Damit Kinder nicht zur Beute werden – Unfall-Prävention Kind/Hund

Von Ana Hesse

Überwiegend geschehen Beißattacken durch Hunde im direkten Umfeld, d. h. im eigenen Haushalt, bei Freunden, in der Nachbarschaft, beim Bäcker, im ­Kaufmannsladen oder in der Bank! Warum das so ist und was man ­dagegen tun kann, erklärt im Ansatz dieser Artikel. Leider ­werden die wenigsten Vorfälle gemeldet, so dass es kaum ­verlässliche Zahlen und Statistiken dazu gibt.

"Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber plötzlich biss er ihn ins Gesicht". Die Mutter schaut ganz betroffen auf ihren Sohn. Der ­Junge (7) hat viel Glück, nur eine kleine Wunde überm Auge. Nichts, was nicht verheilen würde. Jack, der Jack-Russell-Terrier, ist gerade mal ein Jahr alt. 

„Ich habe den Kindern gesagt, sie sollen nicht so mit dem Hund toben. Aber sie hören ja nicht auf mich, und plötzlich ist es passiert. Er hat Jenny in den Arm gebissen und wollte nicht mehr loslassen. Sie hat so furchtbar geschrien. Nun hat sie große Angst vor ihm". Der braune Labradorrüde Frisco (7 Monate) wedelt verhalten mit der Rute, als ich ihn ansehe. „Er hat ihn einfach angesprungen und in die Schulter gebissen. Wir haben keine Ahnung, warum er das getan hat."   

Solche und ähnliche Aussagen höre ich öfter, wenn ich zu Kunden gerufen werde, deren Kind vom eigenen Hund gebissen wurde. Die Kinder sind zwar in unterschiedlichem Alter, aber die meisten „Vorfälle" geschehen interessanterweise bei Hunden um die 16.-20. Lebenswoche und bei Kindern mit sieben Jahren. Später, wenn die Hunde in der Pubertät sind, häufen sich die Vorfälle erneut, so zwischen dem 7. und 12. Lebensmonat, je nach Rasse. Kinder entwickeln nach solchen Er­lebnissen oft eine Angst vor dem eigenen oder fremden Hund.

Bei manchen Kindern, die ohne Hund aufwachsen, reicht es schon, wenn ein unbekannter Hund ungestüm auf sie zugerannt kommt und an ihnen hochspringt. Auch solche Kinder habe ich im Training. Und manchmal weiß man im ersten Augenblick nicht, woher die Angst kommt. Es ist nichts passiert, und die Kinder haben dennoch große Angst vor Hunden. Häufig stellt sich heraus, dass die Eltern entsprechende Erfahrungen gemacht haben und ihre Angst – unbewusst – auf die ­Kinder übertragen. Angst ist kein guter Begleiter im Leben.

Die Zahl der gehaltenen Hunde nimmt in unserem Land immer mehr zu, auch die der Problemhunde. Neu vor allem der Angsthunde. Ob nun aber aus der Aggression oder Angst heraus: beißt der Hund zu, tut es schmerzlich weh.

Eltern- und Kind(er)schulung ist ein wichtiger Schritt. Gleichwohl auch der Appell an alle Hundehalter um mehr Rücksicht auf spielende Kinder und mehr Kontrolle über ihre Hunde. Vor allem unter dem Aspekt, dass es nicht nur ängstliche Kinder, sondern auch ängstliche Erwachsene gibt und Menschen, die einfach keine Hunde mögen.

Eine hundertprozentige Vermeidung von Beißvorfällen kann niemand garantieren. Hunde sind und bleiben Beutegreifer, domestizierte Raubtiere und das Produkt ihrer Umwelt. ­Dennoch kann man durch das Ein­halten bestimmter Regeln dafür sorgen, dass viele Vorfälle vermieden werden. Wie? Hier ein kleiner Auszug:

Kind & eigener Hund – die Eltern sind gefragt
Die Hundesprache ist für uns wie eine Fremdsprache. Es lohnt sich daher, sie zu erlernen, um seinen Hund ­besser zu verstehen. Daher ist Eltern zu empfehlen, eine entsprechende Hundeschule zu besuchen oder sich Fachliteratur zu erwerben, in der das Ausdrucksverhalten des Hundes und die Kommunikation deutlich erklärt werden. Hier einige Beispiele von hundlichem Verhalten, das Eltern aufhorchen lassen sollte, um die gerade stattfindende Interaktion von Kind und Hund zu unterbrechen:

■ Der Hund macht sich steif, hat einen durchdringenden ­(fixierenden) Blick.
■ Der Hund wendet den Kopf ab, versucht sich der Situation zu ­entziehen.
■ Lippen Lecken, Schlucken, Blick abwenden
■ Knurren – das ist ein deutliches Zeichen der hundlichen Kommunikation und eine entsprechende Warnung. Sie sollten Ihrem Hund Knurren nicht abgewöhnen. Tun Sie es, kann es nämlich sein, dass er das nächste Mal ohne Vorwarnung beißt.

Und immer gilt: Lassen Sie Kinder und Hunde niemals unbeaufsichtigt!

Dies wäre sicher ein vermeidbarer Biss gewesen, wenn alle richtig gehandelt hätten
Ein aktuelles Beispiel aus Magdeburg: Ein Junge (11) wurde laut Zeitungs­berichten von einem ­herrenlosen ­Labradormischling in den Arm ge­bissen und schlimm verletzt. Dieser Vorfall ereignete sich an einer Bus­haltestelle, als wartende Passanten dem ausgehungerten Tier Futter zuwarfen. Offenbar war der ­Junge dem Hund unabsichtlich zu nah gekommen und der Hund ­verteidigte sein Futter. Wenn man solch ein Verhalten nicht erwartet, kann man nichts dagegen tun. Das hätte jedem anderen Passanten genauso ­passieren können. Hier hätte vermutlich ein möglichst großer Abstand zum Hund (Ressourcen­verteidigung Futter) für Vermeidung gesorgt.

Ob dies hätte verhindert werden können, wird sich sicherlich nie mit Gewissheit sagen lassen.
So geschehen in Duisburg vor ­Kurzem: Ein kleines Mädchen (2) ­wurde von einem pubertären Rottweiler (12 Monate) so schwer verletzt, dass es intensivmedizinisch behandelt werden musste. Kind und Hund hatten vorher keinerlei Kontakt und kannten sich nicht. Es wird beschrieben, dass sich das Kind „als Beute" verhalten hätte. Hier war der Hundeführer in der Pflicht.

Kinder können noch so gut geschult und vorbereitet sein, es hilft ihnen nur bedingt, wenn Hundehalter keine Rücksicht nehmen und ihre Hunde einfach frei laufen lassen.

Es wäre so einfach, ein wenig mehr Rücksicht auf die schwächsten unserer Gesellschaft zu nehmen – auf Kinder.

Viele Tipps wurden schon oft gehört! Aber offenbar nicht oft genug, wenn man die Beißattacken verfolgt. Immer mehr Hunde leben in immer dichter besiedelten Gebieten. Wissen schützt – und auch die Rücksichtnahme im Umgang miteinander!

Information für Kinder und Eltern
Das sollten Kinder wissen und Eltern überwachen

■ Wenn man sich einem Hund nähert, dann immer so, dass er es hört. Er könnte vor Schreck zubeißen. Das gilt für eigene wie für fremde Hunde!
■ Hunde niemals „von oben" ­streicheln. Die Hand zum Schnuppern zeigen, seitlich oder an der Brust streicheln.
■ „Spielzeiten und Ruhepausen einhalten". Welpen haben noch keine lange Ausdauer. Überfordert man sie, schnappen sie irgendwann zu. Lernen sie, die Zähne einzusetzen, werden sie es öfter tun. Unangenehm, je älter und größer sie werden.
■ „Beißhemmung": Milchzähne sind spitz und menschliche Haut ist tabu! Der Welpe lernt das, durch einen spitzen Aufschrei und Spielabbruch. In der Regel ist der Aufschrei authentisch, denn es tut ja auch weh.
■ Verbeißt sich der Hund beim Toben ins Hosenbein, wird ebenso ver­fahren.

Daher gilt: Kind & Hund nie ohne Aufsicht toben lassen. Notfalls unterbrechen die Eltern das Toben, damit beide zur Ruhe kommen.

■ Beim Fressen: „Nicht stören". Das Kind darf gerne beim Füttern helfen. Frisst der Hund, darf es dabei nicht stören. Der Hund hat ein Recht auf ungestörte Futteraufnahme. Alles andere kann zu Stress und möglicherweise zu Futterverteidigung führen.
■ „Füttere keine anderen Hunde, wenn der eigene in der Nähe ist". Es könnte zu Streitigkeiten kommen und die Hunde sich beißen. Möglicherweise gerät das Kind dazwischen.
■ „Kind und Hund allein unterwegs" – je nachdem wo Sie wohnen und wie Ihr Kind körperlich und geistig entwickelt ist, sollte es nicht alleine mit dem Hund durch Felder und Wälder streifen. Attacken durch andere, freilaufende Hunde könnten möglich sein. Im Zweifel den eigenen Hund immer loslassen und Hilfe holen. Niemals selbst die Hunde trennen!
■ „Wilder Watz": Ähnlich wie bei Kindern, die über den müden Punkt hinweg kommen, gibt es bei Welpen und Junghunden die „5 Minuten" oder „den Rappel" oft mit „Attacken". Verlassen Sie den Raum und entziehen Sie sich und vor allem Ihre Kinder den mög­lichen Attacken. In der Regel fällt der Hund danach in einen tiefen Schlaf.
■ „Hundespielzeug ist Hundespielzeug" – manche Hunde verstehen da keinen Spaß. Schnappt der Hund z.B. nach seinem Ball oder Spielzeug – fallen lassen, bevor man einen Biss riskiert.

Information für Kinder und Eltern
Begegnung mit fremden ­unbekannten Hunden

■ Niemals ungefragt fremde Hunde streicheln – warum? Vielleicht mag der Hund keine Kinder, weil er schon mal geärgert wurde?! Er könnte krank, verletzt oder müde sein und möchte in Ruhe gelassen werden. Er könnte Angst haben oder schlecht gelaunt sein, all das kann dazu führen, dass er beißt!
■ Auch nicht im Vorbeigehen einen fremden Hund einfach ungefragt anfassen!
■ „Nicht weglaufen", wenn ein Hund angerannt kommt. Den Hund dabei nicht an­­gucken, ­Hände seitlich am Körper. In der Regel verliert der Hund ganz schnell das Interesse, schnuppert und geht weiter. Läuft man weg, weckt das sein Jagd­verhalten – und Hunde sind Jäger!
■ „Ballspiele jeder Art" – auch ­Hunde spielen gerne Ball. Sehen sie irgendwo Bälle fliegen, können sie sich oft nicht beherrschen und wollen den Ball haben. Niemals den Ball verteidigen. Lieber einen Erwachsenen holen, der hilft!
■ Habt ihr einen Ball in der Hand und der Hund will danach schnappen: den Ball fallen lassen und langsam und ohne Interesse weggehen.
■ „Niemals in die Augen starren!" Hunde fühlen sich durch das Anstarren (in der Fachsprache „Fixieren" genannt) bedroht. Das kann dazu führen, dass er angreift.
■ Beutetiere kreischen und laufen weg. Daher niemals laut herumschreien und kreischen, wenn fremde Hunde in der Nähe sind. Sie könnten euch als Beute sehen und beißen wollen. Besser ist es, ruhig und langsam wegzugehen und einen Erwachsenen zu informieren, wenn unangeleinte Hunde alleine unterwegs sind!

Für Hunde von Freunden gilt außerdem:

■ Hat Euer Freund einen Hund und bellt dieser bei der Ankunft? ­Wartet, bis man euch sagt, ob ihr reinkommen dürft. Vielleicht muss der Hund erst ins Haus gebracht werden. Kennt ihr den Hund nicht gut oder ist er ein Hofschützer, kann es sein, dass er euch angreift, weil er so seine Arbeit macht.
■ Ist der Hund Eures Freundes am Fressen, kaut auf einem Knochen oder liegt dösend in der Sonne, lasst ihn einfach in Ruhe. Wenn er fertig ist mit dem, was er tut, und von sich aus auf euch zukommt, könnt ihr ihn streicheln, wenn er nett ist.

Benimmregeln für Hundehalter im Umgang mit Kindern
Bitten an die Hundehalter

■ „Hunde an die Leine", wenn Kinder in der Nähe sind. Ist der Hund zuverlässig im Grundgehorsam, nehmen Sie ihn bitte bei Fuß, so dass Sie jederzeit ins Halsband greifen können, falls doch ein Impuls kommt. Das gibt Kindern und Eltern Sicherheit. Ein Dank ist Ihnen sicher!
■ Ballspielende Kinder können jeden noch so friedfertigen Hund aus der Reserve locken. Manchmal muss nur der Ball daran glauben, aber manchmal kommt es auch zu Verletzungen.
■ Haben Sie einen Problemhund, braucht Ihr Hund seine Individualdistanz und setzt diese auch aggressiv durch? Dann sollte er an einen Maulkorb gewöhnt werden und diesen in dicht besiedelten Orten (Stadt, Veranstaltungen usw.) tragen. Wie schnell haben spielende Kinder beim wilden Umherlaufen diese Distanz unterschritten!? Die Sicherung des eigenen Hundes und damit die Sicherheit der Kinder sollte uns allen am Herzen liegen!

Tipp der WUFF-Redaktion

Der Artikel „Unfallprävention bei ­Kindern im Umgang mit Hunden" von WUFF-Herausgeber Dr. Hans ­Mosser (in WUFF 3/2002) ist ­heute noch genauso ­aktuell wie zum Zeitpunkt seiner Publikation.www.wuff.eu/unfall_0302

Das könnte Sie auch interessieren: