Ist uns im Weißen Schweizer Schäferhund vielleicht ein sehr ursprünglicher Schäferhund erhalten geblieben? Eigentlich unbeabsichtigt, zufällig, nur durch die Disqualifikation der Fellfarbe? Lassen Sie sich von Liane Rauch in ihrem Rasseporträt des Weißen Schäferhundes auf eine Reise, über Höhen und Tiefen, in die Historie einer faszinierenden Hunderasse entführen, deren Vergangenheit spannender ist als die so manch anderer.
Beschäftigt man sich intensiv mit der Historie des Weißen Schäferhundes, kommt man am „klassischen“ Deutschen Schäferhund nicht vorbei. Vergleicht man das heutige Exterieur dieser Hunde mit dem ursprünglich von Max v. Stephanitz favorisierten Deutschen Schäferhund, wird man eine große Ähnlichkeit in Körperbau und Haltung feststellen. Und spinnt man den Gedanken noch etwas weiter, stellt sich die Frage: Ist uns im Weißen Schweizer Schäferhund ein sehr ursprünglicher Schäferhund erhalten geblieben? Eigentlich unbeabsichtigt, zufällig, nur durch die Disqualifikation der Fellfarbe?
Schäferhunde im Wandel der Zeit
Der römische Schriftsteller Columella verlangte um 40 n. Chr. „vom Hirten- und Schäferhund, dass er weiß sei, damit der Hirte den Hund in der Dämmerung nicht mit dem Wolfe verwechsle, der in die Herde eingefallen ist“. Conrad Gesner (1516-1565, ein Schweizer Gelehrter) forderte weiße Schäferhunde „dass sich das Schaf besser an den Hund gewöhne.“ Die weiße Fellfarbe war also sowohl schon in der Antike wie auch in der beginnenden Neuzeit die bevorzugte Farbe der Schäferhunde.
In seinem Rassestandard von 1890, ausführlich nachzulesen bei Ludwig Beckmann (Geschichte und Beschreibung der Rassen des Hundes, 1895), wird der Deutsche Schäferhund noch in 6 Grundfarbschlägen beschrieben, darunter auch in Weiß, mit mehr oder weniger großen Platten und Abzeichen an Schnauze, Augen und Pfoten. Ausgestellt wurden damals auch noch Hunde in drei Fellvarianten, langhaar, rauhaar und kurzhaar.
Eines der wohl schönsten Bilder der Deutschen Schäferhunde wurde uns 1905 von Richard Strebel hinterlassen, der den Deutschen Schäferhund in fast allen Farbschlägen abbildete. Gefesselt hat ihn vor allem der blue merle-farbige Braunschweigische Schäferhund. Am Rande erwähnt, die „bunt gefleckten“ nennen sich heute „Panda Shepherd“, und es gibt sogar einen Standard. Die Welt der Deutschen Schäferhunde war damals noch in Ordnung.
Der erste, in Hannover offiziell auf einer Hundeausstellung gezeigte Weiße Schäferhund war lt. Aufzeichnungen 1882 der Rüde „Greif“ (geboren 1879) aus der Zucht des Baron von Knigge. Ihm folgten die Hündin „Greifa“ 1888 in Hamburg und „Greif II“ im Jahr darauf in Kassel. Kein Züchter, kein Aussteller störte sich an der weißen Farbe, und als Max v. Stephanitz 1899 den „Verein für Deutsche Schäferhunde“ (SV) gründete, waren die weißen Hunde ein fester Bestandteil der Zucht. Mit der Zuchtnummer 1 im neu gegründeten SV eingetragen wurde der Enkel des weißen Rüden „Greif“, Horand von Grafrath (vor der Namensänderung Hektor Linksrhein), der aufgrund seiner Ahnen den „Weißfaktor“ selbstverständlich an seine Nachkommen weitergab.
1926 wurde mit der Zuchtnummer 43629 „Berno von der Seewiese“ als erster einfarbig weißer Deutscher Schäferhund im SV registriert. Max v. Stephanitz lehnte ursprünglich eine Farbumschreibung im Standard ab. Sein Leitmotiv: „Gebrauchstüchtigkeit ist das einzige Kriterium für Schönheit“ und „kein guter Hund kann eine schlechte Farbe haben“ sollte das wahre Zuchtziel des SV sein. Vorrangiges Ziel war es ja, einen forsch und ausdauernd arbeitenden Gebrauchshund zu schaffen, der körperlich kräftig und geistig klar ein sollte. Wobei Stephanitz nie einen Hehl daraus machte, dass die einfarbigen Hunde nicht seinem persönlichen Geschmack entsprachen, wörtlich: „Ich finde keinen Gefallen an einer einheitlichen Farbe … Schwarz bietet keinen Vorteil als Farbe, reinweißes Kurzhaar finde ich stumpf und uninteressant.“
Für die Liebhaber dieser Farbe, unter anderen auch das Herrscherhaus der Habsburger und Hohenzollern, die weiße Schäferhunde züchteten, war der Zuchtausschluss weißer Hunde sicherlich ein Drama. Nach dem Verbot des Farbschlages Weiß für Deutsche Schäferhunde in Deutschland 1933 verschwanden die prachtvollen Hunde fast komplett aus Europa. Gerüchte über die Gründe des Verbots gibt es viele. Manche Züchter sahen die weiße Farbe angeblich als „Degeneration und Farbmutation“ an. Anderswo hieß es, dass weiße Hunde als Kriegshunde nicht geeignet waren, weil sie zu auffällig seien. Wieder andere behaupteten sogar, der Hund würde in der Farbe Weiß „nicht gefährlich genug“ aussehen. Den wahren Grund werden wir wahrscheinlich nicht erfahren.
Der Deutsche wird ein Amerikaner
Anne Tracy gründete 1913 den „German Shepherd Dog Club of America“, nachdem sie, begeistert vom Deutschen Schäferhund, Hunde aus der Habsburger Hohenzollern-Linie nach Amerika exportiert hatte. Einer der ersten im neu gegründeten Verein eingetragenen Hunde war der weiße Rüde „Stonihurst Edmund“ und seine drei weißen Wurfgeschwister Eadred, Edmund und Elf. In den folgenden 10 Jahren züchteten neben anderen Mrs. M. Hartley unter dem Namen „Giralda Farm Kennel“ offiziell anerkannte weiße Deutsche Schäferhunde. Und diese Hunde wurden wirklich als DEUTSCHE Schäferhunde in die Zuchtbücher eingetragen. So berühmte Nachkommen wie „Giralda Dawn“ und „Giralda Day“ machten den Deutschen Schäferhund in Amerika immer populärer. Nicht zuletzt durch den Rin-Tin-Tin-Film „Men from Hell’s River“, aus dem Jahr 1922, entstand in den USA ein regelrechter Schäferhunde-Boom. Schon damals kosteten Welpen bis zu 1000 Dollar.
Im AKC (American Kennel Club) wurde der Weiße 35 Jahre länger anerkannt als in Deutschland und in offiziellen Zuchtbüchern registriert. Die Farbe Weiß ist seit 9. April 1968 auch im Club von Anne Tracy, der heute noch existiert, verboten. Ob sie damit einverstanden wäre? In Europa, außer in Großbritannien, waren die Hunde bis in die 1960er Jahre fast völlig ausgestorben.
Der Amerikaner wird ein Kanadier
Nach dem Ausschluss der Weißen aus dem AKC blieb die Farbe Weiß ausschließlich im „Canadian Kennel Club“ (CKC) anerkannt und erhalten. Das Gesuch des „Shepherd Club of Canada“, der als Dachverband ähnlich dem VDH für die Züchter des Deutschen Schäferhundes in Kanada zuständig war, die Farbe Weiß zu disqualifizieren, wurde 1981 vom CKC abgelehnt.
Die Frage, warum die Züchter der Deutschen Schäferhunde so vehement gegen die Weißen kämpften, stellte sich mir im Zuge meiner Recherchen immer wieder. Eine schlüssige Antwort habe ich bislang nicht gefunden.
Nun kamen endgültig erste größere Verwirrungen auf. Der CKC sagt „obgleich nicht als erwünschte Farbe vorzuziehen, kann der Weiße Deutsche Schäferhund an den Ausstellungen teilnehmen“. Da der CKC von der FCI anerkannt ist, bekamen Hunde, die in diesem Club ausgestellt wurden, auch gültige FCI-Papiere. Genau genommen hätten diese Hunde aufgrund der Papiere von anderen Verbänden weltweit anerkannt werden müssen, obwohl die Farbe Weiß im FCI-Standard nicht aufgeführt war. In Europa wurden die Hunde mit dem Vermerk „Zur Zucht gesperrt“ in die Hundestammbücher eingetragen. Anerkannt? Geduldet? Nicht anerkannt? Klar geregelt war in dieser Zeit nichts mehr. Einen plausiblen Grund, warum die Farbe Weiß im CKC dann ebenfalls verboten wurde, konnte ich trotz intensiver Suche leider nicht herausfinden.
Der Kanadier wird ein Schweizer
Agathe Burch, begeisterte Hundesportlerin, brachte bei ihrem Umzug aus den USA in die Schweiz ihren weißen Deutschen Schäferhund „Lobo mit. Der Rüde, geboren am 5. März 1966, besaß noch gültige AKC/FCI-Papiere. Dank genauer Aufzeichnungen wissen wir, dass Frau Burch die Hündin „Blinkbonny’s Lilac“ 1971 aus England und 1976 die Hündin „White Beauty California“ aus den USA importierte. Drei Würfe züchtete Agatha Burch in der Schweiz, bevor sie in ihre Heimat USA zurückkehrte. Wurde der erste Wurf von Frau Burch vom Schweizerischen Schäferhunde Club großzügigerweise wenigstens ins Anhangregister des Hundestammbuches eingetragen, wurde ihr die Registrierung der zwei späteren Würfe komplett verweigert.
Ein Zufall ließ die Zucht der Weißen Schäferhunde wieder in Gang kommen. 1984 lief Jürg Epprecht in Kronau/Schweiz eine weiße Schäferhündin zu. Nach deren Tod begann die Familie Epprecht mit „Mira van Eekeren“ aus Holland, „Hoofprint Sally“ aus Kanada und zwei aus den USA importierten Rüden 1989 mit der Zucht des Weißen in der Schweiz. Am 17. August 1991 hat die „Gesellschaft Weiße Schäferhunde Schweiz“ erfolgreich die Anerkennung bei der SKG erkämpft und strebte natürlich auch die Anerkennung der FCI an.
Ein verlorener Sohn kehrt heim
Trotz des augenscheinlich erbitterten Kampfes gegen die Weißen Schäferhunde ist die Rasse inzwischen vom VDH wieder anerkannt. „Wieder“ anerkannt, muss man fast betonen, denn wenn man genau nachdenkt, gab es die Rasse ja schon immer. Es waren ja eindeutig Deutsche Schäferhunde mit gültigen FCI-Papieren, die nur wegen ihrer Fellfarbe ausgeschlossen wurden. Wirklich fragen kann man sich auch, warum Zuchtvereine einen so wertvollen Genpool nicht nutzen wollen. Vor allem, um die eigene, ja wirklich von vielen „erblichen Handicaps“ geplagte Rasse wieder gesünder zu züchten.
Nach der vorläufigen Anerkennung durch die FCI 2003 darf der Weiße Schäferhund auch in Deutschland wieder als eigenständige Rasse gezüchtet werden, obwohl die Rasse eigentlich nie „weg war“.
Disqualifikation der Farbe – Glück im Unglück?
Hand aufs Herz: Mal ganz objektiv betrachtet, war das Verbot des weißen Farbschlages vielleicht ein Glücksfall für die Hunde? Es blieben ihnen einige dieser furchtbaren, nur aus optischen Gesichtspunkten betriebenen Fehlzüchtungen erspart. Der weiße Schäferhund durfte seinen geraden Rücken behalten und durfte weiterhin „Zehengänger“ bleiben. Er muss nicht auf den Fußsohlen laufen wie sein dunkler Verwandter. Der Weiße ist es, der heute noch so aussieht und so laufen kann wie die Urahnen des Deutschen Schäferhundes, Horand von Grafrath, Hektor von Schwaben oder Beowulf.
Obwohl im VDH-Standard beim Deutschen Schäferhund eine nur „leicht abfallende Rückenlinie“ verlangt wird, entsprechen die heute ausgestellten Hunde schon lange nicht mehr diesem Standard. Wie schon erwähnt, ist der „moderne“ Deutsche Schäferhund von dem von Max v. Stephanitz gewünschten Gebrauchshund meilenweit entfernt. Nicht umsonst sehen sich Diensthundeführer immer mehr in anderen Ländern nach ihren vierbeinigen Arbeitskollegen um. Dem Weißen ist das alles erspart geblieben.
Das Wesen des „Weißen“
„Temperamentvoll, nicht nervös, aufmerksam und wachsam, gegenüber Fremden gelegentlich etwas zurückhaltend, niemals ängstlich oder aggressiv …“, so steht’s im Rassestandard geschrieben. Wie bei allen Wesensstandards stellt sich die Frage: Wie wird das überprüft? Hat ein Richter auf einer Ausstellung wirklich die Möglichkeit festzustellen, ob der ihm vorgeführte Hund temperamentvoll ist? Ob er aufmerksam und wachsam ist? Ich persönlich sage nein. Richter auf einer Rassehundeausstellung haben dafür keine Zeit und meist auch gar nicht die Rassekompetenz, die dafür nötig ist. Es wird fast ausschließlich die optische Erscheinung der Hunde beurteilt.
Gilt der Weiße Schäferhund in manchen „Hundekreisen“ doch als überängstlich, feige und scheu, stellten sich mir die Hunde dieser Rasse, die ich kennen lernen durfte, als recht wesensfest vor. Besonnener und „klarer im Kopf“ als manch andere Schäferhundschläge. Im „Bundesverein für weiße Schweizer Schäferhunde“ gibt es schon lange sinnvolle Wesenstests und Zuchttauglichkeitsprüfungen.
Nachdem die Rasse ja nun offiziell anerkannt wurde, ist zu hoffen, dass der Weiße Schweizer Schäferhund („Berger Blanc Suisse“) in seinem noch sehr ursprünglichen Wesen erhalten bleibt.
Wie gesund ist der Weiße?
Bei jeder Rasse gibt es die „schwarzen Schafe“ in den Verbänden. Gibt es die Züchter, die mit den Hunden hauptsächlich schnelles Geld verdienen möchten. Die auf Auslese und Gesundheit wenig Wert legen und allerhöchstens die Mindestanforderungen erfüllen. Betont muss werden, dass dies absolut verbandsunabhängig ist, sie sind in jedem Rassehundeverband zu finden. Diese leider manchmal völlig unkontrollierten Züchter beeinträchtigen die Gesundheit einer Rasse.
Vergleicht man die Disposition des Weißen Schäferhundes für rassespezifische Krankheiten mit anderen Schäferhundrassen, erscheint der Weiße noch recht gesund. Tragische Hundegeschichten gibt es sicherlich auch bei dieser Rasse, Hunde, die wirklich bei jeder Krankheit und jedem Gendefekt „HIER“ gerufen haben und so gut wie alles abbekommen haben, was auftreten kann. Stellt man jedoch die Zahl der erbgeschädigten Hunde anderer Schäferhundschläge den Weißen gegenüber, wird man feststellen, dass die gegenwärtige Population der Weißen Schäferhunde wesentlich gesünder ist als ihre dunklen Verwandten in Deutschland.
Ein spezielles Problem, das beim Weißen auftreten kann, aber nicht muss, ist die sogenannte SE, eine Speiseröhrenerweiterung (Megaoesophagus). Diese noch nicht endgültig erforschte erbliche Missbildung der Speiseröhre verhindert, dass die Nahrung in den Magen gelangt. Meist sind schon Welpen betroffen. Die Therapiemöglichkeiten halten sich im Moment noch in Grenzen, geholfen werden kann meist nur mit einer Operation.
Was die Rassezuchtverbände für Weiße Schäferhunde anderen Rassehundeverbänden in unserem Land voraus haben, ist ein Zuchtlenkungsprogramm bezüglich des MDR1-Defekts, von dem unter anderen auch der Weiße Schäferhund betroffen ist.
Heute und Morgen
Leider geht, vor allem in den USA, der Trend beim Weißen Schäferhund in die Richtung der stark abfallenden Kruppe wie beim Deutschen Schäferhund. Es ist für die Rasse zu hoffen, dass die europäischen Vereine diesen Trend nicht übernehmen. Diese sinnlose, ausschließlich wieder einmal auf übertriebene Rassemerkmale ausgerichtete Zucht sollte nicht Schule machen. Furchtbar, wie im AKC bestehende Rassen züchterisch manipuliert werden, bis an die Grenzen der Gesundheit und Fitness der Hunde.
Noch sind die Weißen nämlich eine sehr gesunde, widerstandsfähige und im Wesen robuste Rasse. Intelligente, treue und sehr loyale Begleit- und Sporthunde mit Herz, ein Schäferhund eben, wie man sich einen Schäferhund vorstellt.
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