Der Deutsche Schäferhund

Von Dr. Helmut Raiser

Vorwort von Dr.Hans Mosser:
Die Wahrheit über „Kommissar Rex“: In dieser Ausgabe haben wir dem Deutschen Schäferhund besonders viel Raum gewidmet – mehr, als bisher in unseren Rasseportraits üblich war. Warum? Zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend. Erstens ist er zweifellos die am weitest verbreitete Rasse der Welt und zweitens gibt es seit Jahren eine heftige Diskussion über die Zukunft des Deutschen Schäferhundes, der 1999 seinen hundertjährigen Bestand als eigenständige Rasse feiert. Da der Deutsche Schäferhund von seinem Begründer, Max von Stephanitz, zuallererst als sog. Gebrauchshund (der Begriff wird später erklärt) gedacht war, haben wir diesem Umstand Rechnung getragen und sind dieses Portrait eher von dieser Seite aus angegangen. Wir haben uns wirklich bemüht, Ihnen eine ehrliche und ausführliche Übersicht dieser wunderbaren Hunderasse vorzulegen und – ohne rosarote Brille – der Wahrheit über die Situation des Deutschen Schäferhundes heute näher zu kommen. Wir fassen dieses Portrait aber auch auf als Start einer Diskussion über den Deutschen Schäferhund, zu deren Beteiligung wir Sie ganz herzlich einladen.

Universalgenie – mutig und treu!
DER DEUTSCHE SCHÄFERHUND

Zumindest seit der Jungsteinzeit, als der Mensch begann, Haustiere in Herden zu halten, wird es wohl Hütehunde gegeben haben. Jedes Land entwickelte seine ihm eigenen Schläge und Rassen, wobei an dieser Stelle auf die seit der Maiausgabe in WUFF laufende mehrteilige Serie über „Unsere Hirtenhunde“ von Roswita Hirsch-Reiter hingewiesen wird (siehe auch dieses Heft, Seite 44). So gab es auch in Deutschland bereits bestimmte Schläge von Schafhütehunden, ebenso wie ein buntes Rassengemisch an Hunden, die nur wegen ihrer Leistung zum Hüten eingesetzt wurden. Sehr spät erst ging man daran, vor allem aus den mittel- und süddeutschen Schafhütehunden eine bestimmte Rasse zu bilden.

Max von Stephanitz
1899 gründete ein kleiner Kreis schäferhundbegeisterter Männer in Karlsruhe den „Verein für Deutsche Schäferhunde“ (SV), der unter der Führung des Rittmeisters Max von Stephanitz mit einer planmäßigen Schäferhundezucht begann. Die damals aufgestellten Zuchtziele, einen zu hohen Leistungen befähigten Gebrauchshund zu schaffen, gelten noch heute als bahnbrechend für das gesamte Hundewesen. Im Zuchtbuch des SV ist der im Besitz von Max von Stephanitz stehende „Hektor Linksrhein genannt Horand von Grafrath“ der erste eingetragene Rüde und kann somit als der Stammvater der Deutschen Schäferhunde (DSH) bezeichnet werden. Von Anfang an wurde auf Leistung als universaler Gebrauchshund größter Wert gelegt. Der Erfolg dieser planmäßigen Zucht blieb nicht aus, denn in nur wenigen Jahrzehnten wurde der DSH zur meistgezüchteten Hunderasse der Welt.

Aussehen und Leistung
Der Rassestandard von 1899 hat auch heute noch in seinen wesentlichen Punkten Gültigkeit. In einem Satz zusammengefasst liest sich das so: „Gefällige Erscheinung ist anzustreben, doch darf die Gebrauchstüchtigkeit des Hundes dadurch nicht in Frage gestellt werden“. An diesem Satz scheiden sich allerdings heute die Geister der Schäferhundleute, deren eine Richtung sich eher auf die gefällige Erscheinung und die andere mehr auf die Gebrauchstüchtigkeit festlegt. Diese Spannung findet sich daher naturgemäß auch im weiter unten folgenden Artikel von Dr. Helmut Raiser wieder.

Universaler Partner des Menschen
Der Einsatz des DSH im Dienst des Menschen ist legendär: Bekannt sind seine Einsätze als Meldehund zur Nachrichtenübermittlung oder als Sanitätshund zum Auffinden von Verwundeten in den Weltkriegen. Ein universaler Gebrauchshund bei Polizei und Zoll oder als Fährten- und Schutzhund im Hundesportbereich. Weiters wird er eingesetzt als Blindenführhund, Lawinensuchhund oder ganz einfach als hundliches Familienmitglied. Sein Wesen wird beschrieben als temperamentvoll, klug, gelehrig, treu, wachsam, unbestechlich, ausdauernd und mutig. Die Universalität in Fähigkeiten und Leistung des DSH wie auch sein Wesen haben ihn zu einer der beliebtesten Rassen unserer Zeit gemacht.

Der Deutsche Schäferhund: Alles okay?
Persönliche Erfahrungen von Dr. Helmut Raiser

Eine kritische Betrachtung der Situation des Deutschen Schäferhundes heute, verfasst von einem Mann, der als kompetenter Kenner dieser Rasse außer Zweifel steht und darüber hinaus auch noch publizistische und filmerische Meriten vorweist. Dr. Helmut Raiser, vielen „Schäfer- und Gebrauchshundeleuten“ ein Begriff, engagiertes Mitglied des deutschen Schäferhundevereines seit 1974 (!), schreibt diesen Artikel, um – wie er selbst sagt – „diesen Hund zu retten“. Lesen Sie daher das Folgende bitte unter diesem Gesichtspunkt!
Als man mich bat, einen Artikel über den Deutschen Schäferhund (DSH) zu schreiben, wollte ich erst ablehnen, schließlich lebe ich seit 30 Jahren mit dem Hund und seit 25 Jahren mit dem DSH. Meine Stellungnahme kann nur äußerst kritisch ausfallen, denn dieser Hund takelt so langsam ab, und als Nestbeschmutzer möchte ich auch nicht unbedingt auftreten. Andererseits ärgere ich mich seit 7 Jahren in der Vereinspolitik herum, um diesen Hund zu retten.

Hinten Frosch, vorne Hund
Der DSH galt lange als der Gebrauchshund Nummer eins, denn die Gründer hatten sich beim Styling und beim Antriebssystem ganz gut Gedanken gemacht. Heute hinkt er im direkten Vergleich deutlich anderen Newcomern, wie dem Malinois, hinterher, auch wenn einzelne Individuen, hier und da mal wieder sich deutlich als Glanzlichter absetzen. Sein größtes Problem ist heutzutage sein Fahrgestell, hinten Frosch – vorne Hund, da haut es die Koordination ganz schön aus dem Gleichgewicht. Diensthundeführer beklagten schon vor zehn Jahren, dass man mit diesen Hunden nicht mehr lange Streife gehen kann.

Zwei DSH-Populationen
Gehalten hat sich die Mär vom besten Gebrauchshund der Welt, weil sich züchterisch zwei Populationen erhalten haben: Diejenigen, die seriös auf Schau züchten, werden sich einen Teufel tun, ihr genetisches Material durch „Leistungsknochen“ zu versauen. Diejenigen, die Gebrauchshunde züchten wollen, wissen schon lange, daß auch die leistungsmäßig besten Phänotypen aus dem Schaubereich genotypische Flops sind.

Es geht um Millionen
Durch die gewollte aber unglückliche Verknüpfung, daß der Präsident jedes Jahr die Gebrauchshundklasse Rüden richtet und somit alle seine Prophezeiungen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden (er verteilt dabei in wenigen Stunden Millionenbeträge in Form von Deckakten und Wertsteigerungen der Tiere), reduzieren sich die Schaulinien auf ganz wenige Elterntiere. Das Ergebnis von derartiger Verringerung des genetischen Pools ist überall in der kynologischen Fachpresse nachzulesen, das erspare ich mir hier. Von den menschlichen Versuchungen und Verfehlungen, die dem DSH als kommerzielles Objekt Schaden zuführen, will ich auch nicht berichten, wohl aber von den Problemen, die er als Gebrauchshund dadurch erfährt. Reden wir…
1. zuerst von der Schaupopulation
2. von der Leistungspopulation, und
3. von einer Hypothese.

1. Reden wir also zuerst von der Schaupopulation
Die Gesundheit der Hunde der Schaupopulation kann ich nicht beurteilen, da ich mich nur peripher mit dieser Form des DSH auseinandersetze. Ich vermute aber, daß es ähnlich katastrophal wie bei der Leistungspopulation aussieht, auf die ich später zu sprechen komme. Damit meine ich, dass die Knochen- und Allergieprobleme verglichen mit der Leistungspopulation genauso zunehmen.

Anatomische und farbliche Selektion
Schlimm bei diesen Hunden ist vor allen Dingen die Leere im Kopf und der langweilige, doofe Gesichtsausdruck… Die Leistung ist im Schaubereich ein notwendiges Übel und die Selektion geht ihren anatomischen und farblichen Gang und irrte dabei auch ganz schön hin und her. Selektion heißt aber nicht nur „Hervorheben“ , sondern bedeutet immer auch „unbeabsichtigtes Wegmachen“, welches beim DSH dazu geführt hat, dass der Schauhund einen leeren Kopf hat. Übriggeblieben ist im Kopf, dass bei diffuser Belastung Hyperkinetik gefragt ist und so haben sie Trieb, aber kein Triebziel mehr und gebärden sich wie hibbelige Fingernägelkauer. Andere sind so sicher, dass sie sogar zum weglaufen zu doof sind.

Aber schön sind sie doch!
Da sich über Schönheit nicht streiten lässt, widerspreche ich auch nicht, wenngleich ich es als ein äußerst jämmerliches Bild empfinde, wenn ein Rüde die Rute nicht hoch erhoben trägt und immer mit so eingezogenem Hintern herumläuft, als wenn ein Backstein an seinen Hoden hinge. Auch diese Farben! Nein Danke! Pigment hat etwas Reizvolles für mich, nicht nur weil empirisches Wissen Pigmentstärke mit guten Nerven, Trieb und Vitalität assoziiert. Dieser schwarzweiße Einheitstyp ist nicht mein Schönheitsideal. Wenn schön allerdings das ist, was dem Gebrauch dient (Stephanitz), dann sind sie eindeutig hässlich. Denn dieses Gebäude ermöglicht zwar dem Hund, falls er wie ein Hochleistungssportler trainiert ist, ausdauernd auf der Schau im Kreis zu traben, aber wozu braucht das ein Gebrauchshund?!

Persönliche Erfahrungen
Als ich noch Körungen hetzte, habe ich mich primär immer über die Trieblosigkeit der Schönen aufgeregt. Wenn dann wirklich mal einer Trieb hatte, dann waren diese Hunde ganz dumm zu arbeiten. Wollte man sie nicht auflaufen lassen und ging etwas zur Seite, flogen sie am Helfer vorbei, weil sie keine flinke Richtungsänderung mehr ausführen konnten. Hat man sie frontal genommen, dann lag ein Knäuel Hinterhand zwischen den Beinen des Helfers und man musste aufpassen, dass man nicht stolperte und den Hund verletzte. Streife gehen im Dienst beklagten schon vor Jahren befreundete Polizisten als Problem. Langsames Gehen auf der Fährte oder gar noch im Schollenacker lässt vermuten, dass der Hund 2,0 Promille hat. Einige sind beim richtigen Arbeitstempo auf der Fährte so gestresst, daß ich schon einmal 18 Monate Arbeit benötigte, bis der Hund gelernt hatte, sein anatomisches Handicap zu handeln (er war der „Schönste“ den ich hatte!).
Die kurzen Sprints in der Unterordnung (hin zum Holz, zurück mit Holz, Entwicklung zum Steh und Platz aus dem Lauf) sind ausbilderische C-Teile, bei denen mir mein Hund immer leid tut, weil er durch sein Gebäude in seinem Triebverhalten so negativ beeinflusst wird. Umfangreiche Zwangarbeiten mit allen negativen Begleiterscheinungen sind die Folge, oder man begnügt sich mit Trab und Minimalausbildung, die dann schnell zu Spannungs- und Triebverlust führt. Beides bewirkt weder beim Hund noch beim Ausbilder gesteigerte Lebensfreude.
Das Springen an der Steilwand hat man ja schon aufgegeben, aber selbst Zeitlupenaufnahmen von triebstarken Sprüngen an der Schrägwand verursachen mir beim Zuschauen Schmerzen im Lenden-Kreuzbeinwirbelbereich, so daß ich ausbilderisch darauf achte, daß mein Hund die Übung triebloser ausführt.
Ein eigenes Problem stellen die psychosomatischen Offenbarungseide der „Fingernägelkauer ohne Triebziel“ und der „trieblosen Zwangsubstituierten“ dar. Wer solche Hunde arbeitet, sollte immer etwas Pankreon in der Hausapotheke haben, weil es nur eine Frage der Zeit ist, wann die Bauchspeicheldrüse ausfällt, Ekzeme, Nieren- oder Leberprobleme auftreten.
Der langen Rede kurzer Sinn: V-Gebäude ist Qualzüchtung für einen Gebrauchshund!

2. Reden wir jetzt von der Leistungspopulation
Ich sehe schon, wie alle Hundesportgegner jetzt breit schmunzeln. Weit gefehlt, der Hundesport ist nach wie vor die schönste Sache der Welt. Nur muß man mit einem Formel-1-Auto keinen Acker pflügen wollen.

Seit den Siebzigern…
Meine Erfahrungen mit dem DSH begannen Anfang der 70er Jahre. Der processus anconaeus verhinderte 6 Jahre lang, dass ich einen brauchbaren Hund bekam. Mit naiven, unsinnigen und teuren Operationen zahlte ich viel Lehrgeld. Dumme Wurfwiederholungen ließen mich irgendwann schlauer werden. Die Diskussionen über dieses Thema zeigten, dass dieses Problem in Fachkreisen längst bekannt war. In Hundlerkreisen trat das Problem gehäuft auf, wurde allerdings gar nicht als solches realisiert und diese Hunde sah ich auch wiederholt auf Siegerprüfungsebene. Erst jetzt hat der SV auf Drängen von Frau Dr. Görke beschlossen, zu eruieren, ob hier Handlungsbedarf besteht. Eine Randbeobachtung, die ich heute wesentlich präziser erklären kann, war damals, dass gerade diese Hunde, die mit einem dauerhaften Schmerz oder Handicap leben mussten, entweder trieblich zusammenbrachen oder aber bei besserer genetischer Ausstattung sich als besonders starke Tiere entwickelten. Das führt häufig, weil der Ausbilder die Zusammenhänge nicht weiß, zu Falschinterpretationen, tierschutzrelevanten Zwangsmaßnahmen und irrigen Zuchtselektionen.

Ethik gefragt!
Mein erster richtiger Hund war Schauzucht. Er war einer von den Sicheren, die zu dumm zum Weglaufen sind. Schlecht war er nicht, aber sein Triebdefizit brachte ihm auch eine Bauchspeicheldrüsenfehlfunktion ein, die man natürlich erst im Nachhinein als solche realisiert. Zu der Zeit kannte ich dieses Problem nicht und erst mit der Zeit erfuhr ich, dass auch dieses Problem in Fachkreisen Alltäglichkeit und in SV-Kreisen nicht existent ist. Nachdem ich 1979 mit diesem Hund den Bundessiegertitel errungen hatte, war ich an dem Punkt, wo ich aus ethischen Gründen den Hundesport aufgeben wollte. Für mich stand fest, dass ich solch eine armselige Vergewaltigung der Kreatur Hund nie wieder durchführen werde. Den Hund nahm ich danach aus der Arbeit, er ist dann mit 11 Jahren auf natürliche Weise gestorben. Ohne die Ausbildung hätten wir nie die enge Bindung gehabt.

Verständlich nur für Eingeweihte
Zum Glück hatte ich parallel eine tolle Hündin, die mir zeigte, dass Hundesport mit geeignetem Ausgangsmaterial weder den Hund krank macht, keine tierschutzrelevanten Probleme beinhalten muss und die schönste Sache der Welt für mich ist. Das gegenseitige Geben und Nehmen auf nonverbaler, emotionaler Ebene und die dabei entstehende Bindung kann nur derjenige verstehen, der diese Bindung erlebt hat. Nichteingeweihte sollten sich hier einer Wertung enthalten! Leider hatte ich die Hündin nur kurz zur Ausbildung und konnte sie nur ein Jahr auf der Siegerprüfung führen. Mein nächster Hund war der Beste, den ich bisher hatte: 6 Jahre vorne auf der Siegerprüfung, einen Tierarzt kannte er nur vom Impfen, mit 15 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Allerdings tat es mir sehr leid, dass er mit 9 Jahren langsam ab Lendenbereich stetige Funktionseinbußen zeigte. Auch dieses Problem realisiere ich erst heute, dazu später. Übrigens wurden alle Geschwister früher kreuzlahm, hatten weniger geleistet und starben jünger.
Das Problem der Kreuzlahmheit existiert im SV auch nicht, da einen alten Hund (Schau = 6 Jahre, Leistung = 8 Jahre) kaum jemand präsentiert.

Kreuzlahm mit sieben Jahren
Der nächste Hund war nichts Tolles, aber gut ausgebildet konnten wir uns 5 mal zur Siegerprüfung qualifizieren und im Mittelfeld mitmischen. Immer im Sommer, wenn ich ihn brauchte, entwickelte er Ohrenzwang und zwischen den Ballen wurde alles eitrig und der Hund fiel leistungsmäßig stark ab. Diese Symptomatik kann ich noch nicht definitiv zuordnen, allerdings haben die Analdrüsen und allergologische Phänomene Relevanz. Seine Kreuzlahmheit setzte schon mit 7 Jahren ein. Bis zur letzten Rippe ist er mit seinen 10 Jahren noch heute das blühende Leben, dahinter klappert schon recht unkoordiniert die „doch so schöne“ Hinterhand.

Bei 90% Problem Hinterhand!
Das Problem Hinterhand (Cauda equina und Spondylose) ist mir in den letzen drei Jahren sehr bewusst geworden. Im letzen Herbst habe ich am gleichen Tag meinen 5-jährigen Siegerprüfungsteilnehmer und meinen hervorragend veranlagten 2-jährigen Nachwuchshund einschläfern lassen müssen, weil sie beide diese Schäferhundseuche hatten. Ich kam mir vor, als stünde ich in einer Trichteröffnung und schaute heraus, und was ich sah, waren über 90% kaputte DSH im Lenden-Kreuzbeinbereich. Da habe ich mir eine Theorie entwickelt, die viele Fragen klärt. Hoffentlich ist sie nicht wahr!

3. Meine Hypothese
Vor vielen Jahren hat man gesehen, dass einige DSH hinten lahm waren. Man fing das HD-Röntgen an und glaubt noch heute, damit das Problem zu beherrschen. War es vielleicht nicht nur die Hüfte?! Sind nicht viele Hunde mit HD auffallend unproblematisch auf den Beinen?!

Was haben wir angerichtet?!
Dann hat man das Hinterteil des Hundes hin und her gezüchtet und letztlich so komisch gestylt, wie es sich heute präsentiert. Dabei hat man die Knochen verändert, sich aber nur auf die äußere Seitenansicht beschränkt. Hat einmal jemand geschaut, ob vielleicht der Wirbelkanal in seinem Durchmesser sich verändert hat und die Nerven scheuert oder quetscht (Cauda equina)? Hat mal einer geschaut, ob nicht Knochengewebe wächst, wo gar keines hingehört und die Nerven scheuert (Spondylose)? Ist es nicht so, dass beim Jugendlichen die Knochensubstanz weich und knorpeliger ist, sich das Problem also erst später einstellt, wenn der Knochen stärker verkalkt? Als ich den eingeschläferten Hund untersuchen ließ, habe ich mich erschrocken. Da war um die ganze Wirbelsäule eine neue Knochenmanschette im Lumbosacralbereich gewachsen und überall spondylotische Knochenneubildungen. Was haben wir da in der Zucht mittlerweile angerichtet! Aber scheinbar habe nur ich die Probleme im SV, denn fragt man andere Hundler nach diesem Problem, sind alle froh, dass ihre Hunde das zum Glück nicht haben…

Schmerz als ständiger Begleiter
Mein verstorbener Freund Adolf Wittmann hat mir vor 20 Jahren einmal auf die Frage, warum er eine gute Hündin wieder verkauft hatte, geantwortet: „Ich mag Dir das gar nicht sagen, weil Du mich dann auslachst, aber die Hündin hat sich ungern hingesetzt, das wird nichts!“ Sicherlich hat er diese Entscheidung aus dem Bauch heraus gefällt, aber heute weiß ich mehr. Wenn der Hund bei gewissen Bewegungen von hinten immer einen kleinen Schmerz oder eine Unannehmlichkeit verspürt, dann arbeitet man immer gegen diesen Widerstand und der Hund wird nicht kooperativ. Kennen Sie diese Hunde, die sich ungern hinsetzen, ungern springen, in der Sitzübung stehen bleiben? Das ist doch nicht normal, dass wir da soviel und so oft Zwang aktualisieren müssen! Achten sie mal darauf, wie viele DSH sich freiwillig „richtig“ hinstellen und bevorzugt das rechte Hinterbein etwas zurückstellen. Ist das vielleicht nicht normal, sondern eine Schonhaltung?

Fragen diskutieren
Ich höre hier jetzt auf und hoffe, dass meine Hypothese sich als unrichtig herausstellt, leider habe ich mit meinen Aussagen meistens Recht behalten, obwohl man mich schon einige Male aus dem SV werfen wollte, weil ich die Probleme häufig zu früh und zu direkt angesprochen habe. Ich kenne nicht die Gründe, die zu den Problemen des heutigen DSH geführt haben, ich kann mir nur meine Gedanken machen. Ich weiß nicht, ob diese Probleme züchterisch anzugehen sind – aber eines weiß ich sicher: Es ist die Pflicht und Schuldigkeit eines Rassehundezuchtvereines, Probleme seiner Rasse offen zu diskutieren, aufzuklären und offensiv anzugehen.

Hundesport verbieten?
Ein letztes Wort an die, die jetzt meinen, Wasser auf ihre Mühlen bekommen zu haben, dass der Hundesport verboten werden müsse. Sie haben mich nicht verstanden, lesen Sie bitte nochmals von vorne und durchdenken Sie die Gebrauchshunde-Definition. Wenn Sie dann immer noch der Meinung sind, haben Sie mich nicht verstanden.

>>> WUFF – INFORMATION

Was ist ein "Gebrauchshund"?

Der Ausdruck „Gebrauchshund“ klingt für den des Hundesport Unkundigen in gewissem Sinne negativ. Man gebraucht eine Sache, aber kein Lebewesen. Der Ausdruck ist jedenfalls sehr alt und … ja, gebräuchlich. Daß es beim „Gebrauchshund“ in Wirklichkeit um einen Partner seines Menschen geht, was auch eine enge Beziehung zueinander voraussetzt ebenso wie ethischen Tierschutz, klärt folgende grundlegende Darstellung dieses Begriffes. Die Verfasser dieser „Charta des Gebrauchshundes“ sind Hans-Heinrich Lohmann, Johanna Murawski, Dr. Helmut Raiser, Reinhard Wißmann, Ursula Zabel und Werner Zabel.

Der Gebrauchshund ist ein leistungsfähiger Arbeitshund. Er kann auf Grund seiner Triebqualitäten und seiner Konstitution vom Menschen für verschiedene Aufgaben ausgebildet und genutzt werden.

Der Gebrauchshund ist ein Wert an sich. Ihn und seine genetischen Ressourcen zu erhalten, gehört zur Pflege des Kulturgutes.

Arbeitshund.
Als solcher wird er mit seinen angeborenen Verhaltensweisen und Fähigkeiten vom Menschen zur Unterstützung seiner eigenen Arbeit benutzt. Damit nimmt der Mensch sich das Recht, über den Hund zu verfügen. Von Anbeginn der Domestikation war dies wesentlicher Beweggrund des Menschen, die Symbiose mit dem Hund einzugehen. Dieser anthropozentrische Ansatz kommt dem Tier in der Weise zu Gute, dass es die Möglichkeit bekommt, seine trieblichen und kognitiven Fähigkeiten auszuleben.
Leistungsfähig. Das Herausstellen der Leistungsfähigkeit des Gebrauchshundes fordert eine besondere Qualität der Arbeit. Diese wird determiniert durch physische und psychische Komponenten. Eine Forderung nach Leistungsfähigkeit impliziert Entwicklung und Prüfung dieser Fähigkeiten. Die Grenze findet dieses Bestreben durch den Gedanken des ethischen Tierschutzes.
Kann – nicht muss. Der Gebrauchshund besitzt die erforderlichen Voraussetzungen zur Ausbildung. Diese müssen nicht zwingend ausgeschöpft werden. Bei einer Funktion als reiner Gesellschafts- und Begleithund muss ihm neben der notwendigen Erziehung Gelegenheit gegeben werden, sich ausreichend auszuleben.
Triebqualitäten beschreiben die psychischen Komponenten der Konstitution. Sie bestimmen Art und Ablauf der Funktionen und Reaktionen. Die unterschiedlichen Verwendungszwecke des Gebrauchshundes erfordern verschiedene Triebqualitäten. Die trieblichen Verhaltensdeterminanten ergeben sich aus den Grundlagen der Arterhaltung: Hunger, Sexualtrieb, Flucht, Aggression. Zusammensetzung und Ausprägungsgrad bestimmen den Verwendungszweck.
Konstitution. Sie wird bestimmt durch Komponenten wie Triebqualitäten, anatomischen Gesamtaufbau, Vitalität, Langlebigkeit, Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer. Sie alle müssen den jeweiligen Verwendungszwecken entsprechen.
Vom Menschen. Mit dem Recht, über den Hund zu verfügen, hat der Mensch Verantwortung übernommen. Er muss ihn so züchten, halten und ausbilden, dass der Hund die jeweiligen Aufgaben im Sinne des ethischen Tierschutzes erfüllen kann. Auf den Erhalt genetischer Ressourcen ist besonderer Wert zu legen.
Verschiedene Aufgaben. Die Varianzbreite der Triebqualitäten und der Konstitution bewirken eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten, die der Mensch seinem jeweiligen Bedarf entsprechend nutzt.
Ausgebildet. Die Nutzung des Gebrauchshundes verlangt seine Ausbildung. Ausbildung kanalisiert die natürlichen Triebmäßigkeiten des Hundes in gewünschte Verhaltensweisen. Dieser Prozeß orientiert sich an ethologischen Erkenntnissen und kynologisch – empirischem Wissen. Das Recht des Menschen, auf das natürliche Verhalten des Hundes einzuwirken, um es zweckentsprechend zu formen und kontrollierbar zu machen, impliziert auch Zwangsmaßnahmen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben. Die Konfliktbewältigung in der Ausbildung formt die Persönlichkeit des Hundes. Die Ausbildung der Gebrauchshunde hat außerdem züchterische Relevanz. Sie dient dazu, geeignete Individuen durch definierte Prüfungen herauszustellen und diese der Zucht zuzuführen

>>> WUFF STELLT VOR

Der Autor
Dr. Helmut Raiser ist von Beruf Zahnarzt. Er ist ein renommierter Gebrauchshundefachmann, seit 1966 im Hundesport mit Schäferhunden engagiert. Seit 1974 ist Dr. Raiser Mitglied des Schäferhundevereins (SV), seit 1994 Beisitzer im Bundesgericht SV. Seit 1978 ist er bis auf wenige Ausnahmen Bundessiegerprüfungsteilnehmer. 1979 und 1982 Bundessieger. 1978 hat er ein vielbeachtetes Buch veröffentlicht („Der Schutzhund“), 1985 einen Film („Der Schutzdienst“) und 1996 nochmals einen Film („Pressing im Schutzdienst“).

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