Mythen in der Hundewelt
Im Vorfeld zu den Artikeln dieser Serie recherchiere ich immer nach Mensch-Hunde-Teams, die sich hier gerne vorstellen möchten. Bisher konnte ich mich vor Angeboten fast nicht retten. Zu diesem Teil der Serie hat sich fast niemand gemeldet. Es scheint leider wirklich so zu sein, dass unsere Hunde-Senioren noch immer zu oft in die „Alte-Eisen-Ecke“ geschoben werden. Die Halter trauen ihren alten Hunden nichts mehr zu: „… das kann er nicht mehr … das hat doch keinen Sinn mehr … das lernt der eh nicht mehr …“ Hier von mir ein ganz lautes DOCH – auch ein älterer Hund kann noch viel lernen.
Wir haben bei uns auch immer wieder Hunde im fortgeschrittenen Alter aufgenommen. Unser Juno z.B. war 8,5 Jahre alt, als wir ihn von Collie in Not übernommen haben. Einige Menschen haben damals gemeint: „… was willst du denn mit so einem alten, kranken Hund? Der kann doch nix mehr …“ Ein halbes Jahr hat es gedauert, bis wir die Schäden und Qualen, die ihm sein Vorbesitzer zugefügt hatte, geheilt haben, und dann ging‘s los.
Als er mit 9 Jahren wieder laufen konnte und aus seiner Depression erwacht war, habe ich angefangen mit ihm die ersten Dog Dance-Schritte zu üben. Am Anfang haben wir öfter „aneinander vorbei geredet“. Juno wusste nach jahrelanger Zwingerhaltung einfach nicht, was es heißt, mit seinem Menschen GEMEINSAM etwas zu tun. Dann ging es immer schneller mit dem Lernen. Durch kurze, an seine Möglichkeiten angepasste Trainingseinheiten waren bald schöne Erfolge sichtbar.
Es hat nicht lange gedauert, bis wir ein Team wurden. Mit breitem Grinsen im Gesicht tanzte er mit mir durch die Landschaft und lernte in den nächsten Jahren noch viele Tricks. Und ich glaube, er war unendlich dankbar, dass er endlich zeigen konnte, was er alles „drauf“ hatte.
Ältere Hunde haben viele Vorteile
Vor allem Interessenten, die das erste Mal einen Hund zu sich holen wollen, rate ich gerne dazu, doch auch über einen älteren Hund nachzudenken. Welpen sind niedlich, unbestritten, doch können sie auch sehr anstrengend werden. Darüber sind sich Hundeanfänger nicht immer bewusst. Ältere Hunde sind meist schon stubenrein, man spart sich also die nächtlichen Gassi-Gänge. Ein älterer Hund hat schon gelernt, dass Schuhe, Brillen oder Möbel nicht essbar sind. Ein Junghund kann während der Pubertät die Nerven der Halter ziemlich strapazieren. Pubertierende Junghunde verlangen einiges an Geduld und Ausdauer. Ältere Hunde haben die Pubertät hinter sich, testen nicht mehr so viel aus und hinterfragen nicht mehr alles.
Hunde ab 3 Jahren aufwärts haben in der Regel ihre Entwicklung abgeschlossen. Es gibt nicht mehr viele „Überraschungen“, das Wesen und der Charakter sind bekannt, die Grunderziehung ist oft schon abgeschlossen.
Caruso lernt auch mit 13 Jahren noch gerne
Angela Wiedemann über Caruso, der im Alter von fast 5,5 Jahren im November 2008 bei ihr einzog: „Wir haben Caruso aus einer Familie übernommen, deren Situation sich geändert hatte und eine Abgabe für beide Seiten das Beste war. Caruso zeigte als Border Collie-Schäferhund-Mix ausgeprägten Schutztrieb, der in der Familie zu kritischen Situationen führte. Am 07.03.2009 hat er die Begleithundeprüfung nach Augsburger Modell bestanden, am 18.10.2010 bestand er die VDH-Begleithundeprüfung. Parallel zu den Prüfungsvorbereitungen haben wir Caruso im THS und im Fährtentraining geführt. Am 17.09.2011, inzwischen 8 Jahre alt, hat er die Fährtenprüfung FR1 bestanden. Wir beobachten unsere Hunde gut und ich habe festgestellt, dass Caruso zwar gerne sucht, seine Nase aber auch gerne mal „in die Luft“ hält. Deshalb sind wir 2012 mit ihm vom Fährten zum Mantrailing gewechselt. Dies kam seinem Suchstil zugute und er hat große Freude daran. Zum Ausgleich und um sein Laufbedürfnis zu erfüllen, das er rassebedingt ja auch hat, macht Caruso nebenbei Longieren und Scent Hurdle Racing (Apportieren über Hürden). Kleine Tricks machen wir von Anfang an bis heute mit ihm. Seit 2016 machen wir 2 – 3 Mal im Monat Expactivity, um seine Bewegungskoordination zu fördern. Caruso ist der beste Beweis, dass auch alte Hunde lernen können und auch wollen. Der Mensch ist oft derjenige, der seinem alten Hund nichts mehr zutraut. Je mehr wir mit Caruso machen, desto mehr fordert er uns auch auf, mit ihm was zu machen. Und man sieht es ihm dann auch an, wie er happy ist. Wenn wir mit unserem jüngeren Hund Enrico üben, will er auch mitmachen. Klar nehmen wir auf sein Alter Rücksicht, aber auch „abgespeckte“ Aufgaben machen ihn und uns stolz. Und ich glaube, dass es das Altern auch rauszögert. Keiner glaubt, dass er schon 13 Jahre ist“.
Blind, taub – na und?
Wie vielen Senioren-Hunden ergeht es oft behinderten Hunden. Dabei hat in der Regel der Mensch das größere Problem mit dem Handicap des Hundes. Blinde oder taube Hunde können die Behinderung zu fast 100% mit der Nase ausgleichen. Egal, ob durch Geruchssinn oder Tastsinn mit den Vibrissen (Tast- oder Schnurrhaare).
Der blinde Hund orientiert sich an Luftströmungen. Für uns unfühlbar, findet sich der Hund auch im Haus zurecht, da er die Strömungen fühlt, die um die Möbel wirbeln. Das mache ich mir zunutze, wenn ich mit blinden Hunden tanze. Ich führe die Hunde über kleine Tücher, deren Luftwirbeln der Hund folgt.
Der taube Hund hat so gut wie überhaupt keine Nachteile, da er sich ausgezeichnet an Handzeichen orientieren kann.
Blind UND taub? – auch egal
In einem Dog-Dance-Kurs konnte ich eine Halterin mit ihrem blind-tauben Border Collie kennen lernen. Wir tanzten mit dem Hund unter Zuhilfenahme unserer Tücher. Der Hund folgte einfach den Luftverwirbelungen der Tücher, hatte dabei unglaublich viel Spaß und man sah ihm an, wie stolz er war.
Auch Hunde-Senioren wollen lernen
„Ja, was kann ich denn mit dem alten Hund noch machen?“ werde ich oft gefragt. Alles, sage ich dann, was man mit einem jungen Hund auch macht. Nur angepasst an das Alter eben. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für behinderte Hunde.
Agility – Queen ist auch mit 11,5 Jahren noch über die Senioren-Parcours gesaust. Nicht mehr so schnell, dafür mit einem dicken Grinsen im Gesicht. Natürlich sind die Parcours kürzer, die Hürden niedriger und Kontaktzonen-Geräte angepasst.
Dog Dancing – Dieser Sport ist nicht nur eine wunderbare Bindungs-Arbeit, sondern auch noch Physiotherapie mit viel Spaß. Blinde Hunde kann man über Tücher anleiten.
Longieren – warum nicht? Metchley, 9 Jahre alt, läuft konzentriert seine Kreise. Abwechslung bringen kleine, niedrige Hindernisse oder Dog Dance-Übungen, die man in die Kreise einbaut.
Obedience – oder auch Rallye-Obedience – für Senioren-Hunde und Handicap-Hunde überhaupt kein Problem. Zu hohe Sprünge sollte man jedoch vermeiden.
Spiele – Hier empfehle ich natürlich gerne mein Buch „Mein Einstein auf vier Pfoten“. Diese Spiele sind für Hunde jeden Alters und Handicap-Hunde optimal geeignet. Sie trainieren die Denkleistung, halten den Senior jung und den behinderten Hund fit. Da viele der Spiele auch im Liegen gespielt werden können, eignen sie sich auch für gelähmte Hunde oder Hunde in der Rekonvaleszenz nach einer Operation.
Tricks – Ja, auch alte Hunde lernen noch neue Tricks. Natürlich lässt man bei körperlichen Einschränkungen des Hundes Tricks wie z.B. die Rolle oder Männchen weg. Trickarbeit ist jedoch so vielfältig und unendlich, dass für jeden Hund etwas dabei ist.
ZOS (Zielobjektsuche) – Nasenarbeit ist für jeden Hund geeignet. Auch wenn Augen und Ohren nicht mehr so gut „funktionieren“, die Nase geht immer. Achten Sie nur bitte darauf, dass Ihr Hunde-Senior keine Probleme mit Hinlegen und Aufstehen hat. Ist dies der Fall, kann der Hund das Zielobjekt ja auch im Stehen anzeigen.
Es gibt noch viel mehr Möglichkeiten, mit einem alten oder behinderten Hund aktiv zu sein. Trauen Sie es Ihrem Hund zu und probieren Sie aus. Prüfungen, Siege und Weltmeisterschaften müssen ja wirklich nicht immer das große Ziel sein.
Schicksals-Hund Sam, 12 Jahre, liebt Trickarbeit
Heidi Buhl über Sam: „Sam ist mein Schicksals-Hund. Ich habe ihn auf einem Campingplatz Parkplatz gefunden. Geschätzt 5 Monate alt mit kaputtem Knie. Die Suche nach den Besitzern verlief ohne jeglichen Erfolg, also blieb er bei uns. Unser Leben hat sich mit einem Weimaraner als Dritthund ziemlich verändert. Er war ja nicht geplant. Viele Bekannte meinten damals, das schaffen wir nie, doch mit der Trickarbeit und DogDance habe ich ihn „geknackt“. Heute passe ich die Trickarbeit und das Tanzen an Sams Möglichkeiten an. Manches geht nun halt nicht mehr so schnell. Da Trickarbeit aber unendlich ist, kommt eben Neues dazu. Und er macht es heute mit 12 Jahren noch genau so gerne wie früher. Ob „verletzte Pfote“, „Diener“ oder „Schämen“, er ist konzentriert und mit großer Freude dabei. Auch bei Intelligenzspielen zeigt sich der Vorteil von älteren Hunden. Die Senioren arbeiten ruhiger, konzentrierter und lassen sich nicht mehr ablenken und sie lernen dadurch oft sogar schneller als junge Hunde. Inzwischen lernt er auch viel durch Zuschauen. Wenn ich mit meinen jüngeren Hunden übe, liegt Sam daneben und beobachtet ganz genau. Dann kommt er und macht es einfach nach.“
Der Hunde-Senior – Von wegen altes Eisen
Ich freue mich immer unendlich, wenn in den Kursen ganz viele Hunde-Senioren und gehandicapte Hunde dabei sind. Hunde, die knapp vor ihrem 17. Geburtstag standen, durfte ich kennen lernen. Sie erwärmen mein Herz. Sie geben so viel und sind so unendlich glücklich, wenn man sie weiter beschäftigt. Vor allem für „ausgediente“ Sporthunde ist das Nichtstun meist eine unglaubliche Strafe.
Vergesst Eure Senioren-/Handicap-Hunde nicht. Stellt Eure Senioren-/Handicap-Hunde nicht in die Ecke wie einen alten Besen. Haltet Eure Senioren-/Handicap-Hunde wach und fit.
Pdf zu diesem Artikel: mythen_hundesenior