Diagnose Problemhund

Von Achim Janssen

Anfang September 2001 kam Dina zu uns, eine 9-jährige Deutsche Schäferhündin, die es in unser Hunderudel, bestehend aus 2 DSH- Rüden (8 J. und 3 J.), einem Hovawart-Mix Rüden (2 J.) und einer DSH-Hündin (3 J.) zu integrieren galt. Alle Hunde waren aus unterschiedlichen Tierheimen zu uns gekommen und leben gemeinsam mit uns und 6 Katzen im Haus.

Zum Problemhund geworden
Dina war für ihre bisherigen Halter zum Problemhund geworden. Nervlich am Ende, vereinbarten sie mit uns einen Beratungstermin. Gespräche über die Vorgeschichte machten deutlich, dass grundlegende Kenntnisse von artgerechter Hundehaltung fehlten und die Hündin sich an die ranghöchste Position des Familienrudels gesetzt hatte. Das Resultat war fatal: Dina wurde mit teurem Katzenfutter und Wurstbroten bis zur Fettleibigkeit gefüttert. Seit über einem Jahr verweigerte die Hündin den Spaziergang und wurde daher nur noch an der Leine in den kleinen Garten gelassen, um sich zu lösen. Jede Nacht holte sie ihr Frauchen aus den Federn, die mit ihr durchs Haus spazieren musste. Ihren Forderungen verlieh Dina durch Zähnefletschen und Knurren Nachdruck. Ihr Halsband wurde niemals abgelegt, da sie es nicht duldete, angefasst zu werden. Nur zu ihr genehmen Zeiten forderte sie Streicheleinheiten, die man ihr bereitwillig gab. Im Alter von 3 Jahren „beschloss" Dina, nicht mehr zum Tierarzt zu gehen. Leider waren die Halter psychisch nicht in der Lage, das eigene Verhalten dem Hund gegenüber zu ändern. Therapieversuche scheiterten somit schon im Ansatz. Sie waren entschlossen, Dina ins Tierheim abzugeben.

Dominanzaggression
Als Dina, die wenig Kontakt zu Artgenossen gehabt hatte, zu uns kam, stand ein eigens für die Übergangsphase der Integration angefertigter Doppelzwinger bereit. Dieser gab uns die Möglichkeit, die Hunde bei Bedarf trennen zu können. Dina machte anfangs einen sehr unausgeglichenen Eindruck und zeigte sich Ihren neuen Mitbewohnern gegenüber sehr aggressiv. Aggressives und dominantes Verhalten zeigte Dina auch uns gegenüber. Bei Spaziergängen dominierte sie durch Fixieren und verstellte uns den Weg. Sie drohte uns an der Futterschüssel und ließ sich nicht anfassen. Alltägliche Dinge, wie Kämmen, Saubermachen, Abnehmen bzw. Anlegen des Halsbandes, waren somit unmöglich. Nacht für Nacht forderte Dina durch Bellen, Winseln und an der Tür Kratzen die Aufmerksamkeit, die ihr in ihrem voherigen Zuhause über Jahre hinweg zuteil geworden war. Der zwecks Impfung notwendige Tierarztbesuch endete mit einer Bissverletzung meiner Frau. Unser Ziel, Dina ein möglichst artgerechtes Zuhause bieten zu können, würde also nur mit Konsequenz und Ausdauer zu erreichen sein.

Grundsätzliches zum Umgang mit Dina
Von vornherein haben wir vermieden, auf Dina dominant oder drohend (fixierender Blick, Überbeugen) zu wirken. Stattdessen zeigten wir so oft wie möglich die sogenannten „Calming Signals" (beschwichtigende Gesten), wie schweifende Blicke, seitliche Körperhaltung, freundliche, sanfte Stimme. Schon ein an Dina gerichtetes Kommando – wie z. B. „Platz!" – wirkte auf sie dominierend, weil fordernd, und hatte zusätzlich einen negativen Lerneffekt, wenn das Kommando dann nicht durchgesetzt werden konnte.
Die täglichen Spaziergänge fanden zunächst nur in reizarmer Umgebung an einer 5 Meter langen Schleppleine statt. Die Weigerung, weiter zu laufen, sowie das demonstrative Fixieren und sich quer in den Weg Stellen quittierten wir mit Missachtung, indem wir unseren Weg unbeirrt fortsetzten. Missmutig folgte die Hündin an der Leine, bis sie ihren nächsten Versuch startete. Langsam aber wurden die Versuche zaghafter und seltener. Erwünschtes Verhalten wurde jeweils umgehend mit Futterspielen oder Schnüffeln-dürfen belohnt. Schließlich erlosch das unerwünschte Verhalten komplett, und Dina empfand wieder Spaß und Freude an den gemeinsamen Spaziergängen.

Aggressivität am Futternapf
Die Umstellung von Katzen- auf Hundefutter war ebenfalls ein Problem. Dina fraß jeweils nur sehr wenig bis gar nichts und drohte mit vernehmlichem Knurren, wenn man ihrem Napf zu nahe kam. Nun, kein Hund – Gesundheit vorausgesetzt – wird freiwillig verhungern, und so kamen die ersten Tage mit verringerter Nahrungsaufnahme nur der Figur von Dina zugute. Auch das Knurren am Napf wurde von uns nicht geduldet, und Dina wurde eine Zeit lang ausschließlich aus der Hand gefüttert. Sie sollte lernen, dass die Hand ihr etwas gibt und nicht wegnimmt. So wuchs allmählich das Vertrauen der Hündin zu uns und mittlerweile hat sich die Nahrungsaufnahme vollkommen normalisiert. Bevor sie an den Napf darf, absolviert sie eine Sitzübung.

Anfassen lassen
Um eine durch Schmerz bedingte Aggressivität bei Berührung auszuschließen, wurde Dina von unserem Tierarzt untersucht und auch geröntgt, um Krankheiten des Skeletts auszuschließen. Dabei wurde eine beidseitig schwere HD diagnostiziert, was bei Schäferhunden zuchtbedingt leider nicht unüblich ist. Grundsätzlich haben wir immer versucht, alle Situationen zu vermeiden, in denen Dina uns durch Knurren auf Abstand halten wollte. Da sie sich zu diesem Zeitpunkt auf keinen Fall hätte von uns kämmen lassen (Dominanz), haben wir anfangs nur ein bis zwei Striche gekämmt und sie dann für ruhiges Verhalten umgehend belohnt. Mit der Zeit wurde die Dauer des Kämmens langsam erhöht. Nach demselben Schema haben wir Dina nach den Spaziergängen sauber gemacht.

Aufmerksamkeitsforderndes Verhalten
Ihre Rolle als fordernder Hund beherrschte Dina perfekt. Ob mitten in der Nacht oder am Frühstückstisch: Dina war auf ihre Art immer präsent und forderte. Aus ihrer Sicht hatte sich dieses Verhalten ja bisher stets gelohnt. Schließlich war ihr Frauchen Nacht für Nacht aufgestanden und mit Dina im Haus spazieren gegangen. Die nächtlichen Aktivitäten Dinas wurden von uns ignoriert. Nach einer halben Stunde Krach war Dina meistens wieder still, und wir konnten weiter schlafen. Bereits nach weniger als 2 Wochen gab Dina dieses Verhalten auf, und es kehrte (endlich) wieder Ruhe ein. Auch die anderen aufmerksamkeitsfordernden Verhaltensweisen Dinas ignorierten wir.

„Nein!" als Abbruchsignal
Für alle Verhaltensweisen Dinas, die wir nicht akzeptieren konnten und können, haben wir Dina auf das Abbruchsignal „NEIN" konditioniert. Dabei bedienten wir uns einer Wasserspritze, die sich als äußerst wirkungsvoll erwies. Heute genügt in den meisten Fällen bereits das „NEIN" für sich und ggf. der Anblick der Wasserspritze, um ein unerwünschtes Verhalten sofort abzubrechen. Nach einem Verhaltensabbruch ist darauf zu achten, dass umgehend ein Alternativverhalten eingeleitet wird, das belohnt werden kann. Sonst läuft man Gefahr, dass das Abbruchsignal schnell an Wirkung verliert.

Aufhebung der Bewegungseinschränkung im Haus
Bis zu dem Zeitpunkt, als die eingeleiteten Maßnahmen erste Wirkungen zeigten und Dina Vertrauen zu uns aufbauen konnte, hatten wir ihren Bewegungsradius im Haus eingeschränkt. Außerhalb des Wohnzimmers bekam Dina keine Gelegenheit, andere Räume zu betreten. Den Kontakt zu den übrigen Hunden des Rudels ermöglichten wir ihr während zahlreicher Spaziergänge, bevor wir die Hunde schließlich auch im Haus tagsüber zusammen ließen. Kurze Zeit später brauchten wir das Rudel auch nachts nicht mehr zu trennen.
Dina hat sich bereits nach wenigen Monaten in unser Rudel integriert. Sie wirkt heute ruhig, ausgeglichen und stressfrei. In gleichem Maße hat sich ihre Reizschwelle zur Aggression erhöht. Dina ist eine prima Hündin geworden. Es sind die Hunde, die oft für das Unvermögen der Menschen, eine artgerechte Haltung sicherzustellen, die Konsequenzen tragen müssen. Endstation Tierheim oder Euthanasie. Das aber blieb Dina erspart.

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Unerwünschte Verhaltensweisen ignorieren

Das Ignorieren unerwünschter Verhaltensweisen ist eine wirkungsvolle Maßnahme bei Problemverhalten. Ein Verhalten des Hundes, das nie zum Erfolg führt, ist ein sinnloses Verhalten und erlischt mit der Zeit. Geht der Halter zwischendurch jedoch auch nur ein einziges Mal auf das unerwünschte Verhalten ein (z.B. durch Blickkontakt, Berührung, Ansprache usw.) und belohnt es somit unabsichtlich, wird der Hund energisch immer wieder versuchen, zum Erfolg zu kommen. Das gelegentliche Belohnen von unerwünschten Verhaltensweisen kann daher nicht zu deren Erlöschen führen, im Gegenteil. Aus diesem Grunde ist das Ignorieren unerwünschter Verhaltensweisen so schwierig und setzt Kenntnisse des Lernverhaltens der Hunde sowie absolute Konsequenz des Halters voraus.

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Alternative Erziehungsmethode „Clickern"

Wie im Artikel erwähnt, können menschliche Forderungen, z. B. Kommandos, von den gegen ihre Halter aggressiv reagierenden Hunden als Dominanzgeste aufgefasst und entsprechend aggressiv erwidert werden. In solchen Fällen bietet sich daher besonders das Clickertraining als alternative Erziehungsmethode an. Beim Clickern wird nämlich vom Hund nichts gefordert, sondern der Hund bietet von sich aus ein Verhalten an, das entsprechend belohnt werden kann. Auch Dina wurde auf den Clicker konditioniert, um das „Aus-lassen" von Dingen (z.B. Futter und Spielzeug) zu trainieren. Selbstverständlich bietet sich der Einsatz des Clickers auch während des Kämmens und Saubermachens an.

>>> LEHRSATZ

Verhaltensabbruch und Alternativverhalten

Beispielhaft sei hier das Anspringen des Halters beim Nachhausekommen erwähnt. Das Anspringen ist bereits im Ansatz abzubrechen (in diesem Fall durch „NEIN") und ein alternatives Verhalten wie z.B. „Platz" einzuleiten, wofür der Hund dann belohnt werden kann. Mit der Zeit wird sich der Hund hinlegen, wenn der Halter nach Hause kommt, weil er gelernt hat, dass nur dieses Verhalten zum Erfolg führt – Konsequenz vorausgesetzt.

>>> WUFF – HINTERGRUND

Der Autor

Achim Janssen, 39 J., lebt mit Frau und 5 Hunden in NRW. Sein besonderes Interesse gilt dem Problemverhalten bei Hunden.
Weitere Informationen auf seiner Homepage:
www.auf4pfoten.de

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