Prof. Dr. Achim Gruber ist Tierpathologe und hat dadurch einen sehr guten Einblick in die Todesursachen vieler Tiere. In seiner Laufbahn hatte er auch schon zahlreiche sogenannte Qualzuchten auf seinem Tisch. Wie in Krimis hat auch Prof. Gruber schnell einen Verdacht, wer der oder die Täter sein könnten. Der Täter ist der Mensch, stellt er gleich im ersten Kapitel seines neuen Buches „Geschundene Gefährten“ fest. Als Tierarzt und Pathologe ist er täglich mit diesem Tierleid – und dem unnötigen Sterben – konfrontiert. Die weitreichenden Fehlentwicklungen in der Haustierzucht haben ihn veranlasst, dieses Buch zu schreiben.
Argumente wie „das sei rassetypisch normal“, „von Natur aus gegeben“ oder gar „tausendjähriges Kulturgut“ kann Gruber nicht mehr hören. Ja, sie sind lieb, sie sind knuffig und sie sind krank. Von Geburt an ihr Leben lang. Dabei ist die Krankzucht-Problematik weiter verbreitet, als wir es äußerlich sehen. Sei es der hübsche Dalmatiner, von dem viele Exemplare taub sind, oder den Australian Shepherd mit dem Merle-Gen. Die Liste der krankgezüchteten Rassen ist unendlich lang – bis hin zum Zwergen- und Riesen-Wuchs.
Gruber ist sich sicher, dass wir uns gerade in einer zeitlich eng begrenzten Phase befinden, in der Weichen für die Zukunft unserer Hunde gestellt werden können – oder eben nicht. Sozusagen ein Handlungsrahmen für entscheidende Manöver. Dieses Zeitfenster ist gerade im Begriff, sich zu schließen. Wir können jetzt das Ruder herumreißen oder weiterhin nichts tun. Für diesen Fall hat Gruber gleich einen tristen Blick ins Jahr 2050 geworfen, wo es vielleicht nur mehr lebensfähige Hunde aus dem Genlabor oder geklont gibt.
Ein Kapitel des Buches beginnt mit einem Zitat von Anaïs Nin: „Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind.“ Genau so ist es bei den meisten Haltern von Rassehunden. Der Klassiker: Man spricht den Mops-Besitzer auf das Röcheln seines Hundes an und dieser erwidert, dass der Hund doch gar nicht röchle. Unangenehme Tatsachen werden ausgeblendet. Auch ein interessanter Aspekt von Gruber: Nicht nur wir Menschen prägen unsere Hunde, auch unsere Hunde prägen uns. Und zwar so stark, dass wir einer bestimmten Rasse „verfallen“ können und alle Nebenerscheinungen tatenlos zur Kenntnis nehmen. Krankheit, Leiden, Atemnot. Weil wir sie so lieben.
Gruber geht mit den Verantwortlichen für die Rassestandards hart ins Gericht und drückt das so aus: „Hier ist das Unglück der Hunde bis heute schriftlich verordnet.“ Natürlich könnte man jetzt sagen, dass sich die Züchter ja nur an die Rassestandards halten, aber mit einem gewissen Maß an Eigenverantwortung kann man den Rassestandard so oder so auslegen. Als Pathologe liest er zwischen den Zeilen der Standards „systematische Erzeugung von Hundeleid“ heraus. Muss man hier also ansetzen? Verstehen das die Züchter, wenn die Nase der Französischen Bulldogge plötzlich statt einem Sechstel der Kopflänge ein Drittel der Kopflänge lang sein soll? Einkreuzungsprojekte werden in den meisten Fällen von den verantwortlichen Rasseklubs unterbunden bzw. sogar mit Zuchtausschluss gedroht. Selbst engagierte Züchter haben hier oft keine Chance.
Inzucht, die zweite Todsünde in der Hundezucht – so Prof. Dr. Achim Gruber. Einerseits war und ist Inzucht das praktische Mittel, erwünschte Merkmale in einer Rasse hervorzubringen und zu festigen. Andererseits werden damit auch damit einhergehende Defekte in einer Rasse gefestigt. Das Inzuchtniveau steigt und der Genpool verarmt. Auffrischungen durch Einkreuzungen sind nach wie vor unerwünscht. Die „Supervererber“ – als Paradebeispiel ist hier der Deutsche Schäferhund zu nennen – verbreiten ihre Gene mittels Tiefkühlsperma und künstlicher Befruchtung weltweit. Und wenn ein Sohn eines Supervererbers selber ein gefragter Champion wird und seine Gene hundertfach weitergibt, zieht sich die „Gen-Schlinge“ immer enger. Wir stehen mit dieser Problematik eigentlich schon 5 nach 12. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Verantwortlichen jetzt endlich die Augen öffnen und reagieren.
Gibt es noch einen Ausweg aus dieser Misere? Professor Gruber hat in seinem Buch viele interessante Ansätze, wie der Rassehund aus dieser Sackgasse wieder herauskommt. Umsetzen müssen diese Schritte aber die Verantwortlichen: Zuchtverbände, Rasseklubs und schlussendlich die Züchter. Eine oft unerwähnte Tatsache aber ist, dass der Rassestandard vom Ursprungsland der Rasse erstellt bzw. vorgegeben wird und andere Landes-Zuchtverbände nur bedingt auf den Rassestandard Einfluss nehmen können. Die Auslegung des Standards hingegen kann sehr wohl von Ausstellungsrichtern in die eine oder andere Richtung gelenkt werden.
Hier liegt ein hoch spannendes und interessant geschriebenes Buch vor uns. Es ist keineswegs nur für Züchter und Kynologen, ganz im Gegenteil – jeder, der sich mit Rassehunden beschäftigt oder einen hält, sollte dieses Buch lesen. Achtung, es könnte die Entscheidung bei der Auswahl Ihres nächsten Hundes beeinflussen und vielleicht sogar den Blick auf Ihren Hund verändern …
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