Dauerstress – Von Stresshormonen und Reizüberflutung

Von Yvonne Adler

Die Kolumne zum Thema „Alltagsprobleme mit dem Hund". WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hundetrainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund , kurz formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser Ausgabe möchte eine WUFF-Leserin ­wissen, wie sie ihre dauergestresste Hündin besser händeln kann.

Liebe Frau Adler,
ich brauche Hilfe mit meiner ­Cavalier King Charles-Hündin „Berry". Sie ist nun vier Jahre alt, kastriert und leidet unter Dauer­stress, sobald wir das Haus verlassen. Sie ist dann immer komplett angespannt und winselt häufig. Aber nicht nur beim ­Spazieren­gehen ist sie gestresst, ­sondern auch, wenn ich mich länger an einem Ort aufhalte. Zum ­Beispiel in einem ­Restaurant oder zu Besuch bei ­Freunden – da kommt sie gar nicht zur Ruhe. Können Sie mir ­helfen? Gibt es eine Möglichkeit, sie zu lehren, sich auch in solchen ­Situationen ein wenig zu entspannen? Ich freue mich auf Ihre Antwort!
Beste Grüße,
Bärbel Gutwenger

Antwort von Yvonne Adler:

Liebe Frau Gutwenger,
während wir Menschen gelernt haben, uns auf die vielen Umweltreize einzustellen, die täglich auf uns einprasseln, ist dies für unsere tierischen Weggefährten oftmals schwierig und die Stressresistenz von Individuum zu Individuum verschieden. Schon bei einem eigentlich entspannenden Spaziergang begegnen wir bspw. Joggern, Radfahrern, Kindern, anderen Hunden, Autos etc. All dies kann unseren Hund in einen erhöhten Erregungszustand (erhöhte Aufregung) versetzen, vor allem wenn unser Weggefährte sich ohnehin leicht stressen lässt. Erhöhte Erregung kann dabei sowohl positiv, als auch negativ sein – beides führt jedoch dazu, dass im Körper des Hundes vermehrt mehrere Stresshormone ausgeschüttet werden. Bei Tieren wie Ihrer Berry, die sich sehr leicht in Erregung versetzen lassen, kann der Körper, wenn keine Stressreduktion und/oder ein Stressbewältigungsprogramm gemacht wird, die hohe Menge an Stresshormonen nicht schnell genug abbauen und der Hund befindet sich somit in Dauerstress. Dies hat einige problematische Auswirkungen, die wir auch an uns Menschen beobachten können: bei dauerhaft erhöhtem Stresslevel ist bspw. das Krankheitsrisiko erhöht. Außerdem kann es zu vermehrter Reizbarkeit kommen, was wiederum dazu führen kann, dass an sich unwichtige Reize plötzlich eine Reaktion auslösen. Zusätzlich ist die Konzentra­tionsfähigkeit herabgesetzt und es kann ebenso eine erhöhte Reaktivität (bspw. Ängstlichkeit oder Aggression) auftreten.

Der Hund befindet sich also in einer Art Teufelskreis: durch viele Umweltreize werden vermehrt Stresshormone ausgeschüttet. Diese führen dazu, dass auch normale Reize neuerlichen Stress auslösen können, und weitere Hormone werden produziert.

Diese Negativspirale gilt es nun bei Ihrer Berry zu durchbrechen. Um hier entgegenzuwirken, sollten Sie den täglichen Ablauf mit Ihrem Hund an ihn anpassen. Machen Sie zum Beispiel weniger ­lange Spaziergänge, sondern lieber kurze Gassirunden in ruhiger Umgebung, ohne viel Ablenkung und mit wenig Umweltreizen. Versuchen Sie außerdem, Ihren Hund nicht zu allen Aktivitäten mitzunehmen. Da erwachsene Hunde 16 bis 18 Stunden pro Tag schlafen sollten, ist es oftmals sinnvoller, das Tier ruhen zu lassen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn das Alleinebleiben langsam aufgebaut und richtig antrainiert wurde, sodass der Hund sich hierbei gut entspannen kann. Außerdem sollten Sie auf stressige Spiele wie Zerren oder Ball- und Hetzspiele verzichten. ­Besser sind hier zur geistigen Auslastung Nasenarbeit oder verschiedene Denkspiele in Maßen. Zusätzlich können Sie Berry gerne einige Kausachen füttern, die effektiv durch das lange Kauen zum Stress­abbau beitragen.

Ein Trainingsansatz, in Ihrem speziellen Fall, kann die sogenannte „konditionierte Entspannung" sein – d.h. Ihrem Hund beizubringen, sich auf ein Kommando hin zu entspannen. Zunächst sollten Sie sich ein Kommando über­legen, dass Ihnen leicht über die Lippen kommt, aber dennoch nicht oft im täglichen Sprachgebrauch vorkommt. Dies kann zum Beispiel „Relax" oder „Gemütlich" sein. Wenn Ihr Hund sich nun hinlegt, um zu ruhen, sagen Sie das Kommando immer dann, wenn sich Berry entspannt. Dies können Sie gut an dem tiefen Atemzug bzw. „Seufzer" erkennen, den viele Hunde oft vor dem Einschlafen machen. Immer wenn also dieser „Seufzer" von Berry kommt, sagen Sie Ihr neues Kommando. So wird die Entspannung mit dem Kommando verknüpft. Bitte beachten Sie jedoch, dass auch Sie dabei entspannt sein müssen!

Zusätzlich sollten Sie auch aktiv daran arbeiten, dass sich Ihr Hund schneller entspannt – zum Beispiel über Streicheln und/oder Massagen. Dabei hilft uns das Hormon Oxytocin, das ausgleichend bei Stress wirkt und so zur Entspannung beiträgt. Sanfte, wohltuende Berührungen aktivieren die Ausschüttung des sogenannten Kuschel- oder Bindungshormons und Sie können damit so zu der Entspannung Ihres Hundes beitragen. Zuerst sollten Sie herausfinden, welche Berührungen Ihrer Berry gut tun. Bevorzugt sie das Bürsten mit einer weichen Bürste? Mag sie lieber gestreichelt werden? Oder findet sie eine leichte Massage gut? Als aufmerksame Beobachterin erkennen Sie zum Beispiel die Entspannung zuerst im Bereich der ­Wirbelsäule, wenn sich die Rute merklich absenkt. Außerdem könnte sich die Gesichtsmuskulatur sichtlich lockern. Vielleicht bekommt Ihr Hund auch einen leicht „glasigen" Blick. Legt sich Berry auf die Seite, ist sie vermutlich schon sehr entspannt.

Wenn Sie also herausgefunden haben, was Ihrer Hündin gut tut, können Sie mit dem Training starten. Sie beginnen mit den Berührungen, die den Entspannungsprozess auslösen, und wenn sich Berry entspannt, sagen Sie Ihr neues Kommando für die Entspannung (siehe oben). Wenn Sie diese Übung auf einer Decke machen, so verknüpft Berry zusätzlich auch die Decke mit der Entspannung. Dies ist für die Zukunft wichtig, da Sie die Decke auch an andere Orte mitnehmen können und dies zusätzlich Berry beim Entspannen unterstützt. Nach vielen Wiederholungen über mehrere Wochen, wird schon das Wort alleine eine sichtbare Entspannung auslösen.

Wichtig zu wissen: Die „konditionierte Entspannung" bewirkt nicht, dass Ihr Hund sofort nach dem Kommando auf die Seite fällt und schläft, sondern hilft dazu, dass der Erregungslevel ein wenig absinkt und so Beruhigung und Entspannung überhaupt erst möglich wird! Wenn Sie dies über einige Wochen sorgfältig trainiert haben, können Sie beginnen, das ­Signal in anderen Situa­tionen zu üben. Zum Beispiel können Sie es bei einem Restau­rantbesuch einsetzen, wenn Sie in einer ruhigen Ecke sitzen, die „Entspannungs­decke" mit haben und sich Berry dort gut entspannen kann. Auch bei Spazier­gängen, bei denen ihre Hündin sehr angespannt reagiert, können Sie das Kommando einsetzen, um die Erregung zu ­senken. Bitte achten Sie hier auch wieder auf Ihre eigene Körper­anspannung, ­-sprache und Emotion.

Zusätzlich sollte das Signal zu ­Hause immer wieder mal geübt werden. Wenn das neue Kommando nämlich zu schnell eingesetzt wird – also nicht ausreichend gefestigt ist – und nur noch in stressigen Situationen eingesetzt wird, kann es dazu führen, dass es mit dem Gegenteil verknüpft wird, d.h. also mit erhöhter Stressbelastung!

Ich rate Ihnen zusätzlich mit Berry auch an ihrer Stressresistenz zu arbeiten, also sie zu lehren, mit Stress umzu­gehen, damit sich langfristiger und dauer­hafter Erfolg einstellen kann. Ihnen und Ihrer Berry wünsche ich ein erfolgreiches Training und viele entspannte gemeinsame Momente!

Herzlichst,
Yvonne Adler

Das könnte Sie auch interessieren: