Frühlingszeit. Wir merken es nicht nur daran, dass die Vögel wieder singen, die Sonne scheint und die Bäume ihre Blätter entfalten. Auf dem Land merken wir den Frühling auch daran, dass die Bauern wieder Gülle fahren und unsere menschlichen Nasen nicht nur ein unangenehmer Geruch durchdringt, sondern wir auf unsere Hunde achten müssen. Die Pfoten nach einem Lauf über ein frisch gegülltes Feld zu reinigen, das ist eine fiese Arbeit. Dass auf den gegüllten Feldern aber der Tod auf unsere Hunde warten kann, weiß kaum jemand.
In medizinischen Insiderkreisen liegt schon lange der Verdacht nahe, dass mancher Hund, der vermeintlich an einem Giftköder starb, eher dem Botulismus zum Opfer fiel. Für mich ist das ein wesentlicher Grund, mal über dieses Thema zu schreiben und die Hundehalter mit entsprechenden Informationen zu versorgen.
Botulismus – Wortherkunft
Etwas irreführend kommt der Begriff vom lateinischen »botulis«, was so viel wie Wurst/Darm bedeutet. Tatsächlich kennzeichnete der Botulismus ursprünglich eine Form der Fleischvergiftung beim Menschen. Eine Vergiftungs-Erkrankung also. Was ist Botulismus? Julius (Justinus) Kerner (1786-1862), ein Mediziner und »medizinischer Schriftsteller«, der seine Ausbildung an der Eberhard Karls Universität in Tübingen absolvierte, erwähnte die Erkrankung im Jahr 1820 erstmals. Allerdings war die Krankheit zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich länger bekannt, jedoch unerforscht. Zu dieser Zeit kannte man die Vergiftungs-Erkrankung ausschließlich beim Menschen. Ein Zusammenhang zu der Erkrankung von Tieren wurde noch lange nicht hergestellt.
Botulismus wird durch das Toxin (Gift) des Bakterium botulinum verursacht. Das Botulinumtoxin (BTX) ist dabei das stärkste Nervengift, das wir überhaupt kennen! In der Humanmedizin kennen wir das Toxin unter dem Sammelbegriff »Botox«. Es wird beim Menschen zur Hautstraffung gespritzt und führt dabei zu gewünschten und provozierten Nervenlähmungen mit Mimikstraffung. Bei Hunden führt Botulismus zu einer Verkettung von Symptomen, die – nicht korrekt erkannt – mehr oder weniger schleichend zum Tode führen können. Noch ist Botulismus jedoch bei unseren Behörden als Krankheit (ähnlich wie Borreliose oder der Bornavirus) schlicht nicht angeführt. Das Bundesamt für Risikobewertung BfR beschäftigt sich seit dem Jahr 2014 endlich intensiver mit diesem Thema.
Wie erfolgt die Infektion?
Es gibt die Möglichkeit einer Infektion über verdorbenes Fleisch und als Futtervergiftung insgesamt. Diese Variante ist jedoch äußerst selten. Zudem sind Hunde im Vergleich zum Menschen viel weniger anfällig für eine Infektion mit Botulismus. Im Hundedarm wird Eiweiß in einem weit höheren Maß abgebaut (sog. proteolytische Aktivität) als beim Menschen. Dieser Abbau sorgt für eine Zerstörung des bakteriellen Toxins. Außerdem erbrechen Hunde verhältnismäßig schnell, wenn Nahrung verdorben ist, und damit sorgt ein schneller »Abtransport« des Toxins dafür, dass es keine Schäden im Hundekörper anrichten kann.
Aber: Warum vergiften sich die Hunde über eine Botulismus-Infektion? Es ist die Gülle auf unseren Feldern, die vermutlich weitaus mehr Fälle von Vergiftungen verursacht, als wir momentan annehmen. Das Bakterium Clostridium botulinum entwickelt sich »anaerob«, also unter Luftausschluss bei hoher Luftfeuchtigkeit, einem pH-Wert größer als 4,5 und in einem eiweißhaltigen Substrat. Bei für die Vermehrung ungünstigen Bedingungen geht das Bakterium in Sporenform über. Viele Wildtiere, Vögel und Haustiere sind Träger des Bakteriums, jedoch ohne jemals davon beeinträchtigt zu werden. Allerdings agieren diese Tiere als »Übermittler« des Bakteriums.
Das Bakterium ist »ubiquitär«. D.h. es kommt überall und weltweit vor und die Sporen sind überaus widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse. Eine Zerstörung erfolgt erst bei Erhitzung und Kochen bei einer Temperatur von 120°C und einer Dauer von mindestens 30 Minuten. In anaerober Umgebung (unter Luftausschluss) und Temperaturen zwischen 25° und 40°C entsteht das Toxin A-G, welches als stärkstes und bekanntestes Nervengift bekannt ist. Ein idealer Nährboden, um dieses Toxin zu schaffen, sind Kadaver.
Warum ist Gülle so gefährlich?
Gülle wird auf Bauernhöfen »gesammelt«. In der Regel werden dazu unterirdische Gruben genutzt, um Fäkalien aus den Stallungen zu sammeln, einzufeuchten und dann im Frühjahr auf den Feldern auszubringen. Die dabei im Sammelprozess entstandenen Gase und Bakterien gelten als ausgezeichnetes Düngemittel. Bedenken wir, dass in den Güllegruben (die im Regelfall wegen der Gasentwicklung nie zu 100% geschlossen sind) Mäuse und Ratten ertrinken, bzw. sich aus der Masse nicht mehr befreien können und sterben, so haben wir einen ersten Nährboden für das Bakterium Clostridium botulinum.
Eine zweite Quelle ist Gülle aus der Haltung von Geflügelhöfen, die sogenannte »Geflügeleinstreu«, die auf den Feldern landet. Diese besteht in der Regel aus Sägemehl, Geflügelkot und den Kadavern von Eintagsküken. Wir finden hier also zwei nahezu perfekte Bedingungen für das Vorkommen von Sporen und Bakterien des Bakteriums botulinum und dessen toxischer Nachfolge.
Wie infizieren sich Hunde?
Es gibt verschiedene Ursachen und man muss dazu sagen, dass es bereits reicht, wenn ein Hund aus einem Wasserloch trinkt, in dem ein verendetes Tier schwimmt. Es reicht auch schon aus, wenn unsere Hunde an einem gefundenen Kadaver lecken oder gar davon fressen. Jedoch ist die Infektion auf einem gegüllten Feld keinesfalls zu unterschätzen! Hunde wälzen sich dort gern. Sie nehmen Gras auf, welches toxisch durch die Gülle verseucht ist, und eventuell jagen und fressen sie Mäuse, die auf dem so gedüngten Feld laufen. Es reicht jedoch bereits eine Hautverletzung, z.B. der Pfoten, um sich äußerst wirkungsvoll zu infizieren!
Was passiert im Hundekörper nach der Infektion?
Nach oraler Aufnahme wird das Toxin im Darm des Hundes resorbiert und gelangt in die Blutbahn des Tieres. Da die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert wird, können wir am Tier keine das Bewusstsein einschränkenden Wirkungen feststellen – es verhält sich »normal«. Allerdings reichert sich das Toxin in den peripheren Nervenenden an und hat von dort aus schwere Auswirkungen auf die motorischen Endplatten.
Die Wirkung? Der Hund beginnt »von hinten her« zu lahmen. Erste Auffälligkeiten können bereits wenige Stunden nach Aufnahme des Toxins auftreten. Es können jedoch auch Tage vergehen und viele Hundehalter bringen das Krankheitsbild des Tieres dann nicht mehr mit dem Aufenthalt auf einem gegüllten Feld in Verbindung. Die schlaffe Lähmung der quergestreiften Muskulatur setzt sich schleichend fort. Lähmungserscheinungen setzen sich langsam über den gesamten Körper fort und gipfeln letztlich in starkem Speicheln und Schluckbeschwerden. Mit den Schluckbeschwerden geht eine Zungenlähmung einher, die dem Tier die Aufnahme von Wasser und/oder Futter unmöglich macht.
In letzter Instanz erstickt das Tier durch eine fortschreitende Atemlähmung. Dennoch muss man sagen: Es gibt tatsächlich Tiere, die sich selbst von einer schweren Tetraplegie, also einer Lähmung aller vier Extremitäten wieder vollständig erholten! Die Erkrankung ist nach wie vor nur unzureichend erforscht. Der Nachweis von Botulismus ist äußerst schwierig und komplex. Die bisher beim Hund bekannte Erscheinungsform ist fast ausschließlich auf das Botulinum-Toxin Typ C zurückzuführen. Ein Immunoassay (eine Reihe von Methoden in der Bioanalytik) ist durchführbar, ein Nachweis der Clostridrien im veränderten Gewebe ist inzwischen ebenfalls machbar. Allgemein kann man aber sagen, dass die Schwere einer Erkrankung in Abhängigkeit zur Aufnahmemenge der toxischen Substanz steht.
Behandlung
Ein Antibiotikum kann die Vermehrung der Bakterien minimieren bzw. stoppen. Infusionen mit reinem Vitamin B und leberstärkende Medikamente zählen zu den Therapiemöglichkeiten. Bei Schluckstörungen und/oder Zungenlähmung kann – je nach Schweregrad – das Legen einer Sonde hilfreich sein. Inzwischen gibt es eine Meldepflicht für die Erkrankung Botulismus. Als beste Referenz für Kenntnis und Studien am Botulismus ist an dieser Stelle die Universität Göttingen zu nennen.
Es gilt festzuhalten, dass neben den Ursachen durch gegüllte Felder grundsätzlich jedes Futtermittel Clostidium Botulinumbakterien enthalten kann! Ich bitte auch zu vermerken, dass man diese Tatsache auch beim Barfen nicht ganz außer Betracht lassen darf!
Schutz und Vorsorge
Panik halte ich für unangemessen, Vorsicht jedoch absolut für angebracht! Die Einhaltung von einigen wenigen Grundregeln kann die Erkrankung des Hundes und damit vermutlich seinen Tod verhindern:
• Kein Trinken aus kleinen Wasserstellen im Freien, in denen ein Tierkadaver liegt – und sei es nur ein toter Vogel.
• Kein Betreten frisch gegüllter Felder und deren Ränder.
• Tierkadaver in Wald und Flur tunlichst meiden und darauf achten, dass der Hund möglichst nicht einmal daran schnuppert.
• Barfen? Auf ungewohnte Symptome wie Lahmheit, Ataxie etc. achten und gegebenenfalls den Tierarzt darüber informieren, dass man rohes Fleisch füttert.
• Nach Kontakt mit gegülltem Boden die Pfoten des Tieres reinigen und im Zweifel desinfizieren.
Es ist sinnlos, Panik zu schüren. Mir sind bereits vor zehn Jahren Fälle bekannt geworden, bei denen Hunde diese Symptomatik zeigten und teils leider auch verstarben. Damals wusste kein Tierarzt, woran die Tiere tatsächlich verstorben sind. Auch heute kann man es von einem ganz normalen Haustierarzt nicht verlangen, dass er genau über Botulismus Bescheid weiß, obwohl er die Erkrankung in der Praxis bei Pferden z.B. gehäuft erlebt. Verlassen wir uns also nicht immer auf die uneingeschränkte Kenntnis unseres Veterinärs, denn auch er ist nur ein Mensch und damit nicht allwissend!
Die permanente Angst vor Giftködern und die tatsächlichen Opfer? Fakt ist, dass viele Hunde nicht an Giftködern starben, sondern an Botulismus – unerkannt vom Tierarzt! Leider ist in medizinischen Kreisen diese Erkenntnis inzwischen recht präsent. Fakt ist: Mit den Errungenschaften unseres Lebens kommen auch mehr und mehr Gefahren auf uns und unsere Vierbeiner zu. Ich halte es mit der Regel: Erkenne den Feind, dann kannst du ihn bekämpfen! Wir müssen als Hundehalter alle lernen – immer, ständig und jeden Tag neue Dinge. Wir lernen, damit unsere Hunde ein sorgenfreies und unbeschwertes Tierleben haben dürfen! Passen Sie also ein wenig auf …