Familienhund, Gebrauchshund, Universalhund …?
Der große deutsche Kynologe des vorigen Jahrhunderts, Richard Strebel, war nicht glücklich über das Auftauchen des Airedale Terriers auf dem europäischen Kontinent. Er sah darin eine starke Konkurrenz für die deutsche Pinscherzucht. Dennoch gestand er ein, dass der Airedale Terrier – in seiner damaligen Form – „sonst ein schönes, formvollendetes Tier ist“. Er sei mutig, zugleich gutmütig, gelehrig und ausdauernd. Und der britische Kynologe und Maler Vero Shaw betont die Universalität der Rasse in der Jagd und auf dem Hof. Und wie ist der Airedale Terrier heute? Wie hat er sich verändert? Hat er als Gebrauchshund ausgedient, wie viele sagen? Oder stehen wir vielleicht vor einer Renaissance des Airedale Terriers in neuen Bereichen?
Ein kurzes Rasseporträt kann kein Buch ersetzen, keinen Besuch bei einem seriösen Züchter, keine Diskussionen in Internetforen und Gespräche mit Airedale-Haltern. Ein Porträt, das – auf nur wenigen Seiten – alle Aspekte einer Rasse umfassen will, würde oberflächlich sein und langweilig zu lesen. Daher geht es in unseren Rasseporträts immer nur um bestimmte Aspekte, die einerseits die Historie und Entwicklung einer Rasse betreffen (weil sie für den Rassecharakter entscheidend sind) und andererseits solche Aspekte, die für die Rasse aus unserer Sicht von großer Bedeutung oder gerade aktuell sind.
In diesem Porträt über den Airedale Terrier geht es daher nicht um die Fellpflege, um Trimmen und dergleichen, denn solche Informationen lassen sich leicht andernorts beschaffen. Vielmehr haben wir umfassend über das Wesen, den Charakter und die Verwendung des Airedale Terriers recherchiert, von den Anfängen der Rasse bis heute. Denn es sind diese Aspekte, die letztlich maßgeblich das Interesse an einer Rasse bestimmen sollten.
Der Ursprung des Airedale Terriers
Wir sind im Aire-Dale, wie das Tal des Flusses Aire in der englischen Grafschaft Yorkshire früher genannt wurde. Es ist die Zeit der industriellen Revolution, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien besonders stark zum Übergang von der landwirtschaftlichen zur Industriegesellschaft geführt hat. Im Tal der Aire wird nun Kohle abgebaut und die neu angesiedelten Arbeiter bestimmen zusammen mit den verbliebenen Bauern das gesellschaftliche Leben des Tals.
Die vom Fluss Aire bestimmte Landschaft ist (noch) idealer Lebensraum für Otter, Wasserratten, Enten und anderes Wassergeflügel. Die schlechten sozialen Bedingungen veranlassen viele Arbeiter, sich durch die Jagd ein Zubrot zu verdienen. Da sich der Mensch bei der Jagd schon lange der Hunde als Jagdgehilfen bedient, tun dies auch die Arbeiter im Aire-Dale. Aus mittelgroßen englischen Terriern und dem Otterhund züchten sie sich einen vielseitig einsetzbaren „Working Terrier“, der dann später zum Airedale Terrier wird.
Taucht wie eine Ente
Das sind die wesentlichen Elemente, wie sie sich in fast allen Literaturangaben über die Rasseentwicklung des Airedale Terriers finden. Der Kynologe Vero Shaw, der auch eindrucksvolle Malereien und Zeichnungen der Hunde seiner Zeit schuf, beschrieb 1881 den Airedale Terrier als Universalhund, der sowohl zur Jagd auf Wasserwild gebraucht wurde, als auch ein „gewandter Gehilfe“ des Kaninchen jagenden Wilddiebs war. Zudem treibt er „Schafe und Vieh wie ein Schäferhund, apportiert wie ein Retriever, stöbert wie ein Spaniel, liebt das Wasser, taucht wie eine Ente und ist ebenso scharf wie gehorsam“, so Shaw damals.
Die Anhängerschaft der Rasse wuchs damals rasch an, und so stellt Rawdon B. Lee 1894 fest, dass der Airedale Terrier zusammen mit dem Foxterrier und dem Irish Terrier zu den beliebtesten Rassen gehört (Lee 1894). Diese Beliebtheit sprang auch auf den europäischen Kontinent über, und bald war der Airedale Terrier nach dem Foxterrier der zweithäufigste Terrier in Europa. Dies erregte natürlich auch die Aufmerksamkeit des großen deutschen Kynologen Richard Strebel, der dem Airedale Terrier zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in seinem Buch „Die Deutschen Hunde“ ein eigenes kurzes Kapitel widmete (Strebel 1904).
Strebel über den Airedale Terrier: Kritik und großes Lob
„Ich war nie sein begeisterter Freund“, schreibt Strebel über den Airedale Terrier, „besonders deshalb, weil sein Erscheinen unsere Pinscherzucht einige Jahre in ihrer Entwicklung gehemmt hat.“ Die leichtere Zucht und die größere Ausgeglichenheit des Airedale Terriers im Vergleich zum Deutschen Pinscher seien dafür verantwortlich, so Strebel, der dennoch zugibt: „Ich muss aber freimütig bekennen, dass es sonst ein schönes, formvollendetes Tier ist“, wobei sich Strebel natürlich auf das Aussehen des Airedale Terriers seiner Zeit, also vor 110 Jahren, bezog (siehe Abb. 1 oben, aus Strebel 1904). Wie sich sein Aussehen verändert hat, lässt sich leicht anhand von alten Bildern beurteilen. Den Charakter des Airedale Terriers bezeichnet Strebel als mutig und zugleich gutmütig, „keinesfalls rauflustig oder zänkisch“, und als sehr gelehrig und ausdauernd (Strebel 1904).
Während der Hund aus dem Tal der Aire anfangs noch als Working Terrier oder Waterside Terrier bekannt war, beschloss man auf einer Ausstellung der Landwirtschaftlichen Gesellschaft von Airedale (Airedale Agricultural Society) 1882, der Rasse offiziell den Namen des Tales zu geben. Und so wurde erstmals 1883 auf der National Dog Show in Birmingham der Airedale Waterside Terrier vorgestellt, später hieß er dann nur noch Airedale Terrier.
Polizei- und Militärhund
Die ersten Airedale Terrier kamen 1893 auf den europäischen Kontinent, wo man aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Leichtführigkeit rasch ihre Eignung als Polizeihund und als Armeehund entdeckte. Der erste mitteleuropäische Airedalezüchter war Ekard König, der ab 1894 unter dem Zwingernamen „Aware“ Airedales züchtete, zuerst in München, dann in Salzburg (Strebel 1904).
Im Jahre 1900 führten die deutschen Truppen bei ihrem Einsatz beim Boxeraufstand in China auch mehrere Airedale Terrier mit, die sich dort offensichtlich so gut als Kriegshunde bewährten, dass die Rasse zu den bevorzugten Gebrauchshunden bei Polizei und Armee wurde, sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz und Österreich (Räber 1995, 2001). In Österreich waren die Jägerbataillone selbst Züchter und Mitglieder im Klub für rauhaarige Terrier. Eingesetzt wurden die Militär-Airedales sowohl als Meldeläufer wie auch in der Verwundetensuche (s. Abb. 2 und Abb. 3 auf dieser Seite). Nach dem ersten Weltkrieg sank dann aber zunehmend die Bedeutung des Airedales als Gebrauchshund, und obwohl er heute noch immer zu den Gebrauchshunderassen zählt, ist er in diesem Bereich eher die Ausnahme denn die Regel.
Lt. FCI gehört der Airedale zu den hochläufigen Terriern, so wie bspw. auch der Deutsche Jagdterrier oder der Foxterrier, Bedlington Terrier oder Parson Russell Terrier (letzterer nicht zu verwechseln mit dem – lt. FCI zu den niederläufigen Terriern zählende – Jack Russell Terrier, als dessen Mutterland Australien angegeben ist).
So wie bei jeder Rasse kann man einiges über ihr Wesen lernen, wenn man ihre Herkunft kennt und die Aufgabe, für die sie gezüchtet wurde. Erinnern wir uns daher an den Universalhund im Tal der Aire, der sowohl als Wächter von Haus und Hof der Bauern, wie auch als Jagdhund Verwendung fand. Armee und Polizei schätzten offenbar das hohe Maß an Ausbildbarkeit und Verlässlichkeit, alles in allem also eine große Gebrauchstüchtigkeit. Doch wie sieht es damit heute aus?
Diskussion: Airedale als Gebrauchshund
In einem Internetforum klagt eine ehemalige deutsche Züchterin über die heutige Situation des Airedale Terriers: „Aber ist er auch noch das, was mal ganze Diensthundestaffeln bestückt hat? Ein harter, triebstarker (und damit meine ich nicht ein wenig hinter einem Ball Herlaufen), belastbarer Gebrauchshund? Oder wurden diese Attribute auch dem Zeitgeist geopfert, wurde dieser Hund zum lieben Schmuser, Spielkameraden, Joggingpartner degradiert? All diese Vorgaben des ‘modernen’ Menschen erfüllen so viele Hunde meisterhaft, umso mehr schmerzt es, eine einstmals hervorragende Gebrauchshunderasse den Bach runtergehen zu sehen.“
Ein Airedale Terrier-Halter im Forum sieht das anders: „Ich weiß nicht, welchen verlorengegangenen Trieben Du hier beim Airedale nachtrauerst. Meinst Du etwa den notwendigen sozialaggressiven Trieb eines echten Schutzhundes? Es sollte jedem klar sein, dass solche Hunde heute nicht mehr in unsere Gesellschaft passen und nur noch eine kleine Nischenexistenzberechtigung bei Polizei und Militär haben. Auch mit der erwünschten reizbaren feindseligen Grundstimmung eines echten Schutzhundes kann man unter Menschen in der Öffentlichkeit im Straßenverkehr keinen Blumentopf mehr gewinnen. Würden in Zukunft hier weitere Hunderassen auffällig, meinetwegen auch nur, weil sie in falsche Hände kommen wie die Pitbulls, gibt es heutzutage schnell restriktive Auflagen. Selbst für denjenigen, der seinen Airedale zum reinen Sportgerät degradiert, ist der gerade bei ihm normalerweise ausgeprägt vorhandene Beutetrieb vollkommen ausreichend.
Ich halte es für absoluten Blödsinn, jedem schön gezüchteten Airedale zu unterstellen, er sei eine ‘seelenlose Airedalehülle’, und dafür jeden im Formwert daneben liegenden Hund für einen ausgemachten Leistungshund zu halten. Nach wie vor hat der Airedale seinen kernigen, liebenswerten Charakter als eigenwilliger, aber auch umgänglicher Hund bewahrt, wie wir ihn sozialverträglich brauchen, und ist gerade auch in seinem Mutterland dafür bekannt.“
Familienhund
Werden die alten Gebrauchshundeigenschaften des Airedales heute wirklich noch benötigt? In Jagdhundkreisen ebenso wie im Gebrauchshundebereich findet man den Airedale Terrier tatsächlich heute eher selten. Offensichtlich ist der Airedale heute in allererster Linie ein Begleiter der Familie, also ein klassischer „Familienhund“, von dem man Verträglichkeit, Unkompliziertheit, Ausgeglichenheit und ein ruhiges Wesen erwartet. Diese Vorzüge werden allerdings auch in der alten Literatur so gepriesen. Das ist sicher die eine Seite der Rasse, und ihre Verwendung als einfacher Familienhund, als Jogging- oder Spielpartner muss nicht Degradierung zum Sofarutscher bedeuten. Die andere Seite ist sicher noch das im Airedale fließende Terrierblut. Denn Sofarutschen scheint einem Airedale in der Tat zu wenig zu sein. In Gesprächen mit Airedale-Haltern erfährt man nämlich, dass vor allem junge Hunde in der Wohnung immer wieder gerne Temperamentsausbrüche bekommen und dabei alles auf den Kopf stellen. Eine körperliche und psychische Auslastung des Airedales scheint daher eine grundlegende Voraussetzung für eine gute Haltung dieser Rasse zu sein. So weisen die zuständigen Rasseklubs auch auf die Bedeutung der verschiedenen Hundesportarten hin, in denen der Airedale Terrier eigentlich eine gute Figur machen sollte.
Renaissance des Airedale Terriers?
Die Fähigkeiten, die die Rasse in der Mitte des 19. Jhds. zum Airedale Terrier werden ließen, waren vorwiegend in der Begleitung von Jägern genauso wie von Wilddieben begründet. Ausdauer, Selbständigkeit, gute Bindung zum Halter, das waren gefragte allgemeine Attribute, die zu den speziell jagdlichen Anforderungen kamen. Diese Wesenseigenheiten finden sich – in unterschiedlicher Ausprägung (je nach Zuchtlinie von rudimentär bis stark) – noch immer in den meisten heutigen Vertretern dieser Rasse. Wie wir weiter oben gelesen haben, gibt es unterschiedliche Ansichten von Airedale-Liebhabern darüber, wie die Rasse heutzutage Verwendung finden sollte.
Dass der Airedale Terrier ein „guter Familienhund“ sein kann und auch ist, beweist er vielerorts. Auch als Begleiter eines Jägers findet man ihn ab und an. Doch das, was ihn früher auch für den Einsatz als Armeehund, unter anderem bei der Suche nach Verwundeten, geeignet gemacht hat, könnte heute vielleicht eine Renaissance dieser Rasse vor allem im Rettungshundewesen, beim Mantrailing und in anderen ähnlichen Bereichen bedeuten. Dass damit nicht die Entwicklung zu einer Moderasse gemeint ist, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Dazu machen ihn seine Größe ebenso wie seine Haltungsansprüche (hoffentlich) ungeeignet.
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