Chien De Berger De Picardie – Charmantes Raubein mit zarter Seele

Von Liane Rauch

Ein „charmantes Raubein mit zarter Seele" soll er sein, kein Wunder, ist er doch ein naturbelassener Arbeitshund: Der Picard, ein französischer Schäferhund, vorgestellt von Liane Rauch und Karin Keisel.

Französische Schäferhunde schienen vor dem 20. Jahrhundert in der Rassehundezucht nur eine sehr kleine bis keine Rolle zu ­spielen. Auch im Gründungsjahr 1898 des „Klubs für französische Schäferhunde" werden noch immer nur zwei Rassen, der Beauceron und der Chien de Brie, erwähnt. Wo kommt er nun wirklich her, der Picard?

Antike und Mittelalter

Dass die Kelten in Mitteleuropa ein Volk waren, das Hunde ganz gezielt eingesetzt und gezüchtet hat, ist überliefert. Auch sollen ja die Schäfer­hundschläge von den alten Kelten­hunden abstammen. Problem ist hier nur, dass auf alten Abbildungen ­keltischer Hunde keine lang-zott­haarigen Vertreter zu finden sind …

Die älteste Beschreibung eines altfranzösischen Hirtenhundes findet man bei Gaston Phoebus (Graf de Foix, Livre de la Chasse, 1387). Er beschreibt in seinem Buch über die Jagd einen Bauernhund, den er ­„Mastin" nennt und der als Allrounder, also als Hüte-, Herden- und Jagdhund eingesetzt wird. Der Hund wird als stockhaarig, mit Fahnen an Rute und Vorderläufen und ausgeprägten „Hosen" an den hinteren Oberschenkeln beschrieben. Der Mastin von Phoebus war grau mit dunklen ­Flecken und einem dunklen, v-förmigen Abzeichen auf dem Kopf, also ein völlig anderer Hund als der Mastin, den wir heute kennen.

Ähnliche Hunde beschreiben Charles Estienne und Jean Liébaut in ihrem „La Maison Rustique" aus dem Jahr 1578. So wie auch ­Olivier de Serre 1610 die Hunde noch immer Mastin nennt. Erst in Buffons ­„Natural ­History", geschrieben von 1749 bis 1788, verschwindet das „S" aus dem Namen, er nennt die Hunde nun „Mâtin", was so viel wie „großer Wach-, Hof- und Jagdhund" ­bedeutet. Buffon liefert uns das Bild eines grau-schwarzen, ­zotthaarigen Hundes mit langer, an der Spitze nach oben ge­bogener Rute und ­kleinen Ohren. Bis ins 19. Jahrhundert ­hinein wird nur dieser eine Schlag der ­französischen Hüte- oder Hirten­hunde beschrieben.

Wie alt ist er wirklich?

In ganz Mitteleuropa haben sich ­Schäferhunde entwickelt, die in Optik und Arbeitsweise große Ähnlichkeiten aufweisen. Von Portugal im Westen bis über das heutige Rumänien hinaus werden diese Hunde immer noch zum Hüten, Treiben und Schützen der oft riesigen Viehherden eingesetzt. Eine fast unerschöpfliche Fundgrube für Bilder alter Schäferhundschläge ist das Werk von Max v. Stephanitz, „Der Deutsche Schäferhund". Im ersten Teil findet man unzählige Original-Bilder dieser Hunde und die enge Verwandtschaft untereinander ist nicht zu übersehen. Möchte man in die Vergangenheit des „Chien de Berger de Picardie" reisen, kommt man also an der Historie der anderen europäischen Schäferhunde nicht vorbei.

„Tatsache ist allerdings, dass sich alle Formen des Schäferhundes stark gleichen. So hat uns Richard ­Strebel das Bild eines Holsteinischen Schäfer­hundes überliefert, der sich von einem heutigen Berger de Picardie in nichts unterscheidet, sogar die semmelgelbe bis fahlrote Farbe stimmt mit dem Hund der Picardie überein", schreibt Hans Räber über den Picardie. Der Hund, den uns Pierre Mégnin in seinem Werk von 1900 als „Französischer Schäferhund vom Schlag der Picardie" präsentiert, hat aber nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem heutigen Picardie. Im Gründungsjahr des „Klubs für Französische Schäferhunde" 1898 waren nur zwei Typen anerkannt, der Beauceron als kurzhaarige Variante und der Briard als lang- oder zotthaarige Variante. Liest man also alte Bücher und Ausstellungsberichte aufmerksam durch, muss der geneigte Leser feststellen, dass es bis Ende des 19. Jahrhunderts den Berger de Picardie, so wie wir ihn heute kennen, nicht gab.

Anfang vor 100 Jahren

Eine Linie kam erst mit Robert ­Fontaine und Tournemine in die Zucht des bisher als Bauern-, Wach- und Schmugglerhund gehaltenen Typs des Französischen Schäferhundes. Wir sind bereits im 20. Jahrhundert, genau im Jahre 1912, als Robert Fontaine „seinen" Berger de Picardie beschreibt: „Er ist ein Hund von mittlerer Größe, höchstens 60 cm hoch, seine Farbe ist entweder ein mit weißen Haaren meliertes Schwarz oder er ist dunkel gestromt …". Beide Farbschläge sind im heutigen Standard so nicht mehr vorhanden, schwarz gilt sogar als zuchtausschließender Fehler.
Erst am 21. Januar 1925, also weitere 13 ­Jahre später, erkennt der „Club Francais du Chien de berger" den Schlag der Picardie offiziell an.

Im Zweiten Weltkrieg wurden un­zählige Schäferhunde aller ­Schläge als Militärhunde verheizt. Im Jahr 1944 ist damit auch die Rasse des Berger de Picardie fast vollständig erloschen. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges macht sich Jean ­Cotté aus Amiens auf dem Lande auf die Suche nach noch vorhandenen ­Hunden des Typs Picardie und kreuzte diese mit dem Bouvier des Flandres. Lt. der vorliegenden Stammbäume gehen alle heute lebenden Picards auf die Hündin „Radjah de la Bohème" und den Rüden „Wax de la Bohème" aus der Zucht Cottés zurück. Über die Zuchtbucheintragungen der ­Hündinnen „Radjah" und „Yasmin" lässt sich eine Inzuchtlinie aus den ­Zwingern „du Clos des Ardents" und „des Hautes Chesneaux" verfolgen. Ziel schien gewesen zu sein, die ­Einheitlichkeit in der Rasse endlich herzustellen. Einige Zuchtbuch­eintragungen werden bis heute angezweifelt, ob zu Recht oder aus „zuchtpolitischen Gründen" kann ­heute nicht mehr wirklich nach­voll­zogen werden. Fakt ist, dass sich ­Mitte der 1950er Jahre die zwei Zuchtvereine, wie bei vielen anderen Rassen auch, völlig zerstritten und 1957 nur noch eine einzige Zuchtstätte übrig ist.

Zucht heute

Es kann leider nicht bestritten ­werden, dass die Population des heutigen Picardie auf einer engen Inzuchtlinie aufgebaut wurde. So wies ein 1958 im LOF (Livre des Origines Francais) eingetragener Wurf einen Inzuchtkoeffizienten von 53,12% auf. In den 1960er Jahren gelang es J­acques Sénécat im Zwinger „du Grand ­Tarsac" und Lamperts Zwinger „de la Franche Pierre" den Inzuchtkoeffizienten auf 20% zu senken. Und es wird ­weiterhin in dieser Hinsicht viel getan. ­Inzwischen gibt es gut funktionierende, länderübergreifende Netzwerke, die eine verantwortungsvolle Zucht mit gesunden Hunden betreiben.

Beliebt sind diese Hunde inzwischen auch außerhalb Frankreichs, wobei dem Picardie der Modehundstatus anderer Schäferhundrassen bisher erspart blieb. Jedoch sind die Welpenzahlen in fast allen Ländern eher wieder rückläufig. Fielen im Jahr 2009 im VDH noch 78 Welpen, waren es 2010 nur noch 58. Mit 26 Zuchtstätten ist der Picard im VDH gut ­vertreten, während es in Österreich nur einen vom ÖKV anerkannten Züchter gibt. Der erste Picardie in Österreich war 1983 die Hündin „Unique de la ­Gringauderie", die 1987 und 1989 jeweils einen Wurf brachte.

Wesen der Rasse

Als „Charmantes Raubein mit zarter Seele" werden Hunde dieser Rasse gerne beschrieben. Dickköpfigkeit und Eigensinn werden ihnen nachgesagt. Selbstverständlich ist der Picardie ein Schäferhund, ein in seiner Heimat noch immer arbeitender Gebrauchshund. Doch ob seine Erziehung wirklich wesentlich schwieriger ist als die Erziehung eines Beagles oder eines Huskys, wie es heißt, kann ­bezweifelt werden. Denn erzogen werden muss jeder Hund, egal welcher Rasse. Auch wenn man, so wie ich nun 30 Jahre, die gleichen Rassen hält, waren Lernwille, Lernfähigkeit, Dickköpfigkeit und Eigensinn immer ein ganz individueller Wesenszug eines ganz bestimmten Hundeindividuums und nicht anwendbar auf die komplette Population einer Rasse.

Hintergrund

Picard: Der Naturbursche von Karin Keisel

Auf den ersten Blick mag der ­Picardische Schäferhund nicht wie ein Rassehund erscheinen. Mit ­seinem zerzausten Äußeren und dem er­wartungsvoll lustigen Blick erinnert er eher an einen gelungenen Mischling. Am Picard ist – im Gegensatz zu ­allen anderen französischen Schäferhund­rassen – wirklich alles naturbelassen. Seine kantige Statur verkörpert den Urtyp des arbeitenden Hütehundes: kraftvoll, aber dennoch leicht und ­anmutig in der Bewegung.

Bevor man sich einen Picard anschafft, sollte man sich eingehend über diese Rasse informieren und gut abwägen, ob er wirklich zu einem passt. Es sind sehr selbständige und energische Hunde, die dazu neigen, auch mal selber zu entscheiden. Diese gewisse Eigenwilligkeit wird oftmals als ­„Dickköpfigkeit" oder „Sturheit" verstanden, sie ist aber eine typische Eigenschaft von Arbeitshunden, die in vielen Situationen beim Treiben und Bewachen der Herden selbständig – ohne den Befehl ihres Herrn abzuwarten – handeln mussten. Dieser selbständige Zug erfordert bei der Erziehung des Picard, eine gute Portion Konsequenz, Geduld, Beharrlichkeit und Einfühlungsvermögen.

Man muss dem Hund die Zeit geben (2-3 Jahre), um aus dem Junghund einen angenehmen Hausgenossen und Begleiter zu formen. Auch der Junghund muss schon lernen, sich den Wünschen seines Menschen zu ­beugen, jedoch nur mit Konsequenz, gepaart mit Freundlichkeit und Toleranz, jedoch nicht mit Gewalt. Menschen, die einen Hund nicht mit konsequenter Hand zu führen vermögen, sollten vom Picard besser die Finger lassen, weil dieser intelligente Hund sonst selbst das Ruder übernehmen würde. Der Picard lernt sehr schnell und was er kann, vergisst er nie. Er liebt seine Familie und alle, die dazu­gehören, hingebungsvoll. Er sucht ­gerne den Kontakt und ist immer ­gerne da, wo seine „Menschen" sind.

Im Haus ist er sehr angenehm, aber draußen – wenn was los ist – ent­faltet er sein Temperament. Als echter „Naturbursche" liebt er alle Aktivitäten im Freien, Wandern, Joggen, am Fahrrad Laufen usw… Zu der körperlichen Auslastung benötigt er aber auch eine gute geistige Auslastung oder einen „Job". Picards sind für viele ­Bereiche des Hundesports gut geeignet. ­Obedience, Mantrailing, Hütearbeit, Agility, Fährtenarbeit, auch als Therapiehund ist er geeignet Meine Picards waren beide schon an Schul­projekten in der Grundschule und in der Förder­schule, zum Thema „Umgang von ­Kindern mit Hunden" beteiligt. Man muss einfach ausprobieren, was ­seinem Hund liegt.

Der Picard ist auch ein ­vorzüglicher Haus- und Hofwächter, jedoch ­ohne im engeren Sinne scharf oder ­bissig zu sein. Trotz allem ist er sehr ­sensibel und reagiert auf die kleinsten Stimmungs­schwankungen und erkennt schnell Schwächen. Deswegen ist sehr wichtig ihm eine souveräne Führung zu geben.

Wer das richtige Gefühl für den ­Charakter dieser Rasse hat, findet im Picard einen Hund von selbstverständlicher Liebenswürdigkeit und Loyalität. Er hat in ihm einen echten Freund, der für seinen Menschen alles gibt.

Weitere Infos

Autorin dieses Textes:
Karin Keisel, Besitzerin von zwei ­Picards: Fedinand (Beau des toutous malins), Deckrüde und Jule (Anjulie les joies de mon coeur), betreibt eine Hundeschule (seit 1997), eine Hunde­pension und eine Praxis für Tiernaturheilkunde (seit 1989).

Fachfrau für Hütearbeit:

Ingrid Güntherdoriaguenther@gmx.net(hat 3 Hunde, davon ein nicht ­kastrierter Berger Picard-Rüde mit dem regelmäßig an Schafen ­gearbeitet wird)

Fotos:
Ursula Swiderski
Berger Picard-Zucht
„les Joies de mon Coeur" www.bergerpicard-shello.de

Service: Rasseklubs

Deutschland: Club für Französiche Hirten­hunde e.V. : www.cfh-net.deÖsterreich: Allgemeiner Hirten- und ­Hütehundeclub: www.ahhc.atSchweiz: Club Suisse du Berger Picard: www.picardclub.ch

Quellen

  • Gaston Phoebus, Livre de la Chasse (Das Buch der Jagd), 1387
  • Buffon (Georges Louis Leclerc), Natural History, 1749-1788
  • Geschichte und Beschreibung der Rassen des Hundes, Ludwig Beckmann, 1895
  • Der Hund und seine Rassen, Pierre Mégnin, 1900
  • Die deutschen Hunde und ihre Abstammung, Richard Strebel, 1903
  • Französische Hütehunde, Willi Schneider, 1999
  • Welpenstatistik, VDH, 2010
  • Enzyklopädie der Rassehunde, Hans Räber, 1993

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