Eine der jüngsten Rassen, die von der kynologischen Weltorganisation FCI anerkannt sind. Das Land seiner züchterischen Entstehung im Rassenamen kam der als Jagd- und Schutzhund „geplante“ Dogo Argentino erstmals 1960 nach Europa.
Argentinien ist für uns Mitteleuropäer ein Land von kaum fassbarer Größe. Die Klimazonen von Nord nach Süd erstrecken sich, übertragen auf unseren Kontinent, von Norwegen bis Tunesien. Die im Süden Amerikas lebenden Volksstämme waren bis zur Ankunft der Spanier im 16. Jahrhundert nicht sesshaft, zogen als Nomaden durchs Land. Im Nordwesten des Landes wurde erst ab dem frühen europäischen Mittelalter (etwa ab 600 n. Chr.) Ackerbau und Viehzucht betrieben. Zum Vergleich: Ackerbau und Viehzucht wurden in Asien und Europa schon seit der letzten Eiszeit, also wesentlich früher als auf dem amerikanischen Kontinent, ausgeübt. Und noch heute ziehen einige Indianerstämme mit Zelt, Kind und Kegel nomadisierend durchs Land.
Und Wölfe? Fehlanzeige. Auf dem südamerikanischen Kontinent war bei der Verbreitung von Wölfen und Wildhunden kurz hinter der heutigen brasilianischen Grenze Schluss. Der dort ansässige fuchsartige Mähnenwolf ist kein „echter“ Wolf und nach neuesten Forschungen auch mit keiner anderen Wildhundart wirklich eng verwandt. Wie die ersten domestizierten Hunde in die Indianersiedlungen Südamerikas kamen, ist heute leider nicht mehr nachvollziehbar. Begeben wir uns in ein Land, in dem es trotz seiner Größe nur eine einzige anerkannte Hunderasse gibt: Den Dogo Argentino.
Seefahrer, Entdecker und alte Doggen
Um die Abstammung des Dogo Argentino nachvollziehen zu können, muss man weit in der Zeit zurückgehen, bis in das Jahr 1502. Amerigo Vespucci, nach dem übrigens der amerikanische Kontinent benannt wurde, betrat als erster Europäer südamerikanisches Festland. Ob er auf seinen Fahrten über den Atlantik molosserartige Hunde aus Italien dabei hatte, ist leider nicht überliefert. Anzunehmen ist es schon, da Hunde aller Größen in dieser Zeit gerne als lebender Proviant auf die Entdeckerreisen mitgenommen wurden. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass Vespucci die ersten Mastinos und andere Haushunde nach Südamerika brachte.
1580 konnten sich die Spanier nach früheren Indianerangriffen fest im Nordosten Argentiniens etablieren und gründeten nach dem ersten Versuch 1536 zum zweiten Mal die Stadt „Buenos Aires“. 7 Jahre zuvor entstand etwas nördlicher im Landesinneren die Siedlung Córdoba. Die spanischen Eroberer brachten ihre Molosser mit, die in Europa schon über 200 Jahre zur Jagd verwendet wurden. Es handelte sich um große, massige, doggenartige Hunde, vergleichbar mit dem alten spanischen Alano-Typ. Aufgabe dieser Hunde war es Siedlungen und Höfe zu beschützen, entflohene Sklaven zu verfolgen und die inzwischen in der Pampa weidenden riesigen Rinderherden zu bewachen. Ställe und Zäune für das Vieh gab es nicht, und so mancher Puma und Jaguar hätte sich, wären die Hunde nicht gewesen, an den Herden gütlich getan. Vor allem in Córdoba hielten die spanischen Kolonialherren weiße Doggen, „Perro de Pelea Cordobeses“ genannt, natürlich nach der wesentlich älteren spanischen Stadt Córdoba benannt. Und bei diesen Hunden blieb es die nächsten 300 Jahre.
Die Martinez-Hunde mit Pfeffer und Gewürz
„Ein Hund, der einen Einbrecher angreift und dann bei der ersten Drohung oder Verletzung seinen Gefangenen laufen lässt, taugt als Wachhund nichts“ – so sprach Dr. Antonio Nores Martinez 1873 über den in seinen Augen optimalen Wachhund. Im Dogo Argentino haben wir das Musterbeispiel einer „künstlich“ geschaffenen Rasse, die durch Kreuzung unterschiedlicher anderer Rassen entstanden ist. Von Rassekreuzung kann man hier deshalb sprechen, da der British Kennel Club 1873 bereits existierte und Stammbäume von über 4.000 Hunden nachvollzogen werden konnten. Wir können also davon ausgehen, dass in der Zeit Nores Martinez’ Rassehunde bereits rein gezüchtet wurden. Und dank der Familie Martinez haben wir auch genaue Aufzeichnungen darüber, welche Rassen verwendet wurden. Antonio Nores Martinez begann am Anfang mit Irish Wolfhounds, Scottish Deerhounds, Foxhounds, Settern, Pointern und Beagles. Der Hund, der ihm vorschwebte, sollte einen weniger ausgeprägten Spurlaut als der Beagle haben, doch genauso spursicher sein. Weitere geforderte Eigenschaften waren eine Ausdauer wie die Foxhounds und ein festes Wesen wie Wolf- und Deerhound. Doch das Ergebnis entsprach nicht seinen Vorstellungen. Erst als er auf die alten Cordobeser Doggen zurückgriff, diese Hunde mit spanischen Laufhunden kreuzte, kam er seinem Ziel langsam näher. Um das Jahr 1900 war der erste Schritt erreicht, doch erst in den 1930er Jahren konnte man von erbfesten Zuchtlinien sprechen, es waren einfach zu viele unterschiedliche Rassen beteiligt. Den ersten Standard verfasste Martinez bereits im Jahr 1928. Am 2. November 1956 wurde Dr. Antonio Nores Martinez während eines Jagdausfluges ermordet, bevor er seinen Plan, eine neue Jagd- und Schutzhundrasse zu schaffen, vollenden konnte.
Antonios Bruder, Dr. Augustin Nores Martinez, setzte zusammen mit den Söhnen des Verstorbenen, die Arbeit des Vaters und Bruders fort. Bereits 1954 hatte er, übrigens Professor für Genetik, Hunde aus seiner Zucht registrieren lassen. Nach dem Tod Antonios wurden von ihm nun weitere Rassen eingekreuzt. Augustin Nores Martinez experimentierte in mehreren parallel gezogenen Inzuchtlinien mit Deutschen Boxern, einem Irish Wolfhound und einem English Bulldog. Die Einkreuzung von zwei gefleckten Deutschen Doggen brachte nicht den gewünschten Durchbruch. Erst die Gene eines Pointers verliehen der neuen Rasse die ersehnte Nasenleistung und einen eleganteren Körperbau. Mitspielen durften auch noch eine Bordeaux Dogge und ein Bullterrier, bei dem sich später leider herausstellte, dass er taub war.
Nun waren die bisher ineinander gekreuzten Rassen allesamt recht bunt. Die Martinez’ wünschten sich jedoch einen rein weißen Hund, um ihn im Jagdgetümmel nicht versehentlich mit dem gejagten Wild zu verwechseln. Im letzten Schritt verhalf dann ein Mastin de los Pirineos zur weißen Farbe und einem stärkeren Knochenbau. 1973 wurde der Dogo dann auch von der FCI als Rasse anerkannt.
Der Jagdhund wird Gebrauchshund
1965 wurde auf einer Hundeausstellung in Buenos Aires das erste Mal ein Dogo Argentino als Schutzhund vorgestellt. Der Dogo sollte nun auch als Dienstgebrauchshund bei der Polizei und beim Militär Karriere machen. Wollten die Martinez’ ihrer neuen Rasse damit nur zu mehr Publikum verhelfen? Oder lag es schlicht und einfach daran, dass es der Mensch wieder einmal geschafft hatte, die ursprüngliche Tierwelt in einem Land dermaßen zu reduzieren, dass sich die Jagd nicht mehr lohnte und der Dogo als Jagdhund nicht mehr so gebraucht wurde? Denn viele Tierarten, die der Dogo bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts verjagen und jagen sollte, gelten als bedroht oder stehen kurz davor, von unserem Planeten zu verschwinden. Die von den Spaniern bereits im 16. Jahrhundert für ausschließlich jagdliches Vergnügen eingeschleppten Wildschweine machen den einheimischen Pekaris (Nabelschwein) das Leben schwer. Für die Hunde musste also ein „neuer Job“ her.
Professor Diego Ross von der Universität Cordoba über den Dogo als Schutz- und Wachhund: „Bei passender Auswahl und Beginn der Erziehung in frühem Alter ist es möglich, aus dem Dogo Argentino einen guten Wach- und Schutzhund zu machen, wozu er sich sehr gut eignen kann. Besonders hervorzuheben ist seine Führigkeit und sein Mut.“ Eine große Begeisterung drückt er mit der Verwendung der Worte „möglich“ und „kann“ offensichtlich nicht aus. Denn das alte genetische Erbe besteht einfach zum Großteil aus Jagdhunden, und als Jagdhund war er ja auch geplant. In Südamerika machte der Dogo dann zwar auch eine „kleine Karriere“ als Polizei- und Armeehund, in Europa erlangte er in diesem Bereich keine Bedeutung.
Der Dogo in Europa
Die alten deutschen Kynologen kennen ihn nicht. Ludwig Beckmann 1895: „Außer den angeführten Rüdenformen* (Nord- und Mitteldeutscher Metzgerhund, Rottweilerhund, Chien de Bouvier, spanischer Mastin, altenglischer Drovers Dog und dänischer und broholmer Hund) sind dem Verfasser zurzeit keine anderweitigen, rassig gezüchteten Typen dieser uralten, vielfach unterschätzten Form des Haushundes bekannt“. Man kann also beim Dogo Argentino keinesfalls von einer alten Rasse sprechen, im Gegenteil, es dürfte eine der jüngsten anerkannten Rassen sein.
Der Rüde „Toro del Neuquen“ und die beiden Hündinnen „Pampa del Chubut“ und „Retame de Amitu“ waren am 22. August 1960 die ersten direkt aus Argentinien importierten Dogos, die europäischen Boden betraten. Importeur war der damals angesehene Kynologe Dr. Erich Schneider-Leyer, der diese drei Martinez-Abkömmlinge nach Stuttgart brachte. Der Österreicher Dr. Otto Schimpf, der lange in Argentinien lebte, brachte in den 1970er Jahren die ersten Hunde nach Wien. Sein Zwinger „vom Knausserwald“ besteht heute noch. „Cerberus vom Knausserwald“ und „Condor vom Knausserwald“ waren die Begründer der schweizerischen Dogo-Zucht.
Dem Dogo Argentino blieb eine Massen- und Modezucht bisher erspart. Züchter gibt es wenige, im VDH wurden 2009 gerade mal ein paar Welpen eingetragen. Auch in der europäischen Jägerschaft findet man ihn selten bis gar nicht.
Risikofarbe Weiß?
Einfarbig weiße Hunde, die noch dazu eine schwache Pigmentierung der Haut aufweisen, tragen ein größeres Risiko auf erbliche Defekte. Diese Tatsache ist auch allgemein bekannt. Von Hautkrankheiten über Sehstörungen bis hin zur völligen Taubheit, alles ist heute bewiesenermaßen mit der rein weißen Farbe in Zusammenhang zu bringen. Trotzdem steht wörtlich im Rassestandard u.a.: „Farbe: Reinweiß. Um das Auge herum ist ein Farbfleck von schwarzer oder dunkler Farbe zulässig; dieser darf nicht mehr als 10% der Fläche des Kopfes einnehmen. Bei gleichwertigen Exemplaren soll der Richter immer zugunsten desjenigen Hundes entscheiden, der am reinsten weiß ist“. Wäre es nicht endlich an der Zeit, der Gesundheit bei Ausstellungshunden eine größere Priorität als der Optik einzuräumen? Sicherlich soll ein Dogo noch so aussehen wie ein Dogo, aber nach all dem, was wir nun durch die Populations- und die Molekulargenetik wissen, sollte die Gesundheit und Vitalität des Hundes erstes und wichtigstes Entscheidungskriterium sein, denn die „fröhliche Natur“, wie sie ebenfalls im Standard verlangt wird, kann nur ein gesunder Hund wirklich leben.