Der Charakter eines Hundes

Von Sylke Schulte

Kann er sich im Laufe des Lebens verändern?

Die Ereignisse und Erfahrungen, die wir in unserem Leben sammeln, beeinflussen nicht nur die Richtung, die unser Leben nimmt, sondern auch unseren Charakter: Doch ist dies auch bei Hunden der Fall? Fast jeder Hundefreund kennt Geschichten von sehr schüchternen, ängstlichen Hunden, die später offener und zugänglicher wurden, oder Hunde, die über die Jahre mehr und mehr Aggressionen zeigten. Wie sind diese Änderungen in der Hundepersönlichkeit zu erklären und welchen Einfluss haben wir als Halter? Diesen Fragen widmete sich nun eine Studie aus den USA.

Die Kontroverse »Anlagen versus Umwelt« wird in den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen wie Psychologie, Biologie, Soziologie etc. schon seit langer Zeit heiß debattiert. Was macht uns als Mensch tatsächlich aus? Welche Eigenschaften sind uns angeboren und welche werden uns im Laufe unseres Lebens anerzogen? Kluge Köpfe wie Platon, Kant oder Hobbes haben sich über diese Frage bereits die Köpfe zerbrochen und auch heute noch ist sie Bestandteil vieler wissenschaftlicher Diskussionen. Dass auch Hunde Gefühle, Stimmungen und Charaktereigenschaften haben, wurde allerdings lange wissenschaftlich angezweifelt und somit ist es höchste Zeit, den Charakter unserer Vierbeiner auch wissenschaftlich einmal unter die Lupe zu nehmen.

Biologie versus Umwelt – und unser Beitrag
Dass auch Hunde über einen individuellen, starken Charakter verfügen, ist für ihre Halter erst einmal keine Neuigkeit. Doch wie verändert sich diese Hundepersönlichkeit mit der Zeit und welche Faktoren beeinflussen diese Veränderungen? Dieser Fragen nahm sich nun ein Forscherteam der Michigan State University an. Die Studie war die erste ihrer Art und in diesem Umfang noch nie dagewesen. Psychologieprofessor und Studienleiter William Chopik und sein Team befragten die Halter von über 1600 Hunden, die eine Bandbreite von 50 unterschiedlichen Rassen enthielt. Dabei variierte auch das Alter der Hunde von wenigen Wochen bis zu 15 Jahren. Die Halter beantworteten einen umfangreichen Fragenkatalog zur Bestimmung der Persönlichkeitsmerkmale ihrer Hunde, ihrer Verhaltensgeschichte aber auch zu ihrem eigenen, menschlichen Charakter.

Chopik erklärt zum Studienverlauf: »Bei der Identifizierung von Charaktereigenschaften der Hunde haben wir uns besonders auf fünf verschiedene Merkmale konzentriert: Ängstlichkeit, Aggressionen gegen Menschen, Aggressionen gegen andere Tiere, Trainingsbereitschaft und Aktivität/Erregbarkeit.« Die Erwartungen des Forscherteams waren zunächst gering, da sie davon ausgingen, dass Hundepersönlichkeiten sich nicht allzu sehr veränderten – gestaltet sich ein Hundeleben doch meist konstanter und weniger aufregend als ein Menschenleben. Um so überraschter waren die Wissenschaftler von den deutlichen Ergebnissen: Der Charakter eines Hundes lässt einige Vorhersagen zu, beispielsweise in Bezug auf die Beziehung zu seinem Halter, Beißverhalten und sogar bezüglich chronischer Krankheiten!

»Wir fanden einen starken Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen eines Hundes und seinem Alter – diese Verbindung konnte so bisher noch nie nachgewiesen werden. Zudem zeigte sich ein Unterschied zwischen den Persönlichkeiten von trainierten und untrainierten Hunden. Menschen haben in diesem Bereich also großen Einfluss auf den Charakter ihrer Hunde: Trainierte Hunde (egal ob durch den Halter selbst oder in Hundeschulen) zeigten sich aktiver und weniger ängstlich. Außerdem konnten wir zeigen, dass aktive und leicht erregbare Hunde weniger unter chronischen Krankheiten wie Taubheit, Blindheit oder Arthritis litten,« so Chopik. Aus den Daten der Studie konnten die Wissenschaftler außerdem ableiten, dass ältere Hunde schwieriger zu erziehen sind als ihre jüngeren Kollegen – das alte Sprichwort von den alten Hunden und den neuen Tricks scheint sich also zu bewahrheiten. Das ideale Trainingsalter für Hunde liegt demnach ungefähr bei sechs Jahren: In diesem Alter sind sie den Kinderschuhen entwachsen, aber noch nicht zu festgelegt in ihren Gewohnheiten.

Ist mein Hund neurotisch … oder bin ich es?
Viele negative Verhaltensweisen, so Chopik, können durch uns Menschen korrigiert werden. Während der individuelle Charakter unserer Vierbeiner nicht in Frage gestellt werden sollte, sind wir Halter uns oft nicht darüber bewusst, in welchem Ausmaße wir Einfluss auf die Persönlichkeit unserer Hunde nehmen. Egal ob ausgedehnte Streicheleinheiten oder Spaziergänge oder auch unser konstanter Ärger und Frust über ihr Kläffen oder das Ankauen des Inventars – jede unserer Aktionen und Emotionen beeinflusst die Stimmung der Fellnasen und formt so in bestimmten Situationen ihren Charakter.

Die gute Nachricht ist: Wir können unseren Hund und seinen Charakter durchaus positiv beeinflussen und ihm helfen besser mit Frust oder Aggressionen umzugehen. Frühere Studien haben gezeigt, dass Hunde in der Lage sind, die Emotionen ihrer Halter aus deren Gesichtsausdrücken abzuleiten. Sind wir gestresst, stressen wir also auch unseren Vierbeiner, sind wir glücklich, sind sie es auch! Und hier kommen wir auch schon zu den weniger guten Nachrichten, die sich aus der Studie ableiten lassen: Verhaltensweisen, egal ob antrainiert oder angeboren, die auf Angst basieren, sind am schwersten wieder abzugewöhnen. Besonders ängstliche Hunde legen diese Eigenschaft meist auch im Alter nicht ab.

Diese Zusammenhänge werfen neues Licht auf die alte Frage: Wie der Mensch, so der Hund? Professor Chopik und sein Team identifizierten bei der Interpretation der Studienergebnisse viele Merkmale, die Hund und Halter teilten. Diesen Bezug erklärt er folgendermaßen: »Es gibt wenigstens drei Ursachen. Erstens wählen Menschen oft einen Hund aus, der zu ihrem Lifestyle oder ihren Persönlichkeiten passt. Tatsächlich spielen bei der Auswahl eines Hundes oftmals Fragen eine Rolle wie: Versteht sich der Hund mit Kindern oder anderen Tieren? Kann der Hund länger allein bleiben? Zweitens werden die Hunde auch durch unsere Lebensumstände beeinflusst. Dies konnte bereits bei vielen unterschiedlichen Spezies beobachtet werden: Die Umgebung und Lebensumstände verstärken bestimmte Verhaltensweisen, welche dann zu tiefgreifenden Persönlichkeitsveränderungen führen können. Das bedeutet, dass Halter aktiv den Charakter ihrer Hunde dauerhaft verändern. Egal ob du aktiv bist und viel mit deinem Hund unternimmst oder – leider auch umgekehrt – ihn schlecht behandelst: Dein Verhalten hat immer Auswirkungen auf die Hundepersönlichkeit. Und drittens denken wir, dass Halter oftmals ihre charakterlichen Eigenschaften auf ihren Hund projizieren.« Extrovertierte Herrchen und Frauchen haben also meistens auch einen aktiven und aufmerksamen Hund, während ängstliche Halter eben auch ängstliche Hunde haben.

Positiver Ausblick
Auch Hundepersönlichkeiten verändern sich also mit der Zeit und viele dieser Veränderungen – positive wie negative – werden durch uns hervorgerufen. Diese Erkenntnis können und sollten wir für uns nutzen! Chopik: »Es ist also wahrscheinlich, dass sich der Charakter unseres Hundes im Laufe der Zeit verändert und dass einige dieser Veränderungen darauf zurückzuführen sind, wie ihre Besitzer sie behandeln und mit ihnen interagieren. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Hund nach einer Adoption wieder ins Tierheim zurückzubringen. Aus diesem Grund wollen wir zukünftig noch besser erforschen, wie und welche Menschen und Hunde zusammenpassen, um somit nicht nur die Hunde, sondern auch die Halter glücklicher machen zu können. Hundetraining scheint sich durchweg positiv auf den Charakter eines Hundes auszuwirken, aber wir wissen noch nicht, warum es solch einen Einfluss auf so viele unterschiedliche Bereiche einer Hundepersönlichkeit hat. Daran müssen wir ebenfalls noch arbeiten!«

Mit diesem Wissen sollten wir einen noch kritischeren Blick auf unser eigenes Verhalten werfen, da es unsere Fellnasen noch mehr als bisher vermutet zu prägen scheint. Bei Änderungen in der Persönlichkeit des Vierbeiners müssen wir uns also auch fragen, ob wir uns nicht vielleicht ebenfalls verändert haben. Dies gilt natürlich nicht für alle Wesensveränderungen! Gerade bei »plötzlich« auftretenden Aggressionen ist immer ein Gang zum Tierarzt ratsam. Hunde, die ohne ersichtlichen Grund reizbar, nervös oder aggressiv werden und in eigentlich bekannten Situationen nun völlig anders reagieren, leiden oft unter Schmerzen. Gerade ältere Hunde bekommen mit zunehmenden Jahren oftmals gesundheitliche Probleme – diese rangieren von körperlichen Beschwerden wie Arthritis etc. bis hin zu kognitiven Dysfunktionen wie beispielsweise Demenz. Auch unbehandelte Zahnschmerzen können Ursache für eine Wesensveränderung sein! Erst wenn alle körperlichen Gründe ausgeschlossen werden konnten, sollte man die eigenen und die damit verbundenen Lebensumstände der Hunde näher unter die Lupe nehmen. Hat sich etwas in der Routine verändert? Dank Studien wie der von Chopik lernen wir noch mehr über das Verhalten und die Gefühlswelt unserer Hunde und Wissen ist Macht: Es hilft uns, das Leben unseres Hundes zu verbessern und das Zusammenleben der beiden Spezies Hund und Mensch noch angenehmer zu gestalten.

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