Burn-out: Wenn der Hund ausbrennt

Von Regina Röttgen

Das tägliche Beschäftigungsprogramm von Hunden ist mittlerweile oft so eng gesteckt wie das ihrer Halter. Weniger menschlicher Aktionismus und mehr Selbstbestimmungsrecht täten den Vierbeinern gut, meinen Experten. Droht Hunden sonst bald der »Burn-out«?

Bei dem Wunsch, für den Hund nur das Beste zu tun, scheinen moderne Hundehalter häufig über das Ziel hinauszuschießen. »Hundeeltern sind heutzutage meist gut und mehrquellig informiert. All dieses Wissen scheint in den meisten Fällen jedoch zu mehr Unsicherheit seitens der Hundehalter beizutragen und lässt den Eifer, alles richtig machen zu wollen, zu einem Übereifer heranwachsen«, vermutet Nadine Liebert, seit über 15 Jahren als Hundetrainerin und Tierpsychologin in und um Magdeburg tätig. Aus Angst, zu wenig zu machen, würde übertrieben. »Um alles richtig zu machen, werden Wochenpläne entwickelt, wird gefördert, was zu fördern geht.« Die Action ohne Ende bleibt jedoch nicht ohne Folgen. »Oft sind es entweder unrealistische Ziele beziehungsweise zu hohe Erwartungen in die Vierbeiner, manches Mal gar in sich selbst.« Die Folge: Auf der Straße, im Stadtpark oder auch auf ihrem Trainingsgelände sieht die Hundepsychologin immer mehr stressgeplagte Vierbeiner. Sie findet die immer größer werdende Zahl an hibbeligen, verhaltensauffälligen und nervösen Hunden alarmierend. »Man kommt nicht umhin wahrzunehmen, dass auch in der Hundewelt chronische Überforderung und Erschöpfungszustände, also sogenannte »Burn-outs«, bei Hunden zu beobachten sind.«

Der angloamerikanische Begriff »Burn-out« ist relativ neu. Zum ersten Mal wurde er Anfang der 1970er-Jahre in den USA im Zusammenhang mit in Sozialberufen tätigen Personen verwendet. Als Konsequenz ihrer täglich stressigen Arbeit fühlten sich Betroffene körperlich wie seelisch chronisch erschöpft, verloren an Einfühlungsvermögen und Leistungsfähigkeit. Es fehlte ihnen an Energie und Motivation; sie hatten das Gefühl »ausgebrannt« zu sein. Es verging knapp ein halbes Jahrhundert bis das sogenannte Burn-out-Syndrom von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt wurde. Seitdem hat sich das Burn-out-Syndrom weltweit verbreitet. Die Zahl der erschöpften Menschen jeden Alters steigt stetig. »Wen wundert es, wenn jetzt auch bei Hunden darüber nachgedacht wird, ob Hunde an Burn-out leiden?«, meint Liebert. Eine direkte Brücke vom Menschen zum Hund möchte die Hundetrainerin als ehemals studierte Humanpsychologin dennoch nicht schlagen. Wissenschaftlich belegt ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Studien gibt es dazu bisher keine.

Eine der wenigen Experten, die sich bislang mit dem Thema intensiv befasst haben, ist die österreichische, ganzheitlich orientierte Hundeverhaltenstrainerin Ulrike Gerstbauer. Ihre Diplomarbeit hat die Hundeexpertin über Burn-out beim Hund verfasst und ist sich seitdem sicher, dass das Syndrom auch beim Hund auftritt. Wissen zum Thema sammelte Gerstbauer vor allem als diplomierte Sozialberaterin. Gerade in den letzten Jahren wurde sie immer öfter Zeuge, wie Menschen ausbrennen. »Der treueste Begleiter des Menschen kann sich diesem Thema somit gar nicht entziehen«, meint Gerstbauer. Die Auswirkungen seien bei den Hunden bereits deutlich in Form von Fehlverhalten sichtbar. Nach Meinung Gerstbauers würden die Bedürfnisse des Hundes einfach zu oft missachtet. »Unsere unnatürliche Umwelt samt Automatisierung, Technisierung und Enge machen es Hunden unmöglich, Angstsituationen zu bewältigen.« Es kommt zu Symptomen des Ausbrennens. »Diese zeigen sich über emotionale, verhaltensbezogene und körperliche Perspektiven wie Magen-Darm-Probleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkschmerzen, Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, Hautprobleme, Blasenprobleme und Nahrungsmittelunverträglichkeit«, zählt Gerstbauer auf. Halten die Symptome langfristig an und steigern sich vielleicht auch noch, wird laut Gerstbauer letztlich der Höhepunkt als sogenannter Burn-out erreicht.

Ganz so weit in seiner Schlussfolgerung möchte der amerikanische Ethologe und Autor Marc Bekoff nicht gehen. »Ich bin mir nicht sicher, ob Hunde wie Menschen ein Burn-out haben und ihr Leben aufgeben«, sagt der vielfach ausgezeichnete Hundeexperte. In puncto Stress teilt er allerdings Gerstbauers Meinung. »Ein Hundeleben kann sehr stressig sein.« Etwas, das zahlreichen Hundehaltern nicht bewusst sei. »Ein Hundeleben in der westlichen Gesellschaft ist von unterschiedlichen Formen und Graden an Stress geprägt. Ständig sind die Vierbeiner gezwungen, sich an die vom Menschen geprägte und dominierte Welt anzupassen.« So lernen Hunde ihr Geschäft nur dort zu verrichten, wo es ihr Halter als passend erachtet. »Um sich zu erleichtern, müssen Hunde zuerst die Aufmerksamkeit ihres Menschen erlangen und um Erlaubnis fragen, das Haus verlassen zu können.« Draußen sei die Situation nicht viel anders. »Auch dort schränken wir Hunde entweder durch Zäune oder mit einer Leine ein«, fährt Bekoff fort. Beim Futter und Spiel sei es ebenso. »Hunde fressen, was und wann wir Menschen wollen. Entscheiden sie selbst darüber, gibt es Ärger.« Selbst ihr Spielzeug sei vom Menschen ausgesucht. Müsse mal ein Möbelstück oder ein Schuh als Spielzeug herhalten, gäbe es Ärger. »Selbst wann und mit welchem Artgenossen sie spielen dürfen, ist vom menschlichen Zeitplan und Einverständnis abhängig«, hält der Ethologe das durch den Menschen bedingt stressige Hundeleben vor Augen.

Wie der Mensch,so der Hund?
Auch Liebert hält das Krankheitsbild vom Menschen nur unter Einschränkungen auf den Hund übertragbar. »Etliche Parallelen, wie unter anderem das Säugetiergehirn mit einem nahezu identischen Hormon- und Stresssystem, lassen jedoch den Schluss zu, dass sich die Gründe, Symptomatik und Prävention zumindest stark ähneln.« Die Parallelen hält sie schon für bemerkenswert. Zahlreiche unterschiedliche Symptome sorgen laut der Hundepsychologin jedoch für ein diffuses Krankheitsbild und erschweren daher einen Vergleich. »Mehr als 160 publizierte Einzelsymptome tauchen im Zusammenhang mit Burn-out beim Menschen auf.« Letztlich sei der Burn-out immer entweder auf eine körperliche oder eine seelische Erschöpfung zurückzuführen. Eine vornehmliche Rolle spiele dabei die rein subjektive Wahrnehmung. »Die Ursachen für eine Burn-out-Veranlagung liegen zum Teil in der Persönlichkeit eines Menschen und sind immer individuell zu werten. Sie gehen oft mit zahlreichen körperlichen, seelischen und psychosomatischen Symptomen einher«, erklärt Liebert und vermutet Gleiches beim Hund. »Es ist davon auszugehen, dass es auch beim Hund ähnlich verläuft.«

Deutliche Parallelen bei der menschlichen und caniden Symptomatik sind auch laut Gerstbauer unverkennbar. »Zu Beginn der Krankheit sendet der Körper sogenannte Warnsignale wie Erschöpfungsphasen, verlangsamte Aktivität des Körpers, verminderte Belastbarkeit, Stimmungsschwankungen, andauernde Müdigkeit, innere Unruhe und Nervosität aus. Die Leistungskurve von betroffenen Menschen oder Hunden sinkt plötzlich und vor allem auffällig schnell.« Ein weiteres Anzeichen beim Hund könne ständiges und exzessives Lecken sein, das in vielen Fällen zu Wunden am ganzen Körper führe. Vermutlich ein verzweifelter Versuch des Tieres, Stress abzubauen, so Gerstbauer. »Hinzu kommt, dass der Hund von Tag zu Tag unruhiger und aggressiver wird.« Im Endstadium folgen laut der Österreicherin Depression, Misstrauen, Angst und Panikattacken.

Die Wurzel liegt im durchlebten Stress, der als Dauerzustand zur chronischen Überforderung führt. Dabei ist Stress an sich erst einmal nicht schädlich. »Der Stressbegriff ist heutzutage extrem negativ geprägt. Objektiv betrachtet ist Stress die Fähigkeit der Anpassung des Individuums auf neue Situationen«, erklärt Liebert. Als natürliche Reaktion des Organismus auf bestimmte Reize oder Belastungen schütte der Körper unter Druck die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus, um ihn in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Blutdruck, Puls und Atemfrequenz stiegen an, während Magen, Darm und Haut vermindert durchblutet werden. Ursprünglich sollte dem Körper so bei kurzfristiger Bedrohung zu einer schnellstmöglichen Reaktion verholfen werden. »Früher standen Hunden bei Stresssituationen drei Strategien zur Auswahl: Angriff, Flucht oder Totstellen«, erinnert auch Gerstbauer daran, dass Stress eine überlebenswichtige Reaktion des Körpers ist. »Umweltbedingungen und Lebensweisen haben sich jedoch mittlerweile geändert. Die Stressreaktionen hingegen sind noch immer die gleichen.« Beim Abklingen solcher Belastung regenerieren sich die Körperfunktionen wieder. Kurzfristig ist Stress somit kein Problem.

Anders bei Dauerbelastung. »Folgt keine oder eine zu kurze Pause, ist das schädlich für den ganzen Organismus und führt zu psychischen und körperlichen Beschwerden«, erklärt Liebert. Hierbei ergeht es dem Hund nicht anders als dem Menschen. »Durch die ständige Stresssituation entleeren sich nach und nach die Adrenalinspeicher und die Cortisolproduktion ist über den Tag zunächst erhöht. Irgendwann ist der Organismus nicht mehr in der Lage, ausreichend Cortisol nachzubauen.« An dieser Stelle seien Menschen kurz vor dem totalen Zusammenbruch, es kommt zur völligen Erschöpfungsreaktion.

Die Liste der Stress auslösenden Faktoren ist lang
Während Unfälle, Krankheit und traumatische Erlebnisse von Haltern meist ebenso leicht als stressig eingestuft werden wie Tierheimaufenthalte, Misshandlungen oder ein ständiger Umgebungswechsel, übersehen Hundehalter nach Ansicht Gerstbauers häufig andere Stressoren. So seien Veränderungen in der Sinneswahrnehmung, ein unregelmäßiger Tagesablauf und inkonsequente Behandlung durch ihren Menschen für Hunde durchaus Stress auslösend. Zudem: Ist der Mensch selbst gestresst, überträgt sich seine Stimmung rasch auf den Hund. »Ebenfalls können sinnesbezogene Reize wie Licht, Lärm, Gerüche, Hitze und Kälte, Stress auslösen. Ferner kann übermäßiger Leistungsdruck zu Stress führen. Hierbei kann physische Überanstrengung genauso stressig für den Hund sein wie übermäßige Jagd- und Laufspiele, für den einzelnen Hund unpassende Aktivitäten oder Trainingsmethoden«, so Gerstbauer.

Für alle Faktoren gilt, dass nicht nur ein Übermaß, sondern auch der langfristige Entzug ebensolcher zum Stressor werden kann. So fehlen beispielsweise einem Welpen, der in den ersten Lebensmonaten zu wenig Umwelterfahrungen gemacht hat, bekanntlich später die notwendigen Kompetenzen, um mit neuen Situationen umgehen zu können. Hundeexperten verweisen daher stets auf das richtige Maß. »Das Entscheidende hier ist die Dosis an Stresssituationen, die für das Hundekind zu bewältigen ist. Nur so können Individuen angemessene Bewältigungsstrategien entwickeln«, sagt Liebert.

Besonders schwer tun sich allerdings viele Hundehalter, wenn es um die Grundbedürfnisse ihres Hundes geht. »Um zu verstehen, was bei Hunden diesbezüglich Stress verursacht, muss man erst einmal wissen, was zu den Grundbedürfnissen eines Hundes gehört und inwieweit diese erfüllt sind«, erläutert Liebert. Denn: »Es ist die Nichterfüllung von Bedürfnissen, die Stress auslöst!« Wie beim Menschen sind die Grundbedürfnisse des Hundes nicht wenige. Dazu gehören laut der Hundepsychologin körperliche Grundbedürfnisse, Sicherheitsbedürfnis, Bedürfnis nach sozialer Integration und Zuwendung, Individualbedürfnisse wie Lob und Freiräume für eigenständiges Handeln, kognitive Bedürfnisse wie geistige Anforderungen und letztlich auch die Möglichkeit zur Entwicklung wie Talententfaltung. Damit das enge Zusammenleben mit dem Menschen dem Hund nicht zum Verhängnis wird, appelliert Liebert zur Rücksichtnahme. »Die Betreuungsperson ist der Schlüssel, um bei dem betreffenden Hund die notwendigen Maßnahmen umzusetzen und die Balance wiederherzustellen.«

Welche Hunde sind gefährdet?
Aus Lieberts Sicht sind insbesondere leistungs- und arbeitswillige Hunde potenzielle Kandidaten für chronische Überforderung. »In sämtlichen Arbeits- und Beschäftigungsbereichen kann ein Zuviel an ungünstigen stressverursachenden Faktoren zum Ungleichgewicht führen.« Daher erachtet die Expertin nicht nur Terrier, Hüte- und Schäferhunde mit bekanntlich hohem Erregungslevel als Burn-out-gefährdet. Auch Assistenzhunden, Diensthunden, Rettungshunden, Spürhunden, Sporthunden, Besuchs- und Schulhunden sowie Therapie(begleit)hunden drohe Überforderung. Ebenfalls im Bereich der Freizeithunde, wie zum Beispiel beim Dogscooting oder Dog Triathlon oder bei Hunden aus dem Tierschutz ergeben sich nach Ansicht Lieberts rasch Probleme. Selbst Familienhunde sind bekanntlich nicht vor Stress gefeit. »Natürlich stehen diese Arbeitsbereiche nicht unter pauschalem Generalverdacht, bei Hunden Burn-out bzw. chronischen Stress zu verursachen«, räumt Liebert ein. »Allerdings kann hier eine Aneinanderreihung und Anhäufung mehrerer stress-begünstigender Faktoren die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Hunde aus diesen genannten Bereichen Verhaltensauffälligkeiten entwickeln.«

Die Krux: Hunde lieben den Kick, den sie durch Stress erhalten. »Stress ist selbstbelohnend und dadurch auch schwer abzutrainieren«, weiß Hundetrainerin Liebert. Hunde leiden unter ihren Leidenschaften. »Es ist unser Job als verantwortungsbewusster Mensch an seiner Seite, die Dosis des Gifts zu bestimmen und für Ausgleich zu sorgen.« Das Maß und die Balance seien auch hier wieder das entscheidende Zünglein an der Waage zwischen Tierschutzrelevanz und Tierliebe, zwischen chronischer Überforderung und artgerechter Auslastung.

Wie viel Aktivität ist gesund?
Ein besonderes Augenmerk sollte nach Ansicht Gerstbauers sehr aktiven Rassen gelten. »Quirlige Hunde benötigen nicht, wie üblich angenommen, noch mehr Beschäftigung, sondern Zeit zum Herunterfahren.« Bei einem Schlafpensum von 18 bis 20 Stunden pro Tag bräuchten Hunde sowieso keinen Beschäftigungsstundenplan für jeden einzelnen Wochentag. »Ruhephasen sind deshalb so wichtig, da der Hund sonst überdreht, gestresst und hibbelig wird, was wiederum unerwünschtes Verhalten zur Folge hat.« Wie viel Action ein Hund letztlich braucht, ist laut der Hundeverhaltensberaterin individuell. »Das kommt auf die Hunderasse und ihre Aufgabe für den Menschen an.« Daher hält Gerstbauer es für wichtig, sich mit der Abstammung des Hundes zu beschäftigen. »Hunde aus Arbeitslinien sind ausgeprägter in ihrem Aktivitätsbedürfnis.«

Bekoffs Meinung nach kann auch die Orientierung an Straßenhunden hilfreich sein. »Rund 85 Prozent, also rund 700 bis 800 Millionen Hunde weltweit leben selbstbestimmt ohne einen Besitzer.« Obwohl auch diese an eine vom Menschen geprägte Umwelt angepasst leben müssten, seien sie dennoch weitaus weniger gestresst als unsere Haushunde. »Eine Studie über Hunde im indischen Bangalore brachte ans Licht, dass die Hunde keine Anzeichen von erhöhtem Stress zeigen.« Zu ähnlichen Ergebnissen sei eine Studie über frei lebende Hunde in Bali gekommen. »Unsere Haushunde leben ein stressiges Leben«, lautet daher Bekoffs Fazit. Allein der Kontrollverlust über die Selbstbestimmung könne für Hunde Stress bedeuten.

Wie kann geholfen werden?
Durch all die Vorgaben vonseiten des Menschen – die Sport- und Förderprogramme – kommen die Grundbedürfnisse meist leider zu kurz. »Das hat gravierende Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung unserer Hunde«, so Liebert. Habe ein Hund bis zur Pubertät nicht gelernt, sich selbst zu regulieren, zu entspannen und ausreichend zu ruhen, sei das Resultat nicht selten völlig hibbelige und überdrehte Hunde. Ist der Hund bereits im Dauerstress, muss laut Liebert Ursachenforschung betrieben werden. Es gilt herauszufinden, wie man dem Hund helfen kann, besser mit seiner Umwelt klarzukommen. »Einfühlungsvermögen und Respekt sind die wichtigsten Faktoren, um Unsicherheiten zu bekämpfen. Professionelle Unterstützung ist hierbei oft der richtige Schritt, um alte, möglicherweise destruktive Verhaltensmuster aufzudecken und neue zu etablieren.« Liebert sieht sich und Kollegen hier ebenfalls in die Pflicht genommen. »Mit einem wohlwollenden Blick auf Hund und Halter sollten wir mögliche Stressoren benennen, Teambildung stärken, mit einer undogmatischen und fehlerfreundlichen Sichtweise realistische Ziele setzen, das wirklich ­Positive für jedes Team empfehlen, die eigene Arbeitsweise reflektieren und eigene Glaubenssätze hinterfragen.«

Ganz nach dem Motto »weniger ist mehr« rät Liebert frühzeitig zu Ruhe-Übungen und dem Erfüllen der Grundbedürfnisse, wobei das Schlaf- und Ruhebedürfnis nie vergessen werden darf. »Halter sollten Verantwortung übernehmen, Sicherheit geben und Heimathafen für ihren Hund sein.« Dann fällt es auch dem Hund leichter, Krisen zu bewältigen. Gerstbauer rät Hundehaltern, hierzu am besten die Sprache der Hunde zu lernen. »Sonst werden Halter und Halterinnen die Grundbedürfnisse beziehungsweise das Befinden des Hundes nicht verstehen.« Eine gute Kommunikation kann auf beiden Seiten der Leine viel Stress ersparen.

Checklist

Mögliche Anzeichen für ein drohendes Burn-out bzw. chronische Überforderung
(nach Nadine Liebert)

Verhaltensweisen:
• Innerliche und äußerliche Unruhe, Hyperaktivität
• Reizbarkeit bis hin zu aggressivem Verhalten
• Erhöhte Schreckhaftigkeit
• Übermäßige Reaktivität/Überreaktionen auf beiläufige Ereignisse
• Zunehmende Ungeduld und mangelnde Impulskontrolle
• Innere Unruhe und Nervosität
• Appetitmangel/Verweigern von Keksen und/oder Fressattacken
• Stimmungsschwankungen (gereizt/aggressiv/depressiv)
• Konzentrationsmangel, mangelnde Ansprechbarkeit
• Schnelle Erschöpfung und verminderte Belastbarkeit
• Übermäßiges Schlafbedürfnis, andauernde Müdigkeit bzw. Einschlafstörung
• Häufiges Erkranken (z.B. Infektionen)
• Verlangsamte Aktivität des Körpers
• Übersprungverhalten
• Mobbing
• Soziales Konfliktvermeideverhalten
• Verwirrtheit
• Schock, Trauma
• Zerkauen/Zerstören von Gegenständen
• Exzessive Körperpflege (übertriebenes Putzverhalten, besonders an den Pfoten, Flanken und Genitalien, manchmal bis zum Wundlecken)
• Andauerndes Ablecken des Bodens (oft Teppich)
• Stereotypien wie Rute fangen, im Kreis drehen
• Fixierung auf Dinge (Stofftiere, Schuhe des Herrchens od. Frauchens)
• Zwangsverhalten (Stereotypien wie Schwanzjagen, Bellen, Steine fressen, Buddeln, Wälzen)

Körperliche Anzeichen:
• Hochfrequentes, angestrengtes Stresshecheln, wobei der Maulspalt wie zu einem Grinsen zurückgezogen ist.
• Rote Augen
• Blaue Zunge
• Weißer, zäher Speichel
• Aufblasen der Backen
• Schuppen, Fellveränderungen, stumpfes oder fettiges Fell
• Zittern
• Gähnen
• Schütteln
• Strecken
• Rute eingeklemmt/steif
• Dauerwedeln der Rute
• Geduckte Körperhaltung
• Ohren eingeklappt/zurückgezogen
• Schlecken über die Nase
• Angespannter Körper/ Körpersteifheit
• Körper- und/oder Mundgeruch
• Allergien und Hautprobleme
• Häufigeres Urinieren als gewöhnlich
• Schweißpfoten

Luna – chronisch überfordert

Dank einer Tierschutzorganisation landet die mittelgroße Mischlingshündin Luna bei der jungen Sozialarbeitsstudentin Lisa. Luna wird als zurückhaltende, schüchterne Hündin beschrieben, die sich schnell ihrer Hauptbezugsperson anschließt, ihre Vorgeschichte ist jedoch unbekannt. Lisa fasst den Entschluss mit ihrer Hündin eine Ausbildung als Schulhund zu absolvieren. Der Eignungstest ist schnell gemacht, es geht los mit der Ausbildung. Ständige Hotspots und eine Leckdermatitis erfordern häufige Besuche beim Tierarzt. Doch Luna meidet fremde Personen. Spaziergänge im Wald findet sie großartig, in der Stadt hingegen ist sie unkonzentriert, nicht ansprechbar, sie zerrt an der Leine und nimmt keine Leckerchen. Umso ehrgeiziger trainiert Lisa in jeder freien Minute mit Luna nach den Vorgaben ihrer Hundeschule in der Stadt, denn daran soll sie sich ja gewöhnen. Die Spaziergänge werden zum Spießrutenlauf, denn nun mag Luna auch keine Hunde und Kinder mehr. Mit all dem arrangiert sich Lisa, indem sie solche Situationen meidet, besucht sie doch eine Hundeschule. Als es zu einem Beißvorfall kommt, wird sie skeptisch. Bei Nadine Liebert holt Lisa eine zweite Meinung ein. »Luna ist zu dem Zeitpunkt seit 1,5 Jahren bei Lisa. Während des Anamnesegesprächs legte sich Luna nur einmal kurz von allein hin, sie starrte starr vor sich, hechelte stark – kurz – sie war ein untergewichtiges Nervenbündel.«

Liebert entwickelt einen auf Lunas Bedürfnisse zugeschnittenen Tages- und Trainingsplan mit Empfehlungen für Entspannung, Vertrauensaufbau und Regeneration. »Eine feste Tagesstruktur mit vielen Schlaf- und Ruhephasen wurde geschaffen, Kuscheleinheiten etabliert und ein Ruheritual entwickelt.« Nach einem halben Jahr geht es Luna wieder gut. Fremde Menschen sind ihr inzwischen egal, vor Kindern hat sie keine Angst mehr, Artgenossen findet sie wieder interessant. Ihre Karriere als Schulhund jedoch wurde an den Nagel gehängt.

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