Der Sealyham Terrier – Gentleman unter den Terriern

Von Anna Hitz

Er ist ein ebenso geschickter wie gnadenloser Jäger und zugleich ein origineller, gutgelaunter Begleithund. Wobei er die Familie liebt und das aufregende Leben jedem Luxus vorzieht. Trotzdem ist er vom Aussterben bedroht. 2013 wurden in der Schweiz keine, in Deutschland 12 und in England 68 Welpen geboren.

Die Zeitung DailyMail ­berichtete einst von „Dem Hund der vom Aussterben bedroht ist: Englische Terrier sind seltener als Tiger“. Country Life startete eine SOS Kampagne: Save our Sealyhams. Den einst beliebten Jagdhund, der zum Hitdog der Gesellschaft avancierte, kennt heute keiner mehr. Dementsprechend schwierig war es für die Dreharbeiten von Alfred Hitchcocks Biografie „Hitchcock“, zwei passende Sealyhams zu finden, die seine ­Hunde Geoffrey und Stanley verkörpern sollten. Dabei schätzte Hitch seine Vierbeiner so, dass er sie persönlich in der Anfangsszene von „Die Vögel“ aus einem Tiergeschäft herausführt. In „Storm in a Teacup“ von Victor Saville sprintet gleich ein ganzes Rudel Sealyhams durch eine Szene, fast wie ein Sinnbild für die 30er und 40er Jahre. Kein Prominenter dieser Zeit, der sich nicht mit seinem Sealyham ablichten ließ: Agatha Christie, Dorothy Parker, Humphrey Bogart, Bette Davis, Gary Cooper, Elizabeth Taylor, Princess Margaret und die Queen besaßen diese lebenslustigen Hunde. Was natürlich alle Welt dazu inspirierte sich ein ähnliches Modell anzuschaffen. Wie so oft hat diese enorme Popularität der Rasse vor allem geschadet, weshalb sich namhafte Züchter bald um die Rasse sorgten. Denn aus den einst kleinen, drahtigen Jagdterriern wurden zusehends schwerere, seidenhaarige Modelle. Mit dem heutigen Fell hätte der Begründer dieser Rasse Captain John Edwards vermutlich nichts anzufangen gewusst.

Captain John Edwards
Seine Familie wohnte seit Generationen in dem Herrenhaus Sealy Ham in Wales. Wohin er sich auch nach seiner Pensionierung mit 40 Jahren zurückzog, um sich ausgiebig seinem Hobby, der Jagd, zu widmen. Im Sommer zu Pferd auf der Suche nach Füchsen und im Winter zu Fuß auf Otter-, Dachs- und Iltis-Spur, war er auf ausdauernde Hunde angewiesen, die dement­sprechend wetterfest sein mussten, um sich in der feuchten walisischen Landschaft wohlzufühlen. Edwards Familie lässt sich bis 1066 zurückverfolgen. Sein Geschlecht soll mit Wilhelm dem Eroberer von Flandern auf die Insel gekommen sein. Was den Schriftsteller F. Freeman später zu der Aussage verleitete, die kleinen ­weißen Terrier seien mit über das Meer gereist. Auf die Idee brachte ihn ein flämischer Gobelin, auf dem weiße Terrier zu sehen sind.

Jedoch sind so alte ­durchgezüchtete Hundeschläge ungeheuer selten. Zudem waren Edwards erste ­Hunde meist schwarz-rot oder rot. Was genau in die Ursprünge der Sealyhamzucht einfloss, kann nicht nachvoll­zogen werden. Hans Räber vermutete die Einkreuzung von Dandie Dinmont Terriern, Cheshire Terriern (eine ausgestorbene Art kleiner Bullterrier) und Foxterrier. Vielleicht aber auch dem Heeler (einem Vorläufer der Welsh Corgis) und dem Poltaloch Terrier (der Vorgänger des West Highland White Terriers), die beide Englische Jagd­terrier waren.

Gut überliefert ist Edwards unnachgiebige Zuchtauslese. Seine Terrier mussten auf der Jagd Dachs und Otter ohne mit der Wimper zu zucken angreifen, durften untereinander aber keine Tendenzen zur Aggression zeigen. Schließlich sollten sie in der Meute jagen und mit den Foxhounds laufen. Edwards selber schrieb über seine Hunde: „Ich kann gleichzeitig fünf oder sechs Paare unter die Erde schicken oder mit fünfzehn Paaren auf die Jagd mit der Flinte gehen, nie wird es dabei zum Streit der Hunde untereinander kommen. Ich würde einen streitsüchtigen Hund nie auch nur fünf Minuten lang behalten, noch viel weniger mit ihm züchten.“ Er hielt bis zu hundert Hunde. Seine Welpen gab er zur Aufzucht an seine Pächter ab. Waren die Hunde rund ein ­halbes Jahr alt, wurden sie von Edwards besichtigt. Lief ein Hund bei seinem Anblick davon, wurde er erschossen. Die zweite Prüfung erfolgte mit zehn bis zwölf Monaten. Die Hunde mussten ihre Jagdtauglichkeit unter Beweis stellen. Mit einem Iltis wurde eine Fährte bis in einen Kunstbau gelegt, in dem der Iltis eingeschlossen ­wurde. Der junge Hund sollte die Fährte aufnehmen, ihr folgen und den Iltis töten. Tat der Hund das nicht, wurde er erschossen.

Seine Zuchtmethoden galten bereits damals als unangemessen. Mit den Jahren soll Edwards milder ­geworden sein. So ließ er einen Junghund, der den Iltis nicht gestellt hatte, am Leben, weil der Pächter um den Hund als Rattenvertilger gebeten ­hatte. Im Alter von zwei Jahren kaufte Edwards den Hund zurück, als den besten Jagdterrier, den er je gezüchtet ­hatte. Als John Edwards 1891 starb, ­übernahm seine Tochter das Erbe und wurde schließlich Präsidentin des 1908 gegründeten Sealyham ­Terrier Clubs. Sie stellte ihre Hunde aus und galt als Verwalterin der Rasse. 1910 wurde ein erster Rassestandard für die kurzbeinigen Terrier aufgestellt und ab 1911 wurden sie vom Kennel Club registriert. Das Publikum wurde auf die Hunde aufmerksam und die Preise schossen in die Höhe. Der erste Weltkrieg führte in der Zucht, wie bei so vielen anderen Rassen auch, zu einem Abbruch. Jedoch gehörten sie zu den ersten Hunderassen, deren Zucht wieder aufgenommen wurde. Die folgenden 20 Jahre bilden den Höhepunkt ihrer Popularität. Was den Sealyham optisch veränderte: Die Hunde wurden größer, schwerer und das Fell weicher, was das Trimmen erschwerte.

Aussehen und Haltung
Sir Edwards Hunde waren kurzbeinige, langrückige, rauhaarige Terrier gewesen. Charakteristisch war ein großer Kopf mit starkem Kiefer. Weiß, mit schwarzen oder auch braunen Abzeichen, lag das Gewicht durchschnittlich bei 6 Kilogramm. Die neuen Hunde schafften das doppelte Gewicht bei einer Schulterhöhe von 32 Zentimetern. Die heutigen Sealyhams haben die Schulterhöhe bei einem Ideal­gewicht von 8-9 Kilogramm behalten, wobei sie auch heute reinweiß oder weiß mit Markierungen vorkommen. Unter dem Schutzfell haben diese Terrier eine weiche Unterwolle, weshalb die Hunde regelmäßig ­gebürstet werden müssen, um nicht zu ­haaren. Auch deshalb stehen heutige Sealyham-Halter schwer unter dem Verdacht, ihre Freizeit am liebsten mit Hundebürsten zu gestalten, um das Styling termingerecht für die Ausstellung zu perfektionieren. Man kann seinen Sealyham aber auch entgegen den Ausstellungsgepflogenheiten ganz kurz im Fell halten. Die Metamorphose zum Terrier findet sofort statt. Zudem erspart einem die Kurzfellvariante viel Schmutz in der Wohnung. Wer den Sealyham dann noch immer mit einem Schoßhund verwechselt, sollte sich die Zeit nehmen und Harry Parsons kennenlernen. Der Begründer des Working Sealyham Terrier Clubs, der sich seit über 30 Jahren für die Rettung der Sealyham Terrier einsetzt, und selber 22 dieser bärtigen Vier­beiner hält, kann stundenlang Anekdoten über seine Hunde zum besten geben, wobei er ihre Intelligenz, den Schneid und ihre Jagdtauglichkeit ­grenzenlos bewundert. Um den Leuten zu ­zeigen was er meint, wird er nicht müde sein Rudel bei der Jagd ­vorzuführen oder Veranstaltungen, wie die Crufts, zu besuchen. Nicht um seine ­Hunde ­auszustellen, sondern um die Be­sucher auf seine kleinen, agilen und menschenfreundlichen Arbeitshunde aufmerksam zu machen.

Vom Aussterben bedroht
Denn die Welpenstatistiken sehen mager aus: 2014 wurden in der Schweiz 4 und in England 97 Welpen geboren (Die Zahlen für 2014 des Verbands für das Deutsche Hundewesen sind noch nicht publik). In ihrer Blütezeit in den 20er Jahren kamen nur alleine in England pro Jahr 2000 Welpen zur Welt. „Damit der Sealyham jedoch weiter bestehen kann, wären 300-500 Welpen pro Jahr nötig“, ist Harry Parsons überzeugt.

Jagdhund
Dass der unbändige Brite seine Hunde als Jagdhunde ausbildet, ist für ihn selbstverständlich. Denn die Jagd mit den Hunden gehört für ihn zu etwas vom Besten: „Bei einer meiner schönsten Jagden haben wir nach drei Stunden nichts erlegt.“ Es geht ihm darum draußen zu sein, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Denn wie er erzählt: „Früher ging ich mit meinen Hunden laufen. Heute nehmen mich meine Hunde mit auf eine Runde. Sie zeigen mir Dinge in der Natur, die ich ohne sie nie gesehen hätte.“ Gleichzeitig ist die Jagd für Harry Parsons auch Naturschutz. Oft wird er von Bauern, Schweine- und Vogelzüchtern angeheuert, um Ratten zu vertreiben. Dafür sind die kleinen Sealyhams ideal. Sie jagen unter den Ställen und er­ledigen eine Ratte in wenigen Sekunden. „Das ist doch viel tierfreundlicher als die Alternative Gift. Davon siechen die Ratten während zwei Wochen dahin und man kann nicht kontrollieren, wo es sonst hingelangt oder ob es ­andere Tiere fressen.“ Manchmal muss er auch ­größere Schädlinge aufspüren, die Parsons mit Hilfe seiner Sealyhams findet, aus dem Bau treibt, einfängt und wo­anders wieder aussetzt. Er kennt seine ­Hunde: „Ich sehe ihnen an, ob wir einem Fuchs, Dachs oder ­Marder auf der Spur sind.“

Familienhund
„Trotzdem“, betont er „gehören die kleinen Waliser nicht nur in Jägershände sondern in Familien und zu aktiven Menschen.“ Einer von Parsons gezüchteten Hunden lebt in London. Der Rüde begleitet seinen Halter mit der Untergrundbahn zur Arbeit und fühlt sich in der Themsestadt hundewohl. „Einmal brachte der Halter den Hund zur Jagd mit. Er war bereits als Welpe nach London gezogen. Doch nicht zwei Minuten hat es gebraucht und der Sealyham wusste, um was es ging. Den ganzen Tag lief er mit dem Rudel, als ob er nie etwas anderes getan hätte. Auch als Stadthund hatte er seine Wurzeln nicht vergessen.“ Diese Fähigkeit, sich rasch an die Menschen und ihre Umgebung anzupassen, ist es, was die Liebhaber dieser Rasse so schätzen. So erzählte eine 90-jährige Dame Harry Parsons bei einer Veranstaltung: „Ich hatte einen Sealyham. Nachdem er gestorben war, konnte ich mir keinen Hund mehr anschaffen.“ Parsons fasst es so zusammen: „Ich habe Sealyhams mein ganzes Leben gekannt. Sie sind großartige Gefährten, und die Weise, wie sie sich mit ihren Haltern verbinden, ist beinahe magisch. Ich habe sechs im Haus, und wenn jemand läutet wegen eines Befalls und uns nach einer ­Rattenjagd fragt, wissen sie es sofort und sind innerhalb einer ­Millisekunde außerhalb der Tür. Wenn man sie trainiert, apportieren sie. Sie machen alles, um zu gefallen. Man muss einen halten, um es zu sehen und zu ­glauben.“

Leider ist auch der Sealyham nicht frei von Erbkrankheiten. Bekannt ist vor allem die Linsen-Luxation. ­Weitere Erbkrankheiten sind jedoch nicht auszuschließen, da der Popular Sire Effekt und der kleine Zuchtbestand bei unsorgfältiger Zucht zu weiteren Problemen führen kann. Als aktiver Hund mit eigenem Charme, der für den Terrier obligaten Kreativität, Tendenz zum Bellen und Verspieltheit will er das Leben an der Seite seines Halters erfahren. Eine angemessene, konsequente und freundliche Erziehung (die jeder Terrier verdient hat) macht ihn zu einem Begleiter, auf den man sich verlassen kann und der sich mit Kindern, im Rudel, alleine, im Haus oder in der Wohnung wohlfühlt. Vorausgesetzt er bekommt den Auslauf, den er sich wünscht.

Als Gentleman der arbeitenden ­Terrierwelt hat der Sealyham eine „Ich lasse Dir den Vortritt, mein Freund-Attitüde“, die sehr gut zum Familienleben passt.

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