Der Kangal – Kennen Sie den?

Von Elisabeth von Buchwaldt

Jeder, der das Privileg hatte, in der Region um Sivas einer Schafherde und ihren Wächtern, den Kangalhunden, zu begegnen, kann sich nicht mehr der Faszination dieser Hunde entziehen. Der Kangal ist ein riesiger Hund von archaischer Urkraft, der Sicherheit und ­statische Ruhe ausstrahlt, zugleich aber auch Mut und Entschlossenheit, und jeden davon abhält, seiner Schafherde zu nahe zu kommen.

In den Yalas, dem Weideland in den Hochplateaus Anatoliens, ist der Kangal ein eigenständiger und zuverlässig arbeitender Hund, der ohne menschliche Intervention, also in Eigeninitiative die Herde vor Predatoren beschützt. Das heißt zugleich auch, dass der Kangal ein Verteidiger ist, und nicht ein Aggressor.

Der Kangal ist der Nationalhund der Türkei. Jeder kennt ihn dort und man bewundert ihn. Für die Türken ver­körpert die Rasse die Kraft, den Mut und den Stolz ihres Volkes. So wurden dem Kangal sogar mehrere Brief­marken und Münzen gewidmet. Seine Ausfuhr aus der Türkei ist verboten, er gilt dort als Kulturgut.

Allerdings ist der Kangal heute in ­seiner Existenzberechtigung bedroht. Denn die früher extensive Schafwirt­schaft in der Türkei geht stark zurück, Schafimporte aus Neuseeland sind wesentlich billiger und ­verdrängen daher die traditionelle Schafzucht in der Türkei. Daher finden wir heute viele Kangals in türkischen ­Großstädten, als Statussymbol reicher Leute und – noch schlimmer, aber immer öfter – bei Hundekämpfen.

Viele türkische Landsleute brachten und bringen trotz des Ausfuhrver­botes Kangalwelpen nach Europa, sei es aus Verbundenheit zu ihrer Heimat, oder sei es als Statussymbol oder um Geschäfte zu machen. Man vermehrt Hunde auch hierzulande, ohne Rücksicht auf Gesundheit oder genetische Probleme, und verkauft die Hunde dann oft an ahnungslose Hunde­interessenten. So landen leider auch immer mehr dieser wunderbaren Hunde in Tierheimen.

Kein Hund für die Stadt
Der Kangal ist kein urbaner Hund. Aufgrund seiner Funktion als Herdenschutzhund ist er natürlich sehr territorial und dominant. Daher ist er auch schwer zu erziehen und wird auch nie zuverlässig gehorchen, wie viele Kangalbesitzer berichten. Gegenüber ihm fremden, gleichgeschlechtlichen Hunden ist er aggressiv und kann dabei ziemlich gefährlich werden. Zu Menschen hingegen ist er im Allgemeinen sehr freundlich, solange sie für ihn keine Bedrohung darstellen. Seiner Familie und allen ihm bekannten Tieren ist er zugeneigt und loyal. Durch seine Größe und Kraft ist er allerdings kein Hund für Kinder! Außerdem hat er einen ziemlich starken Jagdtrieb, denn in seiner Heimat ist er zum großen Teil „Selbstversorger". Das alles macht die Haltung des Kangals nicht ­gerade einfach. Er ist eher ein Hund für ­Individualisten mit viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen, die auch über ein großes gut eingezäuntes Grundstück verfügen.

Kastration nützt nichts
Aus all den erwähnten Gründen ist es daher eine sehr große Verantwortung, bei uns einen Kangal zu halten. Viele überforderte Kangalhalter suchen Hilfe in Hundeschulen und bei Trainern. Doch häufig ist diesen das Wesen des Kangals nicht bekannt und es wird oft zur Kastration als Allheilmittel ­geraten. Das aber ändert kaum etwas, da das Verhalten des Kangals wesensbedingt ist und nicht hormoneller Natur. Er ist schwer zu motivieren, seine Erziehung sollte sich daher auf das Nötigste beschränken, das aber dann sehr ­konsequent. Alles andere wäre für einen Kangal nur „Ballast".

In seinem Heimatland Türkei ist der Kangal als Rasse mit einem klaren Standard von dem neu gegründeten türkischen Kennel Club (KIF) anerkannt. Die FCI hat den Kangal allerdings noch nicht anerkannt und führt alle türkischen Hirtenhund-Schläge gemeinsam und undifferenziert unter dem Namen Anatolischer Hirtenhund.

Der Kangal ist ein robuster, unempfindlicher und langlebiger Hund. Er ist auch pflegeleicht, wenn man davon absieht, dass er zweimal im Jahr stark haart. Er ist genügsam, was Futter betrifft, und hat auch keine wesentlichen genetischen Defizite. Wie bei allen großen Rassen ist Hüftdysplasie (HD) ein Problem, und wenn man sich einen Kangal anschafft, sollte man darauf achten, dass die Eltern geröntgt und frei von HD sind.

Der Kangal kann vieles sein, aber er ist kein Hund für jedermann und kein Statussymbol.

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