Der „Trainings-Spaziergang“ als Resozialisierungstherapie

Von Christoph Clemens

Bei der Zusammenführung eines sozial schwierigen Hundes ­(„Problemhundes“) mit dem „Konfliktherd“ Hund stellt der ­gemeinsame Spaziergang mit einem gut sozialisierten Fremdhund einen wesentlichen Bestandteil einer möglichen ­Resozialisierung dar. Die persönlichen Erfahrungen des Autors zeigen, dass ­Konfliktvermeidung allein nicht zielführend ist, genausowenig
wie –  je nach Hund, Art und Ausmaß des Problemverhaltens und je nach Situation – ausschließlich positive Verstärkung (Leckerchen etc.) zum Ziel führt. Das Ziel einer verbesserten Lebensqualität für Hund und Halter eines stärker sozialaggressiven Hundes recht­fertige den Einsatz von „Zwangsmethoden“,  wie dies auch schon ein strenges verbales Abbruchsignal darstellt, oder bspw. ­körperliches Rempeln.

Je nach Ausprägung und Ursache der sozialen Unverträglichkeit wird zunächst in geeigneter ­Distanz zum fremden Hund trainiert. Die Distanz ist hierbei so zu wählen, dass der Hund sehr wohl (­kurzfristig) in Stress gerät. Denn für eine erfolgreiche Therapie ist die Auseinander­setzung mit dem Konfliktherd „fremder Hund“ unumgänglich. Jede Form der selbständigen, ruhigen und verträglichen Annäherung an den fremden Hund wird hierbei durch den Hunde­führer lobend und ruhig motivierend unterstützt. Im Gegenzug wird jede Form von aggressivem Verhalten bereits im Ansatz durch den Hundeführer konsequent unterbunden.

Individuell angepasst
Angepasst an die Bedürfnisse und Befähigungen des Hundeführers und an den Charakter und die ­Intensität des aggressiven Verhaltens des ­Hundes kommen hier wieder mehrere „Zwangseinwirkungen“ in Betracht. Bei vielen Hunden reicht ein neu konditioniertes verbales Abbruchsignal wie „Lass es“ oder „Schluss“ völlig aus. In anderen Fällen ist die kurze und impulsartige Einwirkung über das Kopfhalfter denkbar. Auch ­körperliche Abbruchsignale wie z.B. kurzes An­-
rempeln oder ein Stubser in Verbindung mit einem verbalen Abbruchkommando können genauso den erwünschten Erfolg bringen wie weitere Hilfsmittel wie z.B. eine Wasser­flasche oder die sog. Fisher Disc.

Ganz wichtig bei der Verwendung von Negativverstärkern ist allerdings die sofortige anschließende soziale Kompensation durch den Hunde­führer. Nach erfolgtem Abbruchsignal wird der Hund bei ruhigem Verhalten sofort ruhig und gelassen sozial, z.B. durch Streicheln und verbale Hör­zeichen, bestätigt. Hierbei übernimmt der Hundeführer eine klare Führungsrolle und gibt dem Hund ein neues Konfliktlösungsmodell (darf ich/darf ich nicht) vor.

Ein Ignorieren von aggressivem Verhalten ist hierbei aufgrund der hohen Lernerfahrung am Erfolg in Verbindung mit den entsprechenden ab­laufenden hormonellen Vorgängen im Körper des Hundes beim Einsatz von aggressivem Verhalten strikt abzulehnen.

Keine Ausbildung, sondern Therapie
Auch sei hier erwähnt, dass wir in diesen Fällen nicht von der „Aus­bildung“ des Hundes sprechen. In der Ausbildung des Hundes, z.B. zum Begleithund etc., haben Zwangsmittel oder Negativverstärker i.d.R. nichts zu suchen! Hier geht es ausschließlich um die Umformung und Therapie von Verhaltensauffälligkeiten und die Erhöhung des Führanspruches des Hundeführers. Bei Versuchen, dies ausschließlich über die Formen der positiven Bestätigung zu erreichen, wird man schnell an seine Grenzen stoßen.

Versuche, den Hund ausschließlich in stressfreier Distanz zu konfrontieren, versprechen genauso wenig Erfolg wie die zu schnelle Unterschreitung der tolerierten Distanz zum Konfliktherd. Letzteres wird das Problem höchstwahrscheinlich sogar noch verschlimmern.

Bei dieser Form des Trainings erfolgt keine Ablenkung über Leckerchen oder Bällchen, da der Hund sich sonst ggfs. nicht mehr mit seinem Konflikt auseinandersetzt. Ist die soziale Unverträglichkeit nur gering ausgeprägt, kann (!) eine Ablenkung über Leckerchen oder Spielzeug eine geeignete und zwangfreie Methode darstellen. Bei stärker ausgeprägter Sozialaggression ist diese Vorgehens­weise aber in der Regel nicht zielführend, da man auf das Interesse des Hundes angewiesen ist. Wiegt das Interesse des Hundes an der sozialen Auseinandersetzung nämlich höher als an Leckerchen oder Spielzeug, bleibt der Versuch der reinen positiven Verstärkung meist erfolglos. Auch besteht die Möglichkeit, dass sich zu der bisherigen Ursache der Sozial­aggression bei manchen Hunden nun auch noch eine Ressourcenaggression (Leckerchen/Spielzeug) gesellt.

Ziel ist Lebensqualität von Hund & Halter
Im Anschluss an diese ersten Übungen in möglichst reizarmer Umgebung folgen dann gemeinsame Spaziergänge. Der unverträgliche Hund wird hierbei mit etwas Abstand hinter (!) dem sozial verträglichen Hund geführt. Durch diese anhaltende Auseinandersetzung mit dem Konfliktherd fremder Hund erreicht man beim zu therapierenden Hund eine ständige Erhöhung der Reizschwelle und eine Gewöhnung an den fremden Hund. Hierbei darf man auch nicht vergessen, dass ­Hunde nur bis zu einem bestimmten Alter anhand weniger Erfahrungen, egal ob positiv oder negativ, generalisieren können. Im fortgeschrittenen Alter erreicht man eine Generalisierung beim Hund teilweise nur durch häufig wiederkehrende ähnliche Erfahrungen. Das kann bedeuten, dass sozial unverträgliche Hunde an jeden „neuen“ fremden Hund aufs Neue gewöhnt werden müssen.

Letztlich bleibt noch festzustellen, dass häufig ein Normalverhalten aufgrund von Lernerfahrungen etc. nur noch schwer bis gar nicht herzustellen ist. Sehr wohl ist aber eine Annäherung an das nahezu Normalverhalten möglich und somit eine verbesserte Lebensqualität für Hund und Halter.

Hinweis der Redaktion: Dass bei der Diskussion von Hilfsmethoden ­zwischen ihrem Einsatz in der Ausbildung von Hunden und dem in der Therapie von Problemverhalten unterschieden werden muss, hat der Autor klar herausgestrichen. Wie denken Sie über den Artikel? Sind Sie der Meinung, dass ausschließlich ­positive Konditionierung bei der Therapie von Problemverhalten angewendet ­werden darf? Wenn ja, welche Methoden sind bei welchen Problemen wie wirksam? Wovon hängt der Einsatz der Mittel ab? Wie beurteilen Sie den Einsatz von mehr oder weniger ­ausgeprägten „Zwangsmethoden“ und welche Methoden meinen Sie damit? ­Schreiben Sie uns und beteiligen Sie sich an der Diskussion in den nächsten Ausgaben von WUFF (Kontakt siehe Seite 6 in dieser Ausgabe).

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