Um die Rückkehr des Wolfs in unseren Breiten hat sich in den vergangenen Jahren eine höchst agile Diskussion entwickelt – von den Stammtischen bis in die Wissenschaft hinein. Der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal vermisst in seinem neuen Buch „Der Wolf und wir“ diese neue Beziehungskiste sehr genau. Dabei stellt er klar, wie uns das beutegreiferische Comeback den eigenen verqueren Blick auf das Leben und die Umwelt vor Augen führt – wenn wir das denn sehen wollen.
Vor allem der alpenländische Umgang mit der Rückkehr der vielfach ebenso geschätzten wie gefürchteten Tiere lässt den Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums (Wolf Science Center, WSC) in Ernstbrunn (NÖ) merklich zweifeln. Das lässt der international renommierte Biologe und Wolfsexperte gleich an mehreren Stellen deutlich durchblicken. Während in nördlicheren Gefilden Deutschlands seit rund 20 Jahren das Comeback mehr oder weniger unbehelligt, EU-regelkonform und erstaunlich friktionsarm vor sich geht, ist das Bild im Süden Deutschlands, in nahezu ganz Österreich und Südtirol komplett anders.
Dies zu ergründen kostet Kotrschal auf mehr als 200 Buchseiten auch mehr als nur einen Anlauf, was stellenweise dazu führt, dass dem Leser einige Argumentationslinien bald geläufig werden. Tatsächlich konnte sich der Wolf abseits Bayerns, Österreichs und Südtirols nahezu mühelos wieder festsetzen – erstmals seit rund 150 Jahren. Dass dem hierzulande anders ist, ist bei weitem nicht nur „Verwechslungen“ mit streunenden Haushunden durch Vertreter der Jägerschaft geschuldet. Wie sehr das Hintanhalten System hat, treibt Kotrschal merklich die Zornesröte ins Gesicht.
Und wie könnte es bei dem Autor, der sich 2019 in „Mensch“ und 2020 in „Sind wir Menschen noch zu retten?“ recht gesellschaftskritisch unserer Spezies angenähert hat, auch anders sein, kommt die humane Weltsicht in der Auseinandersetzung um den Wolf meist nicht gut weg. Dabei verhehlt der Wissenschafter nicht, dass er die höchst sozialen Tieren nicht unbedingt forscherisch distanziert betrachtet. Das entspricht auch nicht dem wissenschaftlichen Ethos Kotrschals, der mit dem Team am WSC für viele erstaunliche Einblicke in das Verhalten und die Wahrnehmung von Wölfen und Hunden gesorgt hat, die er dem Leser auch näher bringt.
Letztlich sieht er den Wolf auch als „Symbol für die längst fällige ökologische Wende“. Warum, erklärt der Wissenschafter nachvollziehbar und mit großer, aber leider gebührlicher Drastik:
„Mit teueren Elektroautos Supermärkte aufzusuchen, um dort billige Lebensmittel einzukaufen, hat keine Zukunft – und gefährdet die der großen Beutegreifer.“
Inwieweit sich Hund und Wolf ähneln oder unterscheiden bzw.
inwiefern die Rückkehr letzterer Chancen bietet – wie schon der Buchuntertitel verheißt – schildert Kotrschal ebenso einleuchtend.
Warum das bei weitem nicht überall so gesehen wird, jedoch auch.
Schließlich gelingt es dem Forscher, über das mehr als 35.000 Jahre anhaltende Beziehungsdreieck zwischen Mensch, Hund und Wolf die großen Fragen unserer Zeit zu adressieren.
So bleibt eine der Erkenntnisse aus dem Buch, dass für Menschen auf der Suche nach dem vermeintlich „Wölfischen“ mitunter ein Blick in den Spiegel lohnender ist als eine ausgedehnte Suche nach dem scheuen grauen Beutegreifer in den tiefsten Wäldern. Zu finden ist er dort zumindest in unseren Breiten so und so nahezu nicht – dafür sorgt das hiesige Mindset bisher äußerst verlässlich. (Quelle: APA)
„Der Wolf und wir. Wie aus ihm unser erstes Haustier wurde – und warum seine Rückkehr Chancen bietet“. Brandstätter Verlag, 240 Seiten, 25 Euro