Der Sprung in den Tod – Lebensgefährliche Sprünge abgewöhnen

Von Yvonne Adler

Die Kolumne zum Thema „Alltagsprobleme mit dem Hund". WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hundetrainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund , kurz formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser Ausgabe geht es darum zu verhindern, dass Hunde unbedacht in einen Abgrund springen.

Liebes WUFF Team!
Das Thema lässt mir keine Ruhe.
Im Bekanntenkreis ist vor 2 Wochen ein braver, folgsamer Australian ­Shepherd in den Tod gesprungen. Bei der Besichtigung eines Wallfahrtskirchleins hat der Hund im Kirchhof auf einmal beschleunigt und ist über die Mauer gesprungen – dahinter ein tiefer Abgrund. Genickbruch. Dabei war der Hund gar kein freudiger Springer. Ich hätte das gar nicht glauben können, wäre mir das Gleiche nicht einige Jahre vorher passiert, nur hatten meine Hunde damals mehr Glück. Einmal vor ­Jahren auf dem Pöstlingberg mit einer Colliehündin: Sprung auf die Mauer, darunter nur Dächer.
Ca. 10 Jahre später mit einer Hovawarthündin im Kirchhof von ­Straden: Der Hund beschleunigt freudig, springt auf die nach außen geneigte Mauer(darunter ein 10 Meter-Abgrund), schwankt, mein Freund erwischt die Hündin geistesgegenwärtig noch am Genick, sonst wäre sie abgestürzt. Kommt so ein Sprung ins Ungewisse öfter vor? Mussten Sie sich mit diesem Thema schon beschäftigen?
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. E. Weiss

Liebe Frau Dr. Weiss!
Unsere heutige Hundehaltung stellt unsere Tiere, aber auch uns als Hundehalter immer wieder vor neue Herausforderungen. Diese Anforderungen werden bspw. auch in der Zucht berücksichtigt: verschiedene Rassen mit sogenannten Leistungslinien werden gezüchtet, die Eigenständigkeit haben und selbst Entscheidungen treffen sollen. Dies bringt einige Vorteile, aber auch Gefahren mit sich.

Grundsätzlich ist Hunden eine gewisse Scheu gegenüber Höhen angeboren. Dies macht biologisch gesehen Sinn, damit es eben gar nicht erst zu einem Absturz kommt. Bei manchen Individuen ist dies stärker ausgeprägt, bei anderen weniger. Hier ist auch die Persönlichkeit des Hundes ausschlaggebend.

Nun arbeiten wir Menschen mit unseren Hunden entgegen dieser grundsätzlichen „Höhenscheu". Wir lehren unsere Hunde, uns vertrauensvoll zu folgen, zeigen ihnen zum Beispiel, dass eine erhöhte, durchsichtige ­Platte ­problemlos überschritten werden kann, auch wenn darunter der Abgrund zu sehen ist. In unserer heutigen Architektur kommen in den Boden eingelassene Glasplatten häufig vor und wir wollen, dass uns unser Hund auch in dieser Situation problemlos folgt.

Ähnlich ist es mit Sprüngen: wir wollen, dass der Hund z.B. auf das Kommando „Hopp" ein Hindernis überwindet, ohne dass er die Gelegenheit hatte sich zu vergewissern was dahinter liegt. Der Hund soll sich hier ganz auf uns verlassen und vertrauensvoll losspringen. Dies wird häufig geübt und bei verschiedensten Tätigkeiten und Sportarten auch eingesetzt. Der Hund lernt dadurch, dass Springen Spaß macht und dass man gar nicht darauf achten muss, was sich dahinter verbirgt. Ist dieses Verhalten gut trainiert, ist es für den Hund logisch, dies auch eigen­ständig und ohne vorherige „Absprache" mit dem Halter umzusetzen. Dadurch kann es dazu kommen, dass Hunde bei einem Sprung nicht überlegen, ­sondern einfach in den Abgrund springen.

Diese Ausführungen zeigen ­deutlich: einige Verhaltensweisen, die uns unsere Hunde zeigen, haben wir ­Menschen ihnen vorher (unbewusst oder bewusst) beigebracht oder gezeigt.

Wenn Sie nun in einer Gegend unterwegs sind, wo es potenziell gefährliche Stellen gibt, können Sie Ihren Hund lehren, bei einem Niveauunterschied immer eine „Freigabe" einzuholen, bevor er weitergeht.
Hier lernt der Hund einfach, ab einer gewissen Höhe stehenzubleiben und auf ein Kommando zu warten. Zusätzlich trainiert man den Hund, hinzusehen, wo es weitergeht, und nicht einfach in die Ferne zu blicken. Dazu ist allerdings unerlässlich – beim ­Wandern oder beim Touren Gehen – immer einen Blick auf den Hund zu haben, um ihm zu vermitteln, dass er sich langsam und vorsichtig bewegen soll.

Hier der Trainingsansatz dazu kurz umrissen:
Sie sehen bspw. eine niedrige ­Mauer mit 40 cm und lassen Ihren Hund darauf gehen. Nun lassen Sie Ihren Hund auf der Mauer „stehen", und erst auf Kommando: „Abstieg" darf er die ­Mauer mit einem Sprung verlassen. Bei diesem Training muss der Hund auf jeden Fall zuerst mit Leine ­gesichert werden, denn wenn er mehrfach ­alleine hinunterspringt, lernt er nur das Gegenteil. So kann sichergestellt ­werden, dass die Mauer erst auf das Kommando „Abstieg" verlassen wird.
Achten Sie nun im Training darauf, dass Sie dieses Kommando erst ab einer Höhe von 40 cm und höher verlangen, damit es für den Hund klar ersichtlich ist, wann das Kommando eingefordert wird. Zusätzlich macht es auch Sinn, dem Hund nicht nur einen „Abstieg" beizubringen, sondern auch ein Umkehrkommando, da Sie ja später nicht wollen, dass der Hund aus jeder Höhe springt. Sie können ihm dazu z.B. eine Höhe von ca. einem Meter zeigen und eine Bestätigung (Leckerchen, Lob, Spielzeug, etc.) für Umkehren geben.

Wichtig ist hierbei, sehr genau auf die Höhenunterschiede zu achten! Teilweise wird dann für „Abstieg" belohnt und öfter für „Umkehren". Auch ist es wichtig, dieses Training an möglichst vielen verschiedenen Orten zu üben. Erst so lernt der Hund durch die verschiedenen Umgebungskontexte, dass die Höhe der entscheidende Faktor ist, der berücksichtigt werden muss.

Hunde sind wirklich sehr schlau ­darin die Unterschiede herauszufinden, wann sie nun das Verhalten zu dem jeweiligen Kommando zeigen müssen oder nicht. Daher achten Sie bitte auch sehr genau darauf, dass Ihr Hund die gewünschte Handlung tatsächlich mit der Höhe in Verbindung bringt und nicht zum Beispiel nur mit dem Equipment wie Leine, Futterbeutel, Jacke, Schuhe etc. verbindet.

Wenn das Training ausreichend geübt und es auch während der täglichen Spaziergänge gut eingesetzt wurde, wird mit der zunehmenden Lern­erfahrung und der Gewöhnung des Hundes die Sicherheit und die souveräne Ausführung des Kommandos steigen.

Ein Restrisiko wird allerdings immer bleiben, schließlich sind Hunde fühlende und denkende Lebewesen. Sie agieren und reagieren situationsbedingt. Deshalb wird es nicht möglich sein, alle Umgebungen und Umstände so zu trainieren (generalisieren), um dieses Training zu 100% abzusichern. Bspw. wird ein jagdlich motivierter Hund, der eine Wildspur aufgenommen hat, versuchen dieser möglichst rasch zu folgen. Die Niveauunterschiede werden dann nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Training und zukünftig angstfreiere Spaziergänge, selbst wenn dies ­bedeutet, in sehr gefährlichem Gelände den Hund über eine Leine zu sichern!
Herzlichst,
Yvonne Adler

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