Der australische Dingo:

Von Dr. Frank Woerner

Die heutigen australischen Dingos sind mittelgroße Caniden, liegen also zwischen Wolf und Schakal, das Fell ist kurz bis stockhaarig. Auffallend sind die großen Stehohren und die oftmals aufrecht getragene Säbelrute. Je nach Lebensraum haben sich drei leicht unterschiedliche Erscheinungsformen herausgebildet: Der schäferhundgroße Dingo der offenen Steppe ist hochbeinig und schlankwüchsig, fast windhundartig. Er ist der Prototyp des Dingos in unseren Vorstellungen. Der etwas kleinere Bergdingo fällt durch sein teilweise dickes und fast goldfarbenes Fell auf, während der Norddingo – heimisch am Golf von Carpentaria und in der Region Darwin – noch am ehesten an den im Domestikationsprozess schon höher stehenden Neuguineadingo erinnert. Die australischen Dingos sind im Allgemeinen von rostroter bis gelblich roter Farbe, sie können aber auch in dunkelbraunen und schmutzig-weißen Fellfarben angetroffen werden. Selten sind sie gescheckt, wolfsfarbene Dingos sind nicht bekannt. Als Charakteristikum tragen viele von ihnen an Pfoten, Rutenspitze und teilweise auch Brust weiße Abzeichen.

Wegfall der Wolfsfarbe
Der Wegfall der Wolfsfarbe geschah vermutlich schon zu Beginn der Domestikation. Die ursprünglichen Hunde Asiens und Afrikas haben keine Wolfsfarben, diese findet man in Hundepopulationen nur dort, wo auch nach der Domestikation ein Einkreuzen von Wölfen relativ häufig war – insbesondere bei den Nordischen Hunden. Südwölfe sind ebenfalls meist wolfsgrau bis hin zu einem fahlen Gelbgrau. Oft sind weiße Elemente an der Unterseite, an den Pfoten und am Kopf zu beobachten. Der Mensch nahm sich wahrscheinlich aus einer Population von Südwölfen nur einige wenige Exemplare, die auffällig wegen ihrer rötlichen Farbe waren und zu Basiseltern aller unserer Hunde wurden.

Bei den Lautäußerungen ist das Bellen praktisch bedeutungslos, trotzdem haben die Dingos mit ihrem Knurren, Winseln, Heulen und „Singen“ ein reichhaltiges Instrumentarium, das ihnen in den angelsächsischen Ländern den Beinamen „Singing Dog“ einbrachte.

4000 Jahre Mensch-Dingo-Beziehung
Untersuchungen in dem archäologisch wenig bearbeiteten Australien haben ergeben, dass der Dingo seit vielleicht 8.000 Jahren diesen Kontinent bewohnt. Die Mensch-Hund-Beziehung zwischen Dingo und Aborigines – in einigen ihrer vielen Sprachen wird er „Warragal“ genannt – lässt sich archäologisch rund 4.000 Jahre zurückdatieren: In Südaustralien wurde ein Grab mit zwei Skeletten gefunden, ein Mann mit einem Jungen (vielleicht Vater und Sohn?), wobei der Mann ein Stirnband und eine Kette aus Hundezähnen trägt. Weiterhin (vielleicht nur Zufall, aber dennoch interessant) merkwürdig: Eine der ältesten gefundenen Hundefossilien aus Deutschland und ebenfalls auf einer niedrigen Domestikationsstufe stehend, der berühmte Hund aus dem Senckenberg-Moor bei Frankfurt, hat erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Dingo.

Verdrängte den Beutelwolf
Die Ankunft des Dingos war für viele der endemischen Beuteltiere eine Katastrophe, insbesondere für den berühmten „Australischen Beutelwolf“, der natürlich kein Wolf, sondern ein beutegreifendes fleischfressendes Beuteltier war, das in der archaischen Fauna Australiens die ökologische Nische eines Großraubtieres innehatte. Diese einheimischen Beutelwölfe hatten bis zum Erscheinen des Dingos keine Konkurrenten. Der Dingo, als schneller Rudeljäger und ihm auch in Hinsicht auf Intelligenz vermutlich überlegen (das durchschnittliche Gehirngewicht von 30 Beutelwölfen wurde einmal mit 55 g bestimmt, dasjenige von Dingos erreicht mit über 90 g fast das doppelte Gewicht), fand ein Schlaraffenland vor, in dem er dessen ökologische Nische direkt besetzte und ihn somit zum Aussterben verurteilte. Lediglich auf Tasmanien, wo der Dingo nicht hinkam, überlebte der Beutelwolf bis vermutlich in die 1930er Jahre. Auf dem australischen Kontinent konnte der Dingo seinen einmal begonnenen Siegeszug fortsetzen.

Bis zu 50 km/h
Der Dingo, der als Hetzjäger Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h erreicht und somit den klassischen Windhunden ebenbürtig ist, jagte – canidentypisch – zuerst kleinere Säuger wie Beutelmäuse, aber auch größere Tiere bis hin zu Kängurus, deren großwüchsige Arten sich wehrhaft zu verteidigen wussten. Die Jagd auf diese größeren Beutetiere erfolgt deshalb in Trupps von 5-6 Hunden. Auch an Fallwild, Aas u.ä. sind zuweilen größere Ansammlungen von Dingos zu beobachten. In seiner übrigen Lebensweise ähnelt der Dingo in manchen Zügen den Schakalen oder auch unseren Füchsen; tagsüber liegt er – besonders wenn er die Bejagung durch den Menschen fürchten muss – in seinem Versteck verborgen, vielleicht eine Höhle, eine Felsspalte oder auch nur ein umgestürzter Baum. Mit fortgeschrittener Dämmerung streift er dann des Nachts umher und sucht vornehmlich kleine Bodentiere.

Es droht der genetische Tod
Dingos werden als territorial angesehen, obwohl sie saisonabhängig auch ausgedehnte Wanderungen unternehmen können. Das Territorium wird durch Markieren abgegrenzt. Der Familienverband bleibt über längere Zeiträume zusammen, auch hilft der Rüde der Fähe bei der Aufzucht der maximal 5 – 7 Welpen. Aus Zoohaltungen wissen wir, dass die maximale Lebenserwartung der Dingos bei knapp 15 Jahren liegt; nun wird hier auch, wie generell bei Tieren in menschlicher Obhut, die Lebensspanne in freier Wildbahn deutlich geringer sein. Er ist, das braucht nicht betont zu werden, voll fortpflanzungsfähig auch mit den Hunden aus Hochleistungszuchten; und er soll an der Entstehung einer australischen Hunderasse beteiligt sein, dem Hütehund „Queensland Blue Heeler“. Die Vermischung mit modernen Haushunden stellt eine Gefahr des Aussterbens für den Dingo dar, denn durch das Aufgehen seines genetischen Materials in Hunderassen droht ihm der „genetische Tod“.

Kein Jagdhund
Der Dingo ist bis heute das einzige Haustier einer ganzen Anzahl verschiedener Stämme der Aborigines. Er erfüllt Aufgaben, von denen wir vermuten oder auch wissen, dass unsere Hunde zu Beginn der Domestikation ähnliche Aufgaben hatten. Zunächst ist er, für viele erstaunlich, kein Jagdhund. Dingo und Aborigines sind zwar beide für sich phantastische Jäger, sie jagen aber nicht gemeinsam. Auch bei den frühen europäischen Hunden gibt es viele Hinweise, dass sie erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in ihrer Geschichte die Jagdkumpane des Mannes wurden.

Auch heute noch werden die Dingos nächtens als „Wärmekissen“ benutzt, vermutlich eine der ältesten Verwendungsformen des Hundes für den menschlichen Komfort, die wir in allen kalten Klimaten der Erde bei noch ursprünglich und naturnah lebenden Völkern wiederfinden können. Die Hunde werden am Lager gehalten, haben Wachfunktion, sind Spielgenossen für die Kinder, lebender Fleischvorrat, beseitigen organische Abfälle und menschliche Fäkalien rund um die Lagerplätze, und sie folgen den Clans auf ihren oft ausgedehnten Wanderungen. Für viele dieser Clans haben diese Dingos eine besondere Bedeutung als Totemtiere und erscheinen auch immer wieder auf den vergänglichen Sandbildern, deren Motive so alt sind wie die Kunst der „Traumzeit“ der Aborigines.

Hohe Eigenständigkeit
Von jung an aufgezogen und gut auf den Menschen sozialisiert, werden Dingos äußerst anhänglich. Sie bei uns Zuhause zu halten ist praktisch nicht möglich, da sie oft unter starken Separationsängsten leiden und versuchen, mit aller Macht zu uns zu kommen, wenn wir sie einmal alleine gelassen haben. Hierbei kennt der Dingo wegen seiner stark ausgeprägten Problemlösungsfähigkeit keine Hindernisse, und er weiß immer auch sonst sehr gut, seine momentanen Interessen durchzusetzen. Er ist sehr lernbegierig und aufnahmefähig, wendet das Gelernte aber nur dann an, wenn er einen Sinn darin sieht und er es selbst will. Die durch das geringe Domestikationsniveau bedingte Eigenständigkeit des Dingos, der ihn aber auch immer aus der Haltung ausreißen und wieder den Einfluss des Menschen verlassen ließ, ist vielleicht einer der Gründe, dass der Dingo niemals mehr einer „Neudomestikation“ (ZIMEN) unterlag.

Überleben des Dingos gefährdet
Das Überleben des australischen Dingos ist nicht nur durch den „genetischen Tod“, d.h. das Aufgehen in Hunderassen aus Hochzuchten, gefährdet. Vermutlich vegetiert eine größere Anzahl von ihnen in der Obhut von Tiergärten, als dass sie ihre alte Lebensweise beibehalten dürfen. Der australische Dingo ist massiv vom
Aussterben bedroht. Bis 1964 wurden Prämien für seine Erlegung gezahlt, und man verfolgte ihn gnadenlos mit Falle, Gift und Gewehr, weil man glaubte, er füge den Schafen großen Schaden zu. Diese scharfe Bejagung, wobei auch säugende Fähen nicht verschont wurden, seit Mitte des 19. Jahrhunderts, ist einer der Gründe für die Umstellung auf die nächtliche Lebensweise des Dingos. Vermutlich hat lediglich in Nordaustralien im Gebiet der unzugänglichen Kimberley-Berge eine lebensfähige Population des Dingos überlebt.

Inzwischen hat es sich herausgestellt, dass es nicht der eigentliche Dingo ist, der Schafe reißt, sondern seine Mischlingsprodukte, hauptsächlich aus Verpaarungen mit großwüchsigen Schäferhundrassen, die auch dem Menschen gegenüber ein geringeres Scheuverhalten zeigen und durchaus aggressiv auftreten können. Durch Magenuntersuchungen an einer Reihe von getöteten Dingos fand man heraus, dass lediglich 4% der Mageninhalte aus Schaffleisch bestanden, der überwiegende Anteil waren Kaninchen. Diese Schafe werden zudem schwache, kranke oder schon verendete Tiere gewesen sein, die die Dingos hauptsächlich während der Dürre- und Trockenperioden erbeuten.

Durch die Verfolgung des Dingos entstand der Schafzucht ein sehr viel größerer ökonomischer Schaden als der durch direkten Schafraub verursachte: Die ebenfalls aus Europa eingeführten Kaninchen, die sich durch die reduzierten Dingobestände explosionsartig entwickeln konnten, fraßen den Schafen die wertvolle Grasnarbe weg und ließen viele einstmals wertvolle Weidegebiete versteppen und für die Schafzucht unrentabel werden. Die vor Jahrzehnten gehegte Hoffnung, der Dingo könne sich aufgrund seiner Vorsicht und Schlauheit den Nachstellungen durch die Schafzüchter gegenüber behaupten und er habe deswegen gute Überlebenschancen, haben sich leider als falsch herausgestellt.

Privathaltung verboten
Die Haltung von Dingos in Privathand ist verboten, obwohl er ja kein Wild-, sondern ein echtes Haustier ist. Trotz allem sollte keinesfalls gefordert werden, dass er in den Stand einer neuen Hunderasse erhoben wird: Hierdurch würde einmal der Schutzstatus der letzten freilebenden Dingos wegfallen, zum anderen würden diese herrlichen und ursprünglichen Hunde mit Sicherheit in wenigen Generationen den Torheiten von Rassestandards und ähnlichen Anforderungen an eine „Schönheitszucht“ zum Opfer fallen. Der Dingo hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten zum australischen Nationalhund gemausert, dennoch ist „Dingo“ als Schimpfwort die schlimmste Beleidigung geblieben, die man „down under“ kennt. Unter Hundekennern sollte sie allerdings eher als Kompliment aufgefasst werden – vielleicht ändern sich hier auch einmal die Zeiten.
Das Aussterben ursprünglicher Hunderassen kann auch für unsere aus Hochleistungszuchten stammenden Rassen eine potenzielle Gefahr darstellen. Bei unseren Hunden ist nämlich durch generationenlange Engzuchten auf einige wenige Merkmale die überlebensnotwendige genetische Vielfalt verloren gegangen, und wahrscheinlich werden wir eines nicht allzu fernen Tages auf den reichen Genpool dieser Urhunde zurückgreifen müssen, um unsere Hunde durch Einkreuzen von neuem genetischem Material zu retten.

Mit dem Verschwinden der Dingos wäre unsere Welt nicht nur um eine faszinierende Tierart ärmer, sondern auch – und genauso bedauerlich – um ein Stück Kulturerbe: Der Dingo erlaubt einen direkten Blick in die ferne, aber gemeinsame Vergangenheit des uralten und überaus erfolgreichen Gespannes Mensch-Hund.

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Der Dingo – ein „Wildling“

Dingos werden allgemein von zoologischen Laien als „Wildhunde“ bezeichnet. Durch neuere Untersuchungen nicht nur des Schädels, sondern auch der Chromosomen, wissen wir mit Sicherheit, dass der Australische Dingo eben kein Wildhund, sondern ein verwilderter Haushund ist. Zoologen und Haustierkundler nennen ein solches Tier einen Wildling, und er muss somit zoologisch korrekt mit Canis lupus familiaris benannt werden.

Übergang vom Wolf zum Hund?
Der Dingo ist Hundetypus, der einige Merkmale ursprünglicher Hunde behalten konnte, weil er schon zu einem frühen Zeitpunkt der Domestikation wieder verwilderte. Domestikation kann also unter bestimmten Voraussetzungen ein reversibler Vorgang sein). Neuere Arbeiten stellen ihn als eine Übergangsstufe zwischen Wolf und dem modernen Hund dar. Immer wieder findet man in der gängigen Literatur die Vermutung, dass der Dingo in direkter Linie vom Indischen Wolf (Canis lupus pallipes) abstamme – die tatsächliche Ähnlichkeit des heutigen Dingos mit dieser kleinen Wolfsform des südlichen Asiens muss aber nicht seine Abstammung beweisen, sondern hier können ebenso Konvergenzerscheinungen eine Rolle spielen. Die vor nunmehr 100 Jahren von dem Schweizer Kynologen STUDER (1901) vermutete Abstammung von einem hypothetischen Urhund, dem Canis ferus als Stammvater aller südostasiatischen Pariahunde und somit auch des Dingos, konnte bislang nicht bestätigt werden, da entsprechende Fossilien nie gefunden wurden! Wenige Jahre später stellte auch STREBEL die Ähnlichkeit des Dingos mit den Pariahunden Südostasiens fest (der Dingo weist Merkmale auf, die verwandtschaftliche Beziehungen zu den heutigen Primitivhunden Indonesiens möglich erscheinen lassen); er vermutet in dem verschollenen Tenggerhund aus der Bergregion Ostjavas eine Übergangsstufe zwischen Dingo und Paria. Und vor acht Jahrzehnten bemerkte ANTONIUS (1922): „Meine eigenen Beobachtungen von Straßenhunden beweisen … das Vorkommen von allerlei Übergangstypen zu anderen Haushundstämmen. Besonders drei Typen fand ich vielfach sehr ausgeprägt. Einer … schließt sich äußerst eng an den Dingo an: Mittelgroße, stock- bis glatthaarige, meist rotgefärbte, aber oft auch schwarze Tiere, die äußerlich vollkommen Dingohabitus zeigen und wohl dem Schädelbau nach in seinen Formenkreis gehören“.

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