Der Zappelphilipp – Gibt es AD(H)S beim Hund?

Von Sophie Strodtbeck

Nicht nur in der Humanmedizin, in Pädagogik und Psychologie streitet man sich wie die Kesselflicker darüber, ob es AD(H)S nun gibt oder nicht, das Thema ist längst auch in der Tiermedizin angekommen. Die eine Fraktion bleibt bei der Behauptung, dass es sich um eine reine Erfindung der Pharmaindustrie handle, die andere schreit (auch beim Hund) nach Pillen dagegen. Und schuld sind sowieso immer die Eltern beziehungsweise die Halter … Was es mit dieser Störung auf sich hat, ob sie wirklich existiert, was zu solchen Symptomen führen kann und wie eine Therapie aussehen könnte, beleuchten wir in ­diesem Artikel.

Die Abkürzung AD(H)S steht für die sog. „Aufmerksamkeits­defizit- und Hyperaktivitätsstörung". Sie bezeichnet eine psychische Störung, die sich in Problemen mit der Aufmerksamkeit, mit Impulsivität und Hyperaktivität äußert. Das Aufmerksamkeitsdefizit kann auch ohne Hyperaktivität auftreten (ADS). Der Begriff „Aufmerksamkeit" beschreibt definitionsgemäß eine Erhöhung der Selektivität, Intensität und Dauer ­neuronaler Antworten auf ­Ereignisse, die emotional oder motivational bedeutsam sind (Mesulam, 1998).

Über das normale Maß?
Zwei Dinge möchte ich vorwegnehmen: Erstens, dass auch beim Hund viel zu schnell von ADHS gesprochen wird, und dass sicherlich sehr oft einfach eine Unerzogenheit der Auslöser ist, nämlich bei Hunden, die nie gelernt haben, Ruhe zu geben und zu entspannen, und die zusätzlich ständig von ihren Haltern bespaßt und dadurch aufgedreht werden. Oft werden Hunde in der Pubertät als hyperaktiv bezeichnet, aber zur Pubertät gehört nun mal auch eine besondere Aktivität und Risikobereitschaft. Dazu kommen auch rassetypische Eigenschaften, auf die diese Hunde z.T. über Jahrhunderte hinweg selektiert wurden. Wer beispielsweise einen Malinois sein Eigen nennt, darf sich nicht wundern, wenn dieser kein Couchpotato ist …

Auf der anderen Seite ist es genauso nervig, wenn die Existenz von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen beim Hund (und beim Kind) komplett bestritten wird, weil man damit in meinen Augen vielen Hundehaltern (und auch Eltern), die betroffen sind und bei denen in der Erziehung weitgehend alles richtig gemacht wurde, Unrecht tut, indem man sie einfach nur als unfähig abstempelt!

Ganz klar ist auch, dass der Weg nicht das „einfache Ruhigstellen" mit Psychopharmaka sein kann, da oft auch andere Maßnahmen zum Erfolg führen.

Tatsache ist, dass es Hunde gibt, deren Aktivität weit über das normale Maß hinausgeht. Diese Hunde begegnen uns auch immer wieder in der Beratung. Ebenso gibt es Hunde, die sich extrem schwer damit tun sich zu konzentrieren und nicht in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit länger auf eine bestimmte Sache oder Aufgabe zu richten. Um beurteilen zu können, ob das der Fall ist, sollte man den Hund natürlich immer mit einem Hund derselben Rasse und desselben Alters vergleichen, sonst würde jeder Terrier im Vergleich zu Pekingesen oder Neufundländern den Stempel „ADHS" tragen. Und selbstverständlich zählen Momentaufnahmen nicht, die man etwa in einer Spielstunde für (Jung-)Hunde macht, sondern man muss den Hund vielmehr über einen längeren Zeitraum und in verschiedenen Situationen und Umgebungen beurteilen, um sich ein Bild machen zu können.

Diagnostische Kriterien
Wie bereits erwähnt zeigen die betroffenen Hunde eine Hyperaktivität im Vergleich zur „normalen" Aktivität eines gleichaltrigen Junghundes dieser Rasse. Sie reagieren auf die geringsten Reize aus der Umwelt (Hyperreaktivität) und ihre Bewegungsaktivität findet kaum ein Ende. Sie zeigen eine ­Hyperexzitation, d.h. eine Übererregbarkeit, haben keine Selbstkontrolle, sind grob im Spiel und knallen oft in Hindernisse. Oft führt die mangelnde motorische Kontrolle beim Spiel mit ­Artgenossen zu Verletzungen, beispielsweise durch rücksichtsloses Anrempeln. Oft berichten die Halter vom Zerstören von Spielzeug, der Einrichtung usw. Typisch ist auch eine Hyposomnie, also eine verminderte Schlafdauer und -intensität, die auf lange Sicht auch andere gesundheitliche Schäden nach sich ziehen kann.

Gelegentlich zeigen betroffene ­Hunde Stereotypien, eine gesteigerte Aggressivität und eine mangelnde emotionale Kontrolle. Sie sind extrem schnell ablenkbar und wenig aus­dauernd bei einer Aufgabe, wechseln also sehr schnell ihr Interesse. Oft ­fallen sie als „Störenfried" in der Hundeschule auf – wenn endlich alle Hunde liegen, ist es wieder genau dieser eine, der alles durcheinanderbringt …

Ein weiteres Symptom ist die Hypervigilanz, also eine erhöhte Wachsam­keit/ Aufmerksamkeit, ständiges Beobachten, kein Zur-Ruhe-Kommen.

Genetische und andere Faktoren
Nicht nur beim Menschen, auch beim Hund wurden (durch die Budapester Arbeitsgruppe um Adam Miklosi) genetische Veränderungen an Dopaminrezeptoren bei besonders aktiven und impulsiven Hunden nachgewiesen. Man „sieht" also neben dem ­Verhalten auch andere Besonderheiten bei diesen Hunden. Außerdem gibt es Faktoren in der Vorgeschichte, die mit höherer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich – wenn sie mit der genetischen Disposition aufeinandertreffen – Symptome von AD(H)S entwickeln. Zu diesen Faktoren gehören eine nervöse Mutter, die oft auch bereits in der Trächtigkeit Stress ausgesetzt war, wenig körperliches Toben und Balgen der Hunde in der Jugend und eine fehlende regulierende Erziehung durch die Mutter oder den Menschen. Häufig gab es Geburtsschwierigkeiten in der Vorgeschichte dieser Hunde.

Oft stammen diese Hunde aus Haushalten, in denen es hektisch zugeht, sodass der Welpe, wenn er in die Familie kommt, von Anfang an im Mittelpunkt steht, keine Rückzugsmöglichkeiten hat und dadurch auch keine Chance, Ruhe und ­Entspannung zu erlernen. Denn diesen Punkt vergessen viele Hundehalter immer wieder: Hunde müssen Entspannung lernen! Stattdessen werden sie häufig von klein auf in viele für sie stressige Situationen gesteckt, um ja in der „Prägung" nichts zu vergessen. Denn bekannt ist, dass alles im Gehirn, was in der Jugend nicht gebraucht wird, im Laufe der Pubertät wieder abgebaut wird. Dass das auch für die sogenannten hemmenden Netzwerke im Gehirn gilt, wird zu oft übersehen. Wichtig ist es also, dass der Welpe auch diese Netzwerke regelmäßig benutzt, um sie zu stabilisieren. Man sollte also vom Welpenalter an auf einen ruhigen Rückzugsort achten und dem Hund ggf. auch mal (wenn er die Box kennt!) „Zwangs-Auszeiten" verpassen. Auf die Wichtigkeit von wildem, körperbetontem Spiel wurde bereits hingewiesen, ebenso wichtig ist es aber, dieses immer wieder zu ­unterbrechen, um die Impulskontrolle und die Frustrationstoleranz zu stärken. Das ­Syndrom ist also – wie so vieles – eine Mischung von genetischen Faktoren und der Umwelt. Typisch ist auch, dass das Verhalten dieser Hunde sehr früh auffällig wird, also bereits vor der Pubertät.

Was kann man tun?
Das Wichtigste für einen betroffenen Hund ist Ruhe, Ruhe und Ruhe! Nach wie vor versuchen die Halter sehr oft, den Hund durch noch mehr Aktivität endlich mal auszupowern und müde zu machen – bei einem Hund mit einer Hyperaktivitätsstörung wird das aber nicht zum Erfolg führen, sondern – ganz im Gegenteil – ihn noch mehr aufdrehen.

Wichtig ist es also, für ausreichende Ruhezeiten zu sorgen und ihm einen ruhigen Rückzugsort ohne viele ­Reize anzubieten. Eine Box ist dafür oft gut geeignet. Aber natürlich soll der Hund nicht weggesperrt werden, sondern die Box als für ihn ruhigen und entspannenden Rückzugsort ­kennenlernen. Bei manchen Hunden helfen feste „Zwangs-Auszeiten" zu fixen Tageszeiten. Aber dazu gleich mehr. Zur Orientierung über die Aktivitätszeiten von Hunden ­helfen Untersuchungen an ­verwilderten Haushunden, wie zum Beispiel ­Günther Blochs Pizzahunden. Aber auch andere Arbeitsgruppen haben ähnliches herausgefunden: Ein Hund schläft normalerweise 50 Prozent des Tages. Die anderen 50 Prozent sind aber keinesfalls mit Aktivität gefüllt, sondern werden zum Großteil mit Dösen, Beobachten oder Wache-schieben verbracht. Wirklich aktiv ist ein Hund nur etwa sechs Stunden pro Tag, in diese Zeit fallen der Nahrungserwerb und das ausgiebige Sozialverhalten. Natürlich muss ein Hund – je nach Rasse – auch die Möglichkeit haben, sich körperlich auszupowern, aber weniger ist hier eindeutig mehr! Auch sollte die angebotene ­Auslastung nicht aus allzu hektischen ­Aktivitäten bestehen. Dass Ball „spielen" für ­solche Hunde nicht geeignet ist, versteht sich hoffentlich von selbst. Hingegen sind alle Formen der Nasenarbeit oder andere konzentrierte Auslastungsformen für Hunde geeignet. Für die Belohnung gilt übrigens, dass sie nicht allzu hochwertig und lecker sein sollte, weil auch das den Hund sofort wieder aufdreht. Ein ruhiges (!) stimmliches Lob oder eine sanfte Berührung reichen oft aus.

Entspannen können betroffene Hunde nur, wenn alle Aktivitäten zu möglichst festen Zeiten stattfinden, da man ihnen dadurch die Erwartungshaltung und das Gefühl, etwas zu verpassen, nimmt. Es empfiehlt sich aus diesem Grund auch, alles, was am Tag ­passiert, durch feste Rituale zu beginnen und zu beenden. Nur wenn der Hund nicht ständig Angst hat, etwas für ihn Wichtiges zu verpassen, kann er den Rest der Zeit entspannen!

Entspannung füttern?
Tatsächlich gibt es einiges, was man bei der Ernährung hyperaktiver Hunde beachten sollte. Der Proteingehalt der Nahrung sollte nicht allzu hoch sein. Der häufig gemachte Trugschluss, dass ein hyperaktiver Hund ein „High Energy Futter" benötigt, ist also falsch und kontraproduktiv! Auch sollte der Halter darauf achten, dass keine schnell verdaulichen Kohlenhydrate (Zucker!) im Futter enthalten sind, weil diese auch im Gehirn zu Energiespitzen führen. Besser geeignet sind langsam verdauliche Kohlenhydrate, wie zum Beispiel Kartoffel. Auch ­Glutamat, das im Hundefutter sowieso nichts zu suchen hat, sollte keinesfalls enthalten sein, da es direkt als erregender Botenstoff im Gehirn fungiert.

Beim Menschen ist auch nachgewiesen, dass das Weglassen künstlicher Farbstoffe die Symptomatik verbessern kann – aber auch die sollten in einem Hundefutter sowieso nichts verloren haben. Die Fütterung von Mais kann in manchen Fällen helfen, nämlich dann, wenn es sich um einen ansonsten stabilen Hund handelt. Mais enthält nämlich ein Enzym, das die Bildung der ­sogenannten ­Katecholamine, das sind erregende Botenstoffe, zu denen das Adrenalin, das Noradrenalin und das ­Dopamin zählen, verringert. Emotional in­stabilen Hunden sollte man allerdings wegen des geringen Gehaltes der Aminosäure Tryptophan, das die Ausgangssubstanz für den stimmungsausgleichenden Botenstoff Serotonin ist, keinen Mais füttern.

Ungeeignete Fleischsorten für betroffene Hunde sind Rind oder Wild und allgemein Innereien, da sie viel Phenyl­­alanin enthalten, das über die Zwischenstufe Tyrosin zu den erregenden Botenstoffen Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin umgebaut wird und zu einer Verschlimmerung führen. ­Besser geeignet sind tryptophanhaltige Fleischsorten wie Lamm, Kaninchen oder Schwein – letzteres wegen der Aujeszkyschen Krankheit allerdings nur gegart! Gegebenenfalls kann auch mit Nahrungsergänzungsmitteln eine Besserung erreicht werden, aber diese sollten dann individuell auf die ­Persönlichkeit und die Problematik des Hundes abgestimmt sein.

Ganzheitlicher Ansatz
Es gibt also Möglichkeiten fernab von Ritalin, um das Leben für diese ­Hunde – und deren Halter – stressfreier zu gestalten. Wir haben in unserer Beratungspraxis www.einzelfelle.de beste Erfahrungen bei Hyperaktivität mit diesem ganzheitlichen Ansatz gemacht.

Das könnte Sie auch interessieren: