Der Hase und der Beagle …

Von Sophie Strodtbeck

Irgendwie ziehe ich (oder meine Hunde) manche Dinge magisch
an, und dazu gehören offenbar auch Tierjunge jeglicher Gattung.
Das war schon immer so – vielleicht hätte ich sonst auch
„was G’scheits g’lernt“ und wäre nicht Tierärztin geworden …

Gestern war dann mal wieder einer dieser Tage. Wir waren arglos spazieren und haben auf einer Wiese ein Päuschen eingelegt, um auf den Canis autisticus zu ­warten, der es wie immer nicht allzu eilig hatte. Keine Sorge, wir wissen, dass Brut- und Setzzeit ist, und Wiesen, die höher sind als der Bonsai ­Piccolo, ­dürfen meine jagdlich nicht ganz abgeneigten Beagles sowieso nicht betreten. Aber diese Wiese war in meinen Augen harmlos.

Während wir also warteten, ­durften die Beagles und Piccolo ein paar Leckerchen suchen. Alles wie immer, trügerische Ruhe, bis Beagledame Andra auf einmal aufgeregt schnüffelnd um ein Grasbüschel herum lief. Auch noch normal war, dass die anderen drei (der Canis autisticus – „Spezialname“ für die Hündin Günes – taucht bei so was immer blitzschnell aus dem Nichts auf) natürlich schnell schauen mussten, was es da denn Spannendes gab. Denn wenn es um spannende Dinge geht, hat mein Rudel nämlich die perfekte Arbeitsteilung. Man hält sich gegenseitig im Auge, und bei Anzeichen von spannenden Dingen sind alle sofort da.

Andra wird zur Löwenmutter …
Nicht normal war diesmal allerdings, dass Andra, ihres Zeichens ­diejenige, die am wenigsten zu sagen hat und jedem Stress normalerweise aus dem Weg geht, auf einmal anfing zu ­knurren und alle anderen ­fernzuhalten. Da musste ich dann doch mal ­schauen gehen, was da eigentlich los war. Häschen waren los, zwei Handvoll Feldhasenjunge, die die Mutter unter einem Grasbüschel abgelegt hatte. Hasenmütter sind nämlich Rabenmütter und kommen nur ein paar Mal am Tag, um nach dem Nachwuchs zu schauen. Das Glück der Beiden war, dass ausgerechnet Andra darüber gestolpert war, und Andra ist alles andere als eine Rabenmutter – sie wird bei Jungtieren jeglicher Art zur Löwenmutter. Bewiesen hat sie das zu meiner Großtierärztinnen-Zeit bereits als mehrfache Katzenadoptivmama, einer jungen Krähe hat sie sich schon angenommen, und letztes Jahr erst war für Andra den ganzen Sommer über Weihnachten, weil sie sich um zwei verwaiste Steinmarderwelpen kümmern durfte. Auch die Kälbchen, denen wir auf die Welt verhelfen mussten, hat sie immer mit ­Hingabe trockengeschleckt. Aber bei den Hasen war ich mir nicht ganz sicher, denn sie ist und bleibt ein Beagle, – ein Beagle, der seinen Job sehr ernst nehmen würde, wenn er denn dürfte.

Meine Sorge war nicht berechtigt, denn bis ich kam, waren die Häschen schon patschnass – vom ­Abschlecken. Herr Meier, der Beaglerüde, ­wollte also auch mal schauen, was da ge­boten wurde, und wurde von Andra sofort weggeknurrt – was er auch klaglos hinnahm und sich wieder ­seinem Mausloch zuwandte. Der Canis autisticus versuchte zwei- bis dreimal die Hasen zum Spielen aufzufordern, fand das aber auch schnell langweilig, beziehungsweise es nicht wert, sich deswegen mit Andra in die Haare zu kriegen, die ihrerseits unter ­normalen Umständen lieber prophylaktisch sterben würde als sich mit Günes in die Wolle zu bekommen.

Einzig den Häschen an den Kragen wollte Piccolo, der kleine Mäusekiller, der beim Anblick der Zwei seine guten Manieren schlagartig vergaß und beschloss, kein Canis Etepetetus mehr sein zu wollen. Aber auch er hatte die Rechnung ohne Andra gemacht, die sich Zähne fletschend zwischen die Kleinen und den Kleinen stellte. ­Keine Chance für Piccolo. Nachdem das geklärt war, legte sich Andra weiter drohend vor die Jungen und schaute mir sehr skeptisch dabei zu, wie ich die Kleinen untersuchte, ob auch ­wirklich nichts passiert war. War es nicht, ­puuuh …

Herzchen in den Augen
Zu allem Überfluss kam auch noch Ronny angeprescht, der Nachbars­hund, vor dem Andra normalerweise einen Heidenrespekt hat. Aber auch er hatte keine Chance und gab recht schnell wieder auf. Andra war also ganz zufrieden mit der Welt und hatte Herzchen in den Augen – ich hin­gegen hatte ein Problem: gerüchteweise gehen ja Wildtiere nicht mehr an ihre Jungen, wenn Hunde- oder Menschen­duft an ihnen haftet. Aber ein Anruf bei einer Wildtierauffang­station brachte die Gewissheit, dass man die Tiere am besten dort lässt, wo man sie findet.

Noch einmal „puuuhhh“, denn der „nachts-aufstehen-und-Hasenbabys-mit-der-Flasche-aufziehen-Kelch“ war ebenso an mir vorbei gegangen wie der „wochenlang-eine-vor-lauter-Muttergefühlen-zu-nichts-anderem-mehr-zu-gebrauchende-Hündin-haben-Kelch“.

Ein dickes Dankeschön an ­dieser Stelle an die Mitarbeiter von Wildtierauffang­stationen, die einem auch am Wochenende mit Rat und Tat zur Seite stehen! Und ein Tipp an alle, deren Hunde ähnliche Ambitionen haben: Wildtiere gehören in die Natur, sie mitzunehmen entspricht dem Tatbestand der Wilderei und ist außerdem nicht zielführend. Auch Hasen-Rabenmütter kümmern sich um ihren Nachwuchs, nur nicht so oft.

Der Heimweg war dann auch noch ein großes Drama, denn ­Andra stemmte sich in die Leine, warf ­herzzerreißende Blicke nach hinten und sah ­eigentlich gar nicht ein, dass sie ihren eben gefundenen Schatz schon wieder alleine lassen sollte.
Und zuhause stand sie noch einige Zeit jammernd am Gartentor – ihr Vertrauen in die Qualitäten von Hasenmüttern scheint nicht allzu groß zu sein.

Wer den Kastrationsartikel in WUFF 2/2011 aufmerksam gelesen hat weiß, wem das alles zu verdanken ist: einem kleinen und an sich harmlosen Hormon, dem Elternhormon ­Prolaktin. Da es mit den Sexual­organen nichts zu tun hat, sondern aus dem Gehirn stammt, ist also auch eine kastrierte Hündin, die nie Welpen gehabt hat und nicht mal eine „gute Welpen­stube“ vorzuweisen hat, bei Anwesen­heit entsprechender äußerer Reize (in ­diesem Fall das Kindchen- bzw. ­Häschenschema) in der Lage, schlagartig in die Scheinmutterschaft zu verfallen. Wir warten immer noch auf den Milcheinschuss …

Übrigens: auch wenn ich wirklich nicht scharf auf das Fläschchen-geben war (bei mir scheint die Prolaktin­schleuder nicht ganz so ausgeprägt zu sein), so habe auch ich Herzchen in den Augen und könnte Andra knutschen: Immerhin ist sie ein Jagdhund, und da hätte manch anderer sicherlich kurzen Prozess gemacht, anstatt sich auf der Stelle zu verlieben und zur ­Löwenmutter zu werden. Meine süße kleine Andra-Maus!

PS: die Häsin ist wiedergekommen, ich habe mich auf die Lauer gelegt. Hoffentlich passt sie in Zukunft etwas besser auf ihren Nachwuchs auf …

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