben, oder einfach Unwissenheit. Ein Hund, der mit dem Schwanz wedelt, ist nicht immer freundlich. Auch Gähnen bedeutet nicht immer Müdigkeit. Was sagen Sie dazu, wenn Sie Ihr Hund anknurrt? Darf er das und ist er jetzt aggressiv? Viele Fragen. Die 10 häufigsten Irrtümer lesen Sie in diesem Artikel von den Hundeexperten Ziemer & Falke.
Irrtum 1: Ein Hund, der mit dem Schwanz wedelt, freut sich.
Schon in jungen Jahren haben wir gelernt, dass Schwanzwedeln bei Hunden Freude ausdrückt und ein solcher Hund es gut mit uns meint. Leider stimmt dies nicht immer! Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Schwanzwedeln bei Hunden lediglich ein Zeichen von Aufregung ist – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. So wedelt ein Hund mit dem Schwanz, wenn er sich über die Rückkehr seiner Besitzer freut, aber eben auch, wenn er den Postboten am Gartenzaun verbellt. Das Schwanzwedeln kann sich in verschiedenen Situationen stark voneinander unterscheiden. So können Hunde sehr ausladend und wortwörtlich mit dem gesamten Hinterteil wedeln, zum Beispiel, wenn sie einen geliebten Menschen oder Hund begrüßen. Das Gegenteil kann man oft im Imponierverhalten gegenüber Artgenossen beobachten: Die sich imponierenden Hunde stellen die Rute steif nach oben und „wedeln“ nur mit der Spitze ein klein wenig. Schwanzwedeln ist also nicht gleich Schwanzwedeln, sondern wird von Hunden in unterschiedlichen Situationen gezielt zur Kommunikation eingesetzt. Eine Studie aus dem Jahr 2013 von Forschern der Universität Trento (Italien) fand sogar heraus, dass Hunde mit der bevorzugten Richtung ihres Schwanzwedelns etwas über ihre momentane Stimmung verraten: Ein Hund, der entspannt und freundlich gestimmt ist, wedelt mehr nach rechts, ein Hund, welcher angespannt oder ängstlich ist, dagegen mehr nach links. Nutzen Sie die nächsten Tage doch für eine kleine Feldstudie und beobachten Sie an Ihrem Hund, ob dies auch für ihn zutrifft!
Irrtum 2: Ein Hund, der gähnt, ist immer müde
Häufiges Gähnen ist ein Anzeichen von Müdigkeit – auch das lernen wir Menschen schon als Kinder. Tatsächlich kann Gähnen auch bei Hunden ein Anzeichen von Müdigkeit sein – meistens ist es jedoch das genaue Gegenteil, nämlich ein Zeichen von Stress. Gähnen ist sowohl bei Hunden als auch bei Menschen eine Reaktion auf einen Spannungswechsel im Körper. Bei Menschen ist dies der Wechsel von Spannung zu Entspannung, der uns gähnen lässt. Hunde gähnen jedoch auch im umgekehrten Fall, also wenn der Körper von der Entspannung in die Anspannung wechselt, also wenn sie sich aufregen. In diesem Fall zählt das Gähnen zu den sogenannten Übersprunghandlungen, von denen alle Hunde ein vielfältiges Repertoire besitzen. Übersprunghandlungen dienen in stressigen Situationen dazu, überschüssige Energie oder Anspannung abzubauen. Typische Übersprunghandlungen beim Hund sind zum Beispiel Bellen, Springen, in etwas Hineinbeißen, Buddeln oder Kratzen. Aber auch Gähnen oder Niesen werden als Übersprunghandlungen gezeigt. Ob es sich um eine Stressreaktion oder um „normales“ Gähnen handelt, erkennt man oft daran, dass das Gähnen hektisch wirkt, in oder kurz nach einer stressigen Situation auftritt und dabei oft auch zusammen mit anderen Stressanzeichen gezeigt wird. Wenn Ihr Hund das nächste Mal gähnt, betrachten Sie also die gesamte Situation und schauen Sie sich seine ganze Körpersprache an, um herauszufinden, ob es sich um ein Anzeichen von Stress oder eine Äußerung von Wohlbefinden handelt.
Irrtum 3: Ein Hund darf seinen Menschen niemals anknurren
Viele Hundehalter erschrecken sich sehr, wenn der eigene Hund das erste Mal knurrt. Das Knurren wird oft als Vertrauensbruch oder aber als „frech“ oder „anmaßend“ eingestuft. Tatsächlich ist Knurren aber ein ganz normaler Teil hündischer Kommunikation, ähnlich wie das Bellen und Schwanzwedeln. Knurren gehört dabei zum Aggressionsverhalten, genauer gesagt zum Drohverhalten. Hunde nutzen es, um ihrem Gegenüber eigene Bedürfnisse zu kommunizieren. Dies kann ein Bedürfnis nach mehr Abstand oder dem Unterbrechen einer bestimmten Handlung sein. Je nachdem, wie die restliche Körpersprache des Hundes aussieht, kann das Knurren eine Angriffs- oder eine Verteidigungsbereitschaft signalisieren. Bei einer Angriffsbereitschaft zeigt ein Hund eine sogenannte offensive Körpersprache: Die Ohren sind aufgestellt, der Körperschwerpunkt ist nach vorne gerichtet und der Schwanz meist aufgestellt. Fletscht der Hund zudem die Zähne, lässt sich eine eher runde, u-förmige Maulspalte erkennen. Ein Hund, der in Verbindung mit dieser Körpersprache knurrt, setzt seinem Gegenüber eine klare Grenze: „Ich will nicht, dass du näher kommst oder mit dem weitermachst, was du gerade tust.“ Möchte der Hund mit dem Knurren dagegen eine Verteidigungsbereitschaft signalisieren, fühlt er sich durch sein Gegenüber bedroht. Er zeigt eine sogenannte defensive Körpersprache: Die Ohren sind angelegt, der Körperschwerpunkt ist nach hinten verlagert und der Schwanz hängt herunter oder ist sogar eingeklemmt. Fletscht der Hund die Zähne, lässt sich eine lange, v-förmige Maulspalte erkennen. Übersetzt bedeutet ein solches Knurren: „Das, was du gerade machst, ist mir unangenehm oder macht mir Angst.“
Knurren ist also eine gesunde Kommunikation und ermöglicht dem Hund sich mitzuteilen, ohne sein Gegenüber verletzen zu müssen. Aus diesem Grund, sollten Sie Ihren Hund für ein Knurren nicht bestrafen. Er könnte sonst lernen, dass diese Art der Mitteilung nicht erwünscht ist und dann das Knurren in der nächsten Situation überspringen und es direkt mit Schnappen oder Beißen versuchen. Fragen Sie sich stattdessen, was genau Ihren Hund dazu veranlasst hat Sie anzuknurren, und überlegen Sie, wie Sie solche Situationen ohne eine Eskalation lösen können. Gerne können Sie dazu einen kompetenten Hundetrainer oder Verhaltensberater um Rat fragen, der Ihnen hilft, die Situation richtig einzuschätzen.
Irrtum 4: Wenn mein Hund beim Abruf nicht auf direktem Weg zu mir zurückkommt, ist er ungehorsam
Kennen Sie das? Sie rufen Ihren Hund zurück, doch anstatt freudig und zielstrebig auf Sie zuzulaufen, macht dieser noch einen Bogen, läuft langsam, pinkelt vielleicht sogar noch an einen Busch oder schnüffelt ausgiebig an einem Grashalm? „Was ein ungezogener Hund“, werden sie jetzt vielleicht denken. Tatsächlich ist aber nicht immer mangelnde Erziehung der Grund für die Extrarunde unserer Hunde. Viel öfter handelt es sich hier um höfliche hündische Kommunikation. „Höflich?!“ Ja, genau!
In der Hundesprache wird eine direkte Annäherung als sehr rüpelhaft und unhöflich empfunden. Es gehört deshalb zum guten Ton dazu, einen Bogen zu laufen, wenn man auf jemand anderen zugeht. Ein langsames Tempo ist dabei eine weitere Deeskalationsmaßnahme, die dem Gegenüber eine in jedem Fall friedliche Absicht signalisiert. Auch Zwischenstopps mit ausgiebigem Schnüffeln werden unter Hunden oft eingesetzt, um eine friedliche Absicht zu demonstrieren. Je konfliktreicher ein Hund eine Begegnung einschätzt, desto mehr solcher Deeskalationsmaßnahmen wird er auf seinem Weg einsetzen. Dies ist wiederum der Grund, warum Ihr Hund, je verärgerter Sie werden, noch langsamer kommt oder sogar in einiger Entfernung zu Ihnen stehenbleibt. Wenn Sie Ihren Hund das nächste Mal rufen, tun Sie dies in einer freundlichen und gelassenen Stimmung. Kommt Ihr Hund trotzdem nur zögerlich, drehen Sie sich seitlich zu ihm oder gehen Sie sogar ein paar Schritte in die andere Richtung weg. Dies wirkt Ihrerseits deeskalierend und animiert Ihren Hund, sich schneller zu nähern.
Irrtum 5: Direktes In-die-Augen-schauen wertet ein Hund immer als Bedrohung
Tatsächlich empfinden fremde Hunde ein direktes Anschauen oft als Provokation oder als sehr unangenehm und sie werden deshalb versuchen, Ihrem direkten Blick auszuweichen oder mit einem Bellen als Provokation ihrerseits reagieren. Bei dem eigenen Hund gilt diese Regel jedoch nicht so pauschal. Genau wie wir Menschen Blickkontakt von vertrauten oder sogar geliebten Personen als sehr angenehm empfinden und diesen auch einsetzen, um unsere Zuneigung auszudrücken, können auch Hunde ihre Verbindung zu „ihrem“ Menschen über Blickkontakt zeigen. Forscher haben herausgefunden, dass bei direktem Blickkontakt mit ihrem Besitzer oder ihrer Besitzerin Hunde genau wie Menschen das Bindungshormon Oxytocin produzieren, was Zuneigung und Wohlbefinden fördert. Wenn Sie mit Ihrem Hund das nächste Mal auf der Couch liegen, scheuen Sie sich also nicht davor mit ihm ein paar lange Blicke zu tauschen.
Irrtum 6: Aufreiten bei einem anderen Hund ist ein Zeichen von übersteigerter Sexualität oder Dominanz
Viele Hunde zeigen Aufreiten im Sozialkontakt mit anderen Hunden oder aber auch am Bein ihres Menschen oder an bestimmten Gegenständen wie Kissen oder Tischbeinen. Viele Hundehalter denken hier sofort an ein übersteigertes Sexualverhalten oder haben gehört, dass es sich hierbei um eine sogenannte „Dominanzgeste“ handelt. Beides ist jedoch tatsächlich nur sehr selten die Ursache für das Aufreiteverhalten. In den allermeisten Fällen handelt es sich um eine Stressreaktion des Hundes oder das Aufreiten wird im Zuge des Spielverhaltens gezeigt. Handelt es sich um eine Stressreaktion, zählt das Aufreiten in diesem Fall zu den sogenannten Übersprunghandlungen und dient dem Abbau von entstandenem Stress. In vielen Fällen entwickelt sich aus dieser zunächst unbewusst gezeigten Handlung dann eine Strategie, eine sogenannte „erlernte Übersprunghandlung“. Der Hund weiß, dass es ihm besser geht, wenn er das Aufreiten zeigt, und setzt dieses nun bewusst ein, um Stress abzubauen. Zeigt Ihr Hund Aufreiten häufig in bestimmten Situationen, überlegen Sie, was Ihren Hund hier stressen könnte, und versuchen Sie, die Situation für Ihren Hund weniger stressig zu gestalten.
Irrtum 7: Mein Hund hat ein schlechtes Gewissen, wenn er etwas angestellt hat während er alleine war, denn er duckt sich und lässt den Schwanz hängen, wenn ich wieder nach Hause komme
Viele Hundehalter denken ihr Hund hat ein schlechtes Gewissen, wenn er etwas Verbotenes angestellt hat. Schließlich begrüßt er den heimkehrenden Besitzer mit gesenktem Kopf, tiefer Rute und schleichendem Gang. Doch hat der Hund wirklich ein Schuldbewusstsein?
Eine andere Erklärung lautet, dass der Hund gar nicht weiß, dass er etwas falsch gemacht hat, sondern vielmehr auf die unweigerlich folgende schlechte Stimmung seines Besitzers reagiert: Er hat gelernt, dass, wann immer er das Blumenbeet umgegraben, den Mülleimer geplündert oder die Couch angenagt hat, er von seinem Besitzer ausgeschimpft wurde. Leider kann der Hund diese Reaktion nicht mehr mit der bereits lange zurückliegenden Missetat in Verbindung bringen. Er weiß also in dem Moment gar nicht, dass er für die vergangene Handlung bestraft wird, sondern verknüpft lediglich den bereits ausgeräumten Mülleimer mit der schlechten Stimmung seines Besitzers. Die geduckte Körpersprache setzt der Hund dann als Beschwichtigungsgesten gegenüber seinem heimkehrenden Besitzer ein – schließlich möchte er keinen Streit.
Irrtum 8: Mein Hund fletscht manchmal die Zähne, wenn er mich oder andere Menschen begrüßt
Ist Ihnen Ihr Hund schon mal freudig schwanzwedelnd, jedoch mit auffallend gefletschten Zähnen zur Begrüßung entgegengekommen? Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen Hund, der „Grinsen“ kann! Viele Hundebesitzer erschrecken sich, wenn sie das erste Mal einen „grinsenden“ Hund sehen – schließlich sieht dieser mit den hochgezogenen Lefzen und dem gekräuselten Nasenrücken einem aggressiv drohenden Hund durchaus ähnlich. Schaut man sich jedoch den Rest der Körpersprache an, wird schnell klar, dass es sich hierbei nicht um aggressive Kommunikation handelt, sondern um eine Form der Begrüßung: Der Körper ist entspannt, der Augenausdruck freundlich und oft wedelt der Hund ausgelassen mit dem Schwanz. Bei dem „Grinsen“ handelt es sich um eine unterwürfige Begrüßungsgeste, die Hunde nur Menschen gegenüber zeigen. Auch „grinsen“ nicht alle Hunde – einige tun es, andere nicht. Wie und wann genau sich das Grinsen bei Haushunden entwickelt hat, ist noch nicht genau bekannt. Es wird jedoch vermutet, dass Hunde diese Form der Kommunikation in Anlehnung an das menschliche Lachen zur Verständigung mit dem Menschen entwickelt haben.
Irrtum 9: Ein imponierender Hund verhält sich dominant
Viele Hunde zeigen in der Interaktion mit Artgenossen Imponierverhalten, d. h. sie machen sich groß und steif und versuchen, sich möglichst beeindruckend zu präsentieren. Ein imponierender Hund hat deswegen die Rute oft steil aufgestellt, den Kopf nach oben gestreckt und läuft in einem steifen, hölzern wirkenden Gang. Imponierverhalten dient dazu das Gegenüber zu beeindrucken, die eigene Stärke zu demonstrieren. Oft imponierende Hunde werden deshalb von ihren Besitzern nicht selten als „dominant“ bezeichnet. Dies ist jedoch nicht korrekt. Der Begriff „Dominanz“ beschreibt wissenschaftlich betrachtet keine feststehende Charaktereigenschaft eines Hundes, sondern ist eine Form der Beziehung zwischen zwei Individuen. In einer solchen Beziehung hat Individuum A bestimmte Freiheiten gegenüber Individuum B, was dieses ohne Beschwerde akzeptiert. Dominanzbeziehungen dienen dazu, ständig wiederkehrende Streitereien über Ressourcen und Privilegien zu vermeiden. Ein Hund kann somit nicht per se dominant sein, seine Beziehung zu bekannten anderen Hunden jedoch schon. Ein imponierender Hund ist entweder tatsächlich sehr selbstsicher – oder aber einfach ein kleiner Angeber.
Irrtum 10: Ein Hund, der seinen eigenen Schwanz verfolgt, spielt
Besonders junge Hunde zeigen oft folgendes Phänomen: Aus der Bewegung heraus sehen sie ihren eigenen Schwanz und beginnen dann diesen zu jagen und sich dabei immer wieder im Kreis zu drehen. Auch hierbei handelt es sich um eine Übersprunghandlung, denn das Verhalten wird meistens gezeigt, wenn der Hund sowieso schon sehr aufgeregt ist. In der Regel drehen sich die Hunde dabei drei, vier Mal um die eigene Achse und stoppen dann von selbst – meistens, weil sie vom Drehen umfallen. Genauer hinsehen sollte man erst, wenn der Hund das Schwanzjagen immer wieder auf geringste Anlässe hin zeigt und die Handlung zudem länger andauert. In dem Fall kann sich aus der Übersprunghandlung nämlich eine Stereotypie entwickeln, die für Hund und Halter zur Belastung werden kann. Hunde, die Schwanzjagen als Stereotypie zeigen, verfallen immer wieder in dieses Verhaltensmuster und lassen sich auch nicht darin unterbrechen oder davon ablenken. Ein solcher Hund braucht dann meist professionelle Hilfe und sollte schnellstmöglich einem verhaltenstherapeutisch geschulten Tierarzt oder einem Hundeverhaltensberater vorgestellt werden.
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