In unserer neuen Serie stellen wir Hunde und ihre außergewöhnlichen Freunde vor. Eröffnet wird sie von Australian Shepherd Ka’ena und dem Ochsen Happy.
Familie Meier führt in Holzminden am Solling in Niedersachsen (Deutschland) einen landwirtschaftlichen Betrieb, der sich unter anderem der artgerechten Mutterkuhhaltung verschrieben hat: »Bei unserer Mutterkuhherde werden die Kälber grundsätzlich von ihren Müttern großgezogen und mit etwa acht bis neun Monaten abgesetzt«, erklärt Kerstin Meier. »Bei Happy lief es leider anders. Mit einem Gewicht von nur 18 kg und kleiner als unsere Hütehunde lag das schmächtige Fellbündel am 6. Juni 2019 eines Morgens im Stroh. Völlig unterentwickelt und eigentlich nicht lebensfähig hatte das kleine Kälbchen der alten Rinderrasse »Rotes Höhenvieh« kaum eine Überlebenschance. Es konnte weder selbstständig stehen, noch hatte es einen Saugreflex. Auch die Mutterkuh hatte aufgrund der viel zu frühen Geburt weder Milch noch Muttergefühle für das kleine Kälbchen. Der Tierarzt versorgte das Kälbchen mit ein paar Aufbauspritzen und etwas Kolostrum (Anm. d. Red.: auch Biestmilch genannt, ist die erste lebenswichtige Milch, die das Kalb zum Aufbau eines Immunsystems benötigt), machte uns aber wenig Hoffnung.«
Will leben
Der Kampf um das Leben des Kälbchens stand gerade am Anfang: Es bekam einen separaten Bereich, der dick mit Stroh eingestreut wurde, und zum Schutz vor der Kälte bekam es zusätzlich einen alten Wollpullover angezogen. »Unsere Hunde – die zwei Australian-Shepherd-Hündinnen Momo und Ka’ena – wissen, dass hinter jedem süßen Kälbchen grundsätzlich eine sehr wehrhafte Mutterkuh steht, Spielen mit Kälbern ist riskant und wird von uns deshalb unterbunden. Doch diese Situation war ja anders, und Ka’ena, die alles und jeden liebt, besonders Menschen- und Tierkinder, und deren Stärke nicht im Hüten liegt – im Gegensatz zu Momo, deren Hütetrieb ganz der Rasse entsprechend entwickelt ist –, fand das Kalb mit dem Pullover sehr spannend und beschnupperte es ausgiebig. Sie begann es zu belecken und zu beknabbern. Inzwischen hatten wir schon einige Male vergeblich probiert, dem Kerlchen etwas Milch einzuflößen. Es tat sich lange nichts, und unsere Motivation sank auf den Tiefpunkt. Wir ließen die Hündin also gewähren. Ka’ena, die nie Welpen gehabt hatte, gab alles und begann instinktiv das ganze »Welpen-Wohlfühl-Programm« abzuspulen. Nichts wurde ausgelassen. Und plötzlich fing das Kälbchen an, am Sauger zu nuckeln. Die Freude bei uns war riesig. Ein wichtiger Schritt war vollbracht, und das Kälbchen bekam einen Namen: Happy von Happy End sollte es heißen«, beschreibt Kerstin Meier die ersten Stunden von Happy und Ka’ena.
In den folgenden Tagen kämpften Happy, Ka’ena und Familie Meier weiter, denn Happy trank zwar schon recht gut, aber er konnte noch nicht selbstständig stehen. Erst nach einer Woche gelang es ihm, kurz zu stehen: »Er lag noch viel. Der Tierarzt warnte, dass das viele Liegen nicht gut für ihn ist, weil ein Stillstand der Verdauung oder eine Lungenentzündung drohte. Als hätte Ka‘ena verstanden, forderte sie Happy immer wieder zum Spielen auf, und das funktionierte weitaus besser, als unsere Versuche, Happy beim Stehen zu helfen, wo er sich immer wieder ins Stroh fallen ließ. Nach zwei Rückschlägen, bei denen wir noch mal tierärztliche Hilfe benötigten, war es aber dann geschafft: Der kleine Happy wurde zunehmend stärker und fitter«, erzählt Kerstin Meier weiter. Da die Hinterbeine von Happy bedingt durch die frühe Geburt noch etwas schwach waren, durfte er anfangs zusammen mit den Hunden auf dem befestigten Hof laufen: »Er reagierte wie die Hunde auf seinen Namen und war auffällig zutraulich und kooperativ. Kleine Tricks und Leinenführigkeit waren für ihn kein Problem.«
Happy darf bleiben
Nach all dem beschloss Familie Meier, Happy nicht in die Mast zu geben. Er wurde daher unter Vollnarkose kastriert und enthornt, um das Verletzungsrisiko für die Hündin und die Menschen zu minimieren: »Happy sollte zusammen mit der Hündin bei diversen Angelegenheiten als Ochse zum Anfassen Werbung zum Erhalt der alten Haustierrasse »Rotes Höhenvieh« und für artgerechte Weidetierhaltung machen. Leider kam uns Corona dazwischen, alle Einladungen wurden abgesagt. Unsere Pläne waren dahin. Happy sollte jedoch artgerecht leben dürfen und zog in eine Rinderherde. Die Eingewöhnung klappte besser als erwartet. Danach wurde es spannend, denn in der Regel ist dies das Ende der Freundschaften zwischen Kalb und Hund. Insbesondere wenn die Rinder in die Geschlechtsreife kommen, gehen die Freunde in den meisten Fällen getrennte Wege. Der Freundschaft zwischen Happy und Ka‘ena tat dies jedoch keinen Abbruch. Happy erkannte seine Freundin immer sofort und freute sich über jeden Besuch. Momo hatte es sich inzwischen mit ihm etwas verscherzt, da sie ihn einmal ins Bein gezwickt hat, als er nicht hören wollte. Er schlug dann gern mal den Kopf in Momos Richtung. Bei Ka´ena entspannte er sofort. Trotzdem Happy artgerecht in einer Herde lebt, liebt er es nach wie vor, Tricks zu lernen und zu zeigen. Er kennt das Zirkuspodest, ist nach wie vor leinenführig, und auch das Ablegen klappt immer besser. Und – was sehr selten ist – immer zusammen mit Ka´ena, denn viele zahme Rinder dulden den Menschen, aber nicht unbedingt einen Hund derart eng in ihrer Nähe«, so Kerstin Meier weiter.
Die nächste spannende Frage war, wie sich Happy auf der Weide zusammen mit anderen Rindern gegenüber Ka´ena verhalten wird: »Mittlerweile lebt Happy in einer Mutterkuhherde in einem großen Weidetal und ist dort gut integriert. Er ist sogar relativ ranghoch und verhält sich nicht anders als ein normaler Bulle bzw. Stier. Bei Rangeleien in der Herde setzt er sehr wohl seine Masse ein. Immerhin wiegt er inzwischen mit fast drei Jahren etwa 800 kg. Wir wurden gewarnt, dass die Hündin oder wir schwer verletzt werden könnten, es ist aber zum Glück ganz anders gekommen. Im Gegenteil, Happy wird zu den Hunden und zu uns Menschen mit zunehmendem Alter immer sanfter und vorsichtiger.«
Dass die Bindung zwischen den ungleichen Freunden nach wie vor sehr eng ist, beweisen Ochse und Hunde, wenn Familie Meier mit den Hündinnen den Ochsen auf seiner Weide besuchen. »Wenn Happy bemerkt – etwa wenn Ka’ena bellt –, dass wir mit den Hunden zu Besuch sind, hebt er den Kopf und kommt sofort aus der Herde. Auch wenn die nicht in Sichtweite ist, interessiert ihn das kaum – für Rinder, die ein starkes Herdengefühl haben, eher untypisch. Dies gilt auch für die Hunde. Wenn die Hunde erkennen, dass das Auto Richtung Rinderweide steuert, steigt auch die Aufregung. Kaum ist die Kofferraumklappe auf, sind sie kaum zu halten, die Hunde scheinen die Herde abzuscannen und Happy zu suchen. Haben die drei sich gefunden, scheint jeder auf seine Weise glücklich zu sein. Happy freut sich über seine Leckerlis und seine Kraul- und Kuscheleinheiten, Ka´ena ist glücklich, ihren großen Freund wiederzusehen, und Momo ist begeistert über ihr einfaches »Hüteopfer«, das sie stolz von der Herde zu uns eskortiert«, beendet Kerstin Meier ihre Erzählung über ihre tierisch schöne Geschichte mit Happy End.