Beschwichtigungssignale

Von Clarissa von Reinhardt

Bei der Darstellung der Beschwichtigungssignale (WUFF 2/2007, S. 20 ff.) fragt man sich unweigerlich, wie viel Unrecht Hunden angetan wurde, weil menschliche Interpretationen ihr Verhalten in völlig falschen Zusammenhang brachten. Sie wurden für ganz normales Sozialverhalten gestraft und oftmals hart und ungerecht ausgebildet. Wie haben sie sich dabei wohl gefühlt? Wie groß war ihre Verzweiflung über unser Nicht-Verstehen? Umso wichtiger, dass wir uns nun umso aufrichtiger bemühen, mehr über unseren ältesten Begleiter aus dem Tierreich zu lernen, denn es gilt, diese Fehler künftig zu vermeiden. Turid Rugaas hat uns hierfür mit ihrer Forschungsarbeit über die Beschwichtigungssignale der Hunde den Weg geebnet. Im Folgenden die häufigsten Fehlinterpretationen.

Problem: Das Schütteln
Das Schütteln kann man häufig im Zusammenhang mit Beschwichtigungssignalen sehen, es ist aber keines. Das Schütteln zeigt der Hund oftmals dann, wenn sich angespannte Situationen entspannen. So wie wir Menschen die Anspannung ablassen, indem wir ausatmen oder „Puuhh!" sagen.

Behauptung: Wenn Hunde, die sich begegnen, viele Beschwichtigungssignale zeigen, kann man sie ruhig zusammen lassen, denn dann ist alles in Ordnung.
Auch diese Behauptung ist häufig falsch, denn das Vorhandensein vieler Beschwichtigungssignale kann auch anzeigen, dass eine gewisse Anspannung in dieser Begegnung liegt, und nicht immer gelingt es Hunden, diese Anspannung aggressionsfrei zu lösen. Werden also auffallend viele Signale von den aufeinander treffenden Hunden gezeigt, sollte die Begegnung eventuell beendet werden (zum Beispiel, indem jeder weiter seines Weges geht), oder es sollte zumindest dafür gesorgt werden, dass die Tiere genug Platz haben, sich auszuweichen und mehr Distanz herzustellen, wenn sie dies wünschen (zum Beispiel, indem man aus einem geschlossenen Raum hinaus in den Garten geht).

Behauptung: Ein Hund, der sehr gut verträglich mit Artgenossen ist und das Zeigen und Verstehen der Beschwichtigungssignale beherrscht, kann gut dafür eingesetzt werden, weniger sozialverträgliche Hunde zu resozialisieren.
Die Antwort müsste hier lauten: ja und nein. Einerseits ist es richtig, dass sich ein sehr souveräner, nervenstarker und in den Beschwichtigungssignalen routinierter Hund nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt und deshalb viel gelassener auf einen „Hitzkopf" reagiert, was wiederum die Wahrscheinlichkeit senkt, dass es zu einer Rauferei kommt. Andererseits sollte man einem so verträglichen Hund keinesfalls zumuten, ihn (womöglich auch noch bewusst und häufig) in Situationen zu bringen, die ihn derartig belasten. Erstens kommt dies einem Vertrauensbruch gleich, zweitens ist es unfair und drittens kann es passieren, dass dieser bisher so verträgliche Hund dann selbst irgendwann die Nerven verliert und sich doch auf eine Rauferei einlässt. Grundsätzlich ist es zwar richtig, dass ein gut sozialisierter Hund ein wertvoller Trainingsassistent sein kann, aber wenn er als solcher eingesetzt wird, müssen viele Punkte beachtet werden. Deshalb sollten solche Trainings nur von Profis durchgeführt werden, die über die hierfür nötige Erfahrung verfügen.

Behauptung: Wenn man einem Hund begegnet, muss man immer ganz viele Beschwichtigungssignale zeigen, damit dieser gleich erkennt, dass man mit friedlichen Absichten unterwegs ist.
Auch hier lautet die Antwort wieder: ja und nein. Es kann nicht schaden, einem ängstlichen Hund, der einem zum Beispiel auf dem Bürgersteig entgegen kommt, durch ein kurzes Wegsehen, das Gehen eines kleinen Bogens oder durch ein anderes Signal anzuzeigen, dass von einem selbst keine Provokation oder Gefahr ausgeht. Übertreibt man die Sache aber und zeigt sozusagen einen Großteil des Repertoires an Signalen, wenn man einem wildfremden Hund auf der Straße begegnet, wird man auf diesen eher merkwürdig als beschwichtigend wirken. Das würde uns Menschen nicht anders gehen. Was würden wir über jemanden denken, der uns gähnend, blinzelnd und in einem Bogen laufend entgegen kommt, nur weil wir den gleichen Gehweg wie er benutzen. Würde er uns nicht ein wenig seltsam vorkommen?!

Das Maß des Normalen nicht verlassen!
Kürzlich erlebte ich eine interessante Geschichte. Eine Dame und deren erwachsene Tochter hatten einen Schäferhundmischling aus dem Tierheim adoptiert. Der junge Rüde war insgesamt ein umgänglicher Hund, hatte aber offensichtlich große Angst vor Männern. In seinem neuen Zuhause angekommen, traf er zum ersten Mal auf sein neues Herrchen, einen recht großen Mann, der krankheitsbedingt hinkte und seinen rechten Arm angewinkelt hielt. Der Anblick dieses Mannes war für die angespannten Nerven des Hundes zu viel, und so begann er, diesen wie verrückt zu verbellen. Der Mann versuchte nun, den Hund über gutes Zureden von seiner Ungefährlichkeit zu überzeugen und gab ihm Leckerchen, sobald er sich beruhigte. Das half zwar, die Situation etwas zu entschärfen, der junge Rüde bellte aber jedes Mal, wenn er sein Herrchen nach kurzer Abwesenheit wieder sah und brauchte immer einige Zeit, um sich wieder zu beruhigen. Schließlich wurde eine Trainerin zu Rate gezogen, die den Rat gab, der Mann solle Beschwichtigungssignale aussenden, wenn der Hund sich so sehr vor ihm fürchte. Er solle sich wie folgt verhalten: Sobald der Hund ihn beim Hereinkommen im Garten sah und bellend auf ihn zulief, solle er ganz starke Signale einsetzen, nämlich auf der Stelle stehen bleiben und in der Bewegung einfrieren. Dann solle er zur Seite schauen und deutlich gähnen und sich nicht eher wieder rühren, bis sich der Hund beruhigt hätte. Der Mann tat wie geheißen – und der Hund explodierte nun vollständig, bellte unaufhörlich und war durch nichts und niemanden zu beruhigen. Alle waren verzweifelt, so konnte es nicht weiter gehen. Als die Trainerin mich schließlich anrief und um Rat fragte, weil sie das Verhalten des Hundes überhaupt nicht verstehen konnte, musste ich lachen. Ich fragte sie, wie denn wohl ein Mann auf sie wirken würde, der stocksteif im Garten herumsteht, sich nicht mehr vom Fleck rührt und dabei gebannt zur Seite schaut und gähnt. Dieser Mann muss nun wahrlich merkwürdig auf seinen Hund gewirkt haben!

Mit anderen Worten ist es selbstverständlich gut und richtig, Beschwichtigungssignale auszusenden, um einen Hund von seiner Friedfertigkeit und Ungefährlichkeit zu überzeugen. Aber dabei sollte man das Maß des Normalen nicht verlassen, sonst wirkt man eher seltsam und somit eventuell eher bedrohlich als freundlich.

Wie können wir im Alltag richtig auf vom Hund gezeigte Signale reagieren?
Hierfür gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Zunächst können wir durch achtsames Beobachten unseres Hundes herausfinden, in welchen Situationen oder gegenüber welchen Menschen er beschwichtigend reagiert. Hier einige einfache Beispiele:

• Wenn Sie Ihren Hund an der Leine führen und Ihnen jemand entgegen kommt, achten Sie darauf, ob Ihr Hund ausweichen möchte. Falls ja, geben Sie ihm Gelegenheit dazu.

• Erlauben Sie Fremden nicht, Ihren Hund anzufassen, wenn dieser über Beschwichtigungssignale anzeigt, dass ihm dies unangenehm ist. Auch wir möchten schließlich nicht von jedem Fremden angegrabscht werden, der uns süß findet.

• Beschwichtigt Ihr Hund, wenn Sie am Bordsteinrand mit ihm stehen, um gleich die Straße zu überqueren, achten Sie darauf, einen Schritt zurück zu gehen, denn wenn Sie ganz dicht vorne an der Straße stehen, rauschen die Autos gefährlich nahe an ihm vorbei. Die Situation ist für Ihren Hund einfacher zu bewältigen, wenn er mit einem großen Schritt Abstand vom Bordsteinrand warten darf, ehe Sie beide losgehen.

• Achten Sie bei einem Restaurantbesuch darauf, dass Ihr Hund in einer abgeschirmten Ecke liegen kann und nicht mitten im Gang ausharren muss, wo ständig fremde Personen dicht an ihm vorbei laufen, denn so kann er sich nicht entspannen. Am besten nehmen Sie ihm eine eigene Decke mit, die ihm anzeigt, wo er sich in aller Ruhe hinlegen und schlafen kann, während Sie Ihr Essen genießen.

• Rauchen Sie nicht im Auto. Schon gar nicht, wenn Ihr Hund ebenfalls im Auto ist. Versetzen Sie sich in seine Lage: Sein Geruchsorgan ist um ein so Vielfaches feiner ausgeprägt als das unsere, dass seine Fähigkeit, selbst winzigste Partikel eines Stoffes erschnüffeln zu können, legendär ist. Wie unerträglich muss für ihn der Gestank sein, wenn auf so beengtem Raum wie im Auto geraucht wird?!

• Apropos Auto: Leider kann man immer wieder stark beschwichtigende Hunde beobachten, wenn diese in viel zu kleine Abteile eines PKWs gesperrt werden. Dies ist für den so eingekeilten Hund nicht nur unangenehm, sondern auch lebensgefährlich. Schon bei einem Auffahrunfall mit nur 50 km/h hat ein Schäferhund im Heck eines Kleinwagens kaum eine Überlebenschance, da er aufgrund der mangelnden Ausweichmöglichkeit vom Blech zerquetscht wird. Deshalb sollte der Hund in solchen Kleinwagen lieber angegurtet auf dem Rücksitz transportiert werden.

Achtsamkeit im täglichen Miteinander
Es gäbe noch viele dieser Beispiele. Meistens bringen wir unseren Hund dabei ganz unbedacht in Situationen, die für ihn schwierig zu ertragen sind. Deshalb liegt es an uns, uns in der Achtsamkeit des täglichen Miteinanders zu schulen. So lassen sich viele Probleme vermeiden oder doch zumindest entschärfen. Spätestens aber, wenn uns der Hund über die Beschwichtigungssignale mitteilt, dass es für ihn unangenehm, evtl. sogar zu viel wird, sollten wir eingreifen. Damit zeigen wir unserem Freund auf vier Pfoten, dass wir ihn verstanden haben und ihm helfen – und schaffen so eine tiefe Vertrauensbasis.


WUFF INFORMATION


Zum Nachlesen …
Wer mehr über die Bedeutung und Anwendung der Signale wissen möchte, dem seien folgende Bücher, Videos, DVDs zu empfehlen:

• Turid Rugaas: Die Beschwichtigungssignale der Hunde

• v. Reinhardt/Nagel: calming signals workbook – Das Arbeitsbuch zu den Beschwichtigungssignalen

• Begleitend zu den Büchern gibt es das Video bzw. die DVD.

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