»Bissverständnis« gegen den Strom: Eine hundliche Alltagsgeschichte

Von Rosa Hackl

Diese Geschichte beginnt eigentlich im Jahr 2018, denn in diesem Jahr fällt mir Jochen Stadler auf. Er schreibt den Artikel »Bissverständnis«, der in der Zeitschrift Profil abgedruckt wird (Artikel siehe unten am Ende dieses Beitrages). Ein mutiger Text, ein fundierter Text, geschrieben gegen den, damals (leider) aktuellen, medialen Sturm, der aufgrund eines Bissvorfalls mit Todesfolge, über die Listenhunde Wiens hereinbricht. Was ist 2018 passiert?

Am 10. September dieses Jahres wurde in Wien-Donaustadt ein 17 Monate alter Bub, der mit seinen Großeltern unterwegs war, von einem Rottweiler angefallen. Der Vorfall passierte gegen 20.15 Uhr in der Ziegelhofstraße. Die Großeltern des Kleinkinds haben dieses an den Armen spielerisch in die Höhe geschaukelt. Der angeleinte Hund riss sich los und biss zu. Die Besitzerin war mit 1,4 Promille im Blut außerstande, den Rottweiler zu bändigen. Der kleine Bub erlitt schwere Schädelverletzungen. Obwohl er umgehend in ein Spital gebracht und intensivmedizinisch versorgt wurde, war er nicht zu retten. Er starb am 27. September. Dieser Fall wird schließlich der Auslöser für Novelle 12, eine weitere Verschärfung für Listenhunde in Wien.

Was ist nun an dem Artikel »Bissverständnis« so besonders? Fast alle Medien, allen voran der Boulevard und hier besonders das Blatt »Heute«, überschlugen sich darin, den Rottweiler, umgangssprachlich ein Listenhund, als unberechenbare Bestie zu porträtieren. Es fühlte sich an wie ein Tsunami aus Hass, Sensationslust und kynologischem Unwissen. Eine riesige schwarze Welle, die jegliche Vernunft wegzuspülen drohte. Da fiel mir dieser Artikel von Jochen Stadler in die Hände. Er fühlte sich zu diesem Zeitpunkt wie ein Rettungsring in einem tiefschwarzen Ozean medialer Inkompetenz an. Damals manifestierte sich in mir der Wunsch, den Menschen hinter diesen Zeilen zu treffen und mit ihm über Hunde zu plaudern. Nun, vier Jahre später ist dieses Wollen Realität geworden, Jochen Stadler sitzt mir gegenüber. Wir reden über Hunde.

Wer ist Jochen Stadler?

Es ist ein nieseliger Spätsommertag in der Josefstadt, wir finden einen Platz im Gastgarten der Pizzeria La Delizia. Eigentlich wollten wir uns im Weinviertel treffen, in der freien Natur, aber meine Hündin hat den Plan durchkreuzt. Sie hat eine dicke Pfote, eine achtlos weggeworfene Glasscherbe ist schuld daran. Meine beiden Hundedamen mögen Jochen Stadler, selbst Liluu, die Männern gegenüber eher zurückhaltend ist, besteht darauf, hinter den Ohren gekrault zu werden. Den Damentest hat er also bestanden. Er muss ein guter Mensch sein, Hunde wissen so etwas genau. Jochen Stadler ist Biologe, freier Journalist und begeisterter Hundehalter. Er hat zwei Bücher zum Thema Hund geschrieben, »Kind braucht Hund« und »Guter Hund, Böser Hund«. Außerdem schreibt er als Wissenschaftsjournalist für die Austria Presse Agentur, die Wochenzeitschrift Profil und Heureka!, das Wissenschaftsmagazin der Wiener Stadtzeitung Falter.

Als Praktiker engagierte er sich zuerst bei der Österreichischen Hundewasserrettung und bildete seine Flat-Coated-Retriever-Hündin Kleo zum Rettungshund aus. Dann landen die beiden bei TAT, der Verein »Tiere als Therapie« bildet, wie der Name vermuten lässt, Therapiehunde aus. Kleo wird mit etwa 6 Jahren zur Therapeutin auf vier Pfoten. Schwerpunkt Kinder. Hund und Kind – das ist für Jochen Stadler ein wichtiges Thema, emotional und rational. Hier schneiden sich auch unsere Erfahrungen. Wer einmal diesen Moment erlebt hat, den Augenblick, wenn Kind und Hund eine Beziehung herstellen, der vergisst das nie. Besonders dann, wenn es mit einem Kind passiert, das in diesem Moment seine Hundeangst überwindet.

Über die Angst hinaus

Laut Jochen Stadler profitieren Kinder am meisten vom Hund. Daher ist ein stressfreier Zugang zu Vierbeinern so wichtig. Hunde sind zwar keine »Nannys«, aber sie sind Lehrer und bester Freund. Nicht jedes Kind hat das Glück, mit Hund aufzuwachsen. Jochen und Kleo versuchen da einen Ausgleich zu schaffen. Unter den Fittichen des Vereines TAT ermöglichen sie hundelosen Kindern spielerische, positive Begegnungen mit Vierbeiner. Jochen erzählt von einer solchen: »Bei einer Gruppe, die ich mit meiner Therapiehündin Kleo im Sommer während der Ferienbetreuung besuchte, war ein lebhafter Junge (geschätzt um die 10 Jahre alt) mit Hundeangst. Wenn Kleo ihn auch nur angesehen hat, machte er einen Hüpfer in Deckung, zum Beispiel hinter eine Parkbank. Er wollte sie füttern, wie die anderen Kinder auch, hat aber das Hundekeks fallen lassen und ist zurückgesprungen, als er an der Reihe war. Am Ende der Stunde mit viel Interaktionen der anderen Kinder mit Kleo (Füttern, Streicheln, Suchspiele, Hundekunde, Tricks) hat er dann im zweiten oder dritten Durchgang schließlich mitgemacht bei einem Spiel, wo die Kinder sich eines neben dem anderen auf den Boden legen und Kleo geht über sie drüber (in der Regel, ohne einen zu berühren). Nach der Stunde ist er wie ein paar andere Kinder geblieben, legte sich auf den Boden und rief Kleo zu, sie solle über ihn drüber springen, er warte! Also von Angst in hundertprozentiges Vertrauen. Großartig!«

Kind braucht Hund

Das ist auch der Titel eines Buches, das Jochen Stadler geschrieben hat. Er ist davon überzeugt, dass das so ist, und ich denke, er hat recht. Jochen ist mit Hunden aufgewachsen. Seine Großeltern hatten Hunde. Als Kind ist er oft auf Besuch bei Oma und Opa und da darf mit diesen Vierbeinern, die alle Niki heißen, Kind mit Hund sein. Er erinnert sich: »Meine Großeltern hatten ein Haus mit Garten, das Uroma und ihr Mann illegal nach dem Krieg auf einem als Feld gewidmeten Grundstück am Bisamberg gebaut haben. Ein Paradies für das Vorstadt-Gemeindebau-Kind Jochen! Dort war ich natürlich sehr oft, liebte es, mit sämtlichen Nikis im Garten »Kind und Hund« zu sein und beim Gassigehen mit Opa und Niki die Leine halten zu dürfen. Urlaub am Bauernhof machte ich mit meinen Eltern und genoss es dort mit den Hofhunden, mein Liebling war ein Mischling namens Axel, zu spielen. Natürlich drehte es sich bei den berühmt-berüchtigten Aufsätzen: »Mein schönstes Ferienerlebnis« am Schulanfang auch immer um Abenteuer von Kind Jochen und Hund Axel«.

Der erste eigene Vierbeiner dauert aber. Als Biologe verbringt er viele Stunden im Labor, das bedeutet: zu wenig Zeit für einen eigenen Hund. Erst als er freiberuflich tätig wird, kann er sich diesen Lebenswunsch erfüllen. Die Hündin Kleo zieht bei ihm ein und seither sind die beiden unzertrennlich. Die Kinderjahre mit den Nikis haben ihn gelehrt, ein Kind ist einfach glücklicher, wenn es einen Hund an seiner Seite hat. Das prägt Jochen Stadler, auf die Frage, warum Kind und Hund für ihn so ein großes Thema ist, antwortet er: »Kind-Hund ist meiner Meinung nach einfach das wichtigste und interessanteste (und wahrscheinlich größte) Kapitel in der ganzen Mensch-Hunde Beziehung. Die Kinder profitieren am meisten von einem »Besten Freund« in der Familie. Das ist nicht nur persönliche Erfahrung von mir und anderen Hundefans, sondern es gibt einen Wust an wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass Kinder mit Familienhund schlauer, lernfreudiger, sozial kompetenter, ausgewogener, fitter und vieles mehr sind. Hunde interessieren sich ihrerseits auch meist mehr für Kinder als für Erwachsene, wahrscheinlich weil sie ihnen in vielen Aspekten (natürlicheres, weniger von sozialen Normen beeinflusstes Verhalten als Erwachsene, mehr Leben im Hier und Jetzt als grübeln über Vergangenheit und Zukunftssorgen) ähnlicher sind als große Zweibeiner. Auf der anderen Seite sind Kinder und Hunde immer die Ersten, die draufzahlen, wenn etwas schief geht. Siehe Waris und Joey. Beide sind tot«. Das bringt uns im Gespräch auf den eingangs erwähnten Artikel »Bissverständnis«. Denn da ist eine Begegnung zwischen Kind und Hund gar nicht gut ausgegangen, im Gegenteil, sie endete fatal. Das berührt. Auch wenn man nicht direkt betroffen ist, der Betroffenheit kann man sich nicht entziehen.

Schreiben gegen den Strom

Jochen Stadler schreibt in dieser Betroffenheit einen Artikel, der ganz anders als der Boulevard auf Wissenschaft und Verständnis setzt. Aus seiner Sicht trägt der Mensch die Verantwortung für den Hund, denn dieser hat sich vor Tausenden Jahren dem Menschen angeschlossen, im Vertrauen auf eine gute Partnerschaft. Er recherchiert und will den Fall unaufgeregt, wissenschaftlich, sachlich, richtigstellen. Das Verrückte wieder zurechtrücken. Sein innerer Kompass sagt ihm, dass es einfach notwendig sei, den Vorfall so zu erzählen, dass den beiden Schwächsten dieser Geschichte Gerechtigkeit widerfährt. »Bissverständnis« wurde nicht geschrieben, um Sensationslust zu befriedigen, der Text erklärt eine sehr unangenehme Wahrheit. Das, was da passiert ist, kann jederzeit und mit jeder Hunderasse wieder passieren. Auf die Frage, warum er in seinem Text für den Hund eintritt, antwortet Jochen Stadler: »Weil das eine saublöde Verkettung unglücklicher Umstände war (selbst der kreativste Erzähler könnte hier wohl keine weiteren misslichen Umstände hinzuerfinden) und die beiden »unschuldigsten« draufzahlten: Kind und Hund. Beide sind tot, ohne dass sie wissen, warum. Außerdem: Selbst wenn jener Hund (der Rasse Rottweiler, was wohl das unwichtigste Detail in dieser Tragödie ist) ein Monster gewesen wäre, und seine mediale Verteufelung gerechtfertigt gewesen wäre (beides ist nicht der Fall), dürfte man von so einem Einzelfall nicht auf andere Vierbeiner schließen.«

»Bissverständnis«, der Text ist auf WUFF online nachzulesen (siehe Linktipp), erklärt, warum und wie dieser Vorfall passieren konnte. Es geht da nicht um »Schuld und Sühne«, es geht darum, wie man präventiv solche Vorfälle vermeiden kann. Laut Jochen Stadler macht es keinen Sinn, Sündenböcke zu generieren. Man muss einfach akzeptieren, dass hier, wie in einem grimmschen Märchen, alle negativen Faktoren zusammengekommen sind, das Unglück damit unausweichlich war. Man kann aber daraus lernen. Man muss sogar daraus lernen, denn wie sonst soll es möglich sein, dass sich Kind und Hund auch in Zukunft stressfrei und ohne Angst begegnen können?

Die Lehre daraus

Bei einer Vermutung sind wir uns einig, der Mensch hat sich so weit vom Hund entfernt, dass er wieder lernen muss, wie er richtig mit seinem Vierbeiner umgeht. Jochen Stadler sagt dazu: »Definitiv. Nicht nur vom Hund, auch von anderen Tieren. Seitdem jemand »macht euch die Erde untertan« in das meistaufgelegte Buch der Welt geschrieben hat, glaubt der »weise Mensch« Homo sapiens in seiner ungeheuerlichen Arroganz wohl, dass alle Pflanzen, Tiere und wasauchimmer auf der Erde frei zu seinem Nutzen zur Verfügung zu stehen hat und seine eigenen Bedürfnisse hintanstellt. Er wurde auf diese Art der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen«. Das fällt uns in der Mensch-Hund-Beziehung auf den Kopf, denn auch wenn der Hund eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit hat, mit dem aktuellen »Homo sapiens« kommt er oft nicht mehr mit. Wir erwarten von unseren Hunden, dass sie »bessere Menschen« sind, unsere Fehler ausgleichen und jeden Blödsinn mitmachen. Gleichzeitig hapert es mit unserer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, denn dazu gehört auch, seinen Hund lesen zu können und auf seine Botschaften entsprechend zu reagieren. Wenn es kracht, ist nicht selten eine gescheiterte Kommunikation die Ursache. Manchmal aber auch das mangelhafte Verständnis dafür, wie unsere Vierbeiner gestrickt sind. Menschen, die schon beim Begriff Aggression Schnappatmung bekommen, tun sich schwer mit der Erkenntnis, dass Hunde Beutegreifer sind und auch nicht jeden Konflikt mit therapeutischem Sesselkreis lösen.

Jochen Stadler sieht das ähnlich, dass Hundebisse meist ein Produkt von Missverständnissen sind: »Definitiv. Erstens gibt es entweder eine lange Vorgeschichte, wo die Besitzer überhaupt nicht wissen und darauf achten, wie sich die Hunde fühlen, zum Beispiel, wenn sie permanent bedrängt werden, als »Bitte um Verschonung« das bedrängende Kind ablecken (dann heißt es: schau wie süß, die beiden lieben einander sooo), oder andere Calming Signals zeigen, wie herumclownen, die als freudig statt »Fluchtweg« gedeutet werden, dann knurrt der Hund einmal (höhere Stufe auf der Eskalationsleiter), das überrascht (fälschlicherweise), und wird ihm verboten, bis er einmal abschnappt oder so, und dann ist er »eine unberechenbare Bestie«. Zweitens gibt es wohl wie im Fall Waris eine unglückliche Verkettung von Fehlverhalten und Nicht-Aufmerksamkeit, drittens haben manche Hunde eine unbekannte negative Vorgeschichte, wenn sie aus (für die neuen Besitzer) unbekannter Hand kommen und man sie aus dem Tierheim holt«. Es liegt also am Menschen, die Missverständnisse zu vermeiden und zu einer funktionellen Kommunikation mit ihrem Vierbeiner zu kommen. Als Hund hat man nicht viele Möglichkeiten, entweder man zieht sich in die »erlernte Hilflosigkeit« zurück oder man wird defensiv aggressiv und geht nach vorne.

Die Frage ist: Wie macht man das? Wie lernt man »Hund«?

Jochen und ich haben mittlerweile unsere Pizza ohne Fleisch, aber dafür mit viel Knoblauch verputzt. Übrigens zum Leidwesen der vierbeinigen Damen unter dem Tisch, die nun ihre Hoffnung auf ein Stück italienischen Germteig endgültig begraben müssen. Wir sind bei der Frage: »Wie macht man es besser« angelangt. Denn dass sich an der Art der Hundehaltung etwas ändern muss, ist klar. Das Problem ist die Antwort auf das »Was« und das »Wie«. Einfache Lösungen, die alle zufriedenstellen, die gibt es leider nicht. Jede Veränderung zum Besseren ist mit Aufwand verbunden und in einem sind sich Zwei-und Vierbeiner ähnlich, sie machen es sich gerne leicht, die meisten von ihnen jedenfalls. Wenn sie schon etwas tun sollen, dann nur gegen Leckerlis.

Bezogen auf das obere Ende der Leine, was muss man anbieten, damit die Krone der Schöpfung erkennt, dass ein Hund eben nicht nur einfach nebenher mitläuft, sondern viel Zeit und Arbeit sowie Aufmerksamkeit bedeutet? Ich frage Jochen Stadler, was ihn am meisten an anderen Hundehaltern nervt, seine Antwort: »Menschen, die sich mehr mit dem multifunktionalen Telefon beschäftigen als mit dem Lebewesen, das frustriert neben ihnen herdackelt. Die Steigerung ist: Eltern mit Kinderwagen und Leine unbeachtet in der einen Hand, das viel beachtete Superdupertelefon in der anderen. Da wird gescrollt, geliked, gepostet, was das Zeug hält, während das Baby raunzt und der Hund wenigstens irgendwo schnuppern will, aber genervt an der Leine weitergeruckelt wird. Manche Leute schaffen es sogar, am Telefon eifrig weiterzumachen, während sie mit der Leinenhand Kottütenarbeit verrichten!« Wie bringt man also zum Beispiel dieser Art Hundehalter bei, dass er oder sie seine Wertigkeit verschieben muss? Oder wie ist das mit jenen, die meinen, ihr Hund macht alles völlig autonom? Wie macht man ihnen klar, dass Hundebegegnungen schon ein gewisses Maß an Moderation erfordern? Wäre da ein Hundeführschein für alle ein Allheilmittel? Jochen Stadler meint dazu: »Jein. Besser für alle als für willkürlich ausgewählte Opfer. Plus: er gehört reformiert. In seiner jetzigen Form kann ich ihm nicht viel abgewinnen. Es bräuchte ­Zertifikate oder Ähnliches für ausschließlich Tierschutz konforme Schulungen von Mensch und Hund mit positiver Bestätigung statt Strafen-basiert. Viel besser wäre es freilich, wenn jedes Kind in der Schule positiven Umgang mit Hunden und anderen Tieren lernt. Nicht aus Büchern und per Vortrag, sondern mit Hunden, Katzen etc, mit entsprechender Ausbildung wie bei TAT. Und es gibt eben Organisationen wie TAT, die an Schulen kommen oder die man besuchen kann. Von Lamas, über Ziegen, gibt es hier viel Angebot. Man muss nur wollen!«

Ich denke darüber nach, ob mir nicht etwas Strengeres einfällt. Etwas, das den Hundehalter mehr in die Pflicht nimmt. Ihn überlegen lässt, ob er sich wirklich einen Hund anschaffen soll. Eine Art Hürde, wie sie der Sachkundenachweis in Wien sein soll. Aber der Kellner kommt und besteht darauf, dass nun die Zeit der Siesta beginnt. Ja, auch das gibt es in der Josefstadt. Man muss nicht bis nach Italien fahren, um auf die Sperrstunde am Nachmittag aufmerksam gemacht zu werden. Die Antwort auf die Probleme der Hundehaltung müssen also vertagt werden. Die Hundedamen und ich begleiten Jochen Stadler zur U-Bahn. Immerhin, der Nieselregen hat aufgehört, es ist noch grau, aber nicht kalt, Spätsommer eben. Wir freuen uns, einander real kennengelernt zu haben. Es ist gut, dass es Menschen gibt, die etwas tun, weil es einfach richtig ist. Auf die Frage, wieso er »Bissverständnis« geschrieben hat, da hat er nämlich folgendes gesagt: »Es war ganz und gar nicht schwierig, den Text zu schreiben. Die mediale Hetze war auf Sand gebaut und war wohl nicht zu verteidigen. Deswegen hat mich kein einziges Gegenargument gegen »Bissverständnis« erreicht. Ein solches wäre wohl auch rasch zu zerpflücken gewesen, wenn es »im Sog der Hetze« gekommen wäre. Meine Motivation: Es war für mich das Selbstverständlichste auf der Welt, die Hetze nicht im Raum stehen zu lassen, sondern die Sachen richtigzustellen. Unaufgeregt. Es hat sich quasi aufgedrängt, dass jemand so etwas schreibt. War halt meinereiner.«

Buchtipps

Kind braucht Hund
von Jochen Stadler

»Ich hätte so gerne einen Hund!« Diesen Wunsch haben zwei Drittel aller Eltern schon gehört. Das restliche Drittel lebt bereits mit einem vierbeinigen Familienmitglied. Tatsächlich spricht viel dafür, diesem Wunsch zu entsprechen, denn nachweislich tun Hunde Kindern gut: Kinder aus Hundefamilien sind gesünder, weniger schüchtern oder überdreht, können besser mit Stress umgehen, lernen leichter und sind empathischer als ihre »hundelosen« Altersgenossen. Jochen Stadler, Biologe und selbst Hundebesitzer, beantwortet in seinem anschaulichen, klugen und unterhaltsamen Buch die wichtigsten Fragen rund um den Hund in der Familie.

Verlag: ecoWing
ISBN: 9783711002914
Preis: € 24,–

Guter Hund, böser Hund
von Jochen Stadler

Wie gefährlich sind Hunde und ihre Menschen? Die Angst vor Problemhunden wächst. Doch Beißen ist keine Rassefrage. Hunde senden normalerweise klare Signale, die zeigen, in welcher Stimmung sie sind und was sie als Nächstes vorhaben. Doch am anderen Ende der Leine braucht es einen Menschen, der diese Signale deuten kann und sich selbst dementsprechend verhält. Deswegen geht der Hunderatgeber von Jochen Stadler speziell auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund ein und zeigt, dass auch wir Zweibeiner unser Verhalten gegenüber den Haustieren anpassen müssen, um Gefahrensituationen zu vermeiden und das Zusammenleben zu vereinfachen.

Verlag: ecoWing
ISBN: 9783711002402
Preis: € 20,–

Den Artikel »Bissverständnis« aus dem Jahr 2018 von Jochen Stadler:

(Wochenzeitung Profil, 24.9.2018)

Niemals hätte man damit gerechnet, ist nach Hundeattacken regelmäßig zu hören. Dabei zeigt sich, dass Tierhalter oft schlicht unfähig sind, die Signale ihres Vierbeiners zu deuten und damit das Schlimmste zu verhindern.

»Mein Hund ist nicht aggressiv«, sagte kürzlich eine Frau, deren Hund ein 17 Monate altes Kind auf offener Straße angefallen und ohne ersichtlichen Grund in den Kopf gebissen hatte. Immer wieder hört man von Hundebesitzern, ihr geliebter Vierbeiner würde so etwas nie machen. Und doch passieren solche Vorfälle beängstigend regelmäßig: unvermittelte Angriffe in der Öffentlichkeit, plötzlich und angeblich ohne Warnung zuschnappende Familienhunde, die das Kind oder den Besitzer attackieren, wenn dieser zum Futternapf greift. Die Menschen sind konsterniert und fassungslos, und meist wird umgehend ein Verbot für Rassen wie Rottweiler, Dobermänner und Pitbulls gefordert, die immer wieder für negative Schlagzeilen sorgen.

Die Wissenschaft hat jedoch längst gezeigt, dass es Kampfhunde nicht gibt. »Beißen ist keine Rassefrage«, sagt die Hundeverhaltensforscherin Marleen Hentrup, die sich in ihrer Hundeschule viel mit Problemfällen beschäftigt: »Jemanden beißen kann jeder Hund, aber auch jeder Autofahrer kann Menschen totfahren.« Hunde senden im Normalfall Signale aus, in welcher Stimmung sie sind und was sie eventuell vorhaben. Teilweise hat der Mensch aber verlernt, ihnen diese Signale beizubringen, teilweise schaut er schlicht nicht genau genug hin oder deutet die Signale falsch, und manchmal gibt es Missverständnisse, oft gepaart mit dem Versagen oder der Achtlosigkeit des Besitzers.

Drei unterschiedliche Situationen:

Die jüngste Attacke
Im aktuellen Fall riss sich in Wien der Rottweiler-Rüde einer betrunkenen Dame, die bei einem Security-Dienst arbeitet, samt Leine los und biss ein einjähriges Kind in den Kopf, das dessen zwei Großeltern an der Hand führten. Es erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Der Vorfall erschien als Amoklauf eines Listenhundes, bei dem man jede Sekunde mit dem Schlimmsten rechnen muss, und auch in den sozialen Netzwerken forderten viele ein Verbot solcher Hunde -sonst wäre kein Kind mehr sicher. Doch genau wie bei Menschen gibt es bei Hunden immer Vorzeichen und eine Vorgeschichte, von der die Öffentlichkeit selten erfährt, erklärt Hentrup: »Dieser Hund wird nicht immer entspannt an der Leine gegangen und dann plötzlich ausgerastet sein.« Im Training für Gebrauchshunde, zu denen neben Rottweilern auch Schäferhunde zählen, wird oft spielerisch der Jagdtrieb »aktiviert«: Die Hunde dürfen etwa nach mit Stoffresten gefüllten Jutekissen schnappen, die von ihnen weggezogen werden, um später davonlaufende Einbrecher zu packen. Gut ausgebildete Hunde können dabei jederzeit unterscheiden, ob es sich um einen Menschen oder um ein Spielzeug handelt. Bei dem Unglücksfall in Wien darf bezweifelt werden, dass der Hund zu jenen Profis zählte. Zusätzlich war der Rottweiler-Rüde vermutlich verunsichert, weil seine Vertrauensperson sich seltsam verhielt; immerhin hatte sie laut Polizei 1,4 Promille Alkohol im Blut. Dann kamen die Großeltern im Halbdunkel mit dem Baby entgegen und spielten laut »Wiener Zeitung« mit ihm »Engelchen flieg«. Die Besitzerin hatte den Rottweiler zwar an der Leine. Dass sie ihren 47 Kilogramm schweren Hund in diesem Zustand nicht halten kann, wenn er kräftig zieht, ist vorhersehbar. Es ist denkbar, so zynisch das klingen mag, dass bei dem verunsicherten Hund einfach nur ein Jagdverhalten aktiviert wurde. Der Ausgang war freilich fatal.

Schuld daran ist laut der Expertin aber nicht die Hunderasse. »Es hätte genauso mit einem Schäferhund oder jeder anderen großen Rasse passieren können«, sagt sie. Grund ist menschliches Versagen, das durch unglückliche Umstände in einer Tragödie endete. Bei kleinen Kindern müsse man als Hundebesitzer immer aufpassen, denn gewisse Bewegungsmuster von ihnen können einen Jagdinstinkt auslösen. Fälle, in denen ein Hund eine fremde Person beißt, sind aber zum Glück extrem selten. Neun von zehn Beißopfern kennen den Hund, in der Regel ist es sogar der eigene. Zu den meisten Verletzungen kommt es auch nicht, weil der Hund von sich aus aggressiv wäre, sondern es mangelt den Opfern in der Regel einfach an Wissen, wie man sich gegenüber Hunden verhält.

Der Sinn des Schleckens
In Internetvideos kann man sehen, wie »geduldig und entzückend« mancher Hund mit Kindern umgeht. Sie dürfen ihm mit den Fingern in die Nase fahren, sich auf ihn legen, ihm nachlaufen, ihn an beliebigen Körperteilen wie Rute und Gliedmaßen festhalten und ziehen, und manchmal leckt er sie dann scheinbar liebevoll ab. Die Besitzer sind überzeugt, dass er einem Kind nie etwas zuleide tun würde. Doch immer wieder gibt es Fälle, in denen solche Hunde, wie es dann heißt, »unvermittelt und ohne Vorwarnung zubeißen«. Das Vertrauen der Besitzer, dass Hunde mit Verstand gesegnete, berechenbare Lebewesen seien, löst sich in Luft auf.

»Die meisten Leute sind der Meinung, Hunde müssen sich an alles anpassen und sich alles gefallen lassen«, sagt Hentrup. Sie geben sich deshalb keine Mühe, die Situation näher zu beobachten. In der Regel schreit der Hund in seiner Sprache allerdings schon laut um Hilfe. Dafür hat er sogenannte »Calming Signals« (Beschwichtigungssignale, siehe Grafik oben) zur Verfügung. Die norwegische Hundetrainerin und Sachbuchautorin Turid Rugaas hat sie entdeckt, als sie in den 1980er-Jahren die Kommunikation von Hunden untersuchte. Damit entschärfen Wölfe und Hunde innerartliche Konflikte, zeigen sie aber auch im Umgang mit Menschen, um ihnen zu signalisieren: »Tu mir nichts, ich bin dir freundlich gesinnt, aber diese Situation ist unangenehm für mich.«

Sie wenden dazu etwa den Kopf ab, gähnen, blinzeln, lecken sich über die Nase oder schlecken dem anderen unterwürfig ins Gesicht. In diesen Videos, aber auch bei vielen Hunde-Kinder-Begegnungen kann man solche Gesten zuhauf beobachten. Später in der Eskalationskette kommt eine Warnung des Hundes. Er zeigt dem Kind die Zähne oder knurrt es an. Dies wird entweder übersehen oder dem Hund verboten, denn viele sind der Meinung, Hunde dürfen Menschen nicht anknurren. Dem Hund bleibt nichts anderes übrig, als die Situation weiterhin leidend über sich ergehen zu lassen. Wenn der Hund den Besitzer anknurrt, ist dies bereits ein Zeichen dafür, dass viele vorangegangene Signale übergangen wurden und man als Mensch Fehler gemacht hat. Man sollte sich zum Beispiel wegdrehen und dem Hund mehr Raum lassen. Bestraft man Knurren oder einen warnenden Blick, weil man meint, dass der Hund aggressiv und dominant sei, wird er es wahrscheinlich beim nächsten Mal nicht zeigen und direkt zur nächsten Stufe auf der Eskalationsskala springen.

Manche Tiere verfallen in Resignation, die Verhaltensforscher sprechen hier von »erlernter Hilflosigkeit«. Andere wiederum reagieren »proaktiv«, also beißen zu, weil sie am Ende der Eskalationsskala angelangt sind und gelernt haben, dass alle anderen Signale nicht beim Menschen ankommen -und sie keinen anderen Ausweg mehr wissen. »Somit hab ich mir selber meine tickende Zeitbombe gebastelt«, meint Hentrup. Jeder Biss in solchen Situationen wie der hier beschriebenen liegt also am Ende einer Reihe von übergangenen Signalen und Fehlinterpretationen. Der Hund hat in solchen Fällen sämtliche Botschaften ausgesendet, die er zur Verfügung hat, aber die Besitzer waren auf beiden Augen blind. »Dass auch der Hund seine Ruhe braucht, müssen die Kinder eben lernen«, meint Hentrup. Zusätzlich kann man den vierbeinigen Freunden -wie es bei den Therapiehunden gemacht wird -Schritt für Schritt beibringen, dass Umarmungen und ausgiebiges Streicheln Spaß machen können.

Freilich sollte man Kindern auch erklären, dass etwa spontanes Umarmen einen Hund erschreckt. In Völkermarkt (Kärnten) passierte es jüngst, dass sich ein fünfjähriges Mädchen zu dem Mischlingsrüden ihres Onkels niederbeugte, um ihn in die Arme zu nehmen. Der Hund sah dies als Bedrohung und schnappte zu. Das Mädchen kam zum Glück mit oberflächlichen Verletzungen davon.

Vorsicht, Verwechslung
Die Hündin presst sich auf den Boden, mit dem Kopf zwischen den Vorderpfoten liegt sie flach wie ein Bärenfell in einer Jagdhütte am Rande des Waldweges. Sie hat zwei herannahende Reiter erblickt. Ihre Rute bewegt sich langsam von rechts nach links und zurück, sonst ist sie starr, lässt die Pferde nicht aus den Augen. Nur ja nicht rühren. Die Reiter lenken ihre Rösser rücksichtsvoll in einem Bogen um sie herum. »Oje, der arme Hund hat aber Angst vor Pferden«, hört man einen sagen. Das ist leider falsch beobachtet, denn die pechschwarze Flatcoated-Retriever-Hündin hat ihnen aufgelauert, um sie mit Spielaufforderungen zu konfrontieren, wie sie es bei Artgenossen gerne macht. »Schau mal, ich bin vollkommen harmlos, du kannst ohne Risiko herkommen », signalisiert sie ihnen mit jeder Faser ihres Körpers. Den Pferden ist im Gegensatz zu den Menschen auf ihrem Rücken bewusst, dass dieser Hund auf gewisse Art lauert und sich nicht fürchtet. Sie gehen vorsichtig an ihm vorbei, und behalten ihn im Blick. Die Hündin wiederum ist, wenn sie näherkommen, stets von der Größe dieser Tiere dermaßen beeindruckt, dass sie liegenbleibt und sie nur noch aus den Augenwinkeln beobachtet, bis sie vorbei sind. Würden die Reiter auf ihren nervösen Pferden stehenbleiben, um die Hündin zu ermuntern, dass sie keine Angst haben müsse, würde es gefährlich. Sie könnte dann aufspringen und als Spielaufforderung mit geducktem Kopf und Vorderkörper vor ihnen herumtollen. Fluchttiere kennen solche Gesten instinktiv von Wölfen, bevor sie zuspringen, und machen als Reaktion ihrem Namen unversehens Ehre. Ob die Reiter für eine solche Aktion fest genug im Sattel sitzen, ist zu bezweifeln, deshalb sollte der Besitzer sie in dieser Situation über die Intention der vierbeinigen Freundin aufklären und durch Anleinen dafür sorgen, dass sie nicht vor den Pferden herumalbert.

Wie man sieht, liegen die Fehler also in der Regel beim Menschen. Die Körpersprache von Hunden lässt gut erkennen, in welcher Stimmung sie sich befinden und was sie möglicherweise als Nächstes vorhaben. Freilich kann man nicht wissen, welche der vier Optionen am Ende der Eskalationsskala, »Fight« (zuschnappen),«Flight« (Flucht),«Freeze« (erstarren) oder »Fiddle« (herumalbern wie ein kleiner Welpe), sie wählen, um aus einer unerträglichen Situation herauszukommen. So weit sollte man es aber gar nicht kommen lassen. Hunde handeln auch alles andere als irrational. Die amerikanische Zoologin und Verhaltenstrainerin Patricia McConnell vergleicht sie mit Automaten, die ständig ausrechnen, was in einer Situation das Beste für sie ist. Man kann erwünschtes Verhalten deshalb verstärken, wenn man es belohnt, und schlechtes meist abstellen, wenn man es ignoriert oder die Hunde gar nicht erst in Situationen kommen lässt, in denen sie es zeigen würden.

Gewonnen!
Ein gutes Beispiel ist das berüchtigte Bellen am Gartenzaun. »Nehmen wir einen kleinen Welpen, der noch nicht viel von der Welt kennt und im eigenen Garten sitzt«, sagt Hentrup. »Wenn jemand vorbeigeht, findet er das wohl ein wenig gruselig und lässt ein schüchternes ,Wuff‘ vernehmen. Die Person geht weiter, ohne ihn zu hören, aber der Kleine verbucht das als seinen Erfolg, bellt fortan immer, wenn jemand vorbeigeht – und wähnt sich jedes Mal als Sieger, weil die Personen verschwinden. Dass sie ohnehin nur vorbeigehen wollten, weiß er ja nicht.« So gebe es wenige Hunde, die nicht zu Kläffern werden, wenn sie alleine im Garten gelassen werden. Abhilfe schafft hier etwa eine zusätzliche Abzäunung , damit der Hund sich nur im hinteren Bereich des Grundstücks aufhalten kann.

Natürlich kann man Vierbeiner auch »falsch programmieren«, also ihnen etwa schrittweise beibringen, Menschen zu attackieren. Das funktioniert aber beim angeblichen Familienhund Golden Retriever genauso wie bei Rottweilern. Das Risiko, von einem Hund getötet zu werden, ist hierzulande so gering, wie von einem Blitz getroffen zu werden, während jährlich mehr als 400 Menschen bei Autounfällen sterben. Im Gegensatz zum Autofahren haben viele Leute aber verlernt, mit Hunden umzugehen. Man solle daher die Besitzer im neutralen Beobachten und Interpretieren des Hundeverhaltens schulen, damit sie die Situationen besser einschätzen, so Hentrup. Dies sollte schon bei Kindern in der Schule und von den Eltern passieren.

Dann müssten sie sich nicht auf Faustregeln verlassen, die ohnehin meist falsch sind -etwa, dass ein schwanzwedelnder Hund immer freundlich ist. Wedeln zeigt nur einen Erregungszustand an, vor dem Zuschnappen schwingen Hunde ihre Rute ebenso wie bei freudigen Begrüßungen. In einer wissenschaftlichen Studie wurde zwar gezeigt, dass es einen Unterschied macht, ob der Hund mehr nach rechts oder links wedelt, aber »dies kann man mit bloßem Auge nicht genau genug verfolgen, und man sollte sich also nicht darauf verlassen, hier bei Begegnungen Unterschiede zu erkennen«, so Hentrup.

Bellen & beißen
Genauso viel sei von dem Sprichwort zu halten, dass bellende Hunde nicht beißen. Das stimmt nur insofern, als man mit vollem Mund auch nicht gut schimpfen kann. Hat man hinuntergeschluckt, kann die Tirade losgehen. Auch dass ein Hund Dominanz zeigt, wenn er sich auf der Couch breitmacht oder als Erster durch die Tür geht, ist, wissenschaftlich betrachtet, Humbug. Diverse »Hundeflüsterer« propagieren, dass jeder Hund jedem Menschen vom Baby bis zum Erwachsenen gegenüber Unterwürfigkeit zeigen muss. »Meiner Meinung nach sollte ein Hund Menschen gegenüber aber neutral als Sozialpartner eingestellt sein«, erklärt Hentrup. Er sollte klare Regeln kennen, und ob er sich gut oder schlecht benimmt, ist normalerweise erlerntes Verhalten, das man ihm mit liebevoller Konsequenz beigebracht hat und nicht vermittels Unterwürfigkeit. Die Menschen dominieren ohnehin den Alltag. »Ich bestimme, wann und was und wie viel meine Hunde zu essen bekommen, wann sie rausdürfen, wohin wir fahren und gehen und vieles mehr«, sagt die Expertin. »Letztlich bestimme ich sein ganzes Leben. Wie sollte er da mich dominieren?«

Außerdem sollte man verstehen, dass Hunde keine Primaten sind. Sie gehen bei Begrüßungen nicht direkt aufeinander zu, blicken einander nicht in die Augen und halten sich nicht gegenseitig fest, wie es Menschen und Affen als Zeichen von Zuneigung tun. Dies stresst sie, weil dies in Hund-Hund-Begegnungen Merkmale einschüchternden und provokativen Verhaltens sind, es sei denn, man gewöhnt sie von klein auf daran, dass sich Menschen eben so benehmen. »Wenn man also auf die Körpersprache des Hundes eingeht, sind sie sehr berechenbar«, sagt Hentrup. Es sei nur leider so, dass viele erwarten, dass der Hund sich anpasst, aber ihrerseits nicht lernen wollen, wie er tickt. Dass die Besitzer von Listenhunden einen Hundeführerschein machen müssen, sei ein Schritt in die richtige Richtung. »Dies sollte aber für alle Rassen gelten und nicht nur für einzelne«, findet die Verhaltensforscherin. Vor allem, wie derzeit der Fall, die Deutschen Schäferhunde auszunehmen, die sämtliche Bissstatistiken anführen, sei schlichtweg skurril.

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