Dä Appezöller Bläss, ein Triberli – Der Appenzeller Sennenhund

Von Anna Hitz

Foto: Cynoclub | Fotolia

Dreifarbig, mittelgroß, fast quadratisch, harmonisch proportioniert, muskulös, beweglich und flink, mit pfiffigem Gesichtsausdruck. Das ist heute der Appenzeller Sennenhund, den die Schweizer ­Sennen mit ihrem naturverbundenen Lebensstil über die Jahrhunderte geformt haben und der sich ihnen ­bedingungslos angepasst hat.

Die Bauern formen einen Hund: Bauern-, Hirten- und Treib­hunde gehören zu den treuesten Begleitern der Menschen, seit diese in der Jungsteinzeit sesshaft wurden. Ob bei Pfahlbauten, in der Hallstattzeit, im keltischen ­Oppidium, in den römischen Militärlagern oder bei den Alemannen, alle Kulturen und Völker wurden auf ihren Wegen immer von Hunden begleitet. Hunde, die zu eigenen Schlägen wurden und im Zuge von Völkerwanderungen sich mit den einheimischen Schlägen vermischten. Das endete auch nicht im Mittelalter, denn weiterhin pflegten alle Be­völkerungsschichten die Hunde­haltung. Dazu gehörten auch die Schweizer Bauern, die keineswegs arm waren und sich deshalb auch große Exemplare leisteten. Das sollte dem Züricher Bürgermeister Hans Waldmann erst sein Amt und schließlich auch den Kopf kosten. Denn als er – als passionierter Jäger – den Bauern befahl ihre großen Hunde umzu­bringen (es ärgerte ihn, dass die ­Hunde die Weintrauben fraßen und das Wild rissen), brachte er das Fass zum Überlaufen. Die Bauern führten einen erfolgreichen Aufstand durch.

Aus solchen historischen Begeben­heiten erkennt man den hohen ­Stellenwert der Bauernhunde, denn überliefert worden ist kaum etwas davon, was wohl daran liegt, dass Bauernhunde, damals wie ­heute, ­einfach als gewöhnliche Hunde galten und ­nirgends für dasselbe Aufsehen sorgten wie ihre jagdlich ­geführten Verwandten. Schade, denn der Bauern­hund hatte schon immer ein vielseitiges Einsatzgebiet, wie auch Dr. A. Scheidegger 1904 zu berichten wusste: „Nach dem Begriff eines ­Bauern ist ein Hund gut, wenn er wachsam und scharf ist, ohne zu beißen, beim Ausgehen bei Fuß folgt, beim Wagen zwischen den Hinter­rädern und nicht auf den Kulturen herumläuft, den Meister im Notfall verteidigt, auf dem Feld liegengelassene Gegenstände bewacht, nicht wildert, Katzen und Hühner in Ruhe lässt, nicht herumstreunt. In gebirgigen Gegenden werden die Eigenschaften des Viehhütens und Viehtreibens, im Unterland dagegen mehr die Eignung zum Zugdienste geschätzt.“

Das Aussehen war bei der Zuchtaus­lese, vor der Gründung der ­Rasse, absolut zweitrangig und wurde von den Bauern danach mit einigem Unverständnis quittiert. Denn wie Siber um 1890 zu berichten wusste: „Zu viel Rücksicht auf Farbe nehmen führt bei derartigen ­Gebrauchshunden ad absurdum, zu Narreteien.“ Dass sich trotzdem bei den ­Bauernhunden bereits erkennbare Landschläge ­etabliert hatten, lag sicherlich daran, dass diese Hunde sich in ihrem Aussehen an ihre Umgebung angepasst hatten. So fand man typischerweise die größeren Bauernhunde im Mittelland, während in den höher gelegen Regionen die Hunde kleiner wurden. Auch die Selektion auf bestimmtes Verhalten förderte einen bestimmten Typus Bauernhund, der nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Süddeutschland verbreitet war.

Die Alpen formen einen Hund
Die Entstehung des Sennenhundes ist keine Ausnahme. Auch er war eng verbunden mit dem Aufkommen eines Lebensstils, der vor allem in den Voralpen ab dem 15./16. Jahrhundert gepflegt wurde: Das Küherwesen. Denn erst seit dem ­Spätmittelalter wurden die bewaldeten Höhen von den Bauern gerodet, um mehr ­Weideland für das Vieh zu gewinnen. Zusätzlich wurde nun auch über der Waldgrenze im Sommer das Vieh geweidet. Alpengenossenschaften (gebildet aus freien Bauern) und private Weidebesitzer übertrugen die Aufsicht über die Herden einem Hirten, der gegen Entgelt das Vieh versorgte und den Alpbesitzern Zieger (Quark), Butter und Milch ­ablieferte. Den Winter jedoch verbrachte das Vieh in den Ställen der Besitzer, ­weshalb es nötig war, dass die Herden zweimal im Jahr umzogen. Die über 20 Kilometer langen Wege wurden zu Fuß auf schlechten Wegen absolviert und oft wurde unterwegs übernachtet. Die Herden waren gemischt und bestanden oft aus bis zu 100 Milchkühen, mehreren Ziegen und ­Schweinen. Über so eine Herde zu wachen war keine leichte Aufgabe, weshalb die Hirten auf hervorragende Hunde angewiesen waren, die über das ganze „Sennethum“ wachten.

Im Laufe der Zeit wuchs das Ansehen der Hirten und sie wurden selbst zu Herdenbesitzern und erhielten den Küherstand. So wurden sie zu Pächtern und besaßen schließlich eigene Herden. Ihre wahre Blütezeit setzte aber erst ein, als die Küher neben Zieger und Butter auch Hartkäse herstellten, den sie in Begleitung ihrer Hunde in die Städte trugen. Weiterhin verbrachte der Küher den Winter bei den Bauern im Tal, wo er mit seiner Familie in einem Hüttchen – dem „Chüjerstöckli“ – wohnte. Immer mit ihren Küherhunden, den Sennenhunden, an ihrer Seite.

Die Kühe formen einen Hund
Über das Aussehen dieser Hunde weiß man heute nichts mehr, doch über die Aufgabe der Hunde hat man ein klares Bild: „Der Hund hatte beim Alpaufzug und bei der Alpabfahrt die Herde beisammen zu halten, er musste auf der Alp das Vieh zur Melkzeit zur Alphütte treiben, und wenn im Sommer von einer Alp zur anderen oder im Winter von einem Winterquartier ins andere gezogen wurde, hatte er wiederum dafür zu sorgen, dass die Herde beisammen blieb. Er war aber nicht nur Treibhund, er war auch Wächter und hatte das ganze Senntum seines Herren zu bewachen.“ Das Problem, störrisches Vieh von A nach B zu bewegen, löste der Sennenhund, indem er kräftig bellte (um die Tiere zu erschrecken) und die Rinder in die Afterklaue zwickte. Dem darauf folgenden Hufschlag wich der Hund seitlich aus. Eine gute Beobachtungsgabe, schnelles Reaktionsvermögen und selbständiges Denken waren für diese Hunde das tägliche Brot. Hunde, die wahllos zubissen oder in die Flanken schnappten, galten als wertlos, da es fast nicht möglich ist, ihnen das falsche Verhalten abzugewöhnen.

Trotz der harten Arbeit bekamen die Hunde nur wenig zu fressen. Brot und Fleisch waren selten und wertvoll, also wurden die Hunde mit Molke und Maisbrei durchgefüttert. Hohe Leistungsfähigkeit bei äußerster Genügsamkeit waren hervorstechende Merkmale dieser Küherhunde. Vielleicht wurden gute Küherhunde gezielt unter einander verpaart, aber da die Hunde den Winter in den ­Bauerndörfern verbrachten, ist es mehr als wahrscheinlich, dass es auch mit den Hofhunden zu Liebschaften kam.

Wenn die Sennen sesshaft werden
Das Ende dieser Lebensart fiel zusammen mit den ersten Talkäsereien ab 1815. Bis dahin war man davon aus­gegangen, dass man nur aus Alpenmilch Käse herstellen konnte. Nun bewiesen die Talkäsereien im rasanten Tempo das Gegenteil. Da die Talmilch nun gefragt war, stellten die Bauern ihre Produktion von der Landbestellung auf Nutztierhaltung um und verfütterten ihr Heu den eigenen Tieren. Die Küher mussten ihre Herden verkaufen und wurden sesshaft. Und mit diesem Lebenswandel verlor der Treibhund seine Existenzberechtigung. Wie so oft wäre damit ein Typus Hund verschwunden, wenn sich nicht ­verdiente Kynologen und Bewunderer des ­Sennenhundes, allen voran Siber und Albert Heim (ein Geologe, der während seiner Arbeit in den Alpen den agilen Hund ins Herz geschlossen hatte) für die zukünftige Schweizer Hunderasse eingesetzt hätten. Denn während der ­Jahrhundertwende erwachte in ganz Europa das Interesse für die eigene nationale Hunderasse.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, der Sennenhund war bis zu diesem Zeitpunkt nie ein Rassehund gewesen. Trotzdem war, geprägt durch die Schweizer Alpenlandschaft, seine Arbeit am Vieh, das Leben mit dem Küher, daraus ein einheitlicher Typus Hund entstanden.

Zur Rasse wurde er erst nach 1900, als sich Schweizer Kynologen darum bemühten. Diese wiederum machten sich auf die Suche nach den schönsten Bauernhunden, um sie zu klassifizieren und zu verpaaren, wobei sie sich als erstes auf den Appenzeller Sennenhund konzentrierten. Dabei verfolgten sie eine interessante Zuchtstrategie, die vorsah, dass Vertrauensleute der SKG (Schweizerische Kynologische Gesellschaft) auf Viehmärkten und Viehschauen die besten Hunde ausfindig machen und den Besitzern 5 Schweizer Franken und ein Diplom übergeben sollten. Außerdem sollten sie den Besitzern versprechen, dass sie denselben Betrag noch einmal bekommen, wenn sie denselben Hund im Folgejahr wieder mitbringen oder ihnen sogar 10 Schweizer Franken in Aussicht stellen, wenn sie ihnen ­typische Jungtiere von demselben zeigen könnten. Auch gab es Diplome für die Hunde, die am besten gehalten wurden, am besten gehorchten und am richtigsten Vieh trieben. Ein Problem bei den Viehschauen war, dass die guten Hunde oft kastriert waren, was die Besitzer damit erklärten, dass die Hunde so besser beim Haus blieben und fett wurden, was wiederum für den späteren Verzehr geschätzt wurde.

Diese Bemühungen, gepaart mit dem Enthusiasmus von Albert Heim, führten dazu, dass 1906 der erste „Appenzeller Sennenhunde Club“ gegründet wurde, wobei die Einheimischen die Köpfe schüttelten und meinten, „man solle Gmünder (den Begründer) unter Beobachtung stellen, denn wer einen Hundeclub gründe, sei offensichtlich nicht ganz richtig im Kopf.“ Gmünder eröffnete ein Zuchtbuch, das 1914 bereits mit einer Eintragung von knapp 100 Hunden wieder geschlossen wurde. Daraus geht hervor, dass die heutige Zucht auf elf Hunden basiert, wobei das Problem des Matadorrüden damals nicht zu knapp vorkam. Dass die Appenzeller sich trotzdem gesundheitlich so gut hielten, hatte wohl mit der gängigen Praxis zu tun, die Hunde weiterhin bei den Bauern und Sennen unterzubringen. Was nicht als Gebrauchshund taugte, wurde ausgemustert, wobei in diesem Fall das Aussehen kaum eine Rolle spielte, sondern allein das saubere Treiben, die Wachsamkeit und die Genügsamkeit. Auch der Farbe schenkten die Landwirte keine größere Beachtung, doch ins Zuchtbuch aufgenommen wurde nur, wer schwarzes Deckhaar hatte und gelbe und weiße Abzeichen zeigte, wobei die Zeichnungen sehr großzügig ausgelegt wurden.

Ein Sennenhund in der modernen Welt
Heute ist der Appenzeller ein gut ­proportionierter, quadratischer Hund mit Stockhaar. Sein Fell ist schwarz oder havannafarben mit ­symmetrischen braunen und weißen Abzeichen. Die Rüden können 52 cm bis 56 cm groß werden, Hündinnen bewegen sich zwischen 50 cm und 54 cm. Die Rute des Appenzeller Sennenhundes, das sogenannte Posthörnchen, wird gekringelt getragen. Noch immer wird er gerne von Landwirten gezüchtet und hilft fleißig bei den traditionellen Alpzügen mit, wie auch die Präsidentin des Appenzeller Sennenhund Clubs und Hundetrainerin Cornelia Biedermann berichtet. Sie begleitet den Appenzeller seit über 30 Jahren und wundert sich immer wieder, dass dieser wache und unternehmungslustige Hund nicht mehr Anklang bei den Leuten findet. „Schließlich ist er der Schweizer Treibhund und mit seiner aufmerksamen, intelligenten Art allzeit bereit Neues zu lernen. Solange man weiß, wie man es ihm beibringen muss“, erklärt sie. „Er ist bei der Arbeit kaum zu bremsen, und das überfordert viele Hundetrainer. Dabei braucht er nicht ständige Wiederholungen, um etwas zu begreifen, sondern eine ­transparente Körpersprache und einen konsequenten Umgang. Wenn man ihm das bietet, brilliert er in allen Sport- und Arbeitssparten.“ Die Probleme, warnt Biedermann weiter, „entstehen mit dem Appenzeller erst, wenn man sich nicht an diese Regeln hält. Dann fängt er an unkontrolliert zu bellen und in Waden und Popos zu zwicken. Als typischer Treibhund, der sich gegen Kühe durchsetzen musste, liegt es eben nicht in seiner Natur klein beizugeben oder einfach abzuschalten, sondern er versucht aktiv das Problem zu lösen. Kneifen und Bellen sind dann die typischen Strategien. Denn auf dieses Verhalten ist er so lange selektiert worden, dass es ihm quasi angeboren ist. Bei einem Kneifer oder Kläffer, meint Biedermann weiter, ist in der Regel eine Menge schief gegangen. Die Signale, die so ein Hund geschickt hat, wurden einfach übersehen.“

Als robuster Hund ist der Appenzeller ein unternehmungslustiger Begleiter, der sich gerne auch mal im Sprunggang viel bewegt und nichts gegen ein anständiges Hobby einzuwenden hat. Er kann stundenlang spielen, genießt aber auch Ruhephasen, die man ihm unbedingt gönnen sollte. Außer man wünscht sich ein überdrehtes Energie­bündel. Ein neugieriger Hund von der sozialen Sorte, der Menschen und Kindern sehr angetan ist und auch gegen andere Hunde nichts einzuwenden hat. Trotzdem sollte man beim Züchter darauf achten, dass er Wert auf ein gutes Wesen legt und ihn als Welpen und Junghund umsichtig sozialisiert, da er sonst der Idee verfallen könnte, ihm suspekte Menschen, Hunde oder Fahrradfahrer durch Fersenschnappen in die Schranken zu weisen. Außerdem ist er ein ausgezeichneter Wächter mit einer weitum hörbaren Stimme, die er gerne einsetzt.

Als wacher und selbständig denkender Hund eignet er sich hervorragend für den ambitionierten Hundehalter. Ob im Agility, als Begleithund, Schutzhund, Lawinen- oder Katastrophenhund, Sanitätshund, Fährtensucher oder Blindenführhund, der Appen­zeller findet alle Aufgaben klasse. Und wie Cornelia Biedermann nicht ohne Stolz erklärt: „Man trifft sie selten in diesen Sparten an, aber wenn, dann sind sie immer ganz vorne dabei. Man muss für seine Ausbildung verstehen, dass der Appenzeller ein Augenhund ist. Das heißt, er lernt viel durch Beobachten und selbständiges Kombinieren. Wer klar kommuniziert, wird die größte Freude an diesem Hund haben, der dann aktiv zur Problemlösung beiträgt. Auch erreicht man bei diesem Hund mehr über das Spielen als mit harten Worten. Aber ein Nein muss ein Nein sein. Immer und überall.“

Als Wohnungs- und Stadthund ist er eher nicht geeignet, außer man ist bereit, ihm den nötigen Ausgleich zu bieten. In der Familie wird er glücklich, vorausgesetzt er wird integriert und kann sie auf verschiedenen Unter­nehmungen begleiten.

Rundum gesund?
In der Aufzucht wird viel auf die Gesundheit geachtet, so dass der Appenzeller noch heute als robuster Hund daher kommt. Er kennt zwar Hüftgelenksdysplasie, Ellbogendysplasie, Patellaluxation und Ektopische Harnleiter, doch sind diese Probleme eher selten und werden streng beobachtet. „Auch wollten wir vor über 15 Jahren typähnliche, aber rassefremde Hunde in die Zucht einkreuzen, da die genetische Basis ziemlich klein ist“, erzählt Biedermann. „Der Club hat den Antrag gestellt, doch die SKG (Schweizerische Kynologische Gesellschaft) hat ihn abgewiesen. Die Hunde sind ihrer Ansicht nach gesund genug.“

So ist er mit seinem robusten Fell und Körperbau für fast jedes Klima ge­eignet, obwohl er sich als ausgesprochenes Landei lieber durch Felder und Wälder bewegt als über ­betonierte Straßen.

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