Der Sheltie: Kleiner Wikinger mit großem Herz

Von Liane Rauch

Durch seine Lage zwischen Schottland, Norwegen und den Faröer-Inseln waren die Hunde der Shetland Inseln noch bis zum ­Ende des 19. Jh. eine bunte Mischung aus nordischen und britischen Hütehunde­schlägen.

Trotz der Nähe zum ­Golfstrom und der im ­Jahresdurchschnitt gesehen relativ milden Temperaturen herrscht auf den Shetland Inseln (Inselgruppe ­zwischen Schottland, Norwegen und den Faröer-Inseln) recht ungemütliches Wetter. Mit durchschnittlich 216 Regentagen im Jahr und auch im Juli und August nur 6 Sonnenstunden pro Tag mussten die Menschen und Tiere dieser Inseln schon immer wetterfest und robust sein. Beeinflusst vom unwirtlichen Klima und eingeschränkten Nahrungsangeboten bevorzugten die Bewohner auf den Shetlands Nutz­tiere, die wesentlich kleiner sind als auf dem Festland oder den größeren Inseln. Denn kleine Tiere benötigen weniger Platz und weniger Nahrung, und natürliche Feinde wie Wolf und Bär gab es auf den Inseln nicht. Gehen wir auf die Reise, in den Hohen Norden, auf die Inseln der Papageien­taucher, Tölpel, Wale und der kleinsten Nutztiere der Welt.

Kleine Wikinger mit Herz
Besiedelt sind die Shetland Inseln seit dem 3. Jahrtausend vor Chr. Die Bevölkerung lebte in dieser Zeit schon von Viehhaltung und Ackerbau. Ob bereits damals Hunde die Begleiter der Menschen und ihres Viehs waren, ist leider nicht bekannt, es gibt dafür keine Anhaltspunkte. Domestizierte Wölfe gab es dort auf jeden Fall nicht.
Es gilt heute als bewiesen, dass die ersten Hunde im 9. Jahrhundert n. Chr. mit den Wikingern auf die ­Inselgruppe kamen. Dabei handelte es sich um spitzartige Hundetypen wie Buhund, Islandhund und Lundehund. So unromantisch es klingt, diese kleinen Hunde dienten den Wikingern auf ihren Reisen u. a. als lebender Proviant. Ebenfalls mit den Wikingern kamen die uralten Hütehundschläge mit auf die Inseln, die zu dieser Zeit seit schon fast 2000 Jahren die riesigen Rentier­herden der Schweden, Finnen und Norweger hüteten und schützten.

1195 wurden die Inseln an Norwegen angegliedert, norwegische Walfänger brachten nun auch ihre „Yakki“ mit, einen etwa 36 cm kleinen Hund, dem Islandhund sehr ähnlich. Yakki ist ein Wort aus der alten Sprache ­„Kaurna“ eines australischen Aborigine-Stammes und bedeutet so viel wie Tal. Ab 1469 wurden die Shetland Inseln schottisch, sie waren die Mitgift der Tochter Königs Christian von Dänemark bei ihrer Heirat mit König James III. von Schottland. Die alte Sprache der Shetländer starb aus, und die nun von Schottland aus einwandernden Schafzüchter brachten ihre Collies mit. Anzumerken ist hierbei, dass die Collies im Mittelalter kleiner waren als die heutigen. Es dürfte sich damals auch noch hauptsächlich um schwarz-weiße Hunde, sehr ähnlich dem heutigen Border Collie, gehandelt haben. Die Farbe Sable kam ja erst wesentlich später mit Old Cockie (1868), einem damals sehr bekannten Collie-Rüden, in die britischen Hütehundschläge.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die Hunde eine lustige bunte Mischung aller möglichen nordischen und britischen Hütehundeschläge. Von Einheitlichkeit keine Spur, Ringel­ruten vom Spitz, von Schlapp- bis Stehohren war alles dabei, und bis 1909 gab es noch einen kurzhaarigen Schlag. Gemeinsam war ihnen nur die geringe Körpergröße, die 35 cm selten überstieg. Größere Hunde wären dem kleinen Nutzvieh gefährlich geworden. In Ermangelung von Raubtieren musste der Hund zwar aufmerksam, aber nicht wehrhaft sein. Die damals eingesetzten Hunde wurden auf Arbeitsleistung selektiert, durften keinesfalls Aggression zeigen, und biss einer ­dieser kleinen Schäferhunde doch einmal zu fest zu, war damit sein Leben in der Regel beendet.

Der Sheltie auf dem Weg zur ­eigenen Rasse
Es waren Pferdehändler und Marine­soldaten, die auf den Sheltlands stationiert waren, die die ersten ­Shetland Collies nach England brachten. Daten über das erste ­Auftauchen des Shetland Collie (offizielle ­Rassebezeichnung auf Ausstellungen Anfang des 20. Jahrhunderts) sind ungenau. Clara Bowring, Schriftführerin des English Shetland Sheepdog Club (ESSC), nennt einmal das Jahr 1906 und an anderer Stelle ihres Berichtes das Jahr 1909. Der erste Rasseverein, der Shetland Collie Club, wurde am 23. November 1908 in ­Lerwick gegründet. Laut dem ersten Rassestandard soll der ­gewünschte Hund nicht größer als 12 Inch (30,5 cm) und nicht schwerer als 12 engl. Pounds sein. Rasch kam es zu ersten Unstimmigkeiten. Britische Collie­züchter protestierten ­vehement gegen den Namen ­„Shetland Collie“, sie beanspruchten das Wort Collie nur für ihre Hunde. Der ­Collie war damals schon fast 50 Jahre „schön“, der ­Sheltie hingegen noch ein ­uneinheitlicher Mischling.
Nach einem bösen Streit musste der Zusatz ­Collie aus dem Namen der neuen Rasse gestrichen werden, die schließlich in Shetland Sheepdog umgetauft wurde.

1914 wurde als zweiter Verein der English Shetland Sheepdog Club gegründet und unmittelbar danach erkannte der London Kennel Club den Sheltie als eigenständige Rasse an. Dieser Rassestandard verlangte nun ausdrücklich einen Mini-Collie. Zitat: „The general appearance ist that of the modern show collie in miniature …“ also “Das allgemeine Erscheinungsbild ist das des modernen Show Collies in Miniatur …”. Dann kam der Erste Weltkrieg und danach war der Sheltie so gut wie verschwunden.

Optik versus Gesundheit
Wird aus einer Arbeitsrasse eine Show- oder Ausstellungszucht, ist es mit der Gen-Vielfalt und Vitalität über kurz oder lang nicht mehr so gut bestellt, wie Populationsgenetiker erklären. D.h., wird mehr Wert auf Optik gelegt, leidet die Gesundheit und Arbeitstauglichkeit. Selektiert der Züchter hingegen auf Arbeitstauglichkeit und Belastbarkeit, leidet die Optik.

Der bis dahin „Toonie-Dog“, „Peerie“ oder „Fairy-Dog“ (Fairy = Fee/Elfe) genannte Insel-Hütehund geriet zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter die „Ausstellungsräder“. In den 1920er Jahren begann man die vorhandenen Shelties mit Collies zu kreuzen. Eine große Rolle spielte dabei die kleine Colliehündin Teena, die mit Sheltierüden verpaart wurde. Teena stand auch ganz offiziell als Collie in den Ahnentafeln der Shelties, daraus wurde niemals ein Geheimnis gemacht. Getrost ad acta kann man übrigens die Annahme legen, dass im Sheltie ein King Charles Spaniel mitgemischt habe, wie man gelegentlich hört.
Abgesehen vom Äußeren, wäre es so gewesen, stünde er außerdem auch in den Ahnentafeln.

Die heute noch vorherrschende Linie in Großbritannien ist die so genannte „BB-Linie“, die auf dem Rüden Butcher Boy basiert. Eine recht enge Linienzucht, in deren Ahnentafeln der ersten vier Generationen fünf Mal der Rüde Wallace, ein Sohn von Butcher Boy, und drei Mal die Hündin Teena aufgeführt ist. Das Ganze geschah natürlich „nur zur optischen Verbesserung“ der Rasse. Denn Arbeitsleistung war ja nun nicht mehr gefragt.

I’m an Englishman in New York
Der erste im American Kennel Club registrierte Sheltierüde war 1911 Lord Scott. Eine wichtige Säule der Sheltiezucht in den USA bildete der „Chestnut Kennel“. Wie bei anderen Rassen auch, legten die US-Amerikaner nicht nur noch mehr Wert auf die äußere Erscheinung, sondern auch auf die Größe. Der American Sheltie ist, genau wie der American Collie, grobknochiger, massiver und größer als der britische Schlag.

Worin allerdings der Sinn eines auf Größe gezüchteten Shelties liegt, wird wohl immer im Verborgenen bleiben. Genauso sinnlos wie die Zucht auf Zwergenwuchs bergen solche Extreme doch auch immer große gesundheitliche Risiken. Wenn Interesse an einem langhaarigen Hütehund mittlerer Größe besteht, könnte man ja auch gleich einen britisch gezogenen Collie nehmen. Denn einen Unterschied zwischen American Sheltie und dem britischen Collie sieht man fast schon nicht mehr. Die Proportionen beim American Sheltie sind nicht immer wirklich harmonisch. Ich habe amerikanische Shelties gesehen, die einen viel zu großen Kopf auf zu kleinem Körper tragen – oder umgekehrt. ­Leider gibt es im AKC (American Kennel Club) nach wie vor keine Zuchtordnungen, jeder kann sein eigenes Süppchen kochen, sogar Merle x Merle Verpaarungen sind erlaubt. Als Liebhaber der Britischen Hütehunde würde ich mir persönlich wünschen, dass es auch Britische Hütehunde bleiben. (Gott sei Dank ist ja bisher noch keiner auf die Idee gekommen, einen Mini-Bobtail zu züchten.)

Schäferhund oder Gesellschaftshund?
Wie so oft bei den sogenannten Showlinien-Zuchten – und der moderne Sheltie ist eine Showlinie – wird behauptet, dass Hunde aus diesen Linien wenig oder keinen Arbeitstrieb mehr haben. Das stimmt jedoch beim Sheltie nicht. Durch eigene Erfahrungen und den Kontakt zu vielen anderen Sheltiebesitzern und Hundesportlern behaupte ich nun, entgegen der allgemeinen Meinung, dass der Sheltie nach wie vor ein Schäferhund ist. Mit allen Eigenschaften und Charakter­zügen, die ein Schäferhund nun einmal so zeigt. Der Hütetrieb ist nach wie vor vorhanden, mein eigener Sheltie beweist mir dies jeden Tag. Er verfolgt laut schimpfend meinen Jungrüden, läuft dieser zu schnell von der Gruppe weg, und versucht ihn mit Zwicken in die Hinterbeine und laut schimpfend zu stoppen. Auf unzähligen Agility-Turnieren kann man die außergewöhnlichen Leistungen dieser kleinen Wirbelwinde beobachten, wie sie flink, wendig und mit viel Temperament die schwierigsten Parcours meistern. Nicht minder begabt ist diese auf die Zusammenarbeit mit dem Menschen gezüchtete Rasse im Obedience-Sport. Der einzige Unterschied zu anderen Schäferhundschlägen ist, dass der Sheltie wenig bis keinen Schutztrieb zeigt. Selbstverständlich gibt es auch innerhalb dieser Rasse Ausnahmehunde, die weniger lebhaft sind, Hundeindividuen, die einen ruhigeren Alltag bevorzugen. Doch sind dies wirklich Ausnahmen.

Der Sheltie heute
Die körperlichen Unterschiede zwischen den heutigen Shelties können groß sein. Da gibt es die zierlichen Filigran-Shelties, mit maximal 30 cm Schulterhöhe, bei denen man Angst hat, jeder Knochen bricht, wenn sie laufen und springen. Dann die großen, manchmal plump wirkenden American Shelties mit proportional zum ­Körper gesehen bisweilen recht großen ­Köpfen und einer erlaubten Schulterhöhe bis 41 cm auch bei Hündinnen. Im FCI-Standard werden 35 – 37 cm bei einem Gewicht bis 7 kg verlangt.

Anerkannt sind fünf Farbschläge, sable (zobelbraun), tricolour (schwarz-weiß-braun), blue-merle (weiß-grau-schwarz-gesprenkelt),
bi-black (schwarz-weiß) und black-and-tan (schwarz-braun).

Wie bei fast allen Rassehunden ist zu hoffen, dass auf Extreme verzichtet wird. So mancher Sheltie, den ich kenne, ist viel zu klein. Patellaluxationen sind die Folge. Gehäuft tritt, wie beim Collie auch (schließlich sind sie eng verwandt), die Dermatomyositis auf, eine erblich bedingte Haut-Muskel-Erkrankung, die vor allem bei Junghunden auftritt.

Der Sheltie ist ein hoch intelligenter, arbeitswilliger Kumpel für sportliche Menschen, der mehr kann als auf ­Ausstellungen im Kreis zu laufen.
Es ist eine Rasse, die noch recht gesund und robust ist. Es ist zu ­hoffen, dass es auch in Zukunft so bleibt, der kleine Wikinger hat es wirklich verdient.

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