Der „Schlüssel“ zu Ihrem Hund

Von Dr. Denise Seidl

Im Spiel werden Verhaltensweisen – oder Verhaltensbruchteile aus verschiedenen Verhaltensbereichen – gezeigt und miteinander frei kombiniert. Charakteristisch für spielerische Verhaltensweisen ist, dass diese in entspannter Atmosphäre und spontan auftreten, wenn keine anderen Verhaltensweisen aktiviert sind, und dass sie „ohne Zweck“ erscheinen. Die Tiere zeigen Ansatzhandlungen aus Verhaltensbereichen, für welche die inneren Bedingungen erst im Erwachsenenalter voll gegeben sind, wie zum Beispiel aus dem Beutefang- und aus dem Sexualverhalten.

Solitär-, Objekt- und Sozialspiele
Spielerische Verhaltenselemente unterliegen keinem Gewöhnungseffekt und können in unermüdlicher Folge ausgeübt werden. Im Gegensatz zum Verhalten im Ernstfall wird Spielverhalten vielfach sehr übertrieben gezeigt, da die Bewegungsweisen mit größerem Kraftaufwand, größerer Geschwindigkeit und in häufigeren Wiederholungen ausgeführt werden. Spielverhalten setzt Lernvermögen voraus und ist in der Regel auf Jungtiere besonders hoch entwickelter Säugetiere und Vögel begrenzt. Tierarten jedoch, die ihrer Umwelt besonders offen gegenüber stehen – wie unsere Hunde – behalten Spielverhalten auch bis zu einem gewissen Ausmaß im Erwachsenenalter bei. Unterschieden wird zwischen Solitärspielen, wie reinen Bewegungsspielen (z.B. Sich-im-Kreis-Drehen und Sich-selbst-in-den-Schwanz-Beißen), Objektspielen mit einem Gegenstand oder Sozialspielen mit einem oder mehreren Artgenossen oder Menschen.

Das „Spielgesicht“: Damit es kein Missverständnis gibt
Damit spielerische Angriffe nicht als aggressive Angriffe missverstanden werden und keine ernsthaften Konsequenzen nach sich ziehen, wird die Spielbereitschaft mittels entsprechenden Spielsignalen ausgedrückt. Vor allem unser Hund setzt ein spezielles „Spielgesicht“ auf. Seine Augen blicken dabei ins Leere, und er sieht etwas „abwesend“ aus, die Ohren werden kurze Zeit und schnell an den Kopf gelegt, das Maul ist leicht oder übertrieben weit geöffnet. Mundwinkelbewegungen fehlen, Zähne werden nicht gezeigt, und obwohl Drohen imitiert wird, fehlt das Nasenrückenrunzeln. Das Hochziehen der Oberlippe ist als Spielaufforderung gegenüber dem Menschen zu werten.

Hundlicher „Animateur“
Die wohl bekannteste Ausdrucksform ist die Vorderkörper-Tiefstellung, welche Artgenossen zum Verfolgungs- sowie Kampfspiel oder den Menschen zu Wurfspielen animieren soll. Dabei senkt der Hund den Vorderkörper, die Vorderbeine werden im Ellbogengelenk stark abgewinkelt und seitlich gespreizt, der Schwanz wedelt stark, der Kopf wird schief gehalten oder auch ruckartig hin- und herbewegt. Der Hund kann zusätzlich auch bellen oder aus dieser Stellung spontan hochspringen und/oder weglaufen, meistens auch mit übertriebenem Kopfwenden. Dies leitet das Rennspiel ein, wobei der auffordernde Hund die Rolle des Verfolgten übernimmt. Aber auch das Hopsen und das Weglaufen haben einen starken Mitmacheffekt.
Beim „Spielbeißen“ liegt der Hund in defensiver Form auf dem Rücken und richtet Bisse als Spielaufforderung gegen den Artgenossen oder Menschen. Meist wird ins Leere gebissen, und der Hund knurrt dabei oder bellt etwas lauter als sonst. Welpen können im Eifer des Spiels dabei schon einmal fester zubeißen. Beim „Spieltragen“ trägt der Hund in hopsenden oder tänzelnden Bewegungen einen Gegenstand zu seinem Spielpartner, beim „Beißschütteln“ packt der Hund einen Gegenstand oder einen Körperteil mit den Zähnen und bewegt den Kopf übertrieben schnell – in weiten Schüttelbewegungen – nach links und rechts. Aber auch kämpferisches Gerangel, Mit-der-Schnauze-Stoßen und Aufreiten haben Spielintention.

Wirkung auf die Tier-Mensch–Beziehung
Das Spielen ist in der Entwicklung des Welpen von entscheidender Bedeutung, denn die Lern- und Intelligenzleistungen des Hundes steigern sich mit dem Grad der sozialen Bindung an seinen Besitzer. Auch ist die Lernbereitschaft eines jungen Tieres während der Spielphasen am intensivsten, und so kann dem jungen Tier spielerisch alles Neue vermittelt werden, was für das spätere Leben benötigt wird, wie z.B. Begegnungen mit anderen Menschen, Artgenossen, anderen Tierarten, sowie verschiedene optische und akustische Eindrücke. Fachkundig geführte Welpenspielgruppen und Hundeschulen für Junghunde bieten eine gute Möglichkeit dazu.
Kommt es aufgrund menschlicher Versäumnisse zu Erfahrungsentzug durch Reduktion von Umweltreizen und zu negativen Erfahrungen infolge sozialer Isolation und mangelnder Beschäftigung während der Jugendentwicklung des Hundes, entstehen Fehlentwicklungen im Verhaltensbereich, welche Verhaltensstörungen nach sich ziehen, die in der Regel nicht mehr abzubauen sind.

Spielverhalten einschätzen und einsetzen
Viele Hunde sind in verstärktem Ausmaß verspielt oder haben eine Vorliebe für heftige Spiele. Wenn unzureichende Fürsorge- und Haltungsbedingungen dem Tier den Kontakt und das Spiel mit Artgenossen nicht ermöglichen, ist der Hund gezwungen, seine Spielaufforderung an Menschen zu richten. In der Folge kneifen manche Hunde in Hände, zerren an Hosenbeinen oder schnappen nach Menschen. Entscheidend dabei ist die Reaktion der Betroffenen. Handelt es sich um kleine Kinder, die vielleicht schreien, oder um ängstliche Personen, die um Umgang mit Hunden nicht über ausreichende Erfahrung verfügen und deswegen zurückschrecken, den Hund von sich schieben oder gar weglaufen? Die diversen Reaktionen der Betroffenen bedingen wiederum eine Reaktion des Hundes, welche verstärktes, noch aggressiveres Spiel oder eine verstärkte Intensität der Attacke beinhalten kann. Sehr oft sind Hundebesitzer dann verunsichert, und die Einstufung von aggressivem Spielverhalten als bösartige Aggressivität kann sich als besonders folgenschwer auswirken und das Abgeben des Hundes oder gar die Erwägung der Euthanasie zur Folge haben.
Jedoch können eine unabsichtliche Förderung eines solchen Verhaltens durch den Tierhalter durch häufiges aggressives Spiel mit dem Hund (Hetzen), eine unbeabsichtigte Belohnung des aggressiven Spiels, mangelnde Besitzerdominanz, mangelndes Training und Fehleinschätzungen des Halters ebenso Kausalfaktoren für spielerische Aggression sein.

Beides wichtig: Spielen Hund-Mensch und Hund-Hund
Bei unerwünschtem Verhalten und Verhaltensproblemen können über das Spielverhalten, durch das Erstellen von „Spieltherapien“, die interaktiven Grundregeln zwischen Hund und Tierhalter zum Positiven verändert, die Tier-Mensch-Beziehung gestärkt, das Bedürfnis des Hundes nach körperlicher und geistiger Beschäftigung gestillt, aber auch die Beziehungen zu Artgenossen verbessert werden. Mehrere ethologische Untersuchungen haben gezeigt, dass das Hund-Hund-Spiel und das Hund-Mensch-Spiel für den Hund nicht den gleichen Stellenwert haben und dass sowohl intraspezifisches (innerartliches) Spiel als auch das Spiel mit dem menschlichen Sozialpartner für die soziale „Kompetenz“ des Hundes unerlässlich sind.

Begabungen spielend erkennen
Gerade im Spiel zeigen Hunde ihre Begabungen, sammeln sie doch durch spielerisches Üben Erfahrungen und erlernen Fertigkeiten, die sie im Erwachsenenalter dann „beruflich“ ausüben. Auch manche rassetypischen Eigenschaften, die durch künstliche Selektion gezüchtet wurden, finden sich in den jeweiligen Spielvorlieben wieder. Durch Beobachten Ihres Vierbeiners im Spiel werden Sie rasch herausfinden, ob er ein Such- oder Apportiertalent, eine Sportskanone, ein Geschicklichkeitsprofi ist oder einfach nur die Abwechslung liebt.
Bedenken Sie jedoch, dass sich junge Tiere, trotz allen Spieleifers, nicht so lange auf Übungen konzentrieren können wie erwachsene Tiere. Aber auch bei erwachsenen Tieren muss auf die körperliche Konstitution und Kondition geachtet werden. Mit dem Spiel halten Sie jedenfalls den Schlüssel in der Hand, der Ihnen das Tor zu Ihrem Hund öffnet.

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Wozu Spielen?

Die große Bedeutung des Spiels für Hunde darf nicht unterschätzt werden. Das Spielen
– dient dem Üben und Vervollkommnen körperlicher Fertigkeiten,
– verbessert das Reaktionsvermögen,
– bewirkt eine Steigerung der Flexibilität des Verhaltensrepertoires,
– trägt zur Aggressionsminderung und zur Kontrolle der eigenen Aggression bei,
– hilft die Kontrolle der Beißintensität zu erlernen, da Welpen noch keine Beißhemmung kennen,
– unterstützt die Anbahnung der Bildung sowie die Aufrechterhaltung sozialer Organisationen und Bindungen (Sozialisationsprozess),
– ermöglicht die Stabilisation der sozialen Rangordnung und die Entwicklung sozialer Rollen,
– kann bei erwachsenen Tieren als Strategie zum Austragen von Konflikten eingesetzt werden.

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Die Bedeutung des Spielens in der Entwicklung des Welpen

Da positive Erfahrungen mit dem Menschen die soziale Entwicklung des Welpen entscheidend beeinflussen, fällt der Welpenaufzucht eine grosse Bedeutung und Verantwortung zu:
3. -8. Lebenswoche: Ab der dritten Lebenswoche kommt es zu vermehrten spielerischen Verhaltensweisen der Welpen gegenüber der Mutterhündin, den Geschwistern und auch dem Menschen. Während in der vierten Woche die Welpen vorwiegend miteinander spielen und die Hündin und der Mensch kaum zum Spielen aufgefordert werden, wird der Mensch ab der sechsten Woche wieder „angespielt“.
8.-13. Woche: Der Welpe, der üblicherweise mit ungefähr acht bis zehn Wochen aus dem Wurf in seine Menschenfamilie kommt, braucht auch das Spiel mit seinen neuen Partnern, um soziale Beziehungen mit diesen aufzubauen. Da der Welpe ständige Beschäftigung durch und mit seinen Wurfgeschwistern gewohnt war, und dies einem Großteil der Menschen zeitlich aber nicht möglich ist, gewinnen regelmäßige, tägliche spielerische Interaktionen mit dem Hund an Bedeutung. Da sich in der sensiblen Phase, die auch bis zur 13. Woche andauern kann, herausstellt, wer der engste Sozialpartner des jungen Hundes und wie intensiv und verständnisvoll diese Beziehung Hund – Mensch wird, sollte jeder Hundebesitzer dem Welpen in dieser Zeit zusätzliche Aufmerksamkeit widmen.

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Die Autorin

Denise Seidl ist „Doctor of Veterinary Science (DVS)” der International Open University in London im Fach „Veterinary Science“ (Tierpsychologie, Tierernährungsphysiologie, Tierhomöopathie). Weiters verfügt die Tierpsychologin über einen Bachelor of Veterinary Naturopathy (Botanik/ Phytotherapie) und einen Bachelor of Arts in applied Ethology des European College of Ethology. Dr. Denise Seidl ist stellvertretende Vorsitzende des Verbands der HaustierPsychologen e.V. (VdH) und arbeitet als Tierpsychologin in Wien.
Kontakt: www.tierpsychologie.at

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