Brustgeschirre: ­Umdenken erforderlich

Brustgeschirr ist nicht gleich Brustgeschirr. Es gibt ­verschiedene Modelle für verschiedene Bedürfnisse. Halsband bzw. Brust­geschirr haben eine große Bedeutung für die Bewegung und damit auch das Verhalten unserer ­Hunde. In dieser Ausgabe lesen Sie den zweiten Teil eines umfassenden Artikels von Tina Müller und ­Heike ­Hillebrand über die neuen Erkenntnisse zum hundlichen Gangapparat und ihre Anwendung auf die Auswahl von Brustgeschirren.

Überblick
Teil 1 – in Heft 11/2012

1) Halsband bzw. schlecht sitzendes vs. angepasstes, qualitativ gutes Geschirr in Hinblick auf psychische/physische Folgen.

2) Zusammenfassung der „Jenaer Studie" und ihre Konsequenzen in Bezug auf Geschirre.

3) Was zeichnet ein hochwertiges Geschirr aus? Materialien und Passform.

Teil 2 – in diesem Heft

4) Wie ermittle ich die „Konfektionsgröße" meines Hundes – Messpunkte und Tipps zum Vermessen.

5) Gängige Geschirrformen, ihre Einsatzbereiche und Vor- bzw. Nachteile.

6) „Trainingsprotokolle" darüber, wie wir unsere eigenen Hunde an ein neues Geschirr heran „trainiert" haben.

Wie ermittle ich die „Konfektionsgröße" meines Hundes? Messpunkte und Tipps zum Vermessen
Geschirre unterschiedlicher Hersteller haben unterschiedliche Größenan­gaben. Wenn unserem Hund ein Geschirr von Hersteller „X" in der Größe „M" passt, sagt das leider nichts darüber aus, ob das auch für ein Geschirr der gleichen Größe von Hersteller „Y" zutrifft. Viele Hersteller haben aber Maßtabellen und geben bestimmte Messpunkte am Hund vor, um die passende Größe für den eigenen Hund herauszufinden. Es ist daher wichtig, den Hund vorher genau zu vermessen. Am einfachsten lässt sich das natürlich über ein Schneidermaßband bewerkstelligen. Wer jedoch kein flexibles Maßband zur Verfügung hat, für den reicht auch ein stabiler Faden o. ä. und ein Zollstock bzw. ein Lineal.

Man legt den Faden z.B. um den Hals an den vom Hersteller ­vorgegebenen Messpunkten und markiert sich den Punkt mit einem Knoten, wo sich Fadenende und Faden wieder treffen. Danach legt man den Faden am Zollstock an und notiert sich die Länge des Fadens. In unserem Bild haben wir mittels eines roten Strichs die ­gängigsten Messpunkte eingezeichnet und bezeichnet. Sollte Ihr Hund mit seinen Körpermaßen genau zwischen zwei Größen liegen, hilft es manchmal, mit dem Hersteller Kontakt aufzunehmen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Es gibt mittlerweile auch sehr gute, bezahlbare Angebote im Internet, bei denen ein Geschirr für den eigenen Hund maßgeschneidert genäht wird. Die wichtigsten Faktoren sind (siehe Foto):

– Halsumfang
– Brustumfang
– Bruststeg zwischen den Vorder­beinen
– Rückensteg
– Brustumfang für Sicherheits­geschirre
– Rückenlänge vom Hals- bis zum Rutenansatz

Geschirrarten und Verwendungen
Es gibt viele verschiedene Geschirre mit unterschiedlichen Funktionen und Formen. Im Folgenden werden die gängigsten Geschirrarten vorgestellt.

Norwegergeschirr
Das sogenannte Norwegergeschirr besteht aus einem Gurt, der vorne waagrecht über der Brust verläuft, von dort nach hinten führt, und einem Bauchgurt. Diese Geschirrform hat oftmals noch einen zusätzlichen Griff, damit der jeweilige Hundeführer einfacher ins Geschirr greifen kann, wenn dies notwendig werden sollte. Dieses Geschirr hat folgende Vorteile:

– Es kann schneller an- bzw. ausgezogen werden.
– Empfindliche Hunde tolerieren es besser, weil der Steg zwischen den Beinen fehlt.
– Es ist eine Alternative bei gesundheitlichen Problemen des Hundes, die ein anderes Geschirr nicht zu­lassen, weil dort die ­Gurte ­eventuell ungünstig liegen. ­(Beispiel ­frische OP-Narbe, Prellung, Umfangsvermehrungen etc.).

Nachteile dieser Geschirrform:
– Es gelingt dem Hund relativ leicht, sich aus dem Geschirr zu winden.
– Durch seine Form sind zu wenig Verstellmöglichkeiten vorhanden, um es dem einzelnen Hund optimal anzupassen.
– Durch seine besondere Bauart ist (Brustgurt + Bauchgurt) weniger Halt am Hundekörper vorhanden und es kann schneller verrutschen.
– Der Brustgurt sitzt bei vielen ­Hunden sehr ungünstig: Er liegt ­oftmals direkt auf den Schulter­blättern und schränkt den Hund in der Be­wegung ein, daher ist es ­weniger geeignet, den Hund damit an der Leine zu führen.
– Der Bauchgurt sitzt, gerade bei Herstellern eines Brustgurts ohne Verstellmöglichkeit, zu weit vorne und schneidet daher in den Achseln ein.

Sattelgeschirre
Die Sattelgeschirre sind von der Form her „Norwegergeschirre", allerdings mit der Besonderheit, dass sie eine sattelartige Rückenplatte aufweisen. Die Vor- und Nachteile sind ähnlich wie bei den einfachen Norweger­geschirren. Allerdings spricht der, je nach Hersteller teilweise schwere, unflexible Sattel häufig gegen dieses Geschirr, denn er liegt oftmals auf den Schulterblättern auf und schränkt den Hund in der Bewegung ein. Zudem staut sich unter dem Sattel je nach Wetter Wärme oder Nässe, was weder gesund noch angenehm ist. Hunde mit längerem Fell bilden unter dem Sattel gerne Verfilzungen oder die Fellstruktur wird zerstört.

Führgeschirre
Führgeschirre gibt es in ­verschiedenen Ausführungen. Eine einfache Ausführung ist die sogenannte T-Form (T-Form, weil das angezogene Geschirr von oben betrachtet aussieht wie ein „T"). Es hat eine Halsung, einen Steg zwischen den Beinen, einen Rückensteg und einen Bauchgurt. Einige T-Geschirre haben zusätzlich zu dem Ring auf dem Rücken noch einen weiteren vorne auf der Brust zwischen Halsung und Beinsteg oder im Nackenbereich, um dort die Leine einzuklinken.
Die Vorteile eines Führgeschirres:

– Die meisten Hunde können es ohne Einschränkungen des Bewegungsapparates tragen.
– Die meisten sind mehrfach verstellbar, um es dem eigenen Hund optimal anzupassen.
– Es eignet sich zum Führen an der Leine, zum Fahrradfahren, im Freilauf und an der Schleppleine.

Ebenfalls eine abgewandelte Form des Führgeschirrs ist ein Geschirr, dessen Bauchgurt in einer schrägen Linie vom Bauchsteg zum Rückensteg verläuft. Diese schräge Form hat folgende Vorteile:

– Sowohl die Schulterblätter als auch die Schultergelenke werden nicht belastet oder eingeschränkt.
– Der Druck beim Führen an der Leine wird anders verteilt.
– Es ist ein gutes Alternativgeschirr, damit Ihr Hund nicht tagtäglich das gleiche Geschirr trägt und immer an denselben Druckpunkten belastet wird.

Die oben beschriebenen Führgeschirre gibt es auch, anstatt in einer T-Form, mit auf dem Rücken überkreuzten Gurten (wie ein „X"). Diese Geschirre haben die gleichen Vorteile wie ein einfaches T-Geschirr. Sie verteilen den Druck, der über die Leine entsteht aber etwas anders auf den Hundekörper. Die Kreuzung der ­Gurte gibt es auch unter der Brust des Hundes. Sie werden oft angewandt, wenn der Hund einen sehr schmalen, ­spitzen Brustkorb hat oder weil ein einzelner Gurt dort nicht gut sitzen würde und der Druck ungünstiger verteilt würde. Eine Kreuzung unter der Brust kann bei dieser Anatomie der Brust sehr gut für Abhilfe sorgen.

Sicherheitsgeschirre
Natürlich gibt es noch absolute Spezial­geschirre, wie z.B. ein „Sicherheitsgeschirr". Diese Geschirre haben die gleichen Vorteile wie die Führgeschirre, allerdings sind sie speziell für Hunde entworfen worden, die besonders gesichert werden müssen. Das sind oftmals Hunde, die ent­weder wirkliche „Ausbrecherkönige" sind oder draußen Angst haben und beim Erschrecken in Panik versuchen zu fliehen. Damit diese Hunde nicht einfach aus dem Geschirr ­aussteigen können, hat es als zusätzliche Sicherung einen zweiten Bauchgurt ­hinter dem üblichen Bauchgurt. Diese Geschirre sind meistens Sonderanfertigungen, da der Hund dazu ganz genau vermessen werden muss, die speziellen Messpunkte und Fragen beantworten die jeweiligen Hersteller.

Eine weitere Spezialgeschirrform sind „Zuggeschirre", wie z.B.: „X-Back" oder „H- Back". Sie wurden für die Zugarbeit mit Hunden entwickelt, ob vor dem Schlitten, Roller, Zug­wagen, Trike, Bollerwagen, Fahrrad etc. Bei diesen Geschirren wurde ­darauf geachtet, dass die Leine, die vom Geschirr bzw. Hund wegführt, ­waagrecht auf Höhe des Hunde­rückens liegt, um möglichst viel Zugkraft zu entwickeln und den Druck möglichst über den Hundekörper abzuleiten bzw. zu verteilen. Aufgrund der besonderen Sitzform wäre es ungesund für den Hund, die Leine oberhalb der Rückenlinie des Hundes zu haben, wie dies bei einem Führ­geschirr der Fall ist.

Halsbänder
Bleiben noch ein paar kurze Sätze zu Halsungen bzw. Halsbändern als Sicherung des Hundes zu sagen. Wenn man ein Halsband verwenden muss, weil es eine Erkrankung des Hundes verlangt, der Hund im Freilauf mit Artgenossen toben darf oder er schwimmen möchte, sollte das Halsband immer mindestens so breit wie zwei Halswirbel und gut gepolstert sein. Selbstverständlich reden wir hier über ganz normale Halsungen, die verstellbar sind und über einen Verschluss (Schnalle/Steckverschluss) geschlossen werden. Trägt der Hund ein Halsband, verbietet es sich:

– ihn in der Kombination Halsband und Schleppleine/Flexileine zu führen,
– den Hund am Halsband anzubinden bzw. zu sichern (z.B. im Auto),
– jedwede Form der Zugarbeit inkl. Fahrradfahren.


Trainingsprotokoll – wie wir ­unsere eigenen Hunde an ein neues Geschirr heran „trainiert" haben
Nicht wenige Hunde haben Angst und zeigen ein deutliches Meideverhalten, wenn ihr Halter ihnen ein Geschirr anlegen möchte. Einigen genügt allein der Anblick des ungeliebten oder unbekannten Geschirrs, um Ver­haltensweisen von Verstecken, Einfrieren, Versteifen, Zittern, Knurren, Gähnen, Schütteln, Züngeln, Auf den Rücken legen etc. hervorzurufen. Die Ursachen dieser Verhaltensweisen sind vielfältig und von Hund zu Hund verschieden.

Zeigt ein Hund ähnliche bzw. auffällige Verhaltensweisen, gilt es zu unterscheiden, was genau ihm solche Probleme macht- das Anziehen des Geschirrs, das Tragen eines Geschirrs, das Laufen mit dem Geschirr oder vielleicht eine Mischung aus allem. Hat Ihr Hund derartige Probleme mit dem Geschirr, ist es besser, sich je nach Ursache die angezeigte professionelle Hilfe zu holen, wie bspw. einen Physio­therapeuten, Tierarzt oder Verhaltenstherapeuten. Wieso Physiothera­peut bzw. Tierarzt? Es könnte sein, dass ein Hund aufgrund medizinischer Probleme, z.B. Schmerzen im Rücken- Lendenwirbelbereich, sein Geschirr nicht tragen kann. Diese medizinisch indizierten Probleme müssen dringend abgeklärt und gelöst werden, natürlich unabhängig davon, ob er ein Geschirr tragen soll oder nicht.

Als Trainerinnen, mit dem Anspruch professionell und seriös zu arbeiten, finden wir es beide extrem schwierig, eine Art allgemeingültiges „Rezept" zum positiven Auftrainieren von unbekannten Gegenständen hier vorzustellen. Ferndiagnosen verbieten sich uns von selbst, aber wir möchten hier darauf hinweisen, dass es wichtig ist, Hunde nicht einfach mit etwas Neuem zu überfallen und zu erwarten, dass sie dies tolerieren oder toll finden. Grundsätzlich sollte immer gelten, dass neue, unbekannte Dinge stets in kleinen Schritten, positiv und dem Befinden des eigenen Hundes angepasst, auftrainiert werden sollten.

Wir wollen uns aber auch nicht ­völlig aus der Verantwortung nehmen und beschreiben daher, wie wir jeweils bei unseren eigenen Hunden in dieser Situation vorgegangen sind (siehe Kästen). Beide Hunde zeigten sich jeweils gegenüber dem neuen Geschirr und speziell dem Anziehen, teilweise Tragen des Geschirrs, sehr skeptisch, um es sehr freundlich zu umschreiben. Wir haben beide un­abhängig voneinander ähnlich trainiert, allerdings zeigte Kimba auf Grund gesundheitlicher Probleme eine stärkere Reaktion auf das Geschirr als Tricky, daher begann Kimbas Training noch einige Schritte früher als das mit Tricky.

Dieser Trainingsansatz, das Geschirr unseren Hunden positiv aufzu­trainieren, mag dem Einen oder Anderen etwas aufwendig anmuten. Im Hinblick auf die Vorteile, die ein gut sitzendes Geschirr im Gegensatz zu Halsbändern aufweist, lohnt sich dieser Aufwand in doppelter Hinsicht. Das positive Auftrainieren schützt die Psyche des Hundes und das Geschirr schützt die Physis des Hundes – für uns eine klare Win-Win Situation.

Trainingsprotokoll Tina Müller

Kimba und das Brustgeschirr
Kimba reagierte auf jedes Geschirr gleich. Sobald das Geschirr in Sichtweite war, zeigte sie Meideverhalten und zog sich sehr schnell zurück. Das Problem war hauptsächlich, das Geschirr anzuziehen, speziell, den Kopf durch die Halsung zu stecken. Das Laufen war am Anfang auch ein wenig ein Problem, aber das Hauptproblem lag beim Anziehen. Nur alleine das Holen des Geschirres rief bei ihr schon Anzeichen von Angst­verhalten hervor. Kimbas Angst sieht man deutlich an den Ohren und an ihrer ­Körperhaltung. Zudem zittert sie, flüchtet, krümmt sich auf, fängt an zu hecheln und ­blinzeln mit abgewendetem Kopf. Hört die ­Bedrohung nicht auf, flüchtet sie. Ist das nicht möglich, knurrt sie oder fällt in erlernte Hilflosigkeit, je nach Tagesform und Gesundheitszustand. Dieses Verhalten mit der dahinter liegenden Emotion baut Vertrauen ab und der Hund lebt mit einer ständigen Erwartungsunsicherheit. Dieses Gefühl ist für den Hund schrecklich, und ich würde alles tun, um es in unserer Beziehung zu vermeiden.

Das Geschirrtraining bei meiner ­Hündin Kimba habe ich daher so positiv wie möglich mittels Markertraining auf­trainiert.

■ Ich legte das Geschirr in Abwesenheit von Kimba im Raum ab, allerdings nicht an einem Platz, den sie als angenehm bzw. gut empfand. Sie hätte ihn dann vielleicht gemieden. Damit keine derartigen Fehlverknüpfungen entstehen konnten, legte ich es erst mal weit weg in eine Ecke.

■ Kimba wurde nie gelockt, um sich dem Geschirr zu nähern. Dies hätte den ­Konflikt für sie nur erhöht und die ­Problematik verschärft.

■ Das Geschirr wurde an verschiedene Plätze gelegt, Schritt für Schritt und von Tag zu Tag immer weiter in den Raum hinein. Es wurde immer so ausgelegt, dass sie sich nicht im unmittelbaren Umfeld gestört bzw. bedroht fühlte oder Meideverhalten zeigte.

■ Parallel zu diesen Trainingseinheiten nahm ich das Geschirr, setzte mich auf den Boden, legte es etwas entfernt von mir auf den Boden und wartete, was ­passiert. Sobald Kimba einen Blick in Richtung Geschirr warf, markerte ich dieses Verhalten und belohnte mit Futter. Dabei war es hier wichtig, die Belohnung vom Geschirr und mir weg zu geben, weil das zusätzliche Entfernen/Abwenden vom Geschirr für sie ebenfalls verstärkend wirkte.

■ Jede Annäherung wurde ebenso gemarkert. Über das „Freie Formen"­ ­wurde so lange trainiert, bis sie das Geschirr freiwillig anstupsen konnte.

■ Danach durfte Kimba es in den Fang nehmen, tragen und bringen. ­Bringen, Tragen, Anstupsen wurden immer gemarkert und belohnt, und sie hatte immer die Option, sich zurückzuziehen.

■ Nach diesem Schritt hatte ich das Geschirr bei ganz alltäglichen Verrichtungen, wie Putzen, Kochen usw., ­ständig bei mir und lobte Kimba für ruhiges und entspanntes Verhalten. Auch beim Spaziergang hatten wir das Geschirr für Kimba sichtbar immer mit dabei. Die Voraussetzung dafür war natürlich, dass der Anblick und das Vorbeigehen am Geschirr für sie keinen Stress mehr bedeutete.

■ Nun trainierten wir das eigentliche Anziehen des Geschirrs. Da das Halten des Geschirres erst mal die Voraussetzung fürs Anziehen war, begann ich natürlich damit.

■ Das Anziehen baute ich wieder über „Freies Formen" auf, ähnlich wie oben beschrieben: Geschirr in die Hand nehmen und geduldig abwarten, was passiert. Jeder Blick, Anstupsen, An­näherung, etc., wurden gemarkert und die Belohnung gab es, wie gehabt, vom Geschirr weg.

■ Als Nächstes trainierten wir, mit Hilfe des 2 Finger-Touches an der Geschirröffnung. Zunächst führte ich jedoch die Hand von hinten durch das Geschirr, Kimba entgegen, so dass Kimba meine Finger außerhalb des Geschirrs berühren konnte. Dann arbeiteten wir uns mehr und mehr in Richtung Halsung, bis Kimba ihren Kopf durch die Öffnung gesteckt hatte. Auch bei dieser Übung gab es die Belohnung vom Geschirr weg. Teilweise unterstützte ich sie an dieser Stelle mit einer IB (inter­mediäre ­Brücke), da es ihr damit ­sichtlich leichter fiel und ihr die Übungen mehr Spaß machten.

■ Nach mehrmaligen Wiederholungen wurde von mir das Signal „Anziehen" und beim Zurückgehen das Signal „Ausziehen" eingeführt. Signale geben dem Hund Sicherheit, weil er weiß, was ihn erwartet.

■ Zuerst ließ ich sie nur ein paar Sekunden den Hals durch die Öffnung strecken.

■ Natürlich muss man darauf achten, weder Fell noch Haut beim Schließen einzuklemmen. Ich lege dafür ein paar Finger unter den Verschluss, um ein versehentliches Einklemmen zu verhindern.

■ Sobald beide Schnallen geschlossen waren, zogen wir es unmittelbar wieder aus.

■ Das Ausziehen des Geschirrs wurde genauso wie oben beschrieben geübt, ebenso wie das Öffnen der Schnallen. Das Öffnen der Schnallen wurde genauso gemarkert wie der Moment, wenn das Geschirr beim Ausziehen über den Kopf gezogen wurde. Auch hier gab es noch die Belohnung vom Geschirr wegge­richtet.

■ Ich kündigte das An-und Ausziehen immer per Signal an und markerte noch eine Zeitlang die beiden Schnallen und das An- und Ausziehen des Geschirrs über den Kopf.

■ Das Tragen und das Laufen mit Geschirr verbanden wir mit schönen Erlebnissen, wie bspw. etwas Tolles erleben, Spielen, Suchen, Fangen, Sprinten usw. Ich zog es ihr immer nur für diese Aktionen eine kurze Zeit an und steigerte diese Zeitspannen nach und nach angepasst an die Bedürfnisse von Kimba.

■ Heute trägt Kimba sämtliche ver­schiedene Geschirrarten, um den Druck nicht immer auf dem gleichen Punkt zu haben. Sie hat keine Probleme mehr, irgendein Geschirr anzuziehen. Mittlerweile haben wir 12 Geschirre – es wurde zum Hobby, wir nähen einige selber.

Trainingsprotokoll von Heike Hillebrand

Tricky und das Brustgeschirr
Tricky reagierte auf das neue Geschirr neugierig und angstfrei, seine Problematik lag darin, das Geschirr anzuziehen, und im Besonderen, den Kopf durch die Halsung zu stecken. Trotzdem begann unsere gemeinsame Annäherung an das Geschirr einige Schritte vor dem eigentlichen Anziehen. Das Anziehen rief bei ihm deutliche Anzeichen von Angst- und Meideverhalten hervor. Am deutlichsten sieht man seine Unsicherheit an den Ohren und Läufen, seine Stehohren legen sich an den Kopf und seine Läufe knicken ein, er verlagert sein Körpergewicht weg von der „Gefahrenquelle", sein Herzschlag erhöht sich ebenso wie seine Atemfrequenz. Hört die Bedrohung nicht auf, friert er ein, bei fremden Personen knurrt er und hilft sich durch ein Abwehrschnappen. Würde die Bedrohung von Menschen ausgehen denen er vertraut, also mir, durchleidet er die Situa­tion, indem er erlernte Hilflosigkeit zeigt. Diese Emotion ist furchtbar und zerstört die Erwartungssicherheit an den eigenen Menschen, das braucht niemand, am allerwenigsten mein Hund.

■ Ich versuchte das Geschirr zum „Ankündiger" besonders angenehmer Dinge für Tricky zu machen. Gab es das Essen für ihn, wurde zwei Sekunden vorher das Geschirr in die Nähe des ­Futternapfes gelegt. Dies verband ich nun mit allen erdenklichen angenehmen Situationen für meinen Hund (Komfortzeit/Streicheln = Geschirr) / Spielbeginn = Geschirr/ usw.)

■ Im nächsten Schritt nahm ich das Geschirr in die Hand und markerte und belohnte jedes freiwillige Annähern an das Geschirr, ließ ihn daran schnüffeln, strich mit ihm über seinen Körper, immer unterstützt über Marker und Belohnung. Diese Einheiten fielen Tricky sehr leicht, da er ja eher neugierig und freudig auf Dinge reagiert, die eine Interaktion mit seinen Menschen bedeuten.

■ Der nächste Schritt, bei dem es darum ging, dass er freiwillig seinen Kopf durch die Halsung steckt, war die eigentliche Klippe. Ich setzte mich so in den Raum, dass er genügend Platz zum Ausweichen hatte, und hielt das Geschirr auf seiner Brusthöhe, leicht seitlich von mir weg. Ich achte in solchen Situationen immer sehr auf meine Körpersprache und bemühe mich, Tricky durch meine Haltung so wenig wie möglich zu bedrohen. Das Geschirr hielt ich dabei in der Hand und faltete es so, dass unser Hund erst mal nur die Halsung sehen konnte. Dies hatte den Vorteil, dass es insgesamt weniger bedrohlich aussah und dass direkt dort gearbeitet wurde, wo er letztlich seinen Kopf durchstecken sollte. Nun markerte ich jede freiwillige Annäherung an das Geschirr und belohnte vom Geschirr weg, weil es für Tricky in dieser Situation eine zusätzliche Erleichterung war, von dem Geschirr und mir weggehen zu dürfen. So arbeiteten wir uns immer näher an das eigentliche Ziel, nämlich dass unser Hund seinen Kopf durch die Halsung steckt. Er durfte anfangs jedes Mal, wenn er den Kopf durch die Halsung gesteckt hatte, ihn auch sofort wieder heraus ziehen. Das Hineinstecken/Herausziehen des Kopfes durch die Halsung habe ich gemarkert, belohnt und sofort auf Signal gesetzt („An-bzw. Ausziehen").

■ Als Tricky soweit war, dass er den Kopf freiwillig auf Signal durch die ­Halsung des Geschirrs steckte, war für ihn der gruseligste Teil schon passiert. Nun mussten wir das Geschirr voll­ständig anziehen und die beiden Verschlüsse schließen. Ich kündigte das Zumachen des jeweiligen Verschlusses an („Zu­machen"), markerte und belohnte ihn nach jeder Schnalle. Zunächst schloss ich das Geschirr nur kurz, ­markerte und belohnte, indem ich es ihm wieder ausziehen ließ. Diesen Schritt haben wir öfter wiederholt, wobei das Tragen des Geschirrs und natürlich auch die Bewegung mit dem Geschirr, immer ein wenig länger dauerte. Hier ist eine positiv auftrainierte „Intermediäre Brücke" sehr hilfreich. Da Tricky beim eigentlichen ­Tragen des Geschirrs keine Anzeichen von Unbehagen zeigte, konnten wir schnell fortfahren und es seinem eigentlichem Zweck zuführen – dem heiß geliebtem Spazierengehen.

■ Tricky zog sein Geschirr nach etwa einer Woche auf Signal an bzw. aus und trug es ohne Probleme. Das eigentliche Anleinen hat bei uns ein eigenes Signal und heißt „Anschnallen". Er bleibt bei diesem Signal stehen und wartet darauf, dass der Karabiner festgeklickt ist und wir mit einem „Weiter" losgehen.

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