Der Canis pluralis – Gemeinsam sind wir unausstehlich – Mehrhundehaltung, oder doch nur die Haltung mehrerer Hunde?

Von Sophie Strodtbeck

Unter Hundehaltern lässt sich in den letzten Jahren vermehrt der Trend zur  Mehrhundehaltung feststellen. Auch hier im Hause begann es ganz harmlos, mit Günes, dem Dönertier, und ehe ich mich versah, waren es vier … Welche Vorteile bringt das Leben mit mehreren Hunden? Bringt es überhaupt  Vorteile? Wie schaut es mit den Nachteilen aus? Und was ist überhaupt eine Mehrhundehaltung, was die Haltung mehrerer Hunde?

Vor 10 Jahren … Es klingelt an der Tür. Ein „Wuff“ von Günes, ein klares „Nein“ von mir, verbunden mit dem Kommando  „Körbchen“, und Günes trottet – wenn auch widerwillig – ins Körbchen und bleibt liegen, bis sie wieder aufstehen darf.

Vor 9 Jahren … Es klingelt an der Tür. Andra, die hinzugekommene Beagledame, und Günes rasen kläffend zur Türe und es braucht schon deutlich mehr Durchsetzungsvermögen, um beide auf ihren Platz zu verweisen und dafür zu sorgen, dass sie auch dort liegen bleiben.

Vor 6 Jahren … Inzwischen ist Alarmhund Piccolo (wofür hat man auch sonst solche Radarohren?) zu uns gestoßen, und er nimmt seinen Job ernst – sehr ernst. Er meldet das Postauto bereits, wenn es noch im Nachbarort ist – ein leises „grrrrrr“ aus seinem kleinen  Mäulchen reicht aus, und die zwei Großen stürmen zur Türe, während Piccolo glücklich in seinem Körbchen sitzt und offensichtlich sehr zufrieden mit der Tatsache ist, dass sich die beiden Damen so gut schicken lassen und den Rest des Jobs für ihn  übernehmen. Hier Ruhe rein zu bringen gleicht schon einer logistischen Meister-leistung.

Vor knapp 4 Jahren … Herr Meier kam zu uns, und seither ist es mit der schönen ländlichen Ruhe ganz vorbei – auch für die Nachbarn. Die Aufgabenverteilung, die schon mit Piccolo begann, wurde perfektioniert, sie wechseln sich beim Wache Halten ab. Einer liegt – wenn erlaubt – immer im Garten und spitzt die Öhrchen. Vor allem Günes und Herr Meier, die inzwischen zum Leitpaar geworden sind, liegen abwechselnd auf Wach-posten und kümmern sich um die Gefahrenabwehr. Und Piccolo hat immer noch die Rolle des Alarmhundes inne, die in einer Hundegruppe sehr oft von mittelalten Kastraten besetzt ist, die sich so ihre Daseinsberechtigung im Rudel „erkaufen“.

Zweck-WG oder  Mehrhundehaltung?
Die Aufgabenteilung in einer funktionierenden Hundegruppe ist auch das, was sehr oft Probleme bereitet und das Leben von Mehrhundehaltern häufig ungleich schwerer als nur doppelt so schwer macht. Man bzw. Hund hält zusammen, der Besitzer hat es dann oft nicht leicht die Kontrolle zu behalten und muss eine Menge Kompetenz bei der Führung beweisen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierzu sind die regelmäßigen Begegnungen mit einem Maremmanomix bei unseren täglichen Spaziergängen. Dieser Hund findet nämlich Piccolo und seinen Duft unwiderstehlich und wird aufgrund dessen recht aufdringlich. Beziehungsweise wurde, denn je mehr meine Hunde zu einer echten Gruppe zusammengewachsen sind, desto schwerer wurde es für den Marammano, sich dem Objekt  seiner Begierde zu nähern. Denn Günes und Meier nehmen die Aufgabe der Gefahrenabwehr sehr ernst und schirmen Piccolo sofort ab, wenn sich der „Feind“ nähert. Und da überlegt sich auch ein Herdenschutzhund zweimal, ob er das jetzt wirklich riskieren will, nur um eine Nase Piccolo zu nehmen. Und der Zwerg kann, mit seinen zwei Bodyguards im Schlepptau, in aller Ruhe seinen Interessen nachgehen. Bei diesem Beispiel ist es okay, dass die Hunde das untereinander regeln, denn sie kennen sich, und ich weiß, dass das ohne große Aufregung vonstatten geht. Wäre das nicht so, hätte ich alle Hände voll zu tun, sie vom „selber regeln“ abzuhalten. Aber leider habe auch ich nur zwei Hände … Ähnlich schaut es bei Wildsichtungen bzw. -riechungen aus. Wenn einer was entdeckt (und das tut die Beaglefraktion eigentlich immer), wird es fast zum Ding der Unmöglichkeit, alle davon abzuhalten, dem Hasen oder seiner Fährte hinterher zu rennen. In meinen Augen muss der Gehorsam jedes einzelnen in einer Gruppe ungleich besser sein als von nur einem Hund.

Oftmals kommt es auch zu Mobbingaktionen von mehreren zusammenlebenden Hunden gegen einen einzelnen fremden. Weil so was nicht passieren darf, muss der Mehrhundehalter auch hier immer in der Lage sein, seine Meute abzurufen. Das bedeutet auch, dass man den Zweithund erst ins Haus holen sollte, wenn der erste bereits „fertig“ ist und einen guten Grundgehorsam zeigt.

Heimische Daily Dog Soap
Diese Aufgabenverteilung und Gruppendynamik ist das, was für mich den Unterschied zwischen der Haltung mehrerer Hunde und einer echten Mehrhundehaltung ausmacht. Viele Hunde leben nämlich mehr oder weniger harmonisch in einem Haushalt zusammen, aber trotzdem geht jeder seine eigenen Wege und das Ganze gleicht einer Zweck-WG. Das macht vielleicht die Kontrolle einfacher, ist aber lange nicht so spannend, wie ich finde. Gerade die Interaktionen untereinander sind das, was für mich die Mehrhundehaltung so interessant macht. Der Fernseher ist  überflüssig geworden, denn kein Programm kann so viel Spannung bieten wie die  heimische Daily Dog Soap: Hunde, die spielen, streiten, kommunizieren, kontaktliegen etc. Und viele Sendungen vermitteln nicht annähernd so viel Wissen wie die Geschichten, die das Leben schreibt – zumindest die so beliebten Hundeerziehungsserien können da nicht mithalten. Aber das ist ein anderes Thema. …

Übrigens haben meine Vier allesamt kein allzu großes Interesse mehr an anderen Hunden. Man begrüßt sich draußen zwar freundlich, geht dann aber weiter, weil die Hunde, mit denen man sich das Zuhause teilt, offenbar ausreichen.

Die Zusammenführung
Die jeweilige Zusammenführung funktionierte hier bei uns problemlos. Meine Hunde sind alle von Anfang an Hundebesuch gewohnt. Die alte Dame Günes stellt allerdings immer erst mal klar, dass sie das Sagen und das ältere Wohnrecht besitzt, natürlich ohne Aggressionen, aber durch klare, eindeutige Kommunikation, sprich Fixieren und Bewegungseinschränkung. Das ist auch okay. Ich greife nur ein, wenn sie es zu bunt treibt und den anderen Hund minutenlang in eine Ecke stellt und ihn nicht mehr von dort weglässt. Das war auch bei den jeweiligen Zusammenführungen so, womit den neuen Mitbewohnern jeweils recht schnell klar gemacht wurde, wer die Hosen anhat. Ich habe ihnen zusätzlich vermittelt, dass die graue Eminenz unter meinem persönlichen Schutz steht und weder angerempelt noch genervt werden darf.

Ein Hund wie Günes, die durch ihre klare und unmissverständliche Kommunikation keinen Raum für Diskussionen lässt, ist in diesem Fall eine große Hilfe, und auch der zuletzt dazugekommene nervende Beagle-Jungspund, der ja immer noch mal nachfragt, ob das gerade auch wirklich so gemeint war, hat irgendwann kapiert, dass man sich besser an Günes’ Regeln halten sollte, wenn man ein stressfreies Leben führen will. Allerdings hat es bei ihm, wie so vieles, ungleich länger gedauert … Günes hat den anderen Hunden übri-gens sehr gezielt das in ihren Augen richtige und angemessene Verhalten beigebracht. Wann immer ein neuer Mitbewohner einzog, hatte Günes auf einmal immenses Interesse an z. B. Kauknochen oder Spielzeug, die  normalerweise keines Blickes gewürdigt werden. Diese Objekte der Begierde wurden dann vor den ande-ren stolz durch die Gegend getragen und bespielt, um sie richtig interessant zu machen. Danach platzierte sie sich demonstrativ entspannt im Umkreis ihres „Schatzes“ und wartete … und wartete … und wartete …

Früher oder später passierte dann auch das, worauf sie wartete, nämlich dass der andere Hund zu ihrer  Ressource wollte und ihre Show beginnen konnte. Mit großem Getöse wurden dann Kauknochen, Spielzeug und Co. verteidigt, um danach, weil ja das Objekt an sich uninteressant und nur Gegenstand der Übungslektion war, achtlos liegen gelassen zu werden. Andra und Piccolo haben sich auf das Spielchen nur jeweils einmal eingelassen. Dass es bei Meier mehrere Anläufe brauchte, muss wahrschein-lich nicht extra erwähnt werden. Aber auch er hat seine Lektion gelernt und respektiert seither Günes und auch ihre Ressourcen.

Ein Hund wie Günes kann bei der  Integration von neuen Gruppenmit-gliedern ungemein hilfreich sein, vor allem wenn es sich um Jungspunde handelt. Wenn man zwei erwachsene Hunde aneinander gewöhnen will, kann die Verteidigung von Ressourcen natürlich zum Problem werden und böse ins Auge gehen. Wenn man aber seine Hunde kennt und sich auf sie verlassen kann, sollte man sie auch mal eigenständig agieren lassen, denn auch im Alltag ist Mensch nie immer zur Stelle und kann alles regeln.

Nachteile?
Neben der bereits erwähnten schwereren Kontrollierbarkeit gibt es natürlich auch viele praktische und materielle Punkte, die man  beachten sollte. Klar ist, dass zwei Hunde deutlich mehr Kosten verursachen als einer. Das mag bei den „Routineausgaben“ wie Futter, Impfungen, Wurmkuren, Liegeplätzen, Halsbändern etc noch kalkulierbar sein, wird aber ganz schnell zum Problem, wenn z.B. alle Hunde auf einmal ernsthaft krank werden. So standen hier letztes Jahr eine Tumor-OP bei Meier, eine erneute Magen-Not-OP bei Günes, Probleme mit HD und Spondylose und zusätzlich eine Futtermittelallergie und Hormonstörungen bei Andra und eine akute Pankreatitis bei Piccolo auf dem Plan. Und das neben den laufenden Tierarztkosten für die Schilddrüsenhormone für die Mädels und den Schmerzmitteln und Magenschutzpräparaten für Günes. Auch mit dem zum Glück gewährten Kollegenrabatt Grund genug, meinen Existenzgründungszuschuss direkt an die Kollegen zu überweisen. Und mir ist bewusst, dass mit zunehmendem Alter der Protagonisten auch die Tier-arztkosten zunehmen werden.

Obwohl meine Hunde ja allesamt nicht die größten sind, wird es auch im Auto ganz schön eng. Und Urlaub, was war das gleich? Einen Hund bringt man sicherlich immer irgendwo unter, aber je mehr Hunde es werden, desto schwieriger wird auch die Unterbringung. Dies erst recht, wenn man keine ganz einfachen Kandidaten als Mitbewohner hat. Mit vier Hunden ist man aber auch in den meisten Ferien-häusern nicht unbedingt gerne gesehen, von Hotels gar nicht zu reden. Da aber das Auto ja schon so voll ist, dass sowieso kein Gepäck mehr Platz hat, passt das ja wieder ganz gut … Außerdem ist Urlaub ja immer nur ein paar Wochen im Jahr, während ich das ganze Jahr über das Leben mit der Hundetruppe genießen darf. Trotzdem muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass so viele Hunde auch Verzicht auf vieles bedeuten, was für andere selbstverständlich ist. Mit einem Hund ist ein Restaurantbesuch kein Problem, mit vieren schon.

Und dann der Schmutz! Bis man 16 Pfoten sauber gemacht hat, dauert das. Und aus dem Fell, das ich täglich wegsauge, könnte man  Wintersocken und Handschuhe für eine ganze  Garnison stricken.

Nicht unbedingt ein Nachteil, aber eine Tatsache, der man sich bewusst sein muss ist, dass die Zeit, mit einem Hund etwas Bestimmtes zu machen, begrenzt ist. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden. Günes war ja schon immer eine Arbeitsverweigererin, aber Andra, die Zweite, war immer schon schnell für alles zu begeistern. Mit ihr habe ich von der Rettungs hundearbeit über Fährten, Clickern, Agility, bis hin zum Dummytraining alles gemacht, und wir hatten beide viel Spaß  daran. Mit jedem Hund  wurde das aber weniger, und heute bin ich froh, wenn ich mit allen gemeinsam schöne Stun-den auf Spaziergängen verbringen darf. Denn wenn ich mit einem von ihnen für eine bestimmte Auslastung auf den Hundeplatz fahre, sitzen in der Zeit drei andere zuhause und langweilen sich. Sehr deutlich wird das auch am „Wissensstand“ meiner Hunde. Während Andra 69 Kommandos beherrscht, kann Herr Meier neben dem Grundgehorsam gerade mal zwei Tricks. Weil aber das Leben kein Trick Dog Turnier ist, ist das in Ordnung. In erster Linie sind meine Vier inzwischen hauptberuflich Hund, im Nebenjob Mäusebegleithunde. Und das ist okay so – für mich und die Hunde. Wer aber auf Hundesport und Co. nicht verzichten mag, sollte sich im Vorfeld über das begrenzte  Zeitbudget pro Hund bewusst sein. Und auch über die Mehrkosten, die für die Ausbildung von mehreren Hunden in einer Hundeschule entstehen.

Fazit
Viele Hunde sind toll! Ich möchte natürlich keinen einzigen missen. Aber die Mehrhundehaltung ist keinesfalls zu unterschätzen. Wie jeder andere Mensch, habe auch ich nur zwei Arme und zwei Augen, was das Handling von vier Hunden schwierig macht. Dass es bei uns so funktioniert, wie es funktioniert, bedeutete viel Arbeit. Manches, wie die Integration und das tägliche Zusammenleben, gestaltet sich mit meinen recht einfach, weil sie zum Glück alle sehr sozialverträglich sind und den Kontakt zu anderen Hunden genießen. Aber anderes, wie z.B. die Spaziergänge, sind eine  wahre Herausforderung – was sicherlich auch daran liegt, dass ich zwar zwei Hunde, aber eben auch zwei  Beagles habe, und daran, dass Günes in zwischen schon eine graue Schnauze ist und beim Spaziergang noch mehr hinterherhängt als früher; außerdem aber natürlich auch an der bereits oben beschriebenen Gruppendynamik einer echten Mehrhundehaltung.

Wer aber all die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägt, seine Hunde gut kennt und bereit ist, eine Menge Arbeit in die Erziehung zu stecken, wird am Leben mit mehreren Hunden viel Freude haben – vorausgesetzt, dass die jeweiligen Hunde sich auch zur Mehrhundehaltung eignen.  Denn nicht jeder Hund ist ein Canis pluralis, manche haben ihren Menschen lieber für sich alleine und  können auf  Artgenossen getrost  verzichten. 

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