Der Placebo-Effekt: Gibt es ihn bei Hunden?

Von Regina Röttgen

Wirken Placebos auch bei Hunden? Nach der Gabe von Scheinmedikamenten geht es ihnen oft besser – meinen zumindest die Hundehalter. Zahlreiche Wissenschaftler sind anderer Meinung.

Eine pharmakologische Wirkung erzielen können Placebos nicht, es fehlt ihnen an entsprechenden Wirkstoffen. Dennoch haben diese Präparate oftmals eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf. Nicht umsonst tragen sie den Namen »Placebo« (lateinisch für »ich werde gefallen«). Bis heute ist unbekannt, welche Reaktionen Scheinmedikamente im Organismus hervorrufen. Dabei können Placebos selbst Schmerzen lindern. Bei dem sogenannten Placebo-Effekt spielen laut der Forschung jedoch eher psychologische und neurobiologische Geschehen eine Rolle. Vor allem Faktoren wie die klassische Konditionierung und der Wunsch des Patienten nach Schmerzlinderung und seine Erwartungshaltung spielen ausschlaggebende Rollen. Dies meint zumindest Professor Günther Bernatzky, Präsident elect der Österreichischen Schmerzgesellschaft und Leiter des Salzburger Schmerzinstituts. Neuronale Schaltkreise in Hirnregionen, die vor allem bei der Verarbeitung von Schmerzen eine Rolle spielen, seien an der Wirkung von Placebos beteiligt, erklärt der Forscher in der »Ärzte Woche«. Zudem würden Transmitterstoffe und Wachstumshormone wie Endorphin, Dopamin, Serotonin und Cortisol aktiviert. Kurz gesagt: die Erwartungshaltung bringt das körpereigene Opioidsystem zum Laufen.

Ob auch Hunde eine Erwartungshaltung gegenüber einem Medikament haben, wird weitläufig bezweifelt. Denn dafür müssten die Vierbeiner wissen, dass sie therapiert werden. Einreden kann man es Hunden auch nicht. Auf den ersten Blick klingt dies schlüssig und ein Placebo-Effekt bei Hunden scheint somit unmöglich zu sein. Doch dem ist nicht so. Bereits vor fünf Jahrzehnten hatte der amerikanische Psychologe R. J. Herrnstein anhand von Versuchsratten nachgewiesen, dass Tiere sehr wohl auf Scheinmedikamente reagieren. Der Wissenschaftler hatte sich mit seiner Entdeckung eine Pionierstellung in der Placebo-Forschung gesichert: Nachdem er Versuchsratten mehrmals eine Spritze mit einem entsprechenden Präparat verabreicht hatte, genügte bereits das Verabreichen einer Spritze mit Kochsalzlösung, um dieselbe biologische Wirkung zu erzielen. Es handele sich schlichtweg um pawlowsche Konditionierung, schlussfolgerte Herrnstein damals.

Alles nur Einbildung?
Mittlerweile ist der Placebo-Effekt bei Hunden in den Fokus des wissenschaftlichen Diskurses gerückt, denn mit der zunehmenden Stellung als gleichwertiges Familienmitglied hat die veterinärmedizinische Behandlung an Bedeutung gewonnen. Natürlich ist die Datenlage derzeit noch nicht so ausgiebig wie beim Menschen. Doch gibt es mittlerweile zahlreiche Studien zu veterinärmedizinischen Medikamenten und Therapien, die sowohl mit Kontrollgruppe als auch doppelblind durchgeführt werden. Doppelblind bedeutet, dass weder der Patient (in unserem Fall Hund und zusätzlich der Hundehalter) noch die Forscher wissen, welche Probanden echte Medikamente beziehungsweise Placebos erhalten. So beispielsweise bei einer norwegischen Studie, in der die Wirkung von Goldimplantaten zur Schmerzbehandlung bei Hüftdysplasie erforscht werden sollte: Das Wissenschaftsteam um G.T. Jæger hatte hierfür jeweils der Hälfte ihrer 80 kaninen Probanden Goldimplantate zur Schmerzbehandlung respektive wirkungslose Placebos eingesetzt. Tatsächlich waren nach Ablauf eines halben Jahres ebenso die Halter der Placebo-Gruppe der Meinung, dass ihre Hunde unter geringeren Schmerzen leiden würden als zuvor. Daraufhin implantierten die Forschenden 33 der Placebo-Hunde ebenfalls Goldstücke. Auch diesmal waren die Hundehalter davon überzeugt, dass ihre Tiere weniger Schmerzen als vorher hätten.

Um Schmerzlinderung ging es ebenfalls bei einer amerikanischen Studie von der Wisconsin-Madison Universität. An 49 kaninen Probanden mit Osteoarthrosis in der Hüfte erprobten die Wissenschaftler um S. Malek vom Labor für vergleichende Orthopädische Forschung die Wirkung eines Schmerzmittels. Anhand eines Fragebogens ließen sie die Besitzer der Hunde einschätzen, ob und wie sich die Mobilität der Hunde durch Einnahme des Medikaments verändert hat und wie viel des Notfall-Medikaments verwendet wurde. Zudem wurden die Tiere einer körperlichen Untersuchung unterzogen. Das Ergebnis verblüffte: Die Placebo-Hunde zeigten ebenso wie die medikamentös therapierten Hunde in allen Auswertungspunkten ähnlich geringere Schmerzen. Für die Forscher bedeutet dies jedoch vor allem, dass die verabreichten Medikamente für diese spezielle Behandlung offenbar ungeeignet waren.

Nun sind Schmerzen bei Hunden nicht leicht zu erkennen. Gerade das ungeschulte Auge tut sich oft schwer, die Schmerzen des geliebten Vierbeiners auch als solche wahrzunehmen. Denn insbesondere chronische Probleme zeigen sich häufig zuerst nur als minimale Verhaltensänderungen. Der Hund passt seine Gangart entweder dem Problem an oder weicht entsprechenden Situationen einfach aus – selbst bei starken Schmerzen. Dies geschieht oftmals so geschickt, dass viele Halter die Schmerzen ihres Hundes erst bemerken, sobald er die Schmerzen nicht mehr auszuhalten vermag. Selbst dann kommt es auf die Motivation an: Wie auch wir Menschen in bestimmten Situationen unsere Schmerzen für einige Zeit vergessen können, so ist kurzzeitiges »normales« Verhalten auch bei Hunden kein Garant für Schmerzlosigkeit.

Doch auch Studien zu anderen Gesundheitsproblemen kommen in Puncto Placebos zu ähnlichen Ergebnissen: So wollte ein Team von amerikanischen Wissenschaftlern um die Veterinärmedizinerin K.R. Muñana wissen, ob bei der Behandlung der kaninen Epilepsie nicht auch nicht-pharmakologische, therapeutische Effekte eine Rolle spielen könnten. Hierfür analysierten die Forschenden die Daten von drei Placebo-kontrollierten Studien zu Epilepsie-Medikamenten bei Hunden. Bei allen dieser wissenschaftlichen Arbeiten hatten die Hundehalter im Anschluss an die Behandlung die Zahl der Epilepsieanfälle dokumentiert. Interessanterweise waren selbst die Besitzer von Hunden aus der Placebo-Kontrollgruppe der Meinung, dass die Anfälle seit der Behandlung nachgelassen hätten.

Eine Studie britischer Forscher wiederum testete an Hunden, die Angst vor Silvesterböllern hatten, die Wirkung von homöopathischen Tropfen respektive Placebo-Tropfen. Sie konnten so gut wie keinen Unterschied feststellen. Die Mehrzahl der Halter beider Gruppen attestierte den verabreichten Tropfen, homöopathisch oder Placebo, eine angstmindernde Wirkung bei ihren Tieren.

Wie genau es um den Placebo-Effekt steht, wollten die US-Veterinärmediziner G. Conzemius und R.B. Evans wissen. Hierfür untersuchten sie 58 Hunde mit Osteoarthritis-bedingter Lahmheit, die bei einer Studie in der Placebogruppe verzeichnet waren. Um ihre Ergebnisse zu validieren bedienten sich die Forscher der Biomechanik. Anhand der Bodenreaktionskraft ermittelten sie, welche Kraft der Boden auf den mit ihm in Kontakt stehenden Hundekörper ausübt. Doch nur bei sieben Hunden hatte sich die Bodenreaktionskraft verbessert. Beim Großteil der Hunde war die Bodenreaktionskraft unverändert geblieben. Einen ganz anderen Eindruck hatten jedoch die Halter und Veterinärmediziner: Knapp die Hälfte der Halter war nämlich der Auffassung, die Lahmheit hätte abgenommen. Auch die unabhängigen Tierärzte, welche die Hunde am Ende der Studie untersuchten, meinten eine Verbesserung feststellen zu können.

Placebo by Proxy
Worin liegt also der Placebo-Effekt bei Hunden begründet? Eine mögliche Erklärung hat Manfred Schedlowski, deutscher Medizinpsychologe und Placebo-Forscher an der Universität Duisburg-Essen. Beim Menschen sei die Zuneigung durch den Arzt eine wissenschaftlich anerkannte Erklärung, welche auch auf Tiere übertragbar sei, sagte der Wissenschaftler der Wochenzeitung »Zeit« gegenüber. Der Therapieerfolg hänge stark davon ab, welche Zuwendung der Therapeut dem Patienten entgegenbringe. Dem Forscher zufolge würde sich ein homöopathisch arbeitender Tierarzt sicherlich mit mehr Zuneigung um seinen Patienten kümmern als ein konventioneller Veterinärmediziner. Sowohl verbale Verstärker als auch nonverbale Signale wie freundlicher Blickkontakt und Streicheln hätten hier großen Einfluss auf den Placebo-Effekt. Denn ein Hund nimmt nach Angaben Schedlowskis eine umsorgende Untersuchung ebenso wahr wie das Vertrauen, das sein Halter dem Tierarzt entgegenbringe. Allerdings schränkt der Forscher auch ein, dass es oftmals einfach nur Zufall sein kann. Gerade bei Infektionen sei nicht der Placebo-Effekt, sondern der natürliche Verlauf der Erkrankung ausschlaggebend. Beginne man zum Beispiel eine Therapie auf dem Höhepunkt einer wellig verlaufenden Infektion, dann würde sich auch ohne Medikament erst mal eine Besserung einstellen.

Der deutsche Placebo-Forscher Paul Enck hält ähnlich wie Schedlowski die Hundehalter für die treibende Kraft beim Placebo-Effekt. Enck ist Professor für Medizinische Psychologie und Forschungsleiter der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen und einer der weltweit führenden Placebo-Forscher. »Spiegel-Online« gegenüber erklärte er, dass ein Tier natürlich keine Erwartungshaltung bezüglich der Pillen haben kann – dafür aber sein Halter, denn die Verabreichung von Präparaten entspanne vor allem den Hundehalter. Enck sieht es als eine Art Wechselwirkung: Ist der Hund krank, sorgt sich der Halter und wird nervös, was wiederum den Hund in Stress versetzt. Sobald der Hund aber therapiert wird, entsteht beim Halter die Hoffnung auf Besserung. Zum einen beobachtet er jetzt seinen Hund viel genauer als vorher und entspannt sich bereits bei der kleinsten Verbesserung. Zum anderen beschäftigt er sich nun viel intensiver mit seinem Vierbeiner. Laut Enck können beide dieser Halter-bezogenen Faktoren den Zustand des Hundes verbessern. Genannt wird dies übrigens »Placebo by Proxy«. Ganz besonders könne dies in der Pferdehaltung beobachtet werden, wo die Verabreichung von Homöopathika sehr verbreitet sei, meint Enck. Die herausragende Wirkung beim Pferd erklärt sich der Forscher so, dass Homöopathika vor allem die Pferdehalter entspannen, was sich wiederum auf die sehr sensiblen Tiere positiv auswirke. Denn Placebos wirkten vor allem bei den Ängstlichen und Unsicheren. Aber auch eine klassische Konditionierung, wie damals von Herrnstein nachgewiesen, möchte der Placebo-Forscher nicht gänzlich ausschließen. Eine Konditionierung über stets wiederkehrende Dinge wie weißer Kittel, Praxisgerüche oder eine besondere Art der Verabreichung scheint für ihn eventuell ebenso möglich. Einer Konditionierung in Puncto Medikamenten hingegen steht der Placebo-Forscher eher skeptisch gegenüber, da viele Hundehalter Medikamente ins Futter mischen oder in einem Leckerli verabreichen würden. Der Hund weiß also gar nicht, dass er behandelt wird, und kann somit auch nicht konditioniert werden. Eine Wirkung des Placebos könne dann nur über den Proxy Halter erfolgen.

Der amerikanische Tierarzt Brennen McKenzie erachtet den Placebo-Effekt übrigens ungeachtet seines Entstehungsgrundes für gefährlich und schrieb 2019 gleich ein ganzes Buch zum Thema, »Placebos for Pets?: The Truth About Alternative Medicine in Animals«. McKenzie nach scheint es nur so, als ob es den Hunden besser geht. In Wirklichkeit sei der Gesundheitszustand jedoch mehr oder minder unverändert – ohne Ausnahme.

Literaturquellen

Bernatzy et al., Die Kraft der Erwartung: Placebo-Analgesie, Ärzte Woche, 23.09.2010, Seite 20.
Conzemius et al., Caregiver placebo effect for dogs with lameness from osteoarthritis, Journal of the American Veterinary Medical Association, November 15, 2012, Vol. 241, No. 10 , Pages 1314-1319.
Cracknell et al., A double-blind placebo-controlled study into the efficacy of a homeopathic remedy for fear of firework noises in the dog (Canis familiaris), The Veterinary Journal 2008; 177(1):80-8.
Herrnstein RJ, Placebo Effect in the Rat, in The Placebo: A Reader, ed. Miller FG, 99–100. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1962.
Mckenzie BA, Evaluating Unconventional Therapies in Veterinary Medicine, Conference Paper, April 2012, DOI: 10.13140/2.1.3580.8003
Jæger et al., Stratification, Blinding and Placebo Effect in a Randomized, Double Blind Placebo-controlled Clinical Trial of Gold Bead Implantation in Dogs with Hip Dysplasia, Acta Veterinaria Scandinavica 2005; V. 46, No 57.
Muñana et al., Placebo Effect in Canine Epilepsy Trials, Journal of Veterinary Internal Medicine 2010; 24:166–170.
Malek et al., Effect of analgesic therapy on clinical outcome measures in a randomized controlled trial using client-owned dogs with hip osteoarthritis, BMC Veterinary Research 2012; 8:185.
Rinjberk et al., The end of veterinary homeopathy, Australian Veterinary Journal, 2007;85:513–516.
Die Zeit, Alles für die Katz?, Nr. 50/2010
Spiegel Online, So wirken Placebos bei Tieren, Interview mit Paul Enck, 11.06.2014


 

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