Der alte weiße Hund und ich

Von Alice Neuböck

Reise nach Schweden

Das Reise-Team bestand aus Hund Ena, einer wunderbaren weißen Huskydame, die zum Zeitpunkt der Reise bereits 15 Jahre alt, aber noch sehr fit war, und Frauchen Alice ­Neuböck. Ena war bis zu ihrem 11. Lebensjahr als Schlittenhund im Einsatz und ­genießt seither bei ihrem reiselustigen Frauchen ihre Rente.

Letzter Check und zugleich wichtigster Punkt: Hund im Auto verstaut! Zum Glück liebt Ena ihre Holzbehausung! Hundenapf, Wasserflasche, Öl für die Verdauung, (noch) gefrorenes Fleisch, Leuchthalsband, anderes Halsband, Leine und Ersatz­leine, kleine Leberstreichwürste, Feuchttücher, Hundebett – alles dabei. Geld, Reisepass, Handy und der persönliche bescheidene Rest hoffentlich auch noch. Noch eine letzte Gassirunde, bevor wir in der Dunkelheit den Weg Richtung Fähre nach Schweden in Puttgarden (Schleswig-Holstein) antreten.

Schlafpause muss sein
Das Vor-Schlafen hat nicht perfekt geklappt, aber war hoffentlich ausreichend. Gegen 22 Uhr starteten wir von Wien. Wir fuhren mit dem Motto „schnell aber sicher“, mit dem Ziel, den Hund in der Früh aus dem Auto holen zum Morgenspaziergang – so als sei eigentlich gar nichts gewesen. Der Plan klappte soweit – erste, unausweichliche Schlafpause Höhe Hamburg gegen 5 Uhr. Ein ruhiger Platz an einer Raststätte, soweit meine leicht ermüdete Wahr­nehmung das noch beurteilen konnte.

Erwachen um 6:30 mit kurzfristiger Orientierungslosigkeit und einem Anflug von leichter Panik, womöglich eingeschlafen und irgendwo im Gebüsch gelandet zu sein – viele Menschen rund ums Auto, LKW-Lärm, vor mir Büsche im Sonnenschein, leicht fröstelnd, aber mit gefühlten 80 Grad unterm Hinterteil (Huskys brauchen es kühl, also die Sitzheizung auf maximal!). Nach einigen Minuten der Sammlung und Suche nach Erklärung dämmerte mir alles. Rast auf dem Weg zur Fähre, ich bin noch ganz und der Hund – dem leisen Schnarchen im Hintergrund zu folgen – auch. Alles gut – durchatmen und ins Hier und Jetzt zurückfinden.

Ab auf die Fähre
Die knapp einstündige Überfahrt mit der Fähre nach Dänemark verlief soweit problemlos. Das Verlassen der ­Fähre und Aufsuchen der im ­Vorhinein gebuchten Unterkunft nahe Rödby (Dänemark) klappte reibungslos. Beim Spaziergang wehte uns der Wind mit diesem typischen Meeresduft um die 4 Ohren und 2 Nasen. In der Unterkunft angelangt, schien den weißen Hund die pure Freude am Erschnüffeln neuer Orte zu packen. Es folgte ein aufgedrehtes Spielen und Herumtollen – gekrönt von einem beherzten Sprung auf das reichlich hohe Bett (und das mit 15 Jahren!) und einem Bellen, das mein Trommelfell zum Vibrieren brachte. Kurz prüfte ich, ob es tatsächlich mein Hund war, da Bellen bei ihr so selten ist wie Schnee in der Wüste.

Wir setzten unsere Reise am nächsten Morgen fort und befuhren nach dem Überqueren der imposanten Öresundbrücke, der längsten ­Schrägseilbrücke der Welt, erstmals schwedischen Boden! Das erhebende Gefühl, gepaart mit einer kurz anhaltenden Wahnvorstellung, gleich am Ziel zu sein, be­ruhigte sich nach kurzem Nachrechnen der verbleibenden Strecke – noch ca. 900 km zum Bestimmungsort Härjedalen – eine historische schwedische Provinz im Landesteil Norrland. Aber der Weg ist ja bekanntlich das Ziel, also entspannen und einfach weiterfahren. Der noch etwas schwere Gas-Fuß von den deutschen Autobahnen konnte sich in Schweden wieder entspannen. Er konnte es nicht nur, er sollte es auch, wenn das Urlaubsgeld nicht für Strafen für Geschwindigkeitsübertretungen verpuffen sollte …

Auf Autobahnen in Schweden gilt meist Tempo 110 und auf der Landstraße liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 70 oder 90 km/h. Bei Tempoüberschreitungen von mehr als 30 km/h kann es mit ausreichend Pech auch passieren, dass die Reise zu Fuß fortgesetzt werden muss – da die Polizei das Auto beschlagnahmen kann. Um also ungeplante Fußmarschodysseen oder äußerst gefährliche Bekanntschaften mit ­straßenwechselnden Elchen oder weiter im Norden Rentieren zu vemeiden, empfiehlt es sich, das Tempolimit ernst zu nehmen. Irgendwie passt das gemächliche Tempo aber auch zu Schweden. Meinem Eindruck nach ticken hier die Uhren noch etwas langsamer, abgesehen von den Großstädten vermute ich.

Ein freundliches Volk
Nach den ersten 200 km auf schwedischem Boden gab es eine erste Kaffee- und Gassipause an einer Tankstelle. Überrascht, gleich mit einem offenen Hej Hej begrüßt zu werden, überlegte ich kurz, ob etwas an mir nach „typischer“ Schwedin aussieht. Die (relativ) blonden Haare, die Größe, oder war es der Hund? Die Huskydame, die mir die bestimmte nordische Note verlieh? Nach kurzer Beobachtung stellte ich fest, dass jede Kundschaft in demselben freundlichen Ton begrüßt wurde. Ein freundliches Volk, wie mir scheint!

Da inzwischen auch mein inneres Tempo zwei Gänge zurückgeschaltet hatte, verband ich unseren Spaziergang durch einen nahe gelegenen Wald – davon gibt es in Schweden ausreichend (wenn man die nicht unbeträchtliche Rodung kurz außer Acht lässt) – mit dem Festhalten der ersten Eindrücke von Schweden.

Ich entschied mich noch ca. zwei Stunden weiterzufahren und dann eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. Meine Wahl fiel auf eine kleine ­Pension, ein gelbes (ein Ausreißer unter den vielen roten), einladendes Haus mit Nebengebäude, mit einem Hoffnung erweckenden Schild mit der Aufschrift „öppet“ (offen) vor der Tür. Meine Hoffnung auf Herberge schwand leicht, als ich den gleichzeitig mit mir ankommenden Bus mit einer Schar junger Mädchen ankommen sah. Als ob mein Gesichtsausdruck für sich gesprochen hätte, lachte ein Herr (der Pensionsinhaber, wie sich gleich darauf herausstellte) in meine Richtung und winkte mich herbei.

Die Sportgruppe, wie er mir auf Englisch erklärte, käme jedes Jahr um diese Zeit, aber er hätte noch ein kleines Zimmer im Nebenhaus, wenn mich das nicht störte, was es natürlich nicht tat. Am folgenden Morgen frühstückte ich mit der aufgeweckten Mädchenschar, die mir freundlich und kichernd Gesellschaft leistete und neugierig fragte, ­woher ich komme und wie ich hieße. Nach dem Frühstück beobachtete ich ein für mich seltenes Naturschauspiel – jedes der Mädchen brachte am Ende seinen Teller in die Küche (was mich schwer begeisterte!) mit dem Satz „tack för frukost“ – mein erster Satz auf Schwedisch – „Danke fürs Frühstück“!

Der Nationalpark Sonfjället
Da der Tag noch jung war und ich das Wort Stress bereits aus meinem Sprachgebrauch verbannt hatte, ­machten wir einen kleinen Abstecher zum National­park Sonfjället. Der Nationalpark ­Sonfjället liegt im Skandinavischen ­Gebirge südlich des schwedischen Flusses Ljusnan nahe dem Ort Hede. Er besteht aus einem isolierten Gebirgs­massiv mit fünf Gipfeln, wovon der Gipfel Högfjället mit 1278 m der höchste ist. Da die Hauptreisezeit für Sommerfrischler von Juni bis August ist und für Wintersportler die Zeit von Januar bis April, war ich hier im Oktober ziemlich allein auf weiter Flur. Einzig ein holländisches Paar, das mir entgegen kam und mich auf den recht starken Wind auf dem „Gipfel“ aufmerksam machte.

Der Reiseführer verrät, dass man bei klarer Sicht sogar bis nach Norwegen sieht. Für den Fall, dass sich ein Abstecher nach Norwegen diesmal nicht ausgehen sollte, wollte ich zumindest einen Blick hinüber werfen. Da die Sicht nicht ganz klar war, redete ich mir zur Sicherheit ein, dass ich so weit gesehen hätte …

Stille pur
Die Rückfahrt belohnte mich mit nochmals wunderschönen Eindrücken an einem See (ja, auch davon gibt es in Schweden viele – laut Reiseführer ca. 96000). Es gab Momente, wie z.B. an einem der vielen Seen, in denen ich mich fragte, ob ich mein Gehör ver­loren hatte oder ob es einfach wirklich so still war! Stille bekam hier für mich nochmal eine neue Dimension. Manchmal war außer dem eigenen Atem und Herzschlag einfach nichts zu hören. Stille pur. ­Ungewohnt, unglaublich und faszinierend in Einem. Am späten Abend erreichten wir unser „Basis-Camp“, eine gemütliche Hütte nahe dem kleinen Städtchen Sveg, von dem aus wir die nächsten Tage gestalteten und genossen.

Nach vielen weiteren langen Spazier­gängen in Wäldern, gemütlichen Pausen an den schönen Seen, Blau- und ­Preiselbeeren in meinem Magen, genussvollen Stunden im ein oder ­anderen Café bei Kaffee und „Kaka“ (Kuchen) oder einer „Kanelbullar“ (kleine ­Zucker-Zimt-Schnecken), bereichernden Begegnungen und viel Ruhe und Ge­lassenheit im Gepäck, stand der Entschluss fest – wir kommen wieder!

Anmerkung der Redaktion:
Leider hat uns die Nachricht erreicht, dass dies Enas letzte Reise auf Erden war und sie nun ihre endgültige Reise über die Regenbogenbrücke angetreten hat.

Pdf zu diesem Artikel: schwedenreise

 

 

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